Tutankham Arcade: Lars Croft und die Pyramide des Todes

Lesedauer: 4 Minuten

Auch dank einiger leidenschaftlicher Hobby-Entwickler ist die fast 50 Jahre alte Steinzeit-Konsole Atari 2600 einfach nicht totzukriegen: Warum mich das brandneue Tutankham Arcade förmlich aus den Sandalen haut.

Neulich stampfte mein viel zu groß geratener Teenager-Sohn mal wieder in mein Homeoffice, gewohnt leichtfüßig wie ein Sarkophag – und erwischte mich am Atari 2600. Sein verstörter Blick auf den Röhrenfernseher ließ ahnen, dass gleich erneut einer seiner despektierlichen Sprüche aus der Abteilung „Väter dissen für Fortgeschrittene“ folgen würde. Und siehe da:

„Zockst du wieder auf dieser uralten Konsole, die du 1920 bei Ausgrabungen im Tal der Könige neben Tutanchamuns Totenmaske gefunden hast, gleich hinter dem Kanopengefäß für die Milz?“

Mein Sohn hält sich nämlich für wahnsinnig witzig. Sicher ein Erbfehler mütterlicherseits. Ich blieb diesmal aber cooler als eine Sphinx im Schatten. Immerhin hatte der kleingeistige und von der Playstation 5 verdorbene Ultra-HD-Kulturbarbar lobenswerterweise wenigstens in Geschichte aufgepasst und anhand der ausgezeichnet gezeichneten Grafik sofort erkannt, was da gerade auf meinem Bildschirm abgeht:

Bei Tutankham Arcade tigere ich tatsächlich durch die Pharaonen-Tupperdose des bekanntesten Teenagers der ägyptischen Antike. Ich muss als Grabräuber die Kunstschätze aus vier Labyrinthen mopsen.

Frisch aus der Privatbrauerei

Wir haben hier tatsächlich ein brandneues Spiel für das Atari 2600! Uninformierte mögen es kaum glauben, aber jedes Jahr erscheinen mehrere Dutzend solcher Titel. Produziert in der sogenannten Homebrew-Szene, die Games werden also in der Regel von Hobbyentwicklern quasi zu Hause gebraut.

Dabei übertrifft die Qualität oft sogar die der größten Klassiker, weil die Macher mit Programmierkniffen und Technik arbeiten, wie man sie früher noch nicht kannte. Tutankham Arcade erweist sich als solche Perle.

Ein Spiel mit Mumien, gemacht für eine 70er-Jahre-Mumie wie mich? Das passt wie Faust aufs Auge, Topf auf Deckel und Julius Cäsar in Kleopatra, deshalb dachte ich mir: Diesen Titel muss ich unbedingt vorstellen, weil die Lobby der Freizeit-Game-Designer viel mehr Aufmerksamkeit verdient.

Wie beim Konami-Spielhallenvorbild von 1982 wollen mir bei Tutankham Arcade tödliche Kobras, Geier, Fledermäuse, Greife, Tsetsefliegen und Wurfklingen ans Leder. Die Shuriken made in Egypt verfolgen meinen Plünderer ebenfalls, warum auch immer. Vielleicht spielt ja Kriegsgott Horus irgendwo mit einem Drohnen-Joystick rum.

Natürlich wiederholen sich die vier Levels ständig, notfalls bis zum Ende des ewigen Lebens „Djet“, denn wo kämen wir denn hin, wenn sich eine Spielhallenumsetzung durchspielen ließe? Dafür sind die launig scrollenden Labyrinthe erstaunlich groß. Das müssen sie aber auch sein. Wären die Levels ähnlich übersichtlich wie King Tuts echtes Mumien-Mikroloft, fiele das Abenteuer nämlich recht kurz aus, müsst ihr wissen.

Bei Tutankham Arcade ist mächtig was los: In dieser Szene killt der Held gerade ein Monster. Unterhalb von ihm lauern aber noch drei Drachen und eine Kobra.
Bei Tutankham Arcade ist mächtig was los: In dieser Szene killt der Held gerade ein Monster. Unterhalb von ihm lauern aber noch drei Drachen und eine Kobra.

Baumschulen-Indiana-Jones

Und dann sind da noch diese kleinen sadistischen Gameplay-Features, die die Vermutung nahelegen, dass unser Held mit der zweifelhaften Gesinnung nicht gerade bei Dr. Henry Walton Jones Jr. in Ausbildung war: Zum Beispiel kann er nur nach links und rechts schießen. Wird er von oben oder unten attackiert, verliert er deshalb schnell mal eines der zum Start vorhandenen drei Leben.

Zu viel Zeit lassen sollte sich Lars Croft, wie ich mein Alter Ego manchmal liebevoll nenne, auch nicht. Es läuft nämlich ein Countdown. Ist die Zeit um, hat die Pistole plötzlich Ladehemmung, mit Ballern isses dann Essig. Anscheinend rostet das Ding schneller, als in den 80er-Jahren ein Opel E-Kadett, was wirklich was heißen will.

Last not least scheint der Knilch ein Fan des Adventures Adventure. Er will nur einen einzigen Schlüssel tragen. Obwohl er sonst mühelos so viel Geschmeide aus Tutanchamuns postmortaler Singlebude eintütet, dass er selbst für Ramses II. einen befriedigenden Rentenfonds einrichten könnte.

Das mit dem Schlüssel-Problem erweist sich als suboptimal, da an den Notausgängen, die es letztlich lebend zu erreichen gilt, mit steigender Schwierigkeit immer mehr Vorhängeschlösser angebracht sind. Unser Baumschulen-Indiana-Jones muss folglich mehrfach hin und her rennen. Dass Tom Raider, wie ich ihn manchmal auch nenne, immer nur einen Schlüssel nimmt, liegt vielleicht auch daran, dass er sämtliche freie Hosentaschen für bis zu drei Wunderlampen der Marke Aladin reserviert hat.

Sie stellen eine Art Notfall-Schamanismus für Grabräuber auf der Flucht dar: Kurz dran turborubbeln, also zweimal schnell hintereinander den Feuerknopf drücken, und zack, schon ist das Monster-Kabuff komplett leergefegt. Das ungesunde Geschmeiß rückt dann allerdings nach kurzer Zeit aus Teleportern nach. Was Tutankham Arcade aber wiederum enorm spannend und nervenaufreibend macht.

In der Anleitung werden die aus der Spielhallenversion bekannten sieben Standardgegner und die zusätzlichen Monster (rechts) vorgestellt. Die tummeln sich in vier Bonuslevels.
In der Anleitung werden die aus der Spielhallenversion bekannten sieben Standardgegner und die zusätzlichen Monster (rechts) vorgestellt. Die tummeln sich in vier Bonuslevels.

Fetter als in der Spielhalle

Ich könnte nun attestieren, dass Entwickler John Champeau und sein Team von Champ Games eine Top-Umsetzung des Automaten geschaffen haben. Es liegt mir allerdings fern, schamlos zu untertreiben. Tutankham Arcade liefert sogar mehr als die Arcadeversion. Zum Beispiel vier zusätzliche Levels mit sechs weiteren Gegnertypen: Skorpione, Mumien, Ratten, Vipern Schakale und Feuerbälle. Also zusammen quasi fast ein komplettes Brehms Tierleben.

Pussys mit dem Ego einer brüchigen Papyrusrolle freuen sich, dass sich der Grad der Herausforderung in vier Stufen einstellen lässt. Die niedrigste macht selbst aus unfähigen Sargknackern halbwegs taugliche Fachkräfte.

Ältere Herrschaften mit prekärem Harndrang wissen indes zu schätzen, dass der Schwarz/Weiß-Schalter nicht alles in ein tristes Grau taucht, wie wir es bei Videospielen vor Christi Geburt gewöhnlich erlebten, sondern eine Pausenfunktion aktiviert.

Unser pummeliger Grabräuber hat sich einen Schlüssel geschnappt und öffnet gleich eine Tür. Als nächstes will er die Krone eintüten, der Schakal rechts hat sicher was dagegen.
Unser pummeliger Grabräuber hat sich einen Schlüssel geschnappt und öffnet gleich eine Tür. Als nächstes will er die Krone eintüten, der Schakal rechts hat sicher was dagegen.

Tutankham sah und siegte

Wenn ich mir die erste Atari-2600-Portierung von Tutankham von 1983 vor Augen und Ohren führe, kann ich nur hart urteilen: Die wirkt im Vergleich zur Neufassung trauriger als ein Fünfjähriger bei der Einbalsamierung seines Hamsters. Tutankham Arcade kredenzt sogar die aus der Spielhalle bekannte Minikarte als Orientierungshilfe. Hätte ich so was mal, wenn mich meine Frau mal wieder im IKEA alleine lässt!

Der direkte Vergleich mit dem ersten Atari-26000-Tutankham schmerzt: Das Spiel war nicht schlecht und hatte Charme – allerdings nur etwas mehr als eine Excel-Tabelle.
Der direkte Vergleich mit dem ersten Atari-26000-Tutankham schmerzt: Das Spiel war nicht schlecht und hatte Charme – allerdings nur etwas mehr als eine Excel-Tabelle.

Grafik top, Sound top, Steuerung top – und der Highscore-Charakter motiviert ohne Ende. So entsteht fast eine rituelle Zeremonie: eine Runde, noch eine, noch eine, noch eine … bis Totengott Osiris dich holt. Auch wenn die ganze Pracht nur durch einen zusätzlichen ARM-Mikrochip im Modul möglich wird, ist es atemberaubend, dass ein solches Spiel auf einer Konsole läuft, in der nur Technik aus dem Jahr 1977 werkelt.

Retroliebe ist etwas Wunderbares. Mit einer Brille von Nostalfielmann sieht der graue Alltag viel rosafarbener aus. Aber auf einer alten Konsole etwas Neues zu erleben, sprüht das Sahnehäubchen obendrauf.

Vēnit, vīdit, vīcit – Tutankham sah und siegte. Deshalb verleihe ich John Champeau den Goldenen Ankh-Orden am Bande. Beim Festakt werde ich sagen: Von jetzt an, John Champeau, sollst du genannt werden John Chapeau, was so viel heißt wie John Chapeau!

Live und in Farbe!

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Mehr Informationen

Tutankham Arcade gibt es zum Download für 15 US-Dollar, als Modul mit gedruckter Anleitung (50 US-Dollar) oder in einer schmucken Box, der zusätzlich ein Poster beiliegt (60 US-Dollar). Auf der Hersteller-Webseite findet ihr zudem eine kostenlose Demo.


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Bastian RuehlAlexander StrellenTobiThorsten WeiskopfDirk BockstegersAndré Eymann

11 Antworten zu „Tutankham Arcade: Lars Croft und die Pyramide des Todes“

  1. Avatar von Andrea/Kadomi
    Andrea/Kadomi

    Wie witzig, ich habe heute in einem Anflug an Nostalgie nämlich genau nach Tutankham gesucht. Es war 1984, und in meiner Schulklasse hatten ganz viele Kinder Pacman als Handhelds. Habe ich mir natürlich zu Weihnachten gewünscht. Bekommen habe ich aber nicht Pacman, sondern die Bandai Version von Tutankham. Das war viel besser als Pacman, aber so ganz klar war mir das damals nicht. Ich hab’s ganz schön durchgesuchtet.

  2. Avatar von Alexander Strellen

    Toll das hier ein Spiel aus der Homebrew-Szene vorgestellt wird. Da gibt es viele tolle Spiele zu entdecken, über die leider selten berichtet wird. Sei es für den Atari 2600, den ZX Spectrum oder den C-64. Hier könnte man jedes System der letzten Jahre erwähnen. Die Entwickler leisten tolle Beiträge und die Computer&Konsolen leben weiter.

    1. Avatar von Harald Fränkel

      Ich habe aktuell noch einen Artikel in Arbeit, in dessen Rahmen ich noch zehn weitere 1a-Homebrew-Spiele fürs Atari 2600 vorstelle. Stay tuned …

      Alexander Strellen
  3. Avatar von Paul Hartmann
    Paul Hartmann

    Als ich deine Geschichte über deine Schatzjagd in King Tut’s Pyramide las, war ich ganz in meiner eigenen Story und dennoch völlig bei dir.

    Die erste Version von Parker ca. aus dem Jahr 1982 mit ihrem geradezu magischen Cover hatte mich gnadenlos in ihren Bann gezogen. Das alte Tutankham ist eines der vertracktesten Games aller Zeiten und hat wohl die grausamste Farbpalette, die man sich wohl nur nach einem Alptraum ausdenken kann.

    Dennoch war es pure Magie und Langzeitmotivation für mich und erst vor 2 oder 3 Jahren gelang es mir endlich, nach nur vier schlappen Jahrzehnten in Level 4 vorzudringen… der sich dann o‘ Wunder als bisher unüberwindbar für mich erwiesen hat.

    Die neue „Champ“ Version ist ein Wunderwerk der Programmierkunst, viel leichter zugänglich und lässt das Arcadespiel wie eine durch Beschwörungen erweckte Mumie neu auferstehen.

    Deine Erlebnisse mit Game und deinem „samtpfotigen“ Sohn habe ich sehr genossen. Du schreibst einzigartig, informativ, immer unterhaltsam und man ist bei dir immer Mittendrin im Geschehen.

    Mein Tipp: Besorge dir, falls noch nicht geschehen, auch einmal die alte Parker Version als Cartridge für ca. 10 Euro und dann fordere mal deinen Sohn heraus, wer mehr Punkte holt… Einen Tag wird er dann brav sein 😉

    Was mich noch interessieren würde, spielst du mit Modul auf einem alten Atari oder das File auf einem upgedateten 2600+ oder 7800+?

    Vielen Dank für deine beiden tollen Atari Artikel, die mir zeigen, 🫵 ich bin nur der vorletzte Atari-Fan-Grufti und vielleicht treffen wir uns auf unserer nächsten virtuellen Ägyptenreise in einer der Katakomben zur Schatzjagd…

    1. Avatar von Harald Fränkel

      Danke für deinen netten Kommentar! Ich spiele in der Regel mit Modul auf einem Original-Atari-2600, das AV-gemoddet ist, damit ich gute Bilder und Videos machen kann. Für ROMs nutze ich die Harmony Cartridge.

  4. Avatar von Thorsten Weiskopf

    Ich bin Fanboy! Das Spiel klingt so unglaublich perfekt für zwischendurch wie dein Artikel. Vielen Dank fürs teilen.

    1. Avatar von Harald Fränkel

      Danke für die positive Rückmeldung, wünsche einen schönen Sonntag!

  5. Avatar von André Eymann

    Chapeau (TM) Harald! Was für ein launiger und punktgenauer Beitrag! Mal ganz abgesehen vom Inhalt und der Tatsache, dass hier scheinbar wirklich ein sehr gelungenes Spiel abgeliefert wurde muss ich noch auf einen ganz anderen Punkt abzielen.

    Denn ich wünschte es würden mehr Menschen schreiben wie Du! Vor allen Dingen im sogenannten Games-Journalismus verstauben so manche Texte im Akademischen und langweilen mich zu Tode. Spiele sind Unterhaltung und unterhaltende Texte zu Spielen passen wie … sagen wir mal Deckel auf Topf. Bei Dir ist es wie mit einer Tüte Chips, im Guten, man kann nicht aufhören zu lesen und am Ende ist man einfach glücklich. Inklusive Nachhall im Kopf.

    Danke für Deinen Beitrag und danke auch, dass Du mir Hoffnung gibst, dass Schreiben so viel mehr sein kann als das faktische Aneinanderreihen von Worten.

    Gern bis zum nächsten Mal!

    1. Avatar von Harald Fränkel

      Vielen Dank, das tut gut, zu lesen. Außerdem ist es spannend, weil ich auch immer wieder höre, dass Leute mit meinen Texten so NULL anfangen können. 🙂

  6. Avatar von Sven Pieloth

    Das gute alte Atari 2600. Leider habe ich diese Konsole erst gegen Ende der 80er so richtig mitbekommen. Sie war die erste Konsole die wir uns als ‚Familien-Spielgerät‘, wie sie von meiner meine Mutter genannt wurde, nach Hause geholt hatten. Damals aus der Quelle ‚Fundgrube‘. Noch vor dem NES und meiner ersten großen Liebe den GameBoy.

    Das heute noch regelmäßig neue Homebrew-Games für sie erscheint, ist eine super Sache. Ich liebe diese Szene einfach.

    Tutankham sieht tatsächlich sehr spaßig aus. Da kann auch dein „viel zu groß geratener“ Sohn nichts dagegen sagen. Spielspaß pur. Das worum es gehen sollte. Danke für den Tipp und danke für diesen minzig-frischem Artikel.

    Dirk BockstegersAndré Eymann
    1. Avatar von André Eymann

      Das Atari 2600 (oder VCS, wie wir Altsiebziger sagen) ist eine wahre Fundgrube an Spiele-Konzepten. Es wurden so viele gute Idee umgesetzt und so unfassbar krasse Titel auf dieser Plattform ins Konsolen-Leben gerufen. Als Primärbeispiel gebe ich immer Pitfall! vom guten David Crane an. Dieses Spiel ist so ikonisch, als würden man zum ersten Mal in einen Farb-TV schauen. Einfach fantastisch. Man kann es nicht vergessen.

      Oft frage ich mich, wer auf den ganzen Lizenzen sitzt. Denn ich bin überzeugt: so manches neues Spiel (oder wie man heute sagt: IP) könnte man damit auf die Beine stellen. Das Potential ist vorhanden.

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