Dürfen Spiele politisch sein? Die meisten Menschen würden wahrscheinlich „ja“ sagen. Wenn man dann aber konkrete Beispiele hinterfragt, wird es oft schon stiller. Sind Spiele geeignet, reale Probleme zu thematisieren? Den Krieg und seine Folgen beispielsweise? Den Holocaust?
Jörg Friedrich & Sebastian Schulz haben ihre Antwort darauf gefunden und entwickeln zurzeit das Computerspiel „Through the Darkest of Times“, dass euch in das Berlin des Dritten Reichs versetzt. Worum es dabei geht und was den beiden wichtig ist, konnte ich in einem gemeinsamen Interview erfragen.
Interview
Ihr wart beide an der Entwicklung des „Moral“-Shooters Spec Ops: The Line beteiligt und erschafft nun ein Strategiespiel, das in einem der dunkelsten Kapitel der deutschen Geschichte spielt. Warum ist euch der Stoff so wichtig, oder anders gefragt: für wie relevant haltet ihr das Setting heute?

Jörg: Berlin zur Zeit der Weimarer Republik war ein sehr fortschrittlicher Ort. Mann und Frau waren gleichberechtigt, Homosexualität straffrei, die Menschen suchten und fanden alternative Lebensformen, moderne neue Musik, Theater, Kunst, sexuelle Freizügigkeit. Das alles fand statt vor dem Hintergrund einer tief gespaltenen Gesellschaft, in der massive soziale und politische Spannungen herrschten.
Von den Progressiven wurde das Erstarken der Nationalsozialisten zwar kritisch beobachtet und auch durchaus als Bedrohung wahrgenommen, aber man konnte sich nicht vorstellen, dass der gesellschaftliche Fortschritt, der seit Ende des Ersten Weltkriegs erreicht worden war, je wieder zurückgenommen werden könnte. Man war überzeugt, dass die Mehrheit der Menschen nicht bereit wäre die gerade gewonnenen Freiheiten aufzugeben und dass die Nazis, sollten sie denn je an die Macht kommen, schnell wieder verschwinden würden.
Wie wir heute wissen gelang es Hitler und seinen Leuten nicht nur an die Macht zu kommen, sie erreichten es auch dort zu bleiben und Freiheiten auf Jahrzehnte hinaus abzuschaffen. Um nur zwei Beispiele zu nennen: Die Nazis stellten Homosexualität unter Strafe und schafften die Gleichberechtigung von Mann und Frau ab. Nach dem Krieg behielt die Bundesrepublik beides bei, verfolgte Homosexuelle und sprach Ehemännern Entscheidungsgewalt über die Belange ihrer Frauen zu.
Schauen wir uns die Gegenwart an:
Auf der ganzen Welt sehen wir das Erstarken nationalistischer und offen rassistisch und autoritär agierender Bewegungen, die versuchen das Rad der Zeit zurückzudrehen und Menschen aufgrund von Herkunft, Religion, Geschlecht und sexueller Orientierung gegeneinander auszuspielen.

Auch heute ist die Gesellschaft gespalten, öffnet sich die Schere zwischen Arm und Reich immer weiter und politische Strömungen suchen immer weniger nach Kompromissen und Gemeinsamkeiten, sondern nur noch nach Abgrenzung und Konfrontation.
Auch heute können sich die meisten Menschen nicht vorstellen, dass ihre aktuellen Freiheiten bedroht sein könnten.
Doch in der Türkei in Ungarn, Polen aber auch in Großbritannien und den USA kann man beobachten wie schnell vermeintlich sicher geglaubte Bürgerrechte auf dem Spiel stehen und wie schwer es sein kann, die bösen Geister, denen man erlaubt hat durch die demokratischen Institutionen an die Schalthebel der Macht zu gelangen wieder loszuwerden.
Wir hoffen, dass Through the Darkest of Times mit dazu beiträgt, dass Menschen kritischer auf freiheitsfeindliche Entwicklungen schauen und Widerstand leisten, bevor man das nur noch im Untergrund tun kann.
Wann kam euch die Idee zum Spiel zum ersten Mal? Gab es dazu ein Schlüsselerlebnis?
Vor ein paar Jahren las ich ein Buch über zivile Widerstandsgruppen die zur Zeit des dritten Reiches in meiner Geburtsstadt Heilbronn aktiv waren. Das Buch beschrieb recht genau, wie die Gruppen agierten, wie sie verbotene Schriften mit der Hand druckten auf Kirchtürme kletterten um sie abzuwerfen, wie sie Gefangene befreiten und Gesuchten Unterschlupf leisteten oder ihnen zur Flucht ins Ausland verhalfen.
Ich fand sofort, dass dies guter Stoff für ein Spiel sein könnte.

Ich entwickelte einen Prototyp, mit dem ich allerdings nicht zufrieden war und der dann für einige Jahre in der Schublade verschwand.
Bis Ende 2016 zwei Dinge zusammen kamen: Ich hatte Zeit und suchte nach einem neuen Projekt und Donald Trump wurde zum 45. Präsident der Vereinigten Staaten gewählt. Da fiel mir der Prototyp wieder ein und ich fragte Sebastian, ob er nicht Lust hätte mit mir zusammen ein Spiel über den deutschen Widerstand zu machen.
Was mich bei meiner Recherche besonders faszinierte, war die Tatsache, dass Widerstandsgruppen oft sehr bunt gemischt waren und die Mitglieder stark unterschiedliche Vorstellungen davon hatten, was nach dem Fall des Regimes kommen sollte. Da arbeiteten Christen mit Kommunisten, Anarchisten mit Konservativen. Geeint oft nur durch die Tatsache, dass man sich persönlich kannte und die Überzeugung, dass man etwas gegen das Unrecht tun musste.
Das entsprach nicht dem Bild, das ich bis dahin vom deutschen Widerstand gehabt hatte. In meiner Vorstellung waren alle Strömungen und Anschauungen schön säuberlich getrennt gewesen: da gab es die national konservativen Generäle rund um Stauffenberg und den 20. Juli. Es gab die Kommunisten, die mit Moskau arbeiteten. Die christlich-bürgerlichen Studenten von der Weißen Rose. So hatte ich es in der Schule gelernt.

Tatsächlich hatte aber die Mehrzahl der Widerstandsgruppen keine einheitliche Überzeugung, außer der, dass man die Nazis zu Fall bringen musste und selbst über die Frage, wie man das am besten bewerkstelligt, waren die Gruppenmitglieder oft geteilter Meinung.
Die Unterschiedlichkeit der Mitglieder und die Konflikte die daraus entstehen sind wichtiger Bestandteil des Spiels.
Stell dir vor, während des Krieges gelangt deine Gruppe an militärische Informationen, die man an einen der Gegner Deutschlands geben könnte. Der Kommunist will Moskau informieren, der Liberale plädiert für England oder die USA und der Konservative ist grundsätzlich dagegen militärische Geheimnisse an den Feind zu liefern, immerhin gefährdet man damit das Leben deutscher Soldaten.
Was willst du tun?
Im Spiel wird man häufig Entscheidungen dieser Art treffen müssen, deren Konsequenzen auch in der Reaktion der Mitglieder liegt. Handelt man zu sehr entgegen der Interessen eines Mitglieds, wird er oder sie die Gruppe verlassen – im schlimmsten Fall sogar verraten.

Stand die Geschichte des Spiels bereits vor der eigentlichen Spielentwicklung fest, oder ergänzt ihr diese fortlaufend?
Wie man vielleicht an dem Beispiel mit den militärischen Informationen sehen kann, entsteht die Geschichte, die man während eines Spiels Through the Darkest of Times erlebt aus dem Zusammenspiel von Gruppenmitgliedern, historischen Ereignissen und den Entscheidungen, die du für deine Gruppe fällst. Da die Gruppenmitglieder mitsamt ihren Eigenschaften, Fähigkeiten und Persönlichkeiten für jedes Spiel prozedural generiert werden, kann man sehr viele verschiedene Geschichten erleben, auch dann wenn die historische Zeitlinie im Großen und Ganzen immer gleichbleibt und Ereignisse vorgibt.
Ich nenne das „Narrative Lego“ weil sich aus vielen kleinen Bausteinen eine gesamte Geschichte ergibt und weil diese Technik dir als Spieler erlaubt, deine persönliche Geschichte einer Widerstandsgruppe zu schreiben.
Wo stehen Videospiele als narratives Medium aus eurer Sicht heute?
Videospiele sind das narrative Leitmedium des 21. Jahrhunderts. Leider benehmen sie sich (noch) nicht so.
Ich habe neulich einen GDC Talk gesehen, der das Problem sehr schön beschrieben hat: Die ganze Spielwelt bezieht sich auf den Spieler. Alle NPCs definieren sich über den Spieler, haben keine eigenen Motive, keine eigenen Absichten. Wenn der Spieler nicht da ist steht die Welt still. Alle Bewohner der Welt warten darauf, dass der Spieler kommt und ihre Probleme löst. Genau wie in dem Film, die Truman Show, in dem alle Mitwirkenden der Show außer Truman keine eigenen Motive haben und nur existieren um Truman eine Rahmenhandlung zu liefern.
Ich verstehe wo das herkommt, aus diesem Game Design Gedanken heraus, der den Spieler als Kunden betrachtet, dem man alles recht machen muss. Und aus dieser Idee heraus, dass Spieler, wenn sie ihre Geschichte in einem Spiel schreiben, mindestens die Welt retten müssen, sonst sind sie enttäuscht.
Das Problem an dieser Form des Geschichtenerzählens ist, dass auf diese Weise keine interessanten Figuren neben dem Spieler entstehen können. Und ohne interessante Figuren gibt es keine interessante Geschichte.
Genau wie Truman am Ende des Films die Falschheit seiner Welt erkennt und in die echte, wirkliche Welt entflieht, selbst für den Preis, dass er nun nicht mehr die ganze Zeit im Mittelpunkt steht, genauso glaube ich, dass Spieler sich danach sehnen glaubwürdige, interessante, unerwartete Geschichten in Spielen zu erleben, selbst wenn sie dafür den Preis bezahlen müssen, nicht mehr ausschließlich allmächtige Weltenretter zu spielen.
Wie viel von dem, was ihr mit Spec Ops: The Line nicht umsetzen konntet, steckt in TTDOT?
Ich bin sehr stolz auf Spec Ops und was das Team bei YAGER damals auf die Beine gestellt hat und auch dankbar für den Mut, den 2K als Publisher hatte das so durchzuziehen.


Es gibt nichts, was jetzt in TTDOT ist, das ich gerne in Spec Ops gehabt hätte. Dennoch ist TTDOT für mich eine logische Folge von Spec Ops. Denn es ist sicher so, dass es ohne Spec Ops: The Line kein Through the Darkest of Times gäbe. Ich will versuchen das zu erklären:
Spec Ops war ein Shooter, der sich kritisch mit dem Thema Krieg und dem Thema Militär-Shooter auseinandergesetzt hat zu einer Zeit, als Call of Duty das höchste der Gefühle in Sachen emotionaler Auseinandersetzung mit Krieg in Videospielen war.
Through the Darkest of Times möchte ein Spiel sein, das sich kritisch mit dem Dritten Reich auseinandersetzt und in dem auch Themen wie der Holocaust vorkommen, zu einer Zeit in der die Nazis in Videospielen die Fraktion mit den besseren Panzern sind.
Wie reagiert die Öffentlichkeit auf euer Spiel? Was für ein Feedback erhaltet ihr?
Überwiegend positiv. Insbesondere Seiten und Magazine, die Videospiele auch in ihrem kulturellen und gesellschaftlichen Kontext sehen sind sehr angetan – besonders, wenn sie unseren Ansatz verstehen. Ein italienisches Kulturmagazin druckte ein elf seitiges Interview.

Teilweise sitzen wir glaube ich zwischen den Stühlen. Vielen Leuten aus dem klassischen Videospielumfeld sind wir zu politisch – die Fragen dann ob es bei uns darum geht Hitler zu töten und sind enttäuscht wenn ich sage, dass das nicht das Ziel ist. Den „seriösen“ Journalisten, Historikern oder Kulturwissenschaftlern sind wir zu verspielt – ich glaube die fürchten sich davor, dass es bei uns bestimmt nur darum geht Hitler zu töten.
Besonders in Deutschland sind die Leute vorsichtig und fragen „Darf man das?“.
Meine Antwort darauf ist ganz klar: Man muss sogar!
Oder was ist das für eine Botschaft, wenn im narrativen Leitmedium des 21. Jahrhunderts das Thema Drittes Reich nur als Lieferant einer bestimmten Ästhetik, tumber Gegner und militärischer Einheiten dient?

Abgesehen vom monetären Aspekt: wann würdet ihr euer Spiel als einen Erfolg werten?
In einer Zeit, in der Neo-Nazis ihren Nachwuchs an Orten wie reddit oder 4Chan rekrutieren finde ich es wichtig, dass wir als Spieleentwickler unsere Verantwortung für das Thema erkennen und Faschismus in Spielen ähnlich kritisch und nachhaltig darstellen, wie es in Filmen und Büchern schon längst der Fall ist.
Wenn es uns gelänge, mit Through the Darkest of Times etwas dazu beizutragen, wäre das toll.
Wann und auf welchen Plattformen können wir mit dem Spiel rechnen?
Through the Darkest of Times wird für PC, Linux und Mac entwickelt und ist momentan in der Vorproduktion. Wir haben eine frühe spielbare Version, die wir Leute auf Indie Events spielen lassen um Feedback zu bekommen.
Wenn alles so weiterläuft wie bisher, werden wir Anfang 2018 eine Version auf Steam Early Access veröffentlichen.
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