Heute gibt es einen Text über Vergangenes. Also wirklich vergangen im Sinne von vorbei, es ist nicht mehr dabei, und wird (wohl) auch nicht wiederkommen…
Liebe Lesenden,
so jedenfalls ist mein Gefühl darüber. Ich rede vom Genre der Echtzeit-Taktik (Real Time Tactics, „RTT“). Um das Jahr 2000 herum waren diese Spiele ein großer Renner. Commandos oder Desperados hatten einen Ruf, tolle Bewertungen und haben über Jahre Spielspaß gegeben. Einfaltspinsel dürfen jetzt einwerfen, dass man damals, mangels Internet, eben gespielt hat, was die CD hergab.
Was waren das für Soft-Werke? Und was machte sie aus?
Die Echtzeit-Taktik punktet vor allem mit Trial & Error und zwar von oben. Wir gucken, meist aus der Iso-Perspektive, auf das Geschehen, schauen wo die Gegner sind und wo vielleicht ein Schatten, der uns potentiell verbirgt. Danach planen wir unsere Züge und müssen danach, oft sekundengenau, unseren Versuch zum Erfolg wagen. Die beste Freunde war natürlich F5 und F9, aber hey, der Spaß zählt doch!
Eigentlich waren diese Spiele Knobel-Werke: „Ach, da ist dieser Typ, der alle 20 Sekunden dahinten um die Ecke geht. Wir könnten dort doch mal eine Bärenfalle platzieren und gucken was passiert…? Oder schießen wir lieber einen Giftpfeil mit Hypnosegift auf ihn, damit er seine Kumpel mit in den Abgrund reißt?“. Es war ein Fest für alle, die intensive Spielerfahrungen mit Hirnschmalz suchen.
![Desperados, 2001: Gut durchdachte Level erfordern Köpfchen und Spaß an Kniffelei. Entwickelnde: Spellbound Entertainment, Herausgebende: Nordic Games, Atari, RuneSoft, 1C, Atari, Inc., Infogrames do Brasil Ltda., Atari Europe S.A.S.U.](https://www.videospielgeschichten.de/wp-content/uploads/2025/01/Desperados_Allgemein_Final.jpg)
Entwickelnde: Spellbound Entertainment, Herausgebende: Nordic Games, Atari, RuneSoft, 1C, Atari, Inc., Infogrames do Brasil Ltda., Atari Europe S.A.S.U.
Und jetzt: Alle zusammen!
Was außerdem dazugehörte, waren „Quick-Actions“. In diesen konnten wir Aktionen aufzeichnen und oft auf Knopfdruck abspulen. Das ist vor allem von Vorteil, wenn man mehrere Figuren gleichzeitig agieren lassen will, mehr Präzision bei seinen Ausführungen sucht oder nach dem hundertsten Mal die Steuerung gern abgibt. Auf „Los“ schlagen alle gleichzeitig zu, blenden und schießen wir, kommt die Kugel ins Rollen – wie im Billard.
In den Spielen von damals kontrollierten wir immer eine Gruppe durch sämtliche Missionen. Die enthaltenen Charaktere hatten alle ihre Geschichten und eigenen Fähigkeiten, welche es zu kombinieren galt. Natürlich waren die Figuren zeitgemäß. Soll heißen: der Held war ein harter Kerl, der Giftmischer hatte eine Brille und die Verführung, um Gegner von kritischen Punkten wegzuzerren, hatte die Dirne auszuführen.
Zum Glück entwickeln sich viele Gesellschaften in andere Richtungen. Ein paar Jahre später, irgendwann in den 2000ern, erhielten diese Titel auch Fortsetzungen, welche aber neben „3D-Grafik“ nicht viel mehr zu bieten hatten, jedoch nach heutigen Maßstaben ok waren. Zu nennen sind hier Desperados 2, Helldorado oder Robin Hood – Die Legende von Sherwood (übrigens alle immer wieder wieder im Sale, zuschlagen!).
Ein trauriger Untergang
Wie dem auch sei. Ich möchte auf die kurze Zeit der Hoffnung der letzten Jahre kommen und, natürlich, auf das Studio das uns soviel Freude bereitet hat: Mimimi-Games sorgte 2016 mit Shadow Tactics – Blades of the Shogun für einen Revolver-Schuss-Aufschrei – Was war das denn? War die Welt wieder in den Fugen? Durfte ich Hoffnung haben, bald wieder Nachmittage in eine Mission zu investieren, und zwar mit ständig angespannten Nerven und Genuss in jeder Sekunde?
Shadow Tactics hatte alle Hoffnungen von mir und Meinesgleichen erfüllt. Knackige Missionen mit durchdachten Levels, eine tolle Geschichte, interessante Charaktere… Die AddOns wurden bereits geordert, bevor Mimimi überhaupt auf den Gedanken kam, sie zu machen. Klar, die Steuerung war natürlich eine andere als vor 20 Jahren, mit Köpfchen modernisiert. Vor allem mit vielen Hotkeys anstatt nur der Maus und Klicken aus der Isoperspektive. Aber eben nicht mehr das pixelgenaue Manövrieren auf dem 640×480 Röhren-Screen.
![Mit dem Waschbären Kuma können wir Feinde ablenken, während wir uns die Beute holen.
Shadow Tactics: Blade of the Shogun, 2016. Entwickelnde: MiMiMi Games, Herausgebende: Daedalic Entertainment, Kalypso Media](https://www.videospielgeschichten.de/wp-content/uploads/2024/09/ShadowTactics_Allgemein.jpg)
Shadow Tactics: Blade of the Shogun, 2016. Entwickelnde: MiMiMi Games, Herausgebende: Daedalic Entertainment, Kalypso Media
2020 dann der zweite Coup: Mimimi veröffentlichte Desperados III, also den Nachfolger eines meiner absoluten All-Time-Favourites! Ich habe es sofort geliebt. Das Setting war Desparados-Wild West und das Gameplay war Shadow Tactics. Das Tollste kam zum Besten – das Ding war spitze! Und auch die Kritikerwelt gab durch die Bank tolle Bewertungen jenseits der 86 Prozent.
Und so weiter… hätte ich mir gewünscht. Aber es kam alles anders. Um es kurz zu machen: Mimimi machten in 2024 dicht. Ein letztes Release, Shadow Gambit, dass unter dem Radar flog, samt weniger Verkäufe, wurde noch unters Volk gebracht. Das war es wohl mit meiner Echtzeit-Taktik-Hoffnung. Während die Seite SteamDB.info jeweils an den Tagen der Releases für Desperados III noch ca 55.000 Follower im Steam-Hub und seinen anhängenden Seiten zählt, sind es bei Shadow Gambit nur noch 3.500.
Weniger ist mehr
Natürlich ist der Abfall schon deftig. Am Interesse wird es, nach derart guter Rezeption von Desperados III, wohl nicht gelegen haben. Zusammen mit den Berichten über fehlende finanzielle Mittel nach der Schließung des Studios, wird wohl auch eine wenig starke Marketing-Kampagne bei Shadow Gambit zu dem Fehlschlag geführt haben.
Davon ab, gab es kaum ein Zeichen von willigen Studios und Publishern, in die Echtzeit-Taktik investieren zu wollen. Nur um sie zu erwähnen: Partisans 1941, releast von Alter Games/Daedalic, aus 2020, mit deutlichem Gewicht auf Schießereien, sowie im Jahre 2024 Stargate: Timekeepers, releast von Slitherine Ltd. haben es trotzdem geschafft. Letzteres ein Echtzeit-Taktiker im Star Gate-Universum, samt ikonischer Figuren. Die Bewertungen irgendwo im 60er Bereicht, auf Steam „ausgeglichen“. Und trotzdem ein Funken mit vielen guten Ansätzen und „für Fans einen Blick wert“.
![Stargate: Timekeepers, 2024 - Ein Tipp für alle Genrefans und Connoiseure. Eintwickelnd: CreativeForge Games, Slitherine Software UK, Ltd. Herausgebend: Slitherine Software UK, Ltd.](https://www.videospielgeschichten.de/wp-content/uploads/2024/09/SGTimekeepers_Allgemein.jpg)
Eintwickelnde: CreativeForge Games, Slitherine Software UK, Ltd. Herausgebende: Slitherine Software UK, Ltd.
Ich spielte vor Release natürlich die Demo an. Wenn Mensch durch die Kommentare blättert, so beschweren sich negativ Reviewende entweder über eine schwache Umsetzung des Franchises, oder aber, dass man meistens im „Stealth“ unterwegs ist. Nun gut, jeder spielt mal sein erstes RTT. Kaufen musste ich es, als Schmachtender, aber trotzdem und jetzt wo ich drüber schreibe, krieg ich eigentlich wieder Lust darauf…
Bruder gegen Schwester
Wir Geknechtete sind also sehr bedürftig. Und ich komme auf den Gedanken, dass das Interesse schon da sein muss. Ich kann nicht der einzige sein! Das Spielprinzip ist einfach, die Bewertung damals waren super und Millionen von Menschen knobeln täglich Sudokus. Weshalb ist das Genre nicht mehr präsent und weshalb hört man von nichts Neuem?
Die erste Antwort könnte ganz einfach sein, dass das Interesse, beziehungsweise die Nachfrage, tatsächlich nicht so groß ist. Das kann ich mir aber kaum vorstellen, da auch Menschen aus der Generation der damals Jugendlichen, eben meiner Generation der 80er aufwärts, immer noch spielen. Das Spielen ist eben nicht mehr in der Nische. Und: Wir haben Geld. Aber natürlich auch keine Lust auf Servicetitel.
Ein anderer Grund könnte geringes Interesse der Medien sein. Wer jemals versucht hat auf Steam seinen nächsten Titel zu finden, weiss wovon ich rede. Nach 10 Minuten Suchen ohne Ergebnis, schaut man dann doch mal auf den üblichen Seiten mit Tests vorbei, nur um dort auch nichts zu finden. Wäre das Genre dort präsenter, würde das vielleicht mehr Menschen auf diese Titel aufmerksam machen. Aber natürlich haben kleine Studios auch nicht das Geld für ausladende PR-Kampagnen.
Wie dem auch sei, mir erklärt sich mir einfach nicht, weshalb dieses Genre so im Untergang schwelt, während seine Schwester, die Runden-Taktik, so gen Himmel strebt. Titel um Titel kommen da heraus, seit Jahren und immer noch, einige Ältere zählen bei vielen zu „Klassikern„. Mich haben diese Titel vereinzelt gekriegt, nur um schnell durchgespielt und wieder weggelegt zu werden. Die X-Coms haben ihre Anhänger und mögen gute Spiele sein, für jene die Bock drauf haben.
Für uns RTTs (Real Time Tactics) sind sie aber einfach kein Vergleich und für mich, Anlass für kopfschüttelnden Frust. Und Desperados III zeigte doch eben, dass das Genre nicht tot sein muss. Wieviele Menschen auf einmal Spaß daran hatten, sieht man an den Verkaufszahlen auf Steam. Natürlich hat das Mimimi nicht gerettet.
Ihr lest also einen ratlosen Marcel, der auf seiner RTT-Durststrecke fast alles mitnimmt, was auch nur nach Echtzeit-Taktik riecht. Ich würde mir sehr wünschen, doch wieder ein tolles Spiel zu bekommen, das mich Tage, Wochen, gern auch Monate, an den Rechner fesselt.
Also Kopf hoch Cowboy, sonst verschluckst du dich am nächsten Sandsturm!
Einen wimmernden Gruß,
Marcel
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