Wir schreiben das Jahr 2020. Die Welt, wie wir sie kennen, ändert sich drastisch und nimmt sich eine kleine „Auszeit“. Menschen werden in die Isolation gezwungen. Arbeitswelten ändern sich. Deutschland wird ein Stück weit „zwangsdigitalisiert“ mit Homeoffice-Lösungen, die andernfalls über Jahre hinweg „entwickelt“ worden wären.
Gleichzeitig sind die Menschen in ihrer Isolation auch eingeschränkt, was ihre Freizeitaktivitäten angeht. Das Gaming rückt mehr als je zuvor in den Fokus und in den Mainstream. Videospiele sind ein beliebtes Mittel zum Zeitvertreib. Die Gamingindustrie erlebt einen Boom. Unternehmen wir Nvidia schießen an der Börse durch die Decke. Gaminglaptops und Konsolen sind nur nach endlos langen Wartezeiten verfügbar. Und im Zuge dieses Hypes tauchen auch immer mehr Gaming-Podcasts auf.
Neben Videospielen waren für mich auch viele lange Spaziergänge mit unserem Hund ein Anker, der die Pandemie immer noch erträglich gemacht hat. Und was bietet sich da mehr an, als sich während des Marschs durch Feld, Wald und Wiesen sein liebstes Hobby auf die Ohren zu hauen?
Gestartet bin ich, wie wahrscheinlich viele, mit Stay Forever: Gunnar Lott und Christian Schmidt haben mir in ihren Episoden häufig die Reise zurück in die unbeschwerte Kindheit ermöglicht, wenn Klassiker wie Bruce Lee auf dem C64, die Fallout-Reihe, der Patrizier oder A Link to the Past besprochen wurden. Parallel entdeckte ich The Pod, wo Jochen Gebauer und André Peschke, wenn ich mich recht erinnere, in Pandemiezeiten sogar ihren Content hinter der Paywall für alle frei verfügbar machten. Es dauerte nicht lange, dann hatte ich mehr und mehr Podcasts in meiner Smartphone-App, die sich mit Retrospielen befassten.
Es stellte sich heraus, dass hinter den Projekten wirklich angenehme Communities waren, mit Fans, deren Herz genau wie meins für die alten Klassiker seit der 8 Bit-Zeit schlägt. Der Austausch war überall sehr freundlich, harmonisch und inhaltlich tief im Thema. Gerade in Zeiten, wo die politische Diskussion während Corona immer mehr Spaltung forcierte, war der Austausch in diesen Blasen angenehm – und sollte es bis heute bleiben.
Ein weiterer Podcast, den ich abonnierte, waren die Nerdwelten. Im Grunde ein ähnliches Prinzip wie andere Retrogaming-Podcasts auch, aber dennoch etwas anders: Hardy Heßdörfer, Ben Dibbert und Daniel Cloutier besprechen zwar auch meist alte Spiele, aber eben, wie der Introtext verrät, auch „andere nerdige Dinge“, wie zum Beispiel das Brettspiel Hero Quest, das mich in meiner Jugend faszinierte.
Als ich hörte, dass die Nerdwelten in 45 Minuten Fahrdistanz ein Livepanel bei einer Art „Bloggertreffen“ hatten, beschloss ich kurzerhand, mit meiner Frau dort hinzufahren. Ich war zwar weder Journalist, noch Blogger, noch Podcaster oder gar Spieleentwickler, aber der Organisator erlaubte mir auch einfach, als Fan teilzunehmen. Dafür bin ich einem gewissen André Eymann und Senad Palic auch heute noch dankbar, denn so kamen wir dort erstmals persönlich in Kontakt und letztlich bin ich damit auf Umwegen auch hier bei den Videospielgeschichten gelandet. 🙂 Die FAMSCON war damals ein sensationelles Event, bei dem ich auch Hardy und Daniel persönlich kennen lernen durfte. Seit dieser Zeit erstelle ich beispielsweise die Cover für die Episoden der Nerdwelten und unterstütze auch mit anderen kleinen Grafikarbeiten.
Kurzum: Seit der Pandemie wurde aus dem glimmenden Funken, der das Retrogaming zu dieser Zeit noch war, wieder ein bequemes Lagerfeuer, an dem ich mich heute noch täglich tummele. Sei es wie beschrieben als kleiner Teil des Nerdwelten-Teams, als Autor hier bei VSG, mit kleinem Support für andere Podcastformate oder einfach als genüsslicher Hörer dieser vielen tollen Podcasts.
Zum Abschluss hier meine ganz persönlichen Empfehlungen. Viele von Euch werden sie bereits kennen, aber vielleicht sind für den einen oder anderen ja auch ganz neue Tipps dabei, die Euren Geschmack treffen:
Fangen wir mit den „Big Playern“ an: Da ist zum einen natürlich Stay Forever. Der Podcast von Gunnar und Chris war wie beschrieben mein Einstieg in die Podcast-Welt der Retrogames. Es ist beeindruckend, wie früh die beiden schon eine so hohe Qualität bei ihren Spielebesprechungen lieferten. Und bis heute sind sie einer von ganz wenigen Podcasts in dieser Szene, die sich selbst tragen und den Gründern erlauben, mit dem Podcasten hauptberuflich ihren Lebensunterhalt zu bestreiten. Nicht nur das: Sie beschäftigen auch ein kleines Team, das den Laden im Hintergrund am laufen hält und freie Mitarbeiter, die immer wieder hochinteressante Sonderformate besprechen, wie zum Beispiel „Stay Forever Technik“, wo Henner Thomsen tiefer in alte Technologien eintaucht, als man das jemals irgendwo anders auf diesem Niveau gesehen oder gehört hätte, oder „Die Welt von…“, wo Gäste wie Rahel Schmitz oder Mháire Stritter ganze Universen besprechen, wie etwa Das Schwarz Auge oder den Lovecraft-Mythos.
Ähnlich sieht es bei The Pod aus. Auch hier sind ehemalige (Chef-)Redakteure großer Spielemagazine ihren eigenen Weg gegangen und ausgehend von der Idee, sich „Auf ein Bier“ zu treffen und dabei über Videospiele zu quatschen, mittlerweile selbstständig und somit in der luxuriösen Situation sind, aus dem Hobby einen Beruf gemacht zu haben, von dem sich gut leben lässt. The Pod fokussiert sich allerdings weniger auf Retrogaming, sondern auf Videospiele im Allgemeinen und bespricht dabei gerne Neuerscheinungen, aber auch gerne mal die Klassiker bei einem „Altbier“. Darüber hinaus sieht man sich als kritische, unabhängige Journalisten, die den Fokus eben nicht mehr auf Klicks und Umsatz legen müssen, sondern auch wichtige Themen wie die Bezahlung in der Gaming-Branche oder Extremismus in Spielen thematisieren. Dauergäste sind unter anderem der fest engagierte Sebastian Stange oder auch Dom Schott, der mittlerweile selbst einen sehr erfolgreichen Podcast führt, nämlich…
OK COOL. Doms Idee für den Podcast entstand ebenfalls während der Pandemie, wo der sehr extrovertierte, umtriebige und oft-umziehende Wahl-Hamburger versuchte, den Kontakt zu den Menschen da draußen aufrechtzuerhalten, indem er sich regelmäßig mit Menschen aus der Gamingbranche zu Online-Interviews traf. Daraus entstand ein sehr individueller Podcast, in dem Dom mit seiner unverwechselbaren, sehr authentischen Art, mittlerweile eine ganze Reihe an Formaten entwickelt (und manche auch wieder eingestellt) hat. Beispielsweise plaudert der studierte Archäologe neben seinen Interviewformaten auch über aktuelle Spiele, holt alte Klassiker nach, gibt mit der zauberhaften Lea Irion einen Ausblick auf die anstehenden Spielemonate oder geht mit Reiner Sigl für ein festes Budget zu einem bestimmten Oberthema Games einkaufen.
Wie schon oben beschrieben sind die Nerdwelten mit Hardy Heßdörfer, Daniel Cloutier und Ben Dibbert mittlerweile ebenfalls eine „Pflichtveranstaltung“ für mich. Ich möchte nämlich nicht nur mein Artwork endlich live betrachten, sondern mit den dreien (und dem ein oder anderen Gast) wieder in die gute alte Zeit abtauchen. Hardy und Daniel nutzen hierbei ihre Expertise auch als Redakteure bei der deutschen Retro Gamer und der Return, während Ben tief in der C64-Musikszene unterwegs ist und unter seinem Label Nordischsound grandiose SID-Kompositionen in den Äther bläst. Die Nerdwelten haben dieses Jahr sogar ein Sonderheft mit der Return veröffentlicht, in dem sie auf die besten Point and Click-Adventures eingehen.
Ein weiteres Unikat in der Retropodcast-Landschaft ist Paul Kautz, der mit Game Not Over auf seine ganz eigene, unnachahmliche Weise alte Spiele zerpflückt und dabei wirklich sehr tief ins Thema eintaucht. Ich musste mich zwar an Pauls Stimme und Art zu sprechen, etwas gewöhnen. Das ist es aber auch wirklich wert, denn in seinen Episoden, die sich vorrangig mit Spielen aus der 8- und 16-Bit-Ära beschäftigen, lernt man unheimlich viel über die Hintergründe. Ebenfalls eine absolute Hörempfehlung.
Seit 2021 sind Wolfgang und Christian mit ihrem Grobe Pixel Podcast in meinem Podcatcher gelandet. Die beiden erzählen ebenfalls von den guten alten Spielen, vor allem aus dem 90er Jahren. Während der Fokus anfangs noch sehr auf den klassischen Point and Click-Adventuren von Lucas Arts lag, haben sich die beiden mittlerweile durchaus weiter entwickelt und stellen auch gerne mal ungewöhnliche Spiele wie „Donkey.bas“ „Gorillas“ oder „Minesweeper“ in ihrem „Shorts“-Format vor.
Last but definitely not least lege ich Euch dann noch den sensationellen Poldi mit seinem Podcast Pixelbeschallung ans Herz. Poldi bietet hier im Gegensatz zu vielen der oben genannten Podcasts ein ganz exklusives Format an. Seine Episoden drehen sich zwar ebenfalls so gut wie immer um ein Spiel, meist aus der 8- oder 16-Bit-Ära, aber er packt das ganz wunderbar in eine Art Sendung mit verschiedenen Rubriken. Zunächst ordnet er nicht nur das Spiel zeitlich ein, sondern rahmt dies auch mit Schlagzeilen aus der echten Welt zu dieser Zeit, also Nachrichten, Kinostarts oder musikalische Chartstürmer. Ergänzt wird die launige Spielbesprechung dann zum Beispiel noch durch ein Quiz, das Poldi als sein Alter Ego Pierre in Reimform vorträgt. Mitspieler belohnt er dann unter anderem mit einem Posten auf dem virtuellen Raumschiff „USS Pixelbeschallung“, führt Punkte-Listen, wobei mehr richtige Antworten zu einem höheren Rang an Bord führen und bietet monatlich eine Hiscore-Challenge an, bei der man sich noch extra Sterne hinzuverdienen kann. Dort werden dann Klassiker wie H.E.R.O. auf dem NES oder California Games auf dem C64 gespielt. Also eine sehr interaktive Community, zu der ich nur allzu gerne einlade. Poldi hat derzeit etwas mit den Hörerzahlen zu kämpfen, was sich mir überhaupt nicht erschließt. Also gebt Euch einen Ruck und hört mal rein!
Ich könnte noch weitere Podcasts empfehlen, aber das würde glaube ich den Rahmen sprengen. Daher hier einfach noch ein paar Honorable Mentions:
- Benutze Ohr mit Lautsprecher – hier bespricht Falko Löffler, Autor und Übersetzer, alle Arten von Adventures, natürlich mit Fokus auf Point and Click.
- Ewig Gestern – hier besprechen die „Retroboys“ Tobias, Markus, Felipe und Sebo neben klassischen Videospielen auch andere popkulturelle Phänomene wie alte Kinofilme.
- Spielvertiefung: Auf einen Whisky – hier bedient sich Jörg Luibl konzeptionell ein wenig bei The Pod, greift aber beim Plausch in einer andere Kiste.
- To be on Pod – hier reisen die beiden Sandkastenfreunde Björn und Christian zurück in die Vergangenheit und schwelgen in Erinnerungen an alte Videospiele in verhältnismäßig kurzen Formaten
- Down to the Detail – hier tauchen Marius, Fabian und Ringo in Spiele ein und man begleitet sie beim Durchspielen, teils fokussiert auf einzelne Quests oder auch des kompletten Spiels. Ein Highlight ist für mich die Schnipseljagd, eine Quizform, in dem die Hosts eingesendete Ton- und Musikausschnitte aus Spielen erkennen müssen.
Hört Ihr ebenfalls Podcasts? Was sind Eure Favoriten? Kennt Ihr weitere interessante, die mir vielleicht „durchgerutscht“ sind? Ich freue mich auf Euer Feedback!
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