Kaufhauscoding

Von Yoda Zhang am
Kommentiert von: Henrik Wening, @christianspanik, Andreas Wanda, David Lightman, Boris, Torsten Othmer, Freddy
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Mit meinen für dieses Alter schon profihaften Programmierkenntnissen in Basic machte es mir unheimlichen Spaß, andere Leute zu beeindrucken. Gleichzeitig störte mich auch, dass es für den C64 immer so viel Angebot gab, während die tollen Ataris im Kaufhausregal standen und nicht beachtet wurden, weil keiner wusste, was man damit so machen kann.

Zum Glück standen im Kaufhaus die Rechner auch aufgebaut und an Fernseher angeschlossen herum. Man konnte also einfach hingehen und etwas eintippen.

Natürlich war kein Floppylaufwerk angeschlossen, aber das war erstmal egal. Später fand ich übrigens auch heraus, warum das so war: Sobald ein Laufwerk angeschlossen wurde, fingen irgendwelche Leute an, ihre Raubkopien zu laden und zu spielen. Diese Spiele waren dort gar nicht käuflich erhältlich und das bedeutete für das Kaufhaus gleich zweifachen Ärger: Einerseits weil man öffentlich Raubkopien zeigte und andererseits, weil die Kunden dann heiss auf die tollen Spiele wurden, die man im Kaufhaus aber gar nicht kannte, geschweige denn verkaufte.

Ich ging also gerne dorthin und fing an, auf den 600XL oder 800XL Rechnern innerhalb kürzester Zeit, also zwei bis drei Stunden, ein kleines Spiel zu programmieren. Die Verkäufer fanden das zuerst nervig, weil wieder so einer den Computer stundenlang blockierte. Immer diese Kids, die nix anderes zu tun haben, als den ganzen Tag hier herumzuhängen und sinnloses Zeug zu machen. Die machen uns noch den Computer kaputt, die vertreiben uns noch die Kunden!

Computer aus, Speicher gelöscht, alles Futsch. Neuer Tag, neues Spiel.

Yoda Zhang

Als sie dann aber sahen, dass da ein echtes Spiel bei rauskommt und das auch noch die Kunden zieht, wurde nix mehr gesagt. Das ging sogar so weit, dass ich irgendwann versuchte, die Spieleprogrammierung an bösen fremden Computern, wie dem Commodore VC 20, zu lernen. Das klappte teilweise sogar, aber mit dem Ding habe ich mich nie richtig anfreunden können. Der Atari war da einfach freundlicher. Obwohl der VC 20 ja immer noch weniger schlimm war als der C64, der sogenannte Brotkasten. Aber dazu später mehr.

Schade war dann nur, dass diese Spiele nie abgespeichert werden konnten, da ja kein Laufwerk angeschlossen war. Spätestens wenn ich also gehen musste und irgendein Volltrottel den Computer mal eben aus- und wieder einschaltete, war das mühsam kreierte Werk wieder gelöscht. Es gab ja keine Festplatte oder sowas.

Computer aus, Speicher gelöscht, alles Futsch. Neuer Tag, neues Spiel.

Bildergalerie

Mühsam wurde jede Zeile von Hand einprogrammiert. (Bild: Heimcomputer auf dem Vormarsch, BR Dokumentation)
Mühsam wurde jede Zeile von Hand einprogrammiert. (Bild: Heimcomputer auf dem Vormarsch, BR Dokumentation)
Heimlich in der dunklen Nische. Heimcomputer in einem Kaufhaus der 1980er Jahre. (Bild: Heimcomputer auf dem Vormarsch, BR Dokumentation)
Heimlich in der dunklen Nische. Heimcomputer in einem Kaufhaus der 1980er Jahre. (Bild: Heimcomputer auf dem Vormarsch, BR Dokumentation)
Die erste Berühung mit dem Computer fand nicht selten im Kaufhaus statt. (Bild: Heimcomputer auf dem Vormarsch, BR Dokumentation)
Die erste Berühung mit dem Computer fand nicht selten im Kaufhaus statt. (Bild: Heimcomputer auf dem Vormarsch, BR Dokumentation)
Bilder aus einer Zeit in der Computer noch "Mikrocomputer" genannt wurden. (Bild: Heimcomputer auf dem Vormarsch, BR Dokumentation)
Bilder aus einer Zeit in der Computer noch “Mikrocomputer” genannt wurden. (Bild: Heimcomputer auf dem Vormarsch, BR Dokumentation)
Eine Anzeige von Karstadt in der HC Mein-Homecomputer auf dem März 1984. (Bild: Vogel Verlag)
Eine Anzeige von Karstadt in der HC Mein-Homecomputer auf dem März 1984. (Bild: Vogel Verlag)

Buch: Level 2 – Splat, Kapitel 1, Seite 49

GULP SPLAT ZONG – DAS BUCH

Dieser Text ist Yodas Buch “Gulp Splat Zong” entnommen.

Dank seiner Lektüre werden wir nicht nur in die ersten Sternstunden der Arcade-Automaten in Deutschland zurückversetzt, sondern erinnern uns an Atari VCS Klassiker wie Haunted House und an das schier endlose Abtippen von BASIC-Listings in den goldenen Tagen der Heimcomputer. Bei uns könnt ihr verschiedene Texte von Yoda lesen; sein Buch in gedruckter Form könnt ihr direkt auf seiner Webseite erwerben.

Wir versprechen: es lohnt sich!


Veröffentlicht in: Videospielgeschichten

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  1. Mein Ziel im Kaufhaus waren im Jahre 1980 die Commodore PET/CBM Computer, die über einem integrierten Kassetten Rekorder verfügten und nach minutenlangem Laden und Speichern auch das Entwickeln von mehrzeilgen Programmen in Basic erlaubten. Diese Rechner gab es damals in Bremen bei Horten und bei Quelle. In der Papierabteilung fristeten sie ein kaum beachtetes Dasein neben den Taschenrechnern und auch die Aussage, dass über 7.167 Zeichen für knapp 2.000 D-Mark verfügbar waren, weckten bei den Kaufhauskunden kein Interesse etwa eigene Algorithmen zur Multiplikation von Matrizen oder anderen mathematischen Aufgaben selber zu erstellen.

    Was noch in Erinnerung verblieb? Die Dauerbeschallung von Peter Kents Hit: (It’s a real good feeling) was damals dem Zustand entsprach nach langem Tippen erwartungsvoll endlich RUN und einzugeben.

  2. Super-Schöne Geschichte. An dieses “Hacking” kann ich mich als Digisaurier auch noch erinnern. Die harte Arbeit machte bei uns der Hannes, ich hatte nur die Ideen, was man tun könnte. Unsere Beharrlichkeit brachte uns schließlich einen Job ein. Im Kaufhaus. Demo-Software schreiben… Die wurde dann wenigstens nicht mehr gelöscht…

    Wer will: im Rahmen der Digisaurier-Radreise letztes Jahr (von Fürth nach Hünfeld und eben auch über Würzburg) habe ich auch das aufgeschrieben und ein kleines Video dazu vor dem damaligen Kaufhaus gemacht. Überschrift: Kinder erschrecken mit dem C64 😉

    Ich hoffe es ist okay, wenn ich den Link hier poste. Sonst schmeißt ihn bitte wieder raus. Passt nur so gut…

    http://www.digisaurier.de/von-neuland-nach-digitalien-der-dritte-tag-mit-dankbarkeit-pest/

  3. „Kannst Du den Computer hacken?”, fragt der Schulkollege unter der Last seiner Schultasche, die Brillanz eines C64-Besitzers anzweifelnd: „Ja klar!“ Nach einem herzhaften Fingerknacken setzte man ein markiges PRINT-Kommando samt GOTO 10 in den Monitor: bei der Endlosschleife „OBIWANDI WAS HERE”war das Erstaunen wie die Schlagzeile in der örtlichen Gazette vorprogrammiert.

    Vielen Dank an Yoda Zhang für diesen wunderschönen Beitrag über eines der vielen, längst vergangenen sozialen Phänomene der frühen Computer-Zeit!

  4. Ich kann mich auch gut an die Zeit erinnern. Leider gab es in meinem Heimatort nur einen Tante-Emma-Laden, und da gibt es auch heute noch nur eine alte manuelle Registrierkasse 🙂

    Allerdings war meine Mutter Modetechnisch in die nächstgelegene Großstadt orientiert und so kam ich Samstags in den Genuss, auf Computern herum zu tippen. In diesem Fall war es meine Mutter, die immer gequengelt hat “Ich will jetzt sofort nach Hause”… versteh einer die Mütter 😉

  5. Einige Relikte aus dieser Zeit tauchen in C64-Diskettensammlungen immer wieder mal auf. Wie zum Beispiel die berüchtigte Kaufhaus-Demo 🙂 Wer danach suchet, der findet. Selbst bei Youtube findet sich das Ding. Samt Bekenner-Schreiben unter den Kommentaren.

  6. Na, wir haben doch gerade durch das Internet diesen tollen Artikel entdeckt :-). Und ja, ich hatte auch, es war bei Horten in Osnabrück, BASIC in die dort ausgestellten Computer programmiert. Allerdings hatte ich geschummelt und aus einer Computerzeitschrift die dort abgedruckten Prigramme abgetippt. Am weitesten kam ich auf einen TI 99/4, den mochte im Kaufhaus niemand und darum war dieser Computer immer frei. Nach einer Ewigkeit und Fehlersuche lief das Spiel, da war ich schon mächtig stolz.

  7. Hei, ich kann förmlich den Geruch der glühenden Netzteile im Kaufhaus riechen! Habe selbst Stunden dort rumgehangen und auf die Tastaturen eingehämmert. Winzige Basic Listings mit Snake oder Hangman Spielchen. Ach waren das Zeiten. Wie eine Tür zu einer anderen Welt war das. Heute wirkt vieles so abgegriffen. Durch das Internet hat man manchmal das Gefühl nichts mehr entdecken zu können. Immer war schon einer vor einem da. Damals war das ganz anders. Es war alles neu!