Magneten und warme Hände

Von Yoda Zhang am
Kommentiert von: Hähnchen, Micha (von Testpott.de), André Eymann, Stephan
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1983 – Deutschland war im Arcade-Fieber. Überall standen die Spielautomaten herum. Im Kino, in Kaufhäusern, an jeder Ecke. Frogger, Pac-Man, Popeye, Star Wars, Donkey Kong. Ein wahres Paradies!

Da ich als armer Schüler immer knapp bei Kasse war, war meine Lieblingsbeschäftigung, immer an den Automaten zu stehen und den anderen Spielern, oder dem Attract-Mode zuzuschauen. Eines Tages, im Eingangsbereich des Kaufhauses, stand ich am Crazy-Kong Automaten und schaute einem anderen beim Spielen zu. Er spielte und spielte. Und spielte und spielte.

Als er dann fertig war spielte er weiter. Und weiter und weiter. Seltsamerweise ist mir damals gar nicht aufgefallen, dass er gar kein Geld in den Automaten geworfen hatte. So fand ich es dann besonders seltsam, als wir plötzlich vom Kaufhausdetektiv aufgefordert wurden, mit ins Büro zu kommen und unsere Taschen zu leeren. Ich wusste gar nicht wie mir geschieht! Und siehe da, der andere hatte wohl eine Art Magnet in der Tasche, mit dem er den Münzmechanismus des Automaten ausgetrickst hatte. Kein Wunder! Nach langem Beteuern und erwiesener Magnetfreiheit meiner Hosentasche durfte ich gehen. Uff!

Auch in der Spielwarenabteilung des gleichen Kaufhauses standen einige Automaten. Star Wars, das Vektorgrafik-3D-Spiel war eines meiner Favoriten. Irgendwie stand plötzlich ein Mann neben mir, der mir fünf Mark – das reichte für sechs Spiele – in die Hand drückte, und sagte, ich solle doch spielen, denn er würde lieber zugucken. In meiner Naivität dachte ich mir nichts dabei, setze mich in den Automaten – es war ein Kabinenautomat zum reinsetzen – und fing an zu spielen.

Zuerst guckte er wirklich nur zu, dann hatte er plötzlich die Hand auf meinem Bein. Ich schob seine Hand weg und spielte weiter. So eine Gelegenheit, gleich sechs kostenlose Spiele, das war schon was. Dann aber war seine Hand wieder da und mir wurde langsam mulmig. Meine Konzentration war dahin und ich malte mir aus, wie er mich zu sich nach Hause schleppen und perverse Sexspiele mit mir spielen würde. Hilfe! Da das Spiel nun sowieso ruckzuck fertig war flüchtete ich auf der anderen Seite aus dem Kabinett und machte mich schleunigst aus dem Staub. Den Kerl sah ich zum Glück nie wieder.

Star Wars von Atari. Lass Dich niemals zu einem Spiel einladen! (Bild: Atari)
Star Wars von Atari. Lass Dich niemals zu einem Spiel einladen! (Bild: Atari)

Im gleichen Kaufhaus gab es den Mad Planets-Automaten. Das ist ein ziemlich verrücktes Spiel mit einem Joystick, einem Feuerknopf und einem zusätzlichen Paddle-Controller (Drehregler = endlos-Poti). Man steuert mit dem Joystick ein Raumschiff auf dem Bildschirm, dreht es mit dem Paddle und schiesst mit dem Feuerknopf. Eine sehr gewöhnungsbedürftige Steuerung, die beim Spielen oft für einen Lebensverlust sorgt. Sorry. Es tauchen nach und nach immer mehr Planeten auf, die auf dem Bildschirm seltsame Kreisbahnen ziehen. Die Planeten selbst werden dabei von Monden umkreist, die man einzeln abschiessen muss, um am Ende den Planeten selbst zu vernichten.

Sobald aber der letzte Mond eines Planeten weg ist, wird der Planet knallrot und beginnt wie wild herumzurasen, so dass man kaum noch eine Chance hat, ihm auszuweichen. Das ganze wird dann noch mit einer hektischen Musik, fliegenden Kometen und schwebenden Astronauten garniert und vermengt, so dass es ein richtig chaotisches Spiel ergibt, bei dem man vor lauter Adrenalin kaum noch atmen kann.

Mad Planets von Gottlieb. Sieht erstaunlich friedlich aus. (Bild: Gottlieb)
Mad Planets von Gottlieb. Sieht erstaunlich friedlich aus. (Bild: Gottlieb)
Lady Bug von Universal. Fröhliches Mampfen. (Bild: Universal)
Lady Bug von Universal. Fröhliches Mampfen. (Bild: Universal)

Eines meiner absoluten Lieblingsspiele zu dieser Zeit war Lady Bug. Das ist eine Weiterentwicklung von Pac-Man. Man steuert einen Marienkäfer und muss, wie bei Pac-Man, das ganze Labyrinth leerfressen. Nun gibt es aber nicht nur Punkte zum Fressen, sondern auch Buchstaben, aus denen man die Wörter EXTRA (für ein Extraleben) und SPECIAL (für ein Freispiel, ja, ein Freispiel, sensationell!) buchstabieren kann. Im Labyrinth liegen Totenköpfe herum, in die man die Gegner locken kann, um diese loszuwerden. Herzen vervielfachen die eigene Punktzahl.

Und das Wichtigste: Das Labyrinth ist voller Drehtüren, die man strategisch nutzen muss, um den Monstern zu entkommen, denn diese sind schon nach wenigen Runden viel schneller, als der eigene Käfer. Laby Bug ist ein unheimlich schnelles und hektisches Spiel, das ich nie richtig gemeistert habe. Klar, mit dem wenigen Taschengeld war das auch kaum möglich. Aber auf meinem Computer Zuhause hatte ich viele viele Versionen dieses Spieles nachprogrammiert. Natürlich ohne Drehtüren und ohne Buchstaben, aber so konnte ich das Spiel wenigstens spielen, ohne mein ganzes Taschengeld opfern zu müssen.

Rip Off von Cinematronics. Auch mit wenigen Objekten ein spannendes Spiel. (Bild: Cinematronics)
Rip Off von Cinematronics. Auch mit wenigen Objekten ein spannendes Spiel. (Bild: Cinematronics)

Wir hatten im Ort auch ein Kino, und im Vorraum zum Kino standen natürlich auch ein paar Automaten herum. Hier erinnere ich mich an Rip-Off. Das ist ein einfarbiges Vektorgrafik-Spiel. In der Spielfeldmitte liegen ein paar Kristalle, die man beschützen muss. Man hat dazu eine Art Panzer, mit dem man umherfahren und schiessen kann. Die Schüsse haben aber nur eine recht kurze Reichweite, so dass man die Angreifer teilweise verfolgen muss.

Diese tauchen in Formationen auf, fahren umher und versuchen, die in der Mitte liegenden Kristalle zu stehlen, d.h. aus dem Bildschirm zu ziehen. Dabei schiessen sie ebenfalls, aber mit noch kürzerer Reichweite. Da sie von Level zu Level immer schneller werden, und zwar viel schneller als der eigene Panzer, wird das Spiel sehr schnell hektisch und man macht ruckzuck Fehler und verliert Kristalle. Das besondere an diesem Spiel ist, dass man es mit zwei Spielern gleichzeitig im Team spielen kann, eher eine Seltenheit für Arcade-Spiele, man spielt ja meist gegeneinander oder nacheinander.

So richtig festgebissen habe ich mich dann an Quasar. Das war ein Automat von Zaccharia, ein Weltraumballerspiel mit recht einfacher Grafik und vier Levels. Im Level eins kann man nur am unteren Bildrand hin- und herfahren und die von oben angreifenden Ufos abschiessen. Im zweiten Level kann man dann ähnlich wie bei Asteroids auf dem ganzen Spielfeld umherfahren und sich drehen, um die Angreifer abzuwehren. Im dritten Level fliegt oben der Quasar hin und her, begleitet von einem Energiestrahl, in dem man durch geschicktes Steuern bleiben muss, um nach oben gesogen zu werden und dort den Quasar abzuschiessen. Dann, im vierten Level, steht man fest in der Mitte, kann sich nur noch drehen und muss die von allen Seiten auf die Mitte zufl iegenden Kugeln – ja Kugeln – abschiessen, bevor sie die Mitte erreichen. Danach geht es wieder von vorne los, nur entsprechend schwieriger. Ein sehr herausforderndes Spiel mit sehr primitiver Grafik.

Quasar von Zaccharia. Keine Ahnung wie ich damals in den vierten Level gelangt bin. (Bild: Zaccharia)
Quasar von Zaccharia. Keine Ahnung wie ich damals in den vierten Level gelangt bin. (Bild: Zaccharia)
Naughty Boy von Jaleco - Meine Namensvorlage. (Bild: Jaleco)
Naughty Boy von Jaleco – Meine Namensvorlage. (Bild: Jaleco)

Weitaus moderner war da Naughty Boy. Das ist ein Labyrinthspiel mit einem kleinen Jungen, der sich durch Steinwürfe gegen die Monster wehren muss. Der Clou ist, dass man die Weite des Steinwurfes durch die Länge des Drucks auf den Feuerknopf bestimmt. Der Stein trifft nur am Ende einen Gegner. Hält man den Knopf also zu lange fest, fliegt der Stein einfach über den Gegner hinweg. Man muss sehr feinfühlig sein, um damit erfolgreich zu werden. Aufgabe im Spiel ist es, die im oberen Bereich des vertikal scrollenden Spielfeldes aufgestellte Burg zu erobern, indem man die darin befindlichen Flaggen mit Steinen trifft. Das wird immer schwieriger, weil die Level immer weniger aus Labyrinth und mehr aus Freifläche bestehen und man die Monster in der Freifläche nur sehr schwer erwischt – sie können ja in jede Richtung ausweichen.

Daraus habe ich später das Spiel Naughty Gnom gemacht.

Buch: Level 1 – Gulp, Kapitel 8, Seite 36

GULP SPLAT ZONG – DAS BUCH

Dieser Text ist Yodas Buch “Gulp Splat Zong” entnommen.

Dank seiner Lektüre werden wir nicht nur in die ersten Sternstunden der Arcade-Automaten in Deutschland zurückversetzt, sondern erinnern uns an Atari VCS Klassiker wie Haunted House und an das schier endlose Abtippen von BASIC-Listings in den goldenen Tagen der Heimcomputer. Bei uns könnt ihr verschiedene Texte von Yoda lesen; sein Buch in gedruckter Form könnt ihr direkt auf seiner Webseite erwerben.

Wir versprechen: es lohnt sich!


Veröffentlicht in: Videospielgeschichten

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Kommentare (4)

  1. Alter, ist ja gruselig Deine Story 🙁

    ..aber ich habe heute auch noch ein schlechtes Gewissen wenn ich an den Donkey Kong Automaten an der Bude (Ruhrpottdeutsch für Kiosk) in unserer Straße denke. Schnell nach der Schule hingestürmt – Elektronik Feuerzeug gedrückt und an den DK drangehalten – der Screen des Automaten drehte sich auf den Kopf, nochmal das Feuerzeug gedrückt.. Ha, 99 Freispiele;-)
    Naja, hab dafür in der Kneipe um die Ecke so manche Mark in den Phoenix, Galaga und Frogger geworfen 🙂 um mein schlechtes Gewisssen wieder etwas zu besänftigen…

  2. In der Tat eine heftige kleine Geschichte. Gott sei Dank ist so etwas an mir damals vorüber gegangen. Ansonsten fängt der Text die Stimmung von damals sehr gut ein finde ich.

  3. Holy cow, das sind ja Erlebnisse, die einem den Spaß an Videospielen durchaus hätten madig machen können. Zum Glück war dies offensichtlich nicht der Fall bei dir. 🙂