Wie YouTube zu meiner Spielekonsole wurde

Von Daniel Wagner am
Kommentiert von: André Eymann, Danny, Dennis, @dannywoot, @randomspieler, ReneAchter, @HooliNerd, Stephan Ricken
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Lange Jahre gab es für mich keinen Grund, YouTube zu besuchen – bis zu dem Tag, als YouTube und ich einen dieser Magic Moments hatten, die alles verändern. Es war ein Klick auf irgendeinen einigermaßen interessant klingenden Link irgendwo im Netz, der mich hinüber auf die Videoplattform führte. Weil ich gerade Zeit hatte, stöberte ich ein bisschen durch YouTubes Videokategorien. Einfach mal treiben lassen und abchecken, was es da so zu sehen gibt auf dieser Plattform, die mich nie interessiert hatte.

Ich scrollte durch das Angebot und hielt plötzlich inne, als mein Blick bei einem ziemlich katastrophalen Video-Vorschaubild hängen blieb, das sich allein durch seine katastrophenmäßige Schlechtigkeit vom ganzen Rest der überwiegend auf Hochglanz polierten Clips abhob. Das Bild zeigte eine schwarze, eine blaue und eine grüne Fläche, dazu ein verpixeltes, pinkes Etwas. Und das war’s eigentlich auch schon. Furchtbar hässlich.

Trotzdem – irgendwie kam mir diese Fürchterlichkeit schrecklich bekannt vor. Ich wagte einen Klick und das Ding entpuppte sich als ein Gameplay-Video zum Atari-2600-Klassiker Moon Patrol, das ich als Kind selbst gespielt hatte. Ich war begeistert. So etwas gibt es also auf YouTube?! #MagicMoment, Baby!

Moon Patrol für Atari 2600. (Bild: Atari)
Moon Patrol für Atari 2600. (Bild: Atari)

Im Retro Flash

Ein paar Klicks später stieß ich auf den Kanal „World of Longplays“, der voll war mit Videos wie diesem. Es kam mir so vor, als hätte ich einen seltenen Schatz gefunden, der jahrelang vor meinen Augen lag und den ich erst jetzt – mit einer wunderbaren Mischung aus Faszination und Aufregung – bergen durfte.

Daraufhin nahm ich mir zum ersten Mal bewusst ein paar Stündchen Zeit, um diesen fremden Videokosmos genauer zu erforschen. Nie im Leben hätte ich damit gerechnet, dass in der losen Beziehungskiste zwischen YouTube und mir so viel Potenzial für eine echte Love Story stecken würde.

Ich durchforstete also die Plattform nach alten Games, die ich früher mal gespielt hatte: Zak McKracken, Maniac Mansion, Doom, Lemmings… Bei den großen Klassikern war es natürlich ein Leichtes, Videos zu finden. Einfach Titel in die Suche eingeben und fertig.

Von vielen anderen Games jedoch, waren mir die Titel völlig entfallen. Ich hatte nur noch vage Bilder im Kopf: Zum Beispiel so einen coolen Typ im Kampfanzug, der sich in einem schicken Sidescroller durch eine SciFi-Welt ballerte (später stellte sich heraus: es war Turrican). Oder ein gruseliges Rollenspiel, das in einer alten Burg angesiedelt war und in dem eine vollbusige Brünette eine nicht unwesentliche Rolle spielte (na klar: Elvira – Mistress of the Dark). Auch von einer metallenen Arena schwirrte mir ein Bild im Kopf herum, und von zwei Teams, die dort einem Ball hinterher jagten und sich ziemlich brutale Blutgrätschen verpassten (Speedball – ich hab’s geliebt). Hach! War das ein Träumchen, so viele alte Games wieder zu entdecken. Ich war total im Retro Flash – stundenlang.

Von allen Spielen, an die ich mich dank YouTube wieder erinnern konnte, packte ich jeweils ein Video in eine Playlist, die ich „Classic Games aus meiner Jugend“ nannte. Die gibt’s immer noch. Klickt euch gerne mal rein.

Meine YouTube Playlist "Classic Games aus meiner Jugend". (Bild: Daniel Wagner)
Meine YouTube Playlist “Classic Games aus meiner Jugend”. (Bild: Daniel Wagner)

Let’s Play!

Im Laufe der Zeit konnte ich so Schritt für Schritt meine eigene kleine Videospiel-Historie in Grundzügen rekonstruieren. Viele alte Erinnerungen an fantastische Spielwelten und mutige Helden schwappten dadurch langsam zurück in meine aktiven Hirnregionen – und mit ihnen noch jede Menge weiterer Erinnerungen: an ehemalige Freunde, mit denen ich mal versucht hatte, ein eigenes Computerspiel zu entwickeln; daran, wie mein Kinderzimmer aussah (dieser hölzerne Computertisch!); an die Melodien, die eine ganze Generation geprägt haben (die Titelmelodie zu Monkey Island OMG!) und und und. Großartig!

Heute ist YouTube eine der wichtigsten Online-Plattformen für mich. Ich bin täglich drauf und schaue überwiegend Let’s Plays, diese kommentierten Gameplay-Videos, die schon so manchen YouTuber berühmt gemacht haben.

Schnippeln und Zuschauen. Let's Plays in der Küche. (Bild: Daniel Wagner, Instagram)
Schnippeln und Zuschauen. Let’s Plays in der Küche. (Bild: Daniel Wagner, Instagram)

Let’s Plays sind mittlerweile sogar eine Art Spielersatz für mich geworden: anstatt mich hinzusetzen, die Konsole anzuschmeißen und mehrere Stunden ein Game selbst zu zocken, begleite ich als Zuschauer einen anderen Spieler dabei, wie er die Spielwelten für sich und mich – für uns! – erkundet. Das alles habe ich nahtlos in meinen Alltag integriert: Ich stelle einfach das iPad auf und lasse das Video laufen, während ich mich morgens im Bad frisch mache, mittags koche oder abends die Zähne putze. Für mich ist das die perfekte Work-Life-Game-Balance, mit der ich alle meine sozialen Verpflichtungen und persönlichen Leidenschaften ziemlich gut unter einen Hut bekomme.

YouTube ist jetzt meine Spielekonsole. Zwanglos wie ein Casual Game schmeiße ich sie an, wann immer mir danach ist. Ich muss mir für’s Zocken nicht mehr extra Spielzeit einräumen und auch keine Kompromisse mehr eingehen, wenn der Fernseher, an dem die Konsolen hängen, gerade belegt ist.

Was ich auch gut finde: Let’s Plays erlauben mir, Spiele wie eine TV-Serie zu erleben. Ich bestimme, wie viele Folgen am Stück ich mir ansehe und ob ich mal kurz vorspule, wenn mich eine Quest gerade langweilt. Eine Art „Binge Let’s Play Watching“ – oder „passives Binge Gaming“, wenn man so will.

Für mich ist YouTube dank seiner vielen Let’s Plays mein perfekter Spielersatz geworden. Im Kern jedoch hat YouTube einen noch viel gewaltigeren Stellenwert in meinem Leben eingenommen: Aufgrund der vielen Classic Games, die dort als Videos zu finden sind, wie North & South, Elite, Barbarian oder It Came From The Desert, ist YouTube für mich eine riesige Erinnerungsmaschine, die mir kleine Zeitreisen im Kopf ermöglicht: Zeitreisen zurück in die Vergangenheit, in der ich als kleiner Junge vor meinem Atari 2600 oder C64 saß und immer, wann ich es wollte, ein Held sein durfte.


Veröffentlicht in: Videospielgeschichten

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Kommentare (16)

  1. Ich muss gestehen, dass ich LetsPlays auf YouTube öfter mal als Lösungshilfe missbrauche. Gerade gestern Abend wieder. An einer Stelle in AC: Black Flag kam ich nicht weiter und da sagten mir ein paar Bilder mehr als tausend Worte. Dafür sind LetsPlays also auch bestens geeignet. Ich bin ein Spielverderber, ich weiß 😉 Aber nach gefühlt tausend Versuchen, darf man das mal. Oder?

  2. Was es hier noch anzumerken gäbe: nun nachdem ich VSG etwas modernisiert habe, kann ich ganz easy Videos in die Artikel integrieren. Deshalb wird YouTube an dieser Stelle immer wieder einmal gute Dienste als “Erinnerungsmaschine” leisten können 😉 Dank der ganzen YouTuber ist nämlich im Besonderen die Retro-Ära wunderbar dokumentiert.

  3. Ha das ist doch mal eine tolle Geschichte! In der Tat hat mir ein Klick auf deine Playlist ähnliche Erinnerungen gebracht. Vielen Dank dafür. Auf meiner eigenen Seite spreche ich ja auch oft über Erinnerungen an alte Spiele. Aber auf diese Idee bin ich auch noch nie gekommen…

    Let’s Play glotzen sind jedoch nicht so mein Ding. Habe es versucht. Da spiele ich lieber selbst…

  4. Danke für deinen Kommentar @randomspieler. Ich hab mir auch schon das eine oder andere Game gekauft, NACHDEM ich das komplette Let’s Play dazu gesehen habe. Wenn das Interesse also groß genug ist, dann schlag ich zu, obwohl ich es schon kenne (meist allerdings lass ich dann erstmal 6-12 Monate verstreichen, und dann kostet es auch nur noch halb so viel wie zum Start – doppelt gut) 🙂

    EinQuantumPro hab ich noch nicht auf dem Radar, aber jetzt, nach deinem Hinweis, hab ich ihn mal abonniert und schau definitiv mal rein.

  5. Mir geht es ganz genau so. Gäbe es YouTube nicht, hätte ich das gute alte RPG Albion (Link) komplett vergessen. Bei neuen Spielen, die ich interessant finde sehe ich mir auch lieber ein LetsPlay an, anstatt es mir zu kaufen. Dadurch bin ich auch sehr faul geworden. Wenn ich mal ein Spiel selbst Spiele, bin ich schon SEHR stark daran interessiert. 😀

    Ich kann auch komplett nachvollziehen, warum Kids eine Bindung zu Lets Playern aufbauen. Anfangs habe ich eher Walkthrougs angesehen, weil der Großteil der LetsPlayer doch schon nervige Kinder sind. Es gibt allerdings auch ein paar Leute, die guten Content für Erwachsene erstellen. Als der LP’ler EinQuantumPro Skyrim gespielt hatte, habe ich jede Folge mit großem Genuss verfolgt. Mehr wegen seiner Art zu spielen, als wegen Skyrim an sich. Ein sehr sympatischer Typ, der gute LetsPlays für, ich sag mal, Erwachsene macht.

    Momentan höre ich aber eher Audiobooks oder Kurzgeschichten auf YouTube an. Lässt sich sehr gut mit online Spielen vereinbaren. Diese sind ja meistens eher leichte Kost und man muss nicht so Aufmerksam dabei sein.

  6. Ging mir ähnlich, als ich die Longplays von Monty (alias Reinhard Klinksiek) entdeckt habe. Ich klickte mich Stundenlang durch die Videos der Spiele, bei denen ich nie das ende zu Gesicht bekam. So konnte ich auch endlich mal das ende von ‘The Eidolon’ sehen, was ich damals nicht so wirklich verstanden habe, aber total faszinierend fand :). Ganz zu schweigen von Koronis Rift…

  7. Danke! Ja, YT ist echt großartig. Überlege auch schon seit längerem, Videos zu produzieren und hochzuladen, aber über das Experimentierstadium bin ich noch nicht rausgekommen. 🙂

  8. Na du kennst dich aber echt gut aus, Respekt!

    Okay, “Park Patrol” kommt mir bekannt vor. Ich würde aber nicht meine Hand ins Feuer legen dass ich das tatsächlich gespielt habe.

    “Aliens” hab ich ganz sicher gespielt und ich glaube sogar die Version, die im Video läuft. Geilo! Kam gleich auf meine Playlist. 🙂

    “Enforcer” hab ich evtl. auch gespielt. Zumindest kam mir das Video und ein paar Spielmomente darin sehr vertraut vor. Wobei…… Bin grad rüber zu Youtube und hab mir “Katakis” angeschaut. Vermutlich war es doch das und nicht Enforcer. Egal, kommt auch in meine Playlist, yay! 🙂

    Und vom guten alten “Turrican” hab ich, glaub ich, nur Teil 1 und 2 gespielt.

    Fazit: 2 neue Games in meiner Classic Games Playlist + 2 neue YT Channels abonniert. Nice! Und danke! 🙂

  9. Kann diesen Text sehr nachempfinden. Auf YouTube kann man nicht nur Einblick in Spiele bekommen, sondern ebenfalls (sofern man sich drauf einlässt und selbst Videos dort hochlädt) eigene Spielermomente teilen und Empfehlungen aussprechen. Ohne YouTube wäre ich über so manches Spiel nicht gestolpert und es ist aufgrund meiner Faszination für Spiele sogar eine Art soziales Netzwerk geworden, weil dort viele Menschen unterwegs sind, die eine ähnliche Faszination für Videospiele teilen.

  10. @dannywoot aber gerne doch. 🙂

    Da wäre zum Beispiel “Park Patrol” für den Commodore 64.

    https://youtu.be/-k-dReIfz00

    Das Spiel war damals total an mir vorbei gegangen, weil es in Europa erst 1987 beim Budgetlabel “Silverbird” erschien, obwohl es in den USA bereits drei (!) Jahre vorher veröffentlich wurde. Im Sommer ’87 bin ich ja bereits auf den Amiga 500 umgestiegen und habe daher zwangsläufig eine ganze Reihe originärer & origineller C64 Titel verpasst. Umso erstaunter war ich, als ich vor einem Jahr oder so auf diesen Titel stieß, zumal er aus dem Hause Activision stammt und ich bis dahin dachte, ich würde alle Activision Spiele für den C64 kennen. 😉

    Ebenfalls von Activision und für den C64 und hierzulande auch eher unbekannt ist “Aliens”.

    https://youtu.be/ZBmwEi6uWnE

    Das Spiel kam damals zunächst nur auf dem US Markt heraus. Auf dem europäischen Markt gab es nämlich bereits ein “Aliens” Spiel aus dem Hause Electric Dreams. Die haben o.g. Titel dann deutlich später unter dem Zusatz “US Version” auch in Europa angeboten, das ging aber so ziemlich unter und blieb daher hierzulande so gut wie unbekannt.

    Unbedingt anschauen möchte ich mir auch “Enforcer – Fullmetal Megablaster”

    https://youtu.be/x_1mMhJP6Xo

    Ein relativ spätes C64 Spiel (1992) von Manfred Trenz, nur dass er es damals unter dem Pseudonym “The Master” entwickelt und veröffentlicht. Dem Grunde nach handelt es sich um “Katakis 2”. Ich kann nicht erwarten, das Raumschiff endlich mal selbst zu steuern. 🙂

    Wo wir bei Manfred Trenz sind und um mal einen Amiga Titel zu nennen: Turrican 3! Von dessen Existenz auf dem Amiga ich jahrelang nicht mal wusste. Habe ich auch noch nie gespielt bis heute. Schande über mich. 😉

    https://youtu.be/Y530mBlpv7k

  11. Diese “toplay list” würde mich ja schon interessieren. Da sind bestimmt ein paar Titel dabei, die ich kenne oder die ich früher gespielt, aber mittlerweile völlig vergessen habe. Dann wären sie auch Kandidaten für meine Youtube Playlist. 🙂 Magst du mal ein paar Titel nennen?

  12. Guter Artikel über einen Aspekt, der Moderne wie Retrokultur vereint, genau wie es die Retrofans halten, die mit viel Herzblut solche Let’s Plays erstellen.

    Einen Ersatz zum selber Zocken werden diese für mich zwar nie darstellen, aber ich nutze sie auch sehr gerne zum Stöbern und um auf Ideen zu kommen, was ich unbedingt noch mal spielen muss. Darunter finden sich natürlich eine ganze Menge Titel, die ich entweder viel zu oberflächlich gespielt habe, noch nie gezockt habe oder von denen ich gar noch nie gehört oder gelesen habe. Eine ziemlich lange ‘toplay list’ inzwischen. 😉