Auch dank einiger leidenschaftlicher Hobby-Entwickler ist die fast 50 Jahre alte Steinzeit-Konsole Atari 2600 einfach nicht totzukriegen: Warum mich das brandneue Tutankham Arcade förmlich aus den Sandalen haut.
Neulich stampfte mein viel zu groß geratener Teenager-Sohn mal wieder in mein Homeoffice, gewohnt leichtfüßig wie ein Sarkophag – und erwischte mich am Atari 2600. Sein verstörter Blick auf den Röhrenfernseher ließ ahnen, dass gleich erneut einer seiner despektierlichen Sprüche aus der Abteilung „Väter dissen für Fortgeschrittene“ folgen würde. Und siehe da:
„Zockst du wieder auf dieser uralten Konsole, die du 1920 bei Ausgrabungen im Tal der Könige neben Tutanchamuns Totenmaske gefunden hast, gleich hinter dem Kanopengefäß für die Milz?“
Mein Sohn hält sich nämlich für wahnsinnig witzig. Sicher ein Erbfehler mütterlicherseits. Ich blieb diesmal aber cooler als eine Sphinx im Schatten. Immerhin hatte der kleingeistige und von der Playstation 5 verdorbene Ultra-HD-Kulturbarbar lobenswerterweise wenigstens in Geschichte aufgepasst und anhand der ausgezeichnet gezeichneten Grafik sofort erkannt, was da gerade auf meinem Bildschirm abgeht:
Bei Tutankham Arcade tigere ich tatsächlich durch die Pharaonen-Tupperdose des bekanntesten Teenagers der ägyptischen Antike. Ich muss als Grabräuber die Kunstschätze aus vier Labyrinthen mopsen.
Frisch aus der Privatbrauerei
Wir haben hier tatsächlich ein brandneues Spiel für das Atari 2600! Uninformierte mögen es kaum glauben, aber jedes Jahr erscheinen mehrere Dutzend solcher Titel. Produziert in der sogenannten Homebrew-Szene, die Games werden also in der Regel von Hobbyentwicklern quasi zu Hause gebraut.
Dabei übertrifft die Qualität oft sogar die der größten Klassiker, weil die Macher mit Programmierkniffen und Technik arbeiten, wie man sie früher noch nicht kannte. Tutankham Arcade erweist sich als solche Perle.
Ein Spiel mit Mumien, gemacht für eine 70er-Jahre-Mumie wie mich? Das passt wie Faust aufs Auge, Topf auf Deckel und Julius Cäsar in Kleopatra, deshalb dachte ich mir: Diesen Titel muss ich unbedingt vorstellen, weil die Lobby der Freizeit-Game-Designer viel mehr Aufmerksamkeit verdient.
Wie beim Konami-Spielhallenvorbild von 1982 wollen mir bei Tutankham Arcade tödliche Kobras, Geier, Fledermäuse, Greife, Tsetsefliegen und Wurfklingen ans Leder. Die Shuriken made in Egypt verfolgen meinen Plünderer ebenfalls, warum auch immer. Vielleicht spielt ja Kriegsgott Horus irgendwo mit einem Drohnen-Joystick rum.
Natürlich wiederholen sich die vier Levels ständig, notfalls bis zum Ende des ewigen Lebens „Djet“, denn wo kämen wir denn hin, wenn sich eine Spielhallenumsetzung durchspielen ließe? Dafür sind die launig scrollenden Labyrinthe erstaunlich groß. Das müssen sie aber auch sein. Wären die Levels ähnlich übersichtlich wie King Tuts echtes Mumien-Mikroloft, fiele das Abenteuer nämlich recht kurz aus, müsst ihr wissen.

Baumschulen-Indiana-Jones
Und dann sind da noch diese kleinen sadistischen Gameplay-Features, die die Vermutung nahelegen, dass unser Held mit der zweifelhaften Gesinnung nicht gerade bei Dr. Henry Walton Jones Jr. in Ausbildung war: Zum Beispiel kann er nur nach links und rechts schießen. Wird er von oben oder unten attackiert, verliert er deshalb schnell mal eines der zum Start vorhandenen drei Leben.
Zu viel Zeit lassen sollte sich Lars Croft, wie ich mein Alter Ego manchmal liebevoll nenne, auch nicht. Es läuft nämlich ein Countdown. Ist die Zeit um, hat die Pistole plötzlich Ladehemmung, mit Ballern isses dann Essig. Anscheinend rostet das Ding schneller, als in den 80er-Jahren ein Opel E-Kadett, was wirklich was heißen will.
Last not least scheint der Knilch ein Fan des Adventures Adventure. Er will nur einen einzigen Schlüssel tragen. Obwohl er sonst mühelos so viel Geschmeide aus Tutanchamuns postmortaler Singlebude eintütet, dass er selbst für Ramses II. einen befriedigenden Rentenfonds einrichten könnte.
Das mit dem Schlüssel-Problem erweist sich als suboptimal, da an den Notausgängen, die es letztlich lebend zu erreichen gilt, mit steigender Schwierigkeit immer mehr Vorhängeschlösser angebracht sind. Unser Baumschulen-Indiana-Jones muss folglich mehrfach hin und her rennen. Dass Tom Raider, wie ich ihn manchmal auch nenne, immer nur einen Schlüssel nimmt, liegt vielleicht auch daran, dass er sämtliche freie Hosentaschen für bis zu drei Wunderlampen der Marke Aladin reserviert hat.
Sie stellen eine Art Notfall-Schamanismus für Grabräuber auf der Flucht dar: Kurz dran turborubbeln, also zweimal schnell hintereinander den Feuerknopf drücken, und zack, schon ist das Monster-Kabuff komplett leergefegt. Das ungesunde Geschmeiß rückt dann allerdings nach kurzer Zeit aus Teleportern nach. Was Tutankham Arcade aber wiederum enorm spannend und nervenaufreibend macht.

Fetter als in der Spielhalle
Ich könnte nun attestieren, dass Entwickler John Champeau und sein Team von Champ Games eine Top-Umsetzung des Automaten geschaffen haben. Es liegt mir allerdings fern, schamlos zu untertreiben. Tutankham Arcade liefert sogar mehr als die Arcadeversion. Zum Beispiel vier zusätzliche Levels mit sechs weiteren Gegnertypen: Skorpione, Mumien, Ratten, Vipern Schakale und Feuerbälle. Also zusammen quasi fast ein komplettes Brehms Tierleben.
Pussys mit dem Ego einer brüchigen Papyrusrolle freuen sich, dass sich der Grad der Herausforderung in vier Stufen einstellen lässt. Die niedrigste macht selbst aus unfähigen Sargknackern halbwegs taugliche Fachkräfte.
Ältere Herrschaften mit prekärem Harndrang wissen indes zu schätzen, dass der Schwarz/Weiß-Schalter nicht alles in ein tristes Grau taucht, wie wir es bei Videospielen vor Christi Geburt gewöhnlich erlebten, sondern eine Pausenfunktion aktiviert.

Tutankham sah und siegte
Wenn ich mir die erste Atari-2600-Portierung von Tutankham von 1983 vor Augen und Ohren führe, kann ich nur hart urteilen: Die wirkt im Vergleich zur Neufassung trauriger als ein Fünfjähriger bei der Einbalsamierung seines Hamsters. Tutankham Arcade kredenzt sogar die aus der Spielhalle bekannte Minikarte als Orientierungshilfe. Hätte ich so was mal, wenn mich meine Frau mal wieder im IKEA alleine lässt!

Grafik top, Sound top, Steuerung top – und der Highscore-Charakter motiviert ohne Ende. So entsteht fast eine rituelle Zeremonie: eine Runde, noch eine, noch eine, noch eine … bis Totengott Osiris dich holt. Auch wenn die ganze Pracht nur durch einen zusätzlichen ARM-Mikrochip im Modul möglich wird, ist es atemberaubend, dass ein solches Spiel auf einer Konsole läuft, in der nur Technik aus dem Jahr 1977 werkelt.
Retroliebe ist etwas Wunderbares. Mit einer Brille von Nostalfielmann sieht der graue Alltag viel rosafarbener aus. Aber auf einer alten Konsole etwas Neues zu erleben, sprüht das Sahnehäubchen obendrauf.
Vēnit, vīdit, vīcit – Tutankham sah und siegte. Deshalb verleihe ich John Champeau den Goldenen Ankh-Orden am Bande. Beim Festakt werde ich sagen: Von jetzt an, John Champeau, sollst du genannt werden John Chapeau, was so viel heißt wie John Chapeau!
Live und in Farbe!
Tutankham Arcade gibt es zum Download für 15 US-Dollar, als Modul mit gedruckter Anleitung (50 US-Dollar) oder in einer schmucken Box, der zusätzlich ein Poster beiliegt (60 US-Dollar). Auf der Hersteller-Webseite findet ihr zudem eine kostenlose Demo.
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