Immer wieder denke ich darüber nach. Aber bis heute kann ich den genauen Anlass oder Moment nicht mehr festmachen, der mich dazu gebracht hat, tiefer in die Welt der Flipperkultur einzutauchen. Es war jedenfalls irgendwann ums Jahr 2010 herum, also zu jener Zeit, wo ein beinahe verloren geglaubtes Gerät sich wieder langsam seinen Weg in die Popkultur zurückgekämpft hat.
Flippermaschinen galten in den 2000er Jahren als quasi tot, es gab weltweit nur noch eine Firma, die sie produzierte. Stern Pinball hatte somit ein Jahrzehnt lang keine Konkurrenz und brachte pro Jahr zwischen zwei und sechs Geräte auf einen Markt, an den sonst niemand mehr glaubte.
Seither ist viel passiert: Die Flipper-Renaissance steht knapp 15 Jahre später in voller Blüte, mit mittlerweile einigen mittelgroßen und kleineren Herstellerfirmen, zahlreichen internationalen Turnieren und Ligen in Städten überall auf der Welt, sowie einer leidenschaftlichen Community, wo gesammelt, designt, modifiziert, gepodcastet und vieles mehr wird. Natürlich sind der Flippermarkt und die dazugehörige Kultur weiterhin eine Nische. Allerdings keine kleine mehr, und schon gar nicht eine, um die man sich Sorgen machen müsste.
Das Leben als Pinhead
Je länger ich Teil der Flipper-Community bin, desto mehr Freude macht sie mir. Zwar ist es eine überschaubare internationale Gemeinschaft, aber eine hochmotivierte, auf die man zählen kann. In jeder einigermaßen großen Stadt findet sich zumindest ein Ort, an dem sich bekennende Flipperant:innen regelmäßig einfinden, um alleine und gemeinsam zu spielen, sich zu messen, oder einfach nur, um mit den großen, bunten, lauten Geräten eine gute Zeit zu haben.
Flippern war und ist eine soziale Tätigkeit, auch wenn einige Menschen, die sich damit nicht beschäftigen, es nicht so recht glauben wollen. Natürlich, erst mal spielt man alleine am Gerät, den gesenkten Kopf aufs Playfield gerichtet, die Finger konzentriert an den Knöpfen, und mitunter mit dem einen oder anderen Fluch auf der Zunge. Zuallererst ist Flippern ein Kampf Mensch gegen Maschine. Wie man es von der Arcade gewohnt ist, kann man auch hier letztendlich nicht gewinnen, sondern das unvermeidliche Game Over bloß in die Länge ziehen.
Aber je länger man das imstande ist und je spektakulärer man es in Szene setzt, desto beeindruckender. Beeindrucken möchte man aber nicht nur sich selbst, das wäre langweilig. Am meisten Spaß macht Flippern in der Gruppe, wenn man sich gegenseitig anfeuert, beobachtet und Tipps gibt. Gewinnen ist natürlich am Erfreulichsten, aber charmant Scheitern kann auch unterhaltsam sein.
Von wilden Kugeln
Außerdem ist Flippern demokratisch: Jede:r hat mal Pech und verliert eine Kugel in Sekundenschnelle. Jede:r macht mal kuriose Fehler, weil eben jeder Moment einzigartig ist und niemand alle Schüsse und Kugelbewegungen berechnen und rechtzeitig reagieren kann. The ball is wild, so lautet ein legendärer Spruch des legendären Flipperdesigners und -entrepreneurs Harry Williams. Flippern ist immer auch unberechenbar, unvorhersehbar und ein bisschen chaotisch. Das macht es so reizvoll.
Bis in meine späten Jugendjahre kann ich, Jahrgang 1979, mich nicht erinnern, je an einem echten Flipper gespielt zu haben. So wie einige meiner Altersgenoss:innen und später Geborene habe auch ich mich durch Video Pinball, also Computerspielflipper, an die Materie herangewagt. Der erste Titel muss „Revenge of the Gator“ gewesen sein, eines der allerersten Game Boy-Spiele aus dem Erscheinungsjahr des Originals, 1989.
Ich habe das Modul möglicherweise damals gar nicht besessen, sondern mir das Game nur ausgeborgt. In jedem Fall aber war ich davon fasziniert: Es war auch meine erste Begegnung mit aufeinandergestapelten Flippertischen – eine Designkonvention, die sich in digitalen Pinball-Spielen von nun an etablieren sollte (davor gab es nur statische Playfields). Man spielt sich dabei vom untersten in drei darüberliegende Flipper-Arenen, und verliert erst dann, wenn die Kugel ganz nach unten fällt – direkt ins Maul des Alligators.
Computerflippern zwischen Konfigurieren und Editieren
Wenige Jahre später wechselte ich vom Handheld zum Heimcomputer: Mein Vater hatte recht früh, also Mitte/Ende der 80er Jahre, einen PC gekauft, mit dem Vorsatz, sich mit ihm ins digitale Zeitalter einzuarbeiten. Tatsächlich benutzt habe den Rechner dann aber hauptsächlich ich, und es war eine fantastische Entdeckungsreise: Ich lernte (vornehmlich dank eines sehr versierten Freundes) DOS-Befehle kennen und schätzen, das Konfigurieren von Boot-Dateien, und natürlich das Anlegen von, nun ja, Sicherheitskopien.
Ins Programmieren habe ich nie hineingefunden, doch einen Hauch von Hacking hat eine Weile lang durch mein frühes Computerleben geweht – als ich nämlich den Hex-Editor entdeckt und fortan versucht hatte, diverse Dateien von Spielen damit zu öffnen. Meist wurde ich nicht fündig, doch manchmal dann doch: etwa bei den Flipper-Games-Sammlungen „Pinball Dreams“ und „Pinball Fantasies“ (beide aus 1992). Dort waren, versteckt zwischen jeder Menge Code-Kauderwelsch, die Texte der (virtuellen) Dot-Matrix-Displays, also der Laufschriften der jeweiligen Flipper. Was wohl passieren würde, wenn ich diese Texte mit anderen ersetzen und dann die jeweilige Datei überschreiben würde? Ihr ahnt es schon: Das Ergebnis fühlte sich magisch an!
Enigmatische Möglichkeiten
Ob dieses kleine digitale Pinball-Modding meine Leidenschaft zum Flippern mitgeprägt hat, ist schwer zu sagen. Jedenfalls ist es meine markanteste Erinnerung an die zahlreichen Flippercomputerspiele der 90er Jahre. „Epic Pinball“ (1993) ist ein weiterer Klassiker aus dieser Zeit.
Besonders fasziniert hat mich dabei der Tisch „Enigma“: Er bestand aus einem fast leeren Playfield auf mysteriösem lila-wabernden Hintergrund, wo es nur ein paar kleine Targets und verschlungene Bahnen gab. Doch dann der Clou: Es gab Wurmlöcher! Wenn die Kugel durch eines fiel, kam sie an ganz anderer Stelle wieder heraus.
„Enigma“ war für mich ein Erweckungserlebnis in Sachen Potenzial von Computerspielflippern: Hier kann man das Prinzip Pinball in alle möglichen und vor allem unmöglichen Richtungen erweitern. Erst später habe ich gelernt, dass etwas Ähnliches wenige Jahre zuvor – 1990 und 1991 – schon das legendäre britische Games-Studio Rare mit zwei digitalen Nachbildungen echter Flippermaschinen gemacht hat: „Pin-Bot“ und „High Speed“ wurden dabei originalgetreu für das NES umgesetzt. Mit am Start war der gar nicht so kleine Bonus, dass jeweils einige Videospielelemente hinzugefügt wurden, wie etwa Monster, die Kugeln fressen oder Rostkugeln, die die Flipperfinger zersetzen.
Auf Tuchfühlung mit den Flippertischen
Ein paar Jahre später, Ende der 90er, gab es dann endlich erste Begegnungen mit physischen Geräten: 1998 bei der Matura-/Abireise stand ein „Creature from the Black Lagoon“ im Freizeitraum unseres Hotels in Kreta, wenige Monate später flipperte ich an einem „Attack from Mars“ auf einer Fähre irgendwo in den USA oder Kanada während einer Nordamerika-Rundreise mit meinem Vater und zwei Freunden der Familie.
Mitte der 2000er Jahre, dann schon als Radioredakteur beim ORF (Radio FM4), habe ich mein allererstes Flipperturnier in Wien erlebt. Der ursprüngliche Grund meiner Teilnahme war das Erstellen einer Reportage, doch die Veranstaltung hat auch privat den Grundstein meines Flipperenthusiasmus‘ gelegt. Die Monate und Jahre danach bin ich mit meiner damaligen Partnerin immer wieder in jene Arcade, in der das oben genannte Turnier stattgefunden hat, flippern gegangen. Gespielt haben wir dort an damals noch zeitgenössischen Geräten und heutigen Klassikern wie „Tales of the Arabian Nights“ (1996), „Terminator 3“ (2003) oder – mein damaliger Liebling – „Medieval Madness“ (1998).
Nach ein paar Jahren Pinball-Pause ging es rund ums Jahr 2010 dann so richtig los: Kennenlernen der österreichischen und internationalen Szene, Teilnahme an weiteren Turnieren, das regelmäßige Ausschauhalten nach Flipperhallen und Arcades, immer, wenn man auf Reisen ist. 2012 durfte ich fürs ORF-Fernsehen zwei ausführliche Beiträge über Spielkultur gestalten, wovon einer ausschließlich dem Flippern gewidmet war.
Flipperjournalismus und Pinball Studies
2014 hatte ich das Bedürfnis, außerhalb meiner beruflichen Journalismustätigkeit übers Flippern zu schreiben. Im Herbst diesen Jahres war das Gefäß dafür gefunden: ein Blog namens The Ball is Wild, in dem es vorrangig um Pinball Culture gehen soll, also all jene Aspekte, die meiner Meinung nach in anderen Fachpublikationen weniger oft vorkommen: soziale, gesellschaftliche und (pop)kulturelle Aspekte des Flipperns, eine Perspektive abseits des dominaten Blickwinkels der USA und Kanada, digitales Flippern, und allgemein ungewöhnlichere Geschichten und Gedanken.
In den darauffolgenden Jahren habe ich etwa Stories über ein Flipper-Hotel, eine legendäre Doku aus den 80ern, Silverball-Supertrumpf, Pinball-Geräte auf Modeschauen oder – im Zuge eines zweiwöchigen Schreibworkshops in Portland, Oregon – einen jungen Flipperspieler geschrieben und veröffentlicht. All diese Texte (in Englisch) sind mittlerweile im Archiv von The Ball is Wild versammelt.
Diesen Artikel hier tippe ich gerade aus meiner temporären Heimat in Montreal, Quebec, wo ich meine Flipperbegeisterung nun sogar auf eine akademische Ebene bringen darf. Hier bin ich auf Bildungsauszeit und habe die Freude, auf der Concordia University einen akademischen Essay über das Verhältnis von Glück und Geschicklichkeit beim Flippern zu schreiben. (Dieser Text wird im Herbst fertig und veröffentlicht werden.)
Nebenbei habe ich The Ball is Wild als Newsletter neugestartet und in Zuge dessen auch die Website überarbeitet und aufgefrischt. Meinem alten Prinzip bin ich treu geblieben: Es geht auch im Newsletter um Flipperkultur in unterschiedlichen Ausformungen und um Geschichten, Gedanken und Tipps, die man anderswo nicht ganz so oft sieht, hört und liest. Man muss dafür auch keine Expertenperson sein. Es genügt Interesse und Neugierde für alles, was mit Pinball und Flipper-ähnlichen Spielen zu tun hat.
Rollende Kugeln
Nach circa fünfzehn Jahren durchgehender Flipper-Begeisterung fühle ich weiterhin keine Ermüdungserscheinungen, im Gegenteil: Jedes Jahr habe ich – abseits meiner persönlichen Motivation fürs Spiel und die Kultur drumherum – mehr das Gefühl, dass sich Flippern wieder stärker in die breitere Spiel- und Popkultur ausbreiten wird.
Ein bisschen geduldig sollte man dafür schon sein, aber passieren tut dies tatsächlich – langsam, aber beständig. Gut so, denn Flippern ist ein konstantes Erforschen und Entdecken, für das man sich Zeit nehmen sollte. Als Pinhead zieht man an unterschiedliche Orte und trifft immer wieder nicht bloß unbekannte Geräte, sondern auch neue Gleichgesinnte, denen man fortan zumindest wissend zulächelt und woraus sich manchmal sogar Freundschaften entwickeln.
In diesem Sinne: Let’s keep the silverball rolling!
Flipperst du auch gerne?
Egal, ob physisch am großen Gerät oder praktisch als digitales Spiel oder als Simulation: Flippern bietet ein facettenreiches Vergnügen. Abseits von eingefleischten Fach- und Fanmedien, die ein umfangreiches Vorwissen voraussetzen, wird innerhalb der Spielkultur sonst nicht so oft über Flippern geschrieben und sich ausgetauscht. Deswegen sind wir an euren Geschichten, Anekdoten und Vorlieben rund um die Silberkugel interessiert!
Weiterführende Informationen
- Robert Glashüttners Flipperkultur-Newsletter und -Blog The Ball is Wild
- Pinball-Info-Site Kineticist mit aktuellen Neuigkeiten, Tutorials und mehr
- Witziges, aber auch informatives Punk-Pinball-Magazin Nudge, inklusive Newsletter
- Klassische Flipper-Info-Site Pinball News, u.a. mit ausführlichen Turnier- und Expo-Reportagen
- Deutschsprachige Online-Community flippermarkt.de
- Internationale Weltranglisten-Website IFPA Pinball
Aufmacherbild: Pinball games in Malmö, Sweden, 1989 (Wikipedia, Jonn Leffmann)
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