The Last Blade – Vom Ende der Pixel, Sprites und Bitmaps

Von Karsten Heilmann am
Kommentiert von: André Eymann, Chris, Sterni, Florian Daffner, Osby
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SNK steht 1997 mit The Last Blade am Scheideweg zwischen alter und neuer Welt. Dieser Titel zeigt uns, wie poetisch und ausdrucksstark Videospiele uns ihre Botschaft vermitteln können.

Ich möchte einladen zu einer kleinen Zeitreise in längst vergangene Tage und deutlich machen, warum das elektronische Spiel im Allgemeinen den rechtmäßigen Anspruch auf einen Platz in unserem gemeinsamen Kulturschatz hat. Folgen Sie mir auf die Reise zu einem Duell, das die Wendung des Schicksals im Reich der Videospiele so deutlich macht wie kein zweites. Vorhang auf für The Last Blade.

Gegen Ende des letzten Jahrtausends erlebte das Videospiel seine einschneidendste Wendung seit dem großen Crash am Anfang der Achtziger. In den frühsten Anfangstagen waren in erster Linie Sprite-Grafiken und die zweidimensionale Grundstruktur des Geschehens der Stoff, aus dem digitale Träume gemacht wurden. Für diejenigen, die zu der Zeit der Entstehung des Mediums mit Telespielen und Heimcomputern aufgewachsen sind, war diese Sprache, die dort gesprochen wurde die einzige vorstellbare Art und Weise der Darstellung.

Musikalisch boten sich ihnen dort Klänge, die von ihrem Charakter im starken Kontrast der Musik aus anderen Medien der „richtigen“ Welt standen. Der besondere Sound, der in den Rechnern selbst geboren wurde und dem keine konventionellen Instrumente zugrunde lagen, gehörte dieser Generation ganz allein. Es war ein Königreich, in das man nur hineingeboren werden konnte.

Gekka no Kenshi - Schwertkämpfer im Licht des Mondes. (Bild: SNK)
Gekka no Kenshi – Schwertkämpfer im Licht des Mondes. (Bild: SNK)

Eine neue Zeitrechnung

Nach den wegweisenden 8-Bit Abenteuern fügte die darauffolgende 16-Bit Ära dem bereits Bekannten und Machbaren im Wesentlichen nichts Neues hinzu. Lediglich durch die leicht verbesserten Grafik- und Soundeffekte machte sich der technische Fortschritt bemerkbar. Das Erscheinungsbild selbst und die Inhalte aber blieben durch die Verdopplung der Bitzahl in erster Linie unberührt.

Noch konnte sich niemand vorstellen, wie ein Mario- oder Zelda-Titel in einer dritten Dimension aussehen, geschweige denn spielerisch funktionieren könnte. Doch mit der nächsten Generation der Spielkonsolen änderte sich die gesamte Branche. Praktisch über Nacht wurde ein Punkt definiert, der das Davor und das Danach im Land der Videospiele so deutlich macht wie kein Zweiter. Es begann eine neue Zeit.

Die japanische Softwareschmiede Shin Nihon Kikaku, kurz SNK, war mit ihrem Neo-Geo einer der Toplieferanten für Spiele, in denen die traditionellen Stilmittel der grafischen Darstellung zu dieser Zeit ihren absoluten Höhepunkt erlebten. In der Spielhalle setzte SNK Maßstäbe mit dem Automatensystem MVS und für das eigene Wohnzimmer war die Heimversion des Neo-Geo, das Advanced Entertainment System, für die meisten Actionspieler ein unerreichbares Objekt ihrer Begierde.

Die exorbitanten Mengen an benötigtem Speicherplatz für die opulente Grafik waren in der damaligen Zeit für Normalsterbliche praktisch unbezahlbar. Inhaltlich setzte der 2D Spezialist auf harte aber herzliche und vor allem bewährte Konzepte. Vornehmlich Prügelspiele, einige Shoot’ Em Ups und vereinzelte Sport- und Puzzlespiele rundeten das thematisch von den Coin-Op Gesetzen der Automatenindustrie geprägte Portfolio ab.

Get lost, sister! Before immigration comes! - Keiichiro Washizuka erkennt die Zeichen der Zeit. (Bild: SNK)
Get lost, sister! Before immigration comes! – Keiichiro Washizuka erkennt die Zeichen der Zeit. (Bild: SNK)
Hauptcharakter Kaede (zu dt. Ahorn) in der Eröffnungssequenz des Spiels. (Bild: SNK)
Hauptcharakter Kaede (zu dt. Ahorn) in der Eröffnungssequenz des Spiels. (Bild: SNK)

Die dritte Dimension

Mehr aber noch als nach der konkurrenzlos gut präsentierten Traditionstiteln von SNK sehnte sich der Spielemarkt nach dem, was sich in den Arcadehallen schon ankündigte. Dem völlig neuen Spielerlebnis in 3D. Die polygonalen Boliden, die mit einer ungekannten, nie dagewesenener Ausdruckskraft in Namcos Ridge Racer zu treibenden Technobeats über plastisch dargestellen Bergkämme schossen, waren die Botschafter einer neuen Epoche.

Die verschwenderischen Renderintros, die Dank des billigen und gigantisch großen Speichermediums Compact Disc beispielsweise auf Sonys Playstation zum Leben erwachten, unterstrichen den Anspruch dieser nächsten Hardwaregeneration nach Krone und Zepter im Königreich. Musik musste mit einem Mal nicht mehr mühevoll programmiert werden, sondern konnte leicht auf direktem Wege von CD abgespielt werden.

Spätestens als es dem Nintendo-Star Shigeru Miyamoto gelingt seine zweidimensionalen Spielwelten mit ihrem ganzen Charme als erstklassiges Spielerlebnis in die dritte Dimension zu katapultieren, war der Durchbruch perfekt. Im Nu waren die alten Würdenträger der Pionierzeit ihres Amtes enthoben und mussten sich bis zur Etablierung des Begriffes „Retro Game“ dem Diktat des neuen Herrschers beugen. Viele altgediente Spieler jedoch sahen dieser Entwicklung nicht nur positiv entgegen, sondern begegneten der fortschreitenden Technik in ihrem Revier mit Skepsis und Ablehnung. Der überwiegende Teil der Basis war jedoch neugierig und verfolgte gespannt den Verlauf der neuen Situation.

SNK scheiterte an dem Versuch ebenfalls technisches Neuland zu betreten, um so auf der Höhe der Zeit bleiben zu können. Legten die zweidimensionalen Neo-Geo Spitzentitel im grafischen Bereich eine für die Konkurrenz unüberwindlich hohe Messlatte, so erreichte SNK zu keiner Zeit auch nur einen Achtungserfolg mit seinem 64-Bitter, dem Hyper Neo-Geo.

Unter den technischen Machtdemonstrationen der haushoch überlegenen Mitstreiter, allen voran der neue und stolze Rivale Sony, und unter Berücksichtigung des vorherrschenden neuen Zeitgeistes in der gesamten Branche, war es SNK wohl klar, dass nicht nur seine Zeit allmählich ablief, sondern auch die Tage des Bitmap-Zeitalters gezählt waren. Was SNK noch blieb, war sich im Angesicht des bevorstehenden Endes ein Denkmal zu setzen.

Für jeden Charakter gibt es zwei taktisch relevante Kampfmodi, genannt POWER und SPEED. (Bild: SNK)
Für jeden Charakter gibt es zwei taktisch relevante Kampfmodi, genannt POWER und SPEED. (Bild: SNK)

Der Kampf der Samurai

Box-Art zu The Last Blade. (Bild: SNK)
Box-Art zu The Last Blade. (Bild: SNK)

Für sein brilliantes Schwertkampf-Epos The Last Blade wählt der Hersteller im Jahr 1997 ein Setting, das die Zeit des Umbruchs kongenial verbildlicht. Dessen japanischer Titel Bakumatsu Roman (übersetzt etwa: Die Romantik der Zeit des Bakumatsu) weist bereits deutlich auf die im Genre ungewöhnliche Rahmensetzung hin.

Der Begriff Bakumatsu beschreibt die Zeit der Öffnung Japans Mitte des 19. Jahrhunderts für die sozialen, wirtschaftlichen und kulturellen Einflüsse des Westens. Sie ist die Bühne für innere Unruhen und wechselnden Allianzen im Kampf um die Macht im Land. Konservative Samurai begegnen dieser Situation mit einer Welle von Nationalismus und Fremdenfeindlichkeit. Andererseits wuchs das Interesse für die westliche Moderne. Unter dem Kanonenbeschuss der schwarzen Schiffe von Matthew Perry ist Japan 1853 gezwungen, seine Häfen für die fremden Schiffe zu öffnen und seine Politik der Abgrenzung gegenüber dem Rest der Welt aufzugeben. Für die japanische Kultur stellt dieser Umbruch den Punkt dar, der das Davor von dem Danach trennen sollte.

Ebenso wie SNK für den Schwertkampf in The Last Blade das Kontermanöver als tragendes taktisches Element erfolgreich in Szene setzt, so gelingt es den kreativen Köpfen des Herstellers, die vermeintliche Unausweichlichkeit des bevorstehenden Endes des traditionellen Videospiels, wie man es bis dahin kannte, so umzulenken, dass sie ein Werk von erzählerischer Spitzenqualität schaffen konnten.

Das Spiel betritt die Metaebene mir sanfter Eleganz jenseits der unerbittlichen Härte des Schwertes und schneidet so doch tiefer als jede Waffe aus der neuen polygonalen Welt es vermag. Mit zartem Strich zeichnet The Last Blade die Zeit des Umbruchs auf den Bildschirm und ergreift Herz und Seele des Betrachters mit unvergesslichen Bildern der Vergänglichkeit und dem bittersüßen Geschmack des Abschieds.

Wie fallendes Laub

Das im Herbstwind fallende Ahornlaub und der leise Niederschlag auf die schneebedeckte Inselwelt Japans werden konterkariert durch die ankommenden Schiffe, die im Abendrot an der Küste vor Anker liegen und die anwesenden Fremden aus fernen Ländern, die als Zuschauer in den Szenarien dieses Meisterwerks das Geschehen verfolgen.

Die ersten Freileitungsmasten ragen bereits hoch in den Himmel als die Protagonisten der Handlung sich mit gekreuzten Klingen aufmachen, um im tief eingebetteten Reich der Mythologie Japans für ihre Unsterblichkeit einzustehen. Sparsam und wohldosiert wird die Magie des Momentes von den Klängen traditioneller japanischer Themen untermalt, die sich mit der getragenen Spannung klassischer Musik des Abendlandes abwechseln.

The Last Blade zelebriert die Götterdämmerung der großen Zeit des zweidimensionalen Videospiels. Was danach noch kommt ist Zugabe, sonst nichts.

Die Zeit der 2D-Sprite Action geht in den späten 1990er Jahren zu Ende. Damit einhergehend endet auch die Blütezeit der (Video-) Spielhallen. (Bild: SNK)
Die Zeit der 2D-Sprite Action geht in den späten 1990er Jahren zu Ende. Damit einhergehend endet auch die Blütezeit der (Video-) Spielhallen. (Bild: SNK)

Der Anfang des neuen Jahrtausends besiegelt das Ende für SNK. Die Firma wird zerschlagen und unter verschiedenen Investoren aufgeteilt. Etablierte Marken des Herstellers werden unter neuer Regie bis über die Schmerzgrenze hinaus verwässert und teilweise als lachhafter Schund in die dritte Dimension transponiert.

Dort hat nun mit der Erschließung neuer Zielgruppen und einem ganz neuen Selbstverständnis des Mediums Computerspiel als solches eine neue Zeitrechnung begonnen, die ihren künstlerischen Ausdruck in der Mehrdimensionalität des Geschehens auf dem Bildschirm findet. Immer stärker versuchen die Nachfahren des Telespiels die Darstellungs- und Erzählweise anderer Medienformen zu kopieren und verleugnen so ihr historisches Erbe. Die Existenz eines Softwarehauses hängt in immer mehr Fällen von dem kommerziellen Erfolg der oftmals millionenschweren Blockbuster ab. Kein Publisher kann es sich mehr leisten, mit seinen Produktionen nicht beim Publikum anzukommen.

Vorbei sind die Tage, als noch ein einzelner Künstler davon träumen konnte, mit seinem Werk die Spitze der Verkaufscharts im Alleingang stürmen zu können. Nicht die kreative Idee des Individuums, sondern das, wonach die breite Masse der Konsumenten verlangt, ist nun „on top“. Videospiele haben für diejenigen Menschen, die den Anfang des digitalen Unterhaltungsmediums selbst miterlebt haben, unwiederbringlich ihre Unschuld verloren.

Die Welten in denen sie heute stattfinden, sind uns in ihren Grundzügen zwar noch bekannt, aber die bedingungslose Identifikation mit dem Medium Videospiel wie es heute stattfindet, ging zu weiten Teilen verloren. Sie sind nicht mehr unser alleiniges Königreich.

Was bleibt ist ein letztes, aufmerksames Lauschen nach den uns so vertrauten Klängen aus einer Zeit, die wir als die Unsere bezeichnen. Wir blicken zurück auf eine Welt, die einst unsere Heimat war. Das was davon in uns weiterlebt ist das Wissen darum, dass aller Abschied ein scharfes Schwert ist.

Dem charismatischen Moriya Minakata steht noch ein letzter Kampf bevor. (Bild: SNK)
Dem charismatischen Moriya Minakata steht noch ein letzter Kampf bevor. (Bild: SNK)

Bewegende Bilder

Einleitende Worte und ein Video zum Spiel findet ihr auf der wunderbaren Seite von YesterPlay, die wir euch ans Herz legen möchten. YesterPlay ist eine Hommage an vergangene Videospiele. Die Retrospektive eines Videospielers, eine Erinnerung an und vielleicht die Verlängerung einer Kindheit, die nie lange genug sein kann.


Veröffentlicht in: Spielebesprechungen

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Kommentare (5)

  1. Hallo Chris,

    herzlichen Dank für Dein aufmerksames Lesen! Der kleine Fehlerteufel wurde korrigiert. Dein Hinweis ist keineswegs unangebracht, sondern hilft uns gute Texte anzubieten!

    André

  2. Da der Artikel offenkundig literarischen Anspruch hat, ist es vielleicht nicht unangebracht, auf einen Tippfehler hinzuweisen: Im Abschnitt “Die dritte Dimension” sollte der Text lauten “Viele altgediente Spieler jedoch sahen diese[r] Entwicklung nicht nur positiv entgegen”.

  3. Ich habe noch keinen Artikel über ein Videospiel gelesen, der mir so sehr aus der Seele gesprochen hat. Habe seit zwei Tagen die PS4 und ja, ich vermisse trotzdem die “Goldene Zeit”, unsere Zeit! Denn auch in der Literatur kommt es nicht darauf an, welche Schriftart der Roman verwendet. Einzig der Inhalt und dessen Tiefe entscheidet über die Qualität. Manchmal haben dann Textadventures eben die beste Grafik!

    😉