Breakin’ the Borders: von Undergroundkünstlern und Spitzentechnologien

Von André Eymann am
Kommentiert von: Jan L., Werner Konrad, Microzeit Publishing, André Eymann, Moni
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Bitte nicht noch ein Artbook über Retrocomputer, war mein erster Gedanke als ich von Marco A. Breddin eine Anfrage mit dem Angebot eines englischen Rezensionsexemplars erhielt. Als dann aber das Buch bei mir eintraf und ich es aufschlug, verschlug es mir die Sprache. Meine anfängliche Skepsis löste sich mit jedem Buchstaben in Wohlgefallen auf. Marco, was hast Du uns hier hinterlassen? Nichts weniger als ein Meisterwerk!

Gewichtig und wertig liegt es in der Hand: Breakin’ the Borders kommt in einem kraftvollen Schutzumschlag daher und lädt mit seinem rechteckigen Format zum Niederlassen auf dem Lieblingssessel ein. Aufgeklappt liegen 45 cm Buchbreite vor einem, die – wie wir noch sehen werden – ein wunderbares Format für den vielfältigen Inhalt bieten.

To everyone who never gives up. To the creative people.

Breakin’ the Borders

Manch einer mag sich fragen, wie relevant ein Buch über Computer aus den 1980er Jahren heute noch sein mag. Und genau an diese Menschen, kann sich das Vorwort von Prof. Dr. Gundolf S. Freyermuth richten.

Die Einleitung, welche eigentlich ein Interview ist, erstreckt sich über insgesamt neun Buchseiten und ist hochinteressant geschrieben. Hier werden aktuelle Bezüge zu Technologie, Journalismus, Interface Design und die Bedeutung der Demoszene gezogen, dass es eine wahre Freude ist. Auch geht es um Metathemen wie Spielen und Lernen, sowie Gedankenspiele um die Arbeitsweisen von Softwareentwicklern (“Maybe programmers should think more like writers”).

Das Landscape-Format des Buches ist sehr wirkungsvoll. (Bild: André Eymann)
Das Landscape-Format des Buches ist sehr wirkungsvoll. (Bild: André Eymann)

Das erste Drittel des Buches befasst sich mit der Geschichte und dem Umfeld von Atari. Allem voran natürlich dem Atari ST, der in nur fünf Monaten unter der Leitung des Hauptentwicklers Shiraz Shivji mit einem Team von sechs Ingenieurenen gebaut und auf der CES 1985 vorgestellt wurde. Hier werden auch die Rollen von Jack Tramiel, Jay Miner oder Dave Staugas erläutert. Staugas war Co-Autor des Atari Betriebssystems TOS (The Operating System), dass intern manchmal auch scherzhaft “Tramiel Operating System” genannt wurde.

Liebevoll collagierte Erinnerungen. (Bild: André Eymann)
Liebevoll collagierte Erinnerungen. (Bild: André Eymann)

Schnell wird klar, dass ich mit Breakin’ the Borders kein klassisches Artbook in den Händen halte. Der Textanteil, der sich im 3-Spalten-Format sehr angenehm lesen lässt, ist enorm. Das Buch brilliert mit Wissen, vielen Fotos und erläutert Hintergründe kompakt und auf den Punkt. Gerade auch die deutschen Leser*innen werden sich über viele heimische Werbeanzeigen von damals freuen. Immer wieder finden sich Abbildungen zu deutschen Magazinen oder Printwerbung.

So wird beispielsweise auch die Atari Messe in Düsseldorf, die im September 1987 zum ersten Mal stattfand, mehrfach besprochen. Dabei wird die Beziehung von Atari USA zu Deutschland umrissen und der Kern des Buches deutlicher: es geht um die Menschen, die kreativen Köpfe – allen voran in der Demoszene – hinter der Hard- und Software. Dabei werden im Buch viele Namen genannt, die seinerzeit wichtige Rollen spielten: Erik Simon, Jochen Hippel, Udo Fischer, Gunter Bitz, Rob Hubbard sowie viele weitere Entwickler, Grafiker oder Designer.

Da ich selbst eher ein Commodore-Kind war, habe ich eine Menge Neues dank Breakin’ the Borders gelernt und mich sehr über die vielen Anekdoten gefreut. Beispielsweise darüber, wie sich Erik Simon und Udo Fischer 1987 in ihrer Lieblings-Pizzeria “Pfalzperle” trafen, um über die weiteren Schritte auf dem Weg zu ihrem Meisterwerk Dragonflight zu sprechen.

Es ist unmöglich die Tiefe des Buches hier angemessen wiederzugeben. Egal ob es um die Hintergründe des ST-Magazins, der Atari ST Comicserie von Michael Hötze (erstellt mit der Software ARTKRAFT) oder die Geschichte von Thalion in Gütersloh geht.

Die Geschichte von Thalion. (Bild: André Eymann)
Die Geschichte von Thalion. (Bild: André Eymann)

Der Atari-Demoszene ist ein großer Teil des Werks gewidmet. Hier wird klar, wie wichtig der wechselseitige Einfluss der Grafik- und Musikkunst auf die Softwarentwickler war. Es ging darum Grenzen auszuloten und zu verschieben. Technologie auf die Spitze zu treiben und so in neue Grenzbereiche vorzudringen. Deshalb stellt das Buch wichtige Demos vor und erläutert die Geschichten dahinter.

Die vielen Features und thematischen Ausflüge von Breakin’ the Borders werden mit fast 40 Seiten Interviews abgerundet.

Fazit

Breakin’ the Borders ist ein großartiges Werk, dass die Atari-Kultur zwischen 1984 und 1990 nachzeichnet und historisch relevant einordnet. Doch es ist noch viel mehr als das.

Jeder der sich für Computergeschichte, die Geschichte Ataris oder digitale Kultur im Allgemeinen interessiert bekommt mit Breakin’ the Borders ein faszinierendes Buch in die Hände, dass nicht an einem Abend gelesen werden kann. Die Detailtiefe und Leidenschaft mit der das Buch arrangiert wurde, sind überragend. Ein Meisterwerk, das in jedes Computer-Bücherregal gehört!

Das 400 Seiten starke Buch ist 2017 im Verlag MICROZEIT erschienen. Der Autor ist Marco A. Breddin.

Link zum Verlag


Veröffentlicht in: Medien & Literatur
Tobi

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Kommentare (7)

  1. Das Buch (bzw. alle 3 Bücher der Serie) sind wirklich der Oberhammer… Und ich bin eigentlich auch ein Commodore-Kind (C64, Amiga)… Aber so viel Infos über in so guter Qualität über ein Konkurrenzsystem habe ich selten gesehen. Der helle Wahnsinn und wirklich jedem zu empfehlen, der sich über die damalige Zeit, die Szene und vor allem die Menschen informieren will. Klare Kaufempfehlung! Und ganz vielen Dank an Marco Breddin – da muss unglaublich viel Zeit hineingeflossen sein – was man ganz klar merkt!

    Tobi
  2. Sieht nach einem interessanten Buch aus, das man immer wieder gerne in die Hand nimmt, um darin zu blättern. Alleine die Bilder, die sicher in Kleinstarbeit zusammengetragen wurden, sind schon ein Hingucker. Ich liebe solche Bücher, auch wenn ich mich immer dabei ertappe, mehr auf die Fotos als auf den Text zu achten ^^

    Tobi
    1. Danke für Deinen Kommentar Moni.

      Ja, die grafische Illustration des Buches ist sehr gelungen. Sie ist aber tatsächlich dafür gedacht, die Storyline bsp. die Textbeiträge zu bebildern und ersetzt diese nicht. Ich war überrascht und begeistert, dass die Publikation auf beiden Ebenen sehr stark ist, weil ich eben zunächst von einem Artbook ausging.

      Tobi
      1. Die Kindle Edition gibt es auf deutsch hat aber weniger Seiten.
        Wird das Buch auch in gedruckter Form auf deutsch erscheinen?
        Auf deren Homepage gibt es ein Bild von einem Buch auf deutsch?!?
        Weißt du da drüber zufällig etwas?

        1. Hallo Herr Konrad,

          ich bin der Autor des Buches. Geplant ist eine deutsche Hardcover-Version bislang nicht. Zum Einen hat dies ökonomische Gründe, zum Anderen sehe ich hier nur einen sehr begrenzten Markt. Die deutschen Seiten auf meiner Website stammen von einem Dummy. Mit dem Kindle e-book sehe ich eine nette Möglichkeit mehrsprachig auf das Buch aufmerksam zu machen. Das Original bleibt aber immer das physische Buch. Hier bekommt man zusätzlich: 40 Seiten Interviews, ein umfangreiches Vorwort und ca. 1000 Abbildungen, Erklärungstexte und Features. Leider ist eine deutsche Ausgabe für einen Self-Publisher kaum finanzierbar: Bei mehrsprachigen Auflagen verdoppeln sich die Produktionskosten einfach. Ergo wird es zumindest in den nächsten 2 Jahren keine Deutsche Neuauflage geben.

          Beste Grüße,
          Marco A. Breddin / Microzeit

          Tobi