Warum sind alte Computer so faszinierend?

Von Jens Sommerfeld am
Kommentiert von: O Kubek, André Eymann, Poly, Karsten, David Lightman, Ferdi, Andreas Wanda
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Es war 1982 kurz vor Weihnachten. Die jugendliche Weltsicht bestand aus BMX-Bikes, Breakdance, E.T., STARWARS und natürlich einer Vielzahl an Homecomputern. Ich bekam einen Sinclair ZX81 und lernte BASIC. 1983 folgte der Commodore 64. Die nächsten Jahre waren voller toller Spiele, im Kino liefen tolle Filme und Mädchen wurden langsam interessant.

Die Zukunft aus Sicht der 1960er Jahre. (Bild: Pinterest)
Die Zukunft aus Sicht der 1960er Jahre. (Bild: Pinterest)

Wenn ich mich heute frage, welche Dinge davon am meisten im Kopf geblieben sind, so kann ich sagen: ganz klar die Mädchen Homecomputer. Gerade vor ein paar Wochen kam ich in den Genuss, einen ZX81 aus der originalen Originalverpackung zu nehmen. Und da war es, das alte Gefühl von damals.

Das Styropor und der Geruch von unangetastetem Gerät scheint eine sehr spezielle Mischung zu sein, die wohl um so präsenter zu sein scheint, als das es damals wohl ein für das Gehirn sehr einschneidendes und drakonisches Erlebnis war. Wem dieser Satz zu lang war: “Was damals toll war, ist auch heute noch toll”. Das Gehirn eines Jugendlichen wird von interessanten Dingen geprägt. Damit meine ich Dinge, die den Jugendlichen von sich aus interessieren, also nicht “Die Reformation von Martin Luther, das literarische Schaffen und Wirken von Goethe oder die Klassische Musik”. Wirklich nur die Dinge, die uns damals wirklich interessierten, also COMPUTER, FILME, STARWARS und MÄDCHEN (in dieser Reihenfolge). So tragen wir diesen Stempel mit uns herum und irgendwann später einmal, wird plötzlich ein unbeschriebenes Blatt mit eben jenem Stempel komplett vollgestempelt. Dazu bedarf es oft nur einem kleinen Auslöser.

Bei mir war das der 1999 wiederentdeckte ZX81. Wahrscheinlich hege ich deshalb den Hang zum Sammeln von vielen alten Homecomputern in meinem Hobbykeller. Frauen kaufen sich heute eher Schuhe und Kleidung, weil Barbies zu sammeln wohl doch zu kindisch ist … zumindest nach außen hin. Wir Nerds hingegen können uns gut damit rausreden, das wir uns ja sinnvoll mit Technik beschäftigen und diese auch auf die heutige Zeit anzuwenden ist. Wie könnten wir auch sonst den Laptop der Freundin wieder auf Vordermann bringen? Und das ist ja schließlich ein Grund, mit uns zusammen zu bleiben (bitte … nur ein Grund von vielen natürlich)!

Wer sich mit Computern beschäftigt und tiefer hineinblickt, der versteht die Welt besser und darf dazu auch noch Kind sein.

Jens Sommerfeld

Doch wenn man sich fragt, warum das eigentlich so toll ist, können wir das nicht einfach mit “War damals auch toll” beantworten. Es ist nicht nur das Spielen von Spielen (klingt komisch, ist aber so) das uns reizt. Es ist auch der Hauch von Unvergänglichkeit, der uns dazu beflügelt, mit der alten Technik Neues zu schaffen.

Wer dachte damals schon daran, das ein ZX81 im Internet mit einem Server sprechen könnte? Niemand von uns, denn wir wussten damals nicht, was ein Server ist. Oder eine Mailbox? Ahh, das schon eher. Aber wie geht das?? Damals war das nicht so einfach, hauptsächlich aus Kostengründen. Heute ist das nicht so einfach mangels Wissen. Aber es gibt ja Gott sei s getrommelt Usergruppen, die so etwas im Kollektiv auf die Beine stellen und viele Dinge möglich machen, die damals undenkbar waren. Unsere Vorstellungen waren aber auch ganz andere. So zeigten Bilder vom Jahr 2000 damals fast immer Züge, die durch Röhren gleiten, viele Hochhäuser, Raketen und Roboter auf den Straßen und in der Wohnung – heute nenne wir das Retro-Futurismus.

Architektur in Metropolis. (Bild: Murnau-Stiftung)
Architektur in Metropolis. (Bild: Murnau-Stiftung)

Zugegeben, dieses Jahrhundert hat es wirklich in sich. Was haben die Menschen nicht alles entwickelt?! Martin Luther hat vor 500 Jahren die Reformation eingeleitet und wäre Kaiser Sigismund nicht vor Scham errötet, wäre das wohl alles so nicht gekommen. Jede Zeit hat ihre wichtigen Dinge. Das Internet ist wie damals der Buchdruck (ohne den die Reformation auch nicht … aber lassen wir das …) ebenso eine Revolution. Und die Homecomputer sind es für uns auch. Ohne diese Computer würden wir jetzt nicht diesen Blog lesen. Und ohne Computer und die Beschäftigung mit selbigen würden wir uns das digitale Leben und die digitale Kompetenz komplett absprechen. Wir hätten einfach keine Ahnung davon (was ja nicht so schlimm wäre, denn andere wären dann die NERDs und hätten uns dann sicher helfen können – und wie wir wissen, sind das ja tolle Menschen).

Maria aus Metropolis. (Bild: Murnau-Stiftung)
Maria aus Metropolis. (Bild: Murnau-Stiftung)

Schalte ich heute einen alten Homecomputer ein, so lebe ich in zwei Zuständen: in der Vergangenheit und in der Gegenwart. Diese Symbiose ist direkt spürbar. Ähnlich dessen, in einem alten Oldtimer zu sitzen, ist auch dieses Gefühl. Allerdings mit dem Unterschied, das wir damals voll im Thema waren (was mir bei Oldtimern nicht so geht).

Wie gerne würde ich mich mit dem Wissen von heute in die damalige Zeit (1983) zurückversetzen! Das wäre toll. Noch mal Kind sein (auch im Kindeskörper), frischere Luft atmen und zum kalten Krieg sagen “Ach, laß ma …” – wäre das nicht toll? Den neuen Computer noch einmal auspacken und zum ersten Mal anschalten. Das Erlebnis würde sicher noch intensiver sein. Und ich könnte wieder Breakdance machen. Toll. Leider müsste ich lange warten, an diverse Informationen und Dinge zu kommen. Kein Google und kein Amazon. Manchmal wünsche ich mir, das es heute auch so wäre. Wir würden mehr über die Dinge nachdenken und uns intensiver mit den Dingen beschäftigen, vielleicht sogar mehr reflektieren. Aber die Zeit verändert die Dinge und auch den Menschen.

Ich stelle oft fest, das Freunde in meinen Hobbykeller kommen und sagen “Oh, toll, den C64 hatte ich auch mal – mein Lieblingsspiel war damals Bruce Lee”. Und wenn ich dann Bruce Lee starte und wir zusammen spielen, erschöpft sich das nach kurzer Zeit und der Kumpel verliert das Interesse. Nicht weil er das Spiel nicht mehr mag, sondern weil er feststellt, das er nicht mehr der selbe Mensch von früher ist. Aber er wird vielleicht doch ein Sehnsuchtsgefühl bekommen und sich dann einen alten C64 kaufen und ab uns zu damit spielen?! Vielleicht … Und so ist es an uns, diese Zeit zu erhalten.

Technologie und Verkehr im Futurismus. (Bild: Pinterest)
Technologie und Verkehr im Futurismus. (Bild: Pinterest)

Für mich gilt: “Wer sich mit Computern beschäftigt und immer tiefer hineinblickt, der versteht die Welt besser und darf dazu auch noch Kind sein”. Wunderbar … Mein Dank gilt den Menschen, die diese Computer erfunden und gebaut haben und natürlich auch den Eltern, die dies bezahlt haben!


Veröffentlicht in: Hardware, Videospielgeschichten
Bernd BockTobi

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Kommentare (8)

  1. Danke Jens!

    Du hast hier etwas in Worte gefasst was jeder der diese Zeit erlebt und gelebt hat, denkt und fühlt. Was du “eine Art universelles Gefühl, das unabhängig von der jeweiligen Generation, teilbar ist.” nennst, nennt sich im Star Wars Universum “Macht”. 😉

    Möge die Macht mit uns sein!

  2. Wenn ich so eure Schwärmereien von den alten Kisten lese, dann werde ich manchmal echt ein wenig neidisch, dass ich altersbedingt erst mit Win98 und einem AMD K6 in die Welt der Computer eintauchen durfte. Im Vergleich zu heute ist das zwar auch steinzeitlich, aber C64 und Co. sind dann doch noch mal eine andere Ära. Ob sie besser oder schlechter war, hängt wohl vornehmlich davon ab, was man davon selbst erlebt hat. Die Faszination für die Technik aus Kindheit/Jugend teilen wir aber irgendwie alle, denke ich. Nur ist sie halt nicht immer so ausgeprägt wie bei uns Nerds 🙂 Und genau wie du wünsche ich mir auch manchmal, dass ich wieder ein wenig Kind sein und das technische Neuland von damals neu entdecken darf.

    1. Ja, uns verbindet eigentlich alle das Gleiche. Es ist eine Art universelles Gefühl, das unabhängig von der jeweiligen Generation, teilbar ist. Jeder hat in seiner Kindheit Video-Erlebnisse gehabt, die ihn geprägt haben. Und als Kind sind einem die Pixel ja ziemlich egal. Das Spielgefühl zählt. Die Erfahrung und die Erinnerung.

      Ich finde es überaus großartig, dass die Gaming-Kultur so “nahtlos” funktioniert und wir alle ein Verständnis dafür haben, wie der jeweils andere Spiele auf seine Art erlebt hat. Das macht für mich auch das Schreiben und Lesen über Videospiele so spannend. Es ist ein Buch das ständig fortgeschrieben wird und im Rückblick und der Gegenwart gleichermaßen interessant ist.

  3. Ein weitaus weiserer Mensch als ich sagte einst:

    “Vergangenheit und Zukunft sind nichts als eine Illusion. Nur die Gegenwart ist real! In ihr finden wir alles was einmal war und auch alles was jemals sein wird.”

    Wir werden sehen ob er Recht hatte.

  4. Hallo Jens,

    Dein Artikel hat mich wunderbar unterhalten. Danke dafür. Viele Gedanken davon teile ich. Nicht alle. Nochmal Kind sein möchte ich nicht. Obwohl auch ich eine schöne und vor allen unbeschwerte Kindheit hatte. Kalter Krieg war nie eine Bedrohung für uns, weil wir uns einfach nicht damit beschäftigt haben. Macht Ignoranz glücklich?

    Die Symbiose aus Vergangenheit und Gegenwart die alte Heimcomputer beim Einschalten vermitteln, hast Du schön formuliert. Aus Deiner lesenswerten Artikelserie zum ZX81 weiß ich aber auch, dass Du dich damit Gestern und Heute intensiv beschäftigt hast.

    Die Kernaussage von Dir: „Wer sich mit Computern beschäftigt und immer tiefer hineinblickt, der versteht die Welt besser und darf dazu auch noch Kind sein“, muss Gedankenübertragung sein. Denn ich habe Gestern ein ganz ähnlichen Satz für einen Artikel formuliert, und der wiederum basiert auf einem Satz des englischen Philosophen Bertrand Russel (1872 – 1970) der meinte, dass ein Mensch der Erdbeeren mag – bliebe alles andere gleich -, besser an die Welt, in der wir leben, angepasst ist als jemand, der sie nicht mag. Denn Erdbeeren existieren, und eine positive Beziehung zu ihnen trägt zum Wohlbefinden bei, so Russel.

    So ist es auch mit Heimcomputern. Wer mit ihnen aufgewachsen ist, versteht die Welt in der wir leben besser als die, die es nicht sind. Die Beschäftigung damit und die Erinnerungen daran tragen zum persönlichen Wohlbefinden bei. Das ist jedenfalls meine Auslegung von Russel´s Erdbeeren-Theorie.

    Ich mag Erdbeeren und Heimcomputer. In Russel´s Augen muss ich also ein wahrer Glückspilz sein 😉

    Bis zum nächsten Artikel und viele Grüße
    Ferdi

    1. Lieber Ferdi!

      Auch ich mag Erdbeeren und teile Deine Ansichten. Aber Kind wäre ich trotzdem gerne noch Mal.

      Ob Ignoranz glücklich macht? Die Frage kann man vielen Menschen stellen, aber ich befürchte, das diese die Frage zum Teil nicht verstehen. Ich meine: Ja, das macht glücklich 😉

      Das “sich Beschäftigen” ist in Deutschland durch die Hobbies weit verbreitet. Dadurch haben wir eine vielfältige Kultur. Was ich daran am schönsten finde ist die Tatsache, das man das mit anderen Menschen teilt.

      Vielen Dank für Deinen Kommentar!!

      Gruß
      Jens

  5. Lieber Jens!

    Danke für deinen schönen Beitrag, einem Querschnitt kulturrelevanter Bausteine unserer sozusagen gemeinsamen Vergangenheit.

    Der Wettbewerb der bunten Interessen, die wir zum Teil auch heute noch verfolgen, ist treffend beschrieben. Man wollte alles aufnehmen und nichts verpassen.

    Die Faszination alter Computer liegt, vermute ich, in ihrer präzise definierten, ja, limitierten Funktionalität. Jeder Typ erfährt seine eigene Charakterisierung. Die individuellen Einschränkungen vergangener Technik führen außerdem zu einem bunten Variantenreichtum, den es erst einmal zu erfassen gilt.

    Heutige Technik ist eigentlich homogen. Vom kleinen 1 x 1 bis zum 8K-Kinoblockbuster kann prinzipiell jeder Computerbesitzer alles machen. Das ist längst nicht so spannend wie die hochauflösende Eleganz eines Spectrums nebst den quietschbunten Pixelbergen eines Schneiders.

    Dass wir dennoch beobachten können, dass ein entfachtes Retrointeresse nur von kurzer Dauer ist lässt sich dadurch erklären, dass wir vergangene Technik in ihrer Gesamtheit zu erfassen glauben. Die pure Sensation, Pixel-Bruce gegen den bösen grünen Yamo zu steuern ist in ihrer Tiefe potentiell endend wollend.

    Aber man begegnet alter Technik manchmal auch mit einer unpassenden Erwartungshaltung. Unsere Jugend ist passé und derartige Assoziationen will man mitunter sogar meiden. Dieser Faktor „Mensch” behindert daher diese verborgene Faszination alter Technik.

    Deine Definition dieser Faszination über den Begriff eines erbauenden Weltverständbisse finde ich besonders reizend, Jens.

    Wir sollten tatsächlich nicht die Gabe verlieren, offen zu sein für Neues wie Altes, um davon zu lernen, so wie wir eins als Computerpioniere uns auf die einst neue Technik einließen.

    Schöner Text, Jens, und liebe Grüße,

    Andreas

    1. Lieber Andreas!

      Vielen Dank für Deine Worte und Dank insbesondere für das Lob. Ich schreibe meine Texte immer mit einem leichten Augenzwinkern (das äußert sich zum Beispiel darin, das ich wider Erwarten doch eine Frau einem Computer vorziehe 😉 ).

      Ich glaube auch (da bin ich sogar sicher), das die Limitierung der alten Rechner eine Faszination ausübt. Und das, obwohl solche eine Maschine doch immer noch hoch komplex ist. Die Welt besser zu verstehen sollte immer ein Ziel sein. Mein Großvater und mein Vater haben mir schon früh vor Augen geführt, das es möglich ist, durch reines Untersuchen und Erforschen von Dingen zu einem besseren Weltverständnis zu kommen. Durch die “Flusen”, die jeder Heranwachsende im Kopf hat, wurde das natürlich relativiert, aber ein Stück davon ist geblieben und je älter man wird, desto größer ist der Wunsch danach, dies wieder udn intensiver zu tun. Der ZX81 hilft mir dabei. Und der Leitspruch “Viel Spaß am Gerät” ist auch nicht zu unterschätzen…

      Ich genieße Deine Artikel auch sehr. Dieser Text wurde übrigens mit einem ZX81 geschrieben (in UTF-8) – wo bliebe sonst der ganze Spaß 🙂

      Liebe Grüße
      Jens