Mein IRC: /j #vsg

Lesedauer: 4 Minuten

Als glorreicher Vorgänger von Discord & Co. bot das IRC seine Dienste an. Gamer aus der ganzen Welt wählten sich auf Chatservern, ebenfalls aus der ganzen Welt, ein. Mittlerweile aber hat es an Bedeutung und einstiger Größe verloren. Wieso aber? Nur weil die Clients keine schicken GIFs, wie Discord sie bietet, haben?

Kurz vorweg: Geschlechtsneutral zu schreiben ist nicht immer einfach und möglich, deshalb habe ich mal das eine dann das andere Pronomen verwendet. Toll seid ihr alle!

Liebe Lesenden,

ich glaube, das könnte jetzt ein echt persönliches Textchen werden. Natürlich für euch, aber für mich mit einer Wehmut in mir. Das IRC (Internet Relay Chat), verband Gamer aus der ganzen Welt, indem sie sich in Netze von Chatservern einwählten. Diese Netze wiederrum boten eigene Kanäle. Meist für ein Thema/Interesse oder als Plattform für Gruppen.

IRC-Commandos im Alltag

Damals war ich neben den Kanälen meiner Clans auch in Spiele-Kanälen. Manchmal auch in den Kanälen der E-Sport-Teams, denen ich folgte. Charakteristisch und auch bis heute kultig, war die Syntax, mit der man die Clients fütterte, um eben Aktionen im IRC auszuführen, wie dem Einloggen in einen Kanal, dem Beitreten eines Servers oder vieler anderer „Commands“.

Aufgedröselt: Mit „/j #XXX“ treten wir einem Kanal XXX bei und mit „/server XXX 111“ verbinden wir uns mit dem Server XXX auf dem Port 111. Heute erkennt man die richtig Coolen, indem XD-Smilies zurückkommen, wenn man Befehle wie /j in die Welt rausschreit. Das Ganze kann man sich vorstellen, wie die Shell eines Unixsystems. Vor dem grafischen Desktop bediente man Computer eben so. Weitere Befehle im IRC sind beispielsweise: „/list“, „/nick“ oder „/AWAY“. Die jeweiligen Aktionen daraufhin werdet ihr schnell erraten.

Das bekannteste Netzwerk damals, oder vielleicht auch einfach jenes, in dem ich immer unterwegs war, ist das immer noch existierende Quakenet. In ihm waren vor allem Shooterbegeisterte aller Art unterwegs. Es war, wie der Name sagt, zuerst für Spieler der Quake-Arenashooter. Aber mit der Zeit kamen auch andere Spielende abseits von Quakelern hierher. In Erinnerung wird mir beispielsweise der Kanal „#cs2on2“ bleiben, um 2er-Matches in Counter Strike 1.6 auszumachen, um sie dann mit dem besten Kumpel zu bestreiten.

Die IRC-Adresse war fast immer der erste Platz um mit Menschen und Projekten in Kontakt zu kommen. 2025, Marcel Dörpinghaus
Die IRC-Adresse war fast immer der erste Platz um mit Menschen und Projekten in Kontakt zu kommen. 2025, Marcel Dörpinghaus

Quake war, in der zweiten Hälfte der 90er bis in die 2000er rein, quasi der Standard der zu spielen war, wenn man sich vor dem Monitor mit anderen messen wollte. Es war die absolute Messlatte der Arenashooter. Später gab es dann Nachkommen wie die Unreal Tournament-Reihe. Aber für mich waren Quake und Doom immer das Maß der Dinge.

Eine Spiele-Schmiede sie zu knechten

Die id-Shooter garantierten schnelles Gameplay mit präzisen Sprüngen und wuchtigem Geballer, gepaart mit lustigen Protagonisten. In Erinnerung bleiben wird mir wohl für immer das Auge-auf-zwei-Beinen, „Orbb“. Eben was einem 13-jährigen Marcel und dessen Kumpels unter der Hand auf LAN-Parties in Garagen zugeschoben wurde (Ich meine zugeschoben worden wäre, schließlich haben wir das NIE getan).

Den Ausflug müsst ihr mir verzeihen, das Quakenet war eben mehr als nur ein elektronischer Ort zum Austausch. Das IRC aber bot schon immer Menschen mit bestimmten Interessen einen Platz zum Austausch. Und ich bezweifle stark, dass das Quakenet das IRC gründete. Ein weiterer Sammelpunkt war auch das Freenet, allerdings hängen da nicht soviele Erinnerungen dran. Liberanet ist bis heute ein Tummelplatz für Open-Source-Menschen und es wird noch viele andere, spezialisierte Netze geben.

Die IRC-Ansicht ist in Discord Pflicht für jede/n der damals dabei war. 2025, Marcel Dörpinghaus
Die IRC-Ansicht ist in Discord Pflicht für jede/n der damals dabei war. 2025, Marcel Dörpinghaus

Zugegeben, ich tue mich sehr schwer mit der Discord-Bezeichnung eines „Servers“. Neben den Servern erinnere ich mich aber auch an die Warez-Szene, welche bis heute allerlei Daten zum Download anbietet und damals vermutlich dem Peer-To-Peer-Datentransfer konkurrent war. Aber zurück:

Mehr als ein Chat

Aus dem Quaknet blieben mir, nach den spielerischen Erinnerungen, Freundschaften, die bis heute anhalten. Aus einem Nickname wird auf einmal eine Stimme auf den Servern der Sprachsoftware Teamspeak. Aus dem Stimmen wurden Besuche der echten Menschen. Aus den Menschen wurden Schicksale wie mein Kumpel Sergej, der Angst davor hat als Mitte-30-Jähriger zurück nach Belarus zu den Eltern zu fahren und der mich zu meiner heutigen Profession brachte.

Oder der Besuch von FragStealer und FragHunter an der Atlantikküste mit eigenem Haus, Schneckengerichten und dem anschließenden Schnitzelmachen, als Rückgabe an die Gastfreundschaft. Daran hängt auch die Erinnerung der Per-Anhalter-Tour und deren komische, lustige, bedrohliche Gastgeber sowie die unterschiedlichen Schlafgelegenheiten, auch in Polen. Also: Pi Pa und Po. Und das alles kann ich auf mein IRC und den Menschen dahinter festmachen.

Attacker unseres 4on4 CTF-Teams, FragStealer (links). Besuchen in Frankreich 2013. Marcel Dörpinghau (rechts).
Attacker unseres 4on4 CTF-Teams, FragStealer (links). Besuchen in Frankreich 2013. Marcel Dörpinghau (rechts).

Auch heute sind im Quakenet noch viele User unterwegs. Unter „Statistics“ der Quakenet-Seite stehen zum Zeitpunkts während ich hier schreibe immer noch 5.000-6.000 eingeloggte Benutzer. Allerdings ist davon auszugehen, dass der Großteil wohl doch noch Bots im StandBy-Status sind.

Es fällt mir schwer, das Quakenet und das IRC nur als elektronisches Tool zum Austausch über Games zu sehen.
Aber meine Erinnerungen sind definitiv sehr Gaming-nah. In #warsow-ctf wurde sich zu Capture the Flag-Schlachten verabredet. Selbst programmierte Bots halfen dabei, ähnlich denen die man heute in Disord erstellen kann. Überhaupt hat sich Discord viel aus dem IRC genommen.

Vom Besten gelernt

Wieso auch nicht? Die IRC-Clients sahen immer aus wie Texteditoren. Text, nackter Text, der sich aber mit der eigenen Fantasie zu mehr machte. Ich beschuldige Discord der Optik die es geklaut hat, in den Optionen können wir sogar ein „IRC“-Theme einstellen. Das ganze ist schon sehr anbiedernd an den Nachwuchs, aber mei, wenn sie es so wollen? Schließlich kann man ebenso sagen, dass auch Windows aussieht und sich bedienen lässt wie Windows 3.0 und Linux eben, wie Discord dem IRC Meilen vorraus ist, zumindest von der Optik und moderenem Style – Blink Blink!

Natürlich aber hat auch Discord seine Vorteile. Die Zugänglichkeit, die einfach jedes Alter und jedes Interesse miteinander verbindet. Die Zentralisierung von vielen Tools in einem, schließlich brauchen wir nicht mehr TeamSpeak oder eben einen IRC-Client. Und eben auch die bereits angesprochene simple Bedienung.

Zur Recherche habe ich mich nochmal ins Quakenet begeben und bin mal in die Channel „gejoint“, in denen ich damals so unterwegs war. Der Channel meines damaligen Clans #kya (Kick your ass!) ist tot. In #warsow, dem Channel der großartigen Quake 2-Modifikation wird von 10 Inaktiven und 5 Bots bevölkert.

Ja, das IRC für Spieler scheint tot, aber die Zeiten im IRC, das Quakenet und TeamSpeak werden immer mit viel Herz für mich sein! Und übrigens: Zu Zeiten von WinAmp und Co. habe ich das Album „Justice“ von dem gleichnamigen Duo gehört. Zur Erinnerung gehört auch immer die Musik. Lasst doch gerne da, was es bei euch war!

Lieben Gruß und /quit
Marcel


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Alexander StrellenWolfgangTobiAndré Eymann

9 Antworten zu „Mein IRC: /j #vsg“

  1. Avatar von ede@kakam:~#

    @blog so war es! Mein Einstiegstor zu #Linux und #Linux.de. 🤷‍♂️
    Ich war gern im #Qualenet unterwegs. Auch in #debian.de idelte ich lange und anderem Pseudonym.

    André EymannMarcel Dörpinghaus
  2. Avatar von Jam
    Jam

    Seit den frühen 90ern war ich im IRC, und das war, nach dem „CB-Chat“ aus CompuServe damals, ein richtiger Augenöffner. Man konnte sich einfach ein Thema ausdenken, den Kanal passend mit dem Namen dazu eröffnen — und Hoppla! Da sind ja schon 10 Leute. War ich also doch nicht der erste mit dieser Idee für das Thema. So ging es mir sicher bei fast jedem male, wenn ich zu der Zeit einfach so aus Jux /join eingab. In den nächsten 10-20 Jahren war ich dann auch immer noch Dauergast im IRC. Hauptsächlich in einem Kanal zu meinem Lieblingsfilm, um den es auch bis heute noch eine lebhafte Community gibt. Ich habe dort Freunde für’s ganze Leben gefunden, mit denen ich auch heute jeden Tag rede.

    „Leider“ zwar nur in Discord, aber das ist ja nebensächlich wenn es um Freundschaftliche Beziehungen geht. Ich wäre, da wir ja schon lange in Forum, IRC *und* Voicechat waren, gerne bei TeamSpeak oder auch Mumble geblieben, hatte ich da doch einen eigenen Server auf dem Raspberry Pi nur zu diesem Zweck. Aber der Popularität von kommerziellen Diensten wie Discord ist kein Einhalt geboten, und so denke ich heute eher nostalgisch an die IRC Zeiten, und wie schön das war. Der geistige Nachfolger – Element/Matrix, ist gross im kommen, aber da kenne ich tatsächlich keine Seele.

    Und irgendwie wurde mein Kommentar beim abschicken verdoppelt und vermurkst, ich hoffe ein Moderator kann das misratene entfernen. Vielen Dank! <3

    Marcel DörpinghausWolfgangAndré Eymann
    1. Avatar von Marcel Dörpinghaus

      Zudem ist Discord überhaupt keine Alternative, die Latenz ist unterirrdisch. Nehme deshalb Podcasts immer über Mumble auf, mit einem eigenen Server bei mir. Da hat man ein Gespräch wie am Küchentisch!

      Danke dir für den Kommentar!

      André Eymann
  3. Avatar von Wolfgang

    Ich war damals viel mit dem „mIRC“ Client unterwegs. Hach ja, die Warez-Szene, pssst.. habe von jemanden gehört, dass es in den Channels damals so TV Dinger in Originalsprache gab. Kann mich auch noch erinnern, dass die Eingabebefehle anfangs durchaus knifflig waren, wenn man damit zuvor nicht all zu viele Berührungspunkte hatte.

    Ein klein wenig musste ich über deine Geschichte hier schmunzeln. Ganz im positiven Sinne. Denn ich habe mich tatsächlich erst vor wenigen Wochen gefragt, ob es diesen mIRC noch gibt. Mittlerweile ist er kostenpflichtig zu registrieren und er wird nach wie vor gehegt und gepflegt. Mit einer aktiven Community dahinter.

    Punktuelle Bekanntschaften und Freundschaften waren bei mehr mit ICQ verbunden, bevor das Ganze verkauft wurde.

    Danke für deinen tollen Einblick!

    Marcel DörpinghausAndré Eymann
    1. Avatar von Marcel Dörpinghaus

      …ehrlich gesagt, kann ich mich nicht mal an einen anderen Client erinnern. Hach ICQ…. Scheint das Schicksal der Testamente von früher zu sein….

      Na gerne für den Einblick 😉 … Und danke für den KOmmentar!

      André EymannWolfgang
      1. Avatar von Wolfgang

        Ich meine da gab es noch einen namens kvirc oder so. Das schwirrt noch lose in meinem Kopf herum. Mehr kann ich ad hoc dann auch nicht mehr nennen. Das macht mich aber neugierig, da muss ich nachstöbern 🙂

        André EymannMarcel Dörpinghaus
  4. Avatar von Til

    Ich war damals meist in Musikbezogenen Channels, weswegen ich beim aufkommen von Soulseek (da wurde ja auch hin- und hergeschoben aber natürlich nicht von mir) eigentlich komplett in die dortigen Gruppen gewechselt bin.

    Ich denke die technische Hürde ist der Hauptgrund, wieso IRC nicht mehr relevant ist. Da waren halt „nur“ wir Nerds und Geeks. In Discord ist jede:r und seine / ihre Oma. Da ist Wachstum einfach leichter.
    Ob das gut oder schlecht ist, ist ja ohne romantisieren meist nicht endgültig zu klären.

    Tatsächlich trauere ich da mehr der Forenkultur nach, mit ihren beständigen Threads etc.

    Schöner Artikel, der mich in Erinnerungen schwelgen lässt.

    Alexander StrellenMarcel DörpinghausWolfgangAndré Eymann
    1. Avatar von Marcel Dörpinghaus

      Hey Til,
      Hach wie schön!

      Naja, da ist die Diskussion bei uns so eine Sache. Vielleicht wird sie auch ein bisschen zuviel aus der Nostalgie heraus geführt 😉

      Danke fürs Kompliment und bis bald <3

      André Eymann
    2. Avatar von Alexander Strellen

      Tatsächlich trauere ich da mehr der Forenkultur nach, mit ihren beständigen Threads etc.

      Genau. Heute ist alles so flüchtig. Schaust du mal 2 Tage in einer Gruppe IRC, Discord, etc. nicht rein, hast du etliches verpasst und kennst dich nicht mehr aus. Überspitzt geschrieben.

      André Eymann

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