Half-Life 3 ist noch nicht draußen und der zweite Teil von Half-Life zelebriert bereits seinen 20. Geburtstag. 2003 wurde eine Vorabversion geleakt, Ende 2004 erschien es endlich: eines der heiß erwarteten Spiele der Geschichte. Wie einst sein Vorgänger heimste auch Half-Life 2 zahlreiche Awards ein. Gordon Freemans Abenteuer durch die von Aliens eroberte Stadt „City 17“, dessen Machenschaften durch Dr. Breen kontrolliert werden, wurden von mir noch nicht erforscht. Bis jetzt. Doch lässt sich das Spiel auch noch 20 Jahre später authentisch nachspielen? Ich wollte genau das herausfinden.
Am 19. November 1998 erschien Valves Erstlingswerk „Half-Life“. Eingeleitet von einer epischen Gondelfahrt durch die Abteilungen von Black Mesa, muss sich Dr. Gordon Freeman mit ansehen, wie Aliens von Xen in die Welt gelangen und er sich durch das Forschungskomplex kämpfen muss. Die Videospielwelt war begeistert und lobte den seinerzeit innovativen Shooter in den Himmel. Für eine Firma, die zwei Jahre zuvor gegründet wurde, eine beeindruckende Leistung.
So eine Leistung kann man doch kaum toppen. Oder?
Fast auf den Tag genau sechs Jahre später – am 16. November 2004 – veröffentlichte Sierra bzw. Vivendi den zweiten Teil von Half-Life. Zwar mit der Hürde, das Spiel über die jung erschaffene Distributionsplattform „Steam“ und damit über das Internet aktivieren zu müssen, aber mit einem Titel, der das Spiel höchst erfolgreich ins 21. Jahrhundert befördert hat. Mit entsprechenden Konsequenzen.
Den ersten Teil habe ich bereits durchgespielt und war äußerst angetan von der schieren Abwechslung. Bekämpfung der Aliens hier, Physikrätsel da, innerhalb der vernünftigen zwölf Stunden Spielzeit wurde es garantiert nie langweilig. Doch seinen ebenfalls sehr erfolgreichen Nachfolger von 2004 habe ich bisher immer links liegen gelassen. Zum 20. Geburtstag wird es Zeit, das zu ändern. Natürlich authentisch, mit einem PC aus der Zeit.
Half-Life 2… ohne Steam. Aber wie?
Die Urversion von „Half-Life 2“ erschien hierzulande in einer Zeit, in der nur etwas über der Hälfte der Computernutzer in Deutschland überhaupt Zugang zum Internet hatten. Heißt: sehr viele Spieler werden darüber enttäuscht gewesen sein, dass das zwangsinstallierte Steam unbedingt eine Verbindung zum Internet brauchte. Und „Half-Life 2“ nicht ohne Steam läuft. Doof.
20 Jahre später hat fast jeder einen Internetanschluss bei sich daheim, da wäre so eine Tatsache absolut kein Ding mehr. Doch „Half-Life 2“ war dafür verantwortlich, dass sich auf der Spielepackung unbedingt ein Hinweis befinden muss, dass das jeweilige Spiel im Internet aktiviert werden muss. Der Gebrauchtmarkt fürchtet sich vor genau diesen Spielen. Da verwundert es nicht, dass man den Titel sehr günstig erhält. Fun Fact am Rande: inzwischen ist die bei Steam erhältliche Version DRM-frei und läuft von allein.
Wer das Spiel in der Urversion authentisch auf einem zeitgemäßen Rechner spielen möchte, kommt out-of-the-box nicht sonderlich weit. Das Problem erkannten auch entsprechende Seiten wie VogonForums, dessen Community inzwischen Lösungen gefunden hat.
Denn die Spiel-DVD enthält CAB-Dateien, die die notwendigen Daten enthalten, um das Spiel zum Laufen zu bringen. Dessen Inhalte – verschiedene GCF-Dateien – müssen in einen leeren Ordner kopiert werden und wiederum dessen Inhalte müssen mit entsprechenden Programmen (etwa GCFScape) mit verschiedenen Decryption Keys entpackt werden. Etwas kontrovers ist die Verwendung von „Patches“, die die Ausführung ohne Steam ermöglichen.
Genau das habe ich eines Tages versucht und nach einer gewissen Weile ist es mir gelungen, ein halbwegs problemlos laufendes Half-Life 2 auf meiner Windows-XP-Kiste aus dem Jahr 2003 auszuführen. Ohne DVD im Laufwerk, ohne Steam im Hintergrund. Doch im Laufe des Berichts wird man feststellen, dass das Durchspielen nicht komplett ohne Probleme ablief.
Ab nach City 17
„Mmmunter ans Wwwwerk, Mmmister Ffffreeman, munter ans Werk“ wird man in der deutschen Version vom G-Man begrüßt. Ganz richtig, ich habe mir von einem der besten Videospiele aller Zeiten auch eines der schrecklichsten deutschen Videospiel-Synchronisationen aller Zeiten angetan. Half-Life 2 wird zwar auch von einer Fahrt eingeleitet, aber nur von einer kurzen Zugfahrt, die am Bahnhof von City 17 endet. Und ein Dr. Breed auf einem großen schmalen Schirm die Leute willkommen heißt. Ein beschönigter Willkommensgruß in einem Schandfleck, wie sich bald herausstellen wird.
Mit Barney Calhoun trifft man auf einen alten Bekannten, der sich unter die Ordnungshüter gemischt hat und in seiner Rolle bleiben muss, bei der er „noch ein paar Leute verprügelnnnnn“ musste. Von dort geht es, vorbei an verschiedenen wachenden Combats und erschrockenen Bewohnern, mit Alyx zu Dr. Kleiners Labor. In diesem Labor wartet der berühmte H.E.V., auch Schutzanzug. Und damit auch endlich ein HUD. Und eine misslungene Teleportation zu Alyx Vater, die uns zum Alleingang zur Lokalisation zwingt. Mit Kämpfen mit den Combats und einer spannenden Wasserbootfahrt durch die Kanalisation.
In Ravenholm gibt es ein wenig Geisterstadt-Feeling, denn hier dominieren allerlei Arten von Kreaturen, die auch schon bis dahin Bekanntschaft mit uns machen durften: normale Kopfkrabbler, giftige Kopfkrabbler und natürlich Zombies. Von dort erfolgreich entkommen geht es mit einem Buggy durchs Ödland, wo nicht nur starke Combat-Soldaten auf uns warten, sondern auch noch Ameisenlöwen. Diese nutzen jede Gelegenheit aus, um aus dem Sandboden zu krabbeln; werden jedoch zu unseren Freunden, als wir am Gefängnis Nova Prospekt ankommen.
Von dort geht es abermals – aber erfolgreich teleportiert – zurück in die Stadt, die inzwischen kräftig zerstört wurde. Mithilfe von Barney und einigen Rebellen, die City 17 nach und nach zurückerobern, können wir uns zur Zitadelle vorkämpfen. Die 2,5 Kilometer hohe Kommandozentrale ist nämlich von außen kaum zu übersehen und steckt voller unglaublicher Maschinerie, die Aliens zu Soldaten konvertieren und von der Dr. Breed alles kontrolliert, den wir letzten Endes aufhalten müssen.
Also wer diesen Ablauf langweilig und abwechslungsarm nennt, hat vermutlich die falschen Spiele gespielt. Doch es gibt sicherlich welche, die die Geschichte noch ausführlicher beschreiben können.
Eine echte Zeitreise: Half-Life 2 im Jahr 2024 unter Windows XP
Wie schon beschrieben, gelingt es nur mit einigen Kniffen, das Spiel auf einem zeitgemäßen Computer auszuführen. 2004 hatte zwar nicht jeder ein Windows XP auf seinem Rechner, aber in der Zeit hat es sich so langsam etabliert. Zumal „Steam“ seit dem 1. Januar 2019 offiziell keine Unterstützung mehr für den inzwischen 23 Jahre alten Betriebssystem-Rentner hat.
Das Optionsmenü empfiehlt für meine Konfiguration – ein AMD Athlon XP 3000+ mit 2,13 Gigahertz, einem Gigabyte Arbeitsspeicher, 160 Gigabyte großen Festplatte und einer Nvidia Geforce 4 Ti 4200 – die hohen Grafikeinstellungen bei 1024 x 768 Pixeln. Ohne Anti-Aliasing. Gewagte Entscheidung, denn das führte zu teils kräftigen Frameabstürzen. Stellt man die Details auf „Mittel“, hat man fast durchgehend ein angenehmeres Spielvergnügen. Und selbst damit schaut das Spiel für seine 20 Jahre außerordentlich gut aus.
Im vierten Kapitel „Wassergefahr“ verursachte das Spiel plötzlich Grafikfehler. Der Boden wirkte wie ein Sammelsurium an Smaragden. Irgendwann beruhigte sich das wieder und das Problem tauchte nie wieder auf. Vielleicht ein Fehler der verwendeten Version oder Altersschwäche der Hardware.
Schwerwiegender war die Tatsache, dass ich auf neue Kapitel angewiesen war. Denn die Speicherpunkte hinterließ die KI als völlig nutzlose Marionetten. Problem: der so genannte „Node Graph“ wurde dort aus irgendeinem Grund nicht neu generiert. Somit besaß die KI keinerlei Pfade in der Spielwelt und wusste nichts mit sich anzufangen.
Eine Website hat bei der Recherche das Problem gut beschrieben. Der Workaround mit den neuen Kapiteln ging allerdings später auch schief, da die Speicherpunkte mittendrin ebenfalls diese Macke aufwiesen. Ein paar Zeilen in der „config.cfg“ lösten das Problem, wenn auch nicht vollständig. So genannte „advanced AI“ wie automatisierte Maschinengewehre funktionierten weiterhin nicht.
Immerhin konnte, trotz einiger Hürden, das Spiel halbwegs vernünftig bis zum Credits-Schirm abgeschlossen werden. Das mit den Speicherpunkten macht es ein wenig problematisch, da zwischenzeitliches Verlassen des Spiels nicht mal eben möglich ist. Als wäre man fast darin gefangen wie in einer Multiplayer-Partie im Internet.
Meine Wow-Erlebnisse aus dem Abenteuer in City 17
Wir dürfen nicht vergessen, dass dies mein erster richtiger Ansatz war, den zweiten Teil dieses grandiosen Shooters durchspielen zu wollen. Wer die Kurzversion lesen möchte: spielt es. Unbedingt. Die Abwechslung, die man in den 13 Stunden Spielzeit gepackt hat, ist absolut fantastisch. Nicht nur die Kämpfe, sondern auch die Physikspielereien tun einiges, um Spieler im Bann zu halten. Größte Kritik muss sich die Anbindung an Steam und die deutsche Synchronisation gefallen lassen.
- Im Kapitel „Wassergefahr“ sorgt die Bootsfahrt für ordentlich Nervenkitzel. Im Laufe des Spiels werden explosive Kugeln auf unsere Fahrbahn abgeworfen, denen wir ausweichen müssen. Spätestens, wenn beim Zwischenstopp unserem Boot eine Waffe angelegt wurde, konnten wir zurückschlagen. Mit breitem Grinsen im Gesicht.
- In Black Mesa East erhalten wir eine der genialsten Waffen des gesamten Spiels: das Graviton. Damit Gegenstände ran ziehen und auf Gegner schießen macht damit ungeheuren Spaß. Zur Eingewöhnung wurde mit Dog, einem großen Roboterhund, Apportieren gespielt.
- In Ravenholm begegnet uns einer der gruseligsten Gegner des gesamten Spiels: die schnellen Zombies. Holy shit, sind die schnell. Und deren Schreie beängstigend. Da ist es ein großes Vergnügen, sie mit einer Schrotflinte wegzuballern. Zum Glück herrscht beim normalen Schwierigkeitsgrad kaum Munitionsmangel. Das hätte das Kapitel nochmal eine Spur knackiger gemacht.
- Erst Feinde, dann Freunde: die Ameisenkrabben. Mit einem Pheropod kann man diese anlocken und in Richtung Gegner werfen. Dann erledigen sie mit etwas Glück unsere Arbeit. Leider ist die Hilfe nicht permanent anwesend und manchmal hat man sich erschrocken, wenn sie unangekündigt aus dem Boden herausgekrochen kamen.
- Im Nova-Prospekt gab es einen für mich kritischen und zugleich schwierigen Part. In diesem musste man drei automatisierten Maschinengewehren ausrichten, um die heftige Flut der Combat-Soldaten aufzuhalten. Die Soldaten versuchen zuerst, diese Gewehre umzustoßen. Und mit meiner Schusseligkeit wurde es dann an sämtlichen Ecken unangenehm für meinen Gordon. Das war eine richtige Fruststelle.
- Das Kapitel „Folgt Freeman!“ ist geprägt von dauernden Kämpfen gegen die Soldaten. Hatte schon so einen kleinen Vorgeschmack von „Call of Duty“, was in der Zeit relativ frisch war. Für meinen Geschmack fielen die Kämpfe teilweise zu krass aus. Die gigantischen Strider, die man nur mit einem Raketenwerfer bekämpfen konnte, machten die Sache nicht leichter.
- Zum Ende des Spiels befinden wir uns in der Zitadelle. Und die Rundfahrt darin war atemberaubend. Wie abstrakt, wie abgefahren, wie krank das alles aussah. Definitiv ebenwürdig mit der Gondelfahrt des Vorgängers zu Beginn. Und wie viel Spaß es gemacht hat, mit dem „modifizierten“ Graviton die Soldaten zu beschießen.
Es hätte mich vor allen Dingen nicht gewundert, wenn ausgerechnet das Innere der Zitadelle Pate für die Räumlichkeiten des ebenfalls erfolgreichen Valve-Titels „Portal“ stand. Gewisse Ähnlichkeiten sind hier und da nicht zu übersehen. Zumal es einige Geräusche sogar in den drei Jahre später erschienenen Titel geschafft haben.
Fazit: 17-mal Ja!
Keine großartige Gondelfahrt am Anfang. Geschenkt.
Die deutsche Synchronisation ist stellenweise eine Katastrophe. Kann passieren.
Mein Experiment scheiterte an den Speicherpunkten. Lässt sich umgehen.
Und dann hört es mit meinen Kritikpunkten auch schon auf.
Ich habe schon den Teil von 1998 regelrecht genossen mit seinen abwechselnden Kapiteln quer durch Black Mesa. Immerhin mussten wir uns im Jahr 2004 nicht mit einem Ausflug nach Xen rumärgern. Dafür landete Gordon Freeman als Quasi-Gefangener in einer Art futuristischen Ostzone voller Überwachungsapparate, Soldaten an jeder Ecke und zerstörten Trabbis. Und aus dieser befreit er sich querfeldein in Gebiete, bei denen man zu Beginn nicht im Traum daran gedacht hätte, diese in dem meisterwarteten Videospiel des Jahres 2004 zu entdecken.
Es ist vor allen Dingen sehr schön zugänglich für Spieler sämtlicher Genres. Also Casual Player wie mich. Valve schafft es auch hier wieder, eine Synergie aus angenehmen Rätselpassagen und kniffligen Kampfabschnitten zu schaffen. Und das mit einer Spiellänge, die nicht zu lang und nicht zu kurz ausfällt. Nichts wirkt gestreckt, nichts wirkt wirklich deplatziert. Es stimmt fast alles. Ich hätte nicht gedacht, dass ich damit mal einer Meinung sein werde mit den zahlreichen Kollegen des Videospieljournalismus.
Auch wenn ich aus meiner Sicht sagen muss, dass ausgerechnet die vermaledeite Steam-Anbindung, die mit diesem Titel ihren Anfang fand, die Authentizität schwierig gestaltet. Ich muss zur Trickkiste greifen, wenn ich 20 Jahre nach Release diesen Titel wie damals spielen möchte. Unnötig und krampfhaft. Solche Probleme hatte ich beim inzwischen 26 Jahre alten Vorgänger nicht gehabt. CD rein, installieren und losspielen. Nicht bei Teil Zwei.
Rockstar Games hat bereits Grand Theft Auto VI angekündigt. Und Valve tut sich mit einer 3 im Titel grundsätzlich schwer. Ob sie jemals einen dritten Teil ankündigen werden? Ob die hohen Ansprüche an der Qualität überhaupt erfüllt werden können, sollte es jemals ein Half-Life 3 geben? Angeblich soll so was in der Richtung in der Mache sein. Aber Spekulationen sind genauso felsenfest wie Spekulatius. Bis dahin gilt: wer Half-Life 2 noch nicht gespielt hat, spielen. Jetzt. Unbedingt. Oder wenn es im Angebot ist.
Valves Geburtstagsgeschenk: ein Jubiläumsupdate
Valve veröffentlichte zum 20. Geburtstag von Half-Life 2 ein Jubiläumsupdate mit zahlreichen Verbesserungen, neuen Grafikoptionen, Entwicklerkommentaren und der Integration von Episode 1, 2 und Lost Coast. Passend zum Jubiläum veröffentlichten die Macher auf ihrem eigenen Youtube-Kanal nicht nur eine zweistündige Dokumentation über die Entwicklung des Spiels, sondern auch Demonstrationen des Titels in seinen Vorabversionen (Siggraph 2000, E3 2002 und E3 2003).
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