Hinweis: Dieser Beitrag enthält Spoiler für Deadly Premonition 1/2.
Von den beiden Zahlen tragenden japanischen Videospiel Autoren ist der Schöpfer der beiden Deadly Premonition Spiele, Hidetaka Suehiro, oder auch Swery65 zweifellos der unbekanntere. Sein Pendant, Goichi Suda oder Suda51 und sein Studio „Grasshopper Manufacture“ gelangten im Westen schon längst über Titel wie No More Heroes oder Killer 7 zu einigem Ruhm, als 2010 Swerys Deadly Premonition nach einiger Zeit in den Untiefen der Entwicklungshölle schließlich das Licht der Welt erblickte.
IGN empfing es mit einer Wertung von 20/100, aber andere zeigten sich deutlich gnädiger und so wurde Deadly Premonition zu eines der am kontroversesten bewerteten Videospiele aller Zeiten. Danach dauerte es nicht lange bis es sein Publikum fand und zu Kultstatus erhoben wurde.
Denn das gnadenlose Referenzieren von „Twin Peaks“, Punk Bands und Filmtiteln gepaart mit einer tatsächlich spannenden Kriminalgeschichte besitzt hypnotischen Charme.
Dabei ist es unglaublich schwer, die traumartigen Qualitäten von David Lynchs Twin Peaks von einem passiven Medium in ein Interaktives zu übersetzen und Swery schaffte das vor allem mit Hilfe seltsamen Gamedesigns und anderen Eigenheiten.
Unter anderem besteht das Sounddesign fast vollständig aus Effekten, die sich anhören, als kämen sie direkt aus den von Protagonist Francis Morgan zitierten B-Movies. Doch vor allem das gerade noch so am Ende der Entwicklung reingecrunchte Kampfsystem lässt einen an der Realität zweifeln: Es ist großartig!
Dadurch entsteht genau die Art Magie, die zum Erreichen des Kult-Status nötig ist.
Ob Auto oder Schusswaffen, nichts fühlt sich so an, wie es sollte, oder wie man es gewohnt ist. Eher, als wäre Morgan meine schwerhörige Großmutter, der ich versuche verbale Anweisungen zu erteilen, die sie dann mit absoluter Verve umsetzt – obwohl sie nur circa 30% verstanden hat.

Das ist im Kontext normaler Spiele absolut nicht “gut” zu nennen.
Aber Deadly Premonition ist kein normales Spiel und hier ist es perfekt.
Die Fahrzeug-Steuerung in Deadly Premonition muss nicht „gut“ sein, sie muss zu einer Stimmung beitragen, die das Spiel versucht in mir zu erzeugen.
Ich liebe das. Denn es zeigt das narrative Potenzial auf, das darin steckt, sich komplett auf ein Videospiel einzulassen, ihm auf Augenhöhe zu begegnen und auf anderen Wegen Immersion zu erreichen, als durch klassische Kanäle wie beispielsweise grafischen Fotorealismus.
So einzigartig und charmant dieser Mix ist so undankbar ist er als Vorlage für einen Nachfolger.
„Deadly Premonition 2 – A blessing in disguise“ erschien 10 Jahre nach seinem Vorgänger und erzählt die Geschichte von FBI Special Agent Francis Morgan zu Ende.
Anstatt in einer Kleinstadt in den Bergen befinden wir uns jetzt in einer Kleinstadt in Louisiana mit dem Namen Le Carré.
Der Vibe schlägt zusätzlich zu Twin Peaks jetzt auch noch True Detective Töne an und anstatt eines Autos besitzen wir ein Skateboard, das sich mit Hilfe von Voodoo auf quasi Lichtgeschwindigkeit tunen lässt. Es gibt wieder Minispiele wie Bowling und eine Sumpftour auf einem Sumpfboot, Steine auf dem Mississippi hüpfen lassen und einen Skateboardkurs. Diese wurden genauso wie das Kampfsystem verbessert und genau da liegt mein Problem.
Es ist einfach nicht mehr mies genug
Es hat glitzernde neue Systeme wie das furchtbare Crafting, dessen Boni schnell derart overpowered werden, sodass meist ein einziges Upgrade reicht um Bosse umzupflügen.
Die sind jetzt verdarksoulst, haben einen Gesundheitsbalken und bewohnen große, runde Arenen. Vorbei sind auch die Zeiten des realistischen Waffenarsenals vollkommen absurden Verhaltens. Statt MP5 und Konsorten besitzt Morgan jetzt eine unglaublich coole Knochen-Geäst-Fingerpistole, die sich präzise und schnell auf Gegner richten lässt. Sogar eine Spezialfähigkeit ist vorhanden, die zielsuchende Energie auf Gegner verfeuert.

All diese kleinen Lebensqualität Verbessernden Maßnahmen verlagern aber die Absurdität von etwas taktilem, etwas fühlbarem zu etwas kognitiverem. Mein Handeln fühlt sich nicht mehr absurd an, sondern vielmehr ist das Nachdenken über die Handlung selbst der Quell des Absurden.
Anstatt mich mehr mit dem Spiel zu verbinden, werde ich jetzt mehr von ihm entkoppelt.
Verdächtigerweise passt das allerdings ganz gut zum Spiel, da man diesen Bruch auch in seiner Geschichte findet.
Denn das gesamte Gameplay findet in einem Rückblick, erzählt von Francis Morgan, statt.
Sein Publikum besteht aus zwei FBI Agenten, die ihn verdächtigen, anstatt die beiden Fälle gelöst zu haben, vielmehr der Täter zu sein.
Dabei steuern wir das Gespräch aus der Sichtweise der jungen Agentin Aaliyah Davis, die Morgan verdächtigt, die seltsamen Vorkommnisse in seinen Berichten nur erfunden zu haben, um sich selbst als Täter zu decken.
Zurück in Le Carré keimt diese Saat des Zweifels, dann langsam, während man auf der Suche nach Killerbienen durch das Städtchen skatet.
Spiele ich hier gerade eine erlogene Geschichte nach? Warum bringt es mir +5 Skateboard Speed, wenn ich irgendwelche Kettchen dran hänge? Kann man einen Alligator wirklich mit Gummigeschossen erlegen? Lebt der Prophezeiungen speiende Voodoo-Priester Houngan tatsächlich hinter sich spiegelnden Oberflächen?
Ist diese Transformation der Quelle des Absurden Absicht, ist Swery meiner Meinung nach ein Genie und ich werde ihm einen Schrein errichten, den ich dann auch mit Kettchen behänge.
Aber leider gibt es da einen riesigen Haken an der Sache.
Verdammt: Ich bin ein Videospiel
Es handelt sich nach wie vor um ein Videospiel und bei aller kognitiver Absurdität ist es wichtig, das Interaktive nicht zu vernachlässigen.
Durch das unvollständige Bergen des Gameplays aus dem Marianengraben der Qualität geht nämlich der ganze Spaß flöten.
Während ich beim Vorgänger das Gefühl hatte, mit dem Spiel zusammen über sein Gameplay lachen zu können und es dadurch erträglich zu machen, verliert der zweite Teil diesen Charme durch sein Mittelmaß. Denn durch seine Funktionalität fallen mir nun Dinge auf, die mir vorher egal gewesen wären.
Die Schwierigkeit ist beispielsweise viel zu niedrig, häufig habe ich auf „normal“ nur einen Schuss für Gegner gebraucht. Normalerweise würde das bei mir in einer sofortigen Anhebung des Schwierigkeitsgrades resultieren, aber der Gedanke deshalb das leere Le Carré nach raren Crafting Materialien durchforsten zu müssen, jagte mir einen Schauer über den Rücken.

Während der ganze mechanische Wahnsinn des ersten Teils häufig zu Survival Horror Momenten á la „WARUM STIRBT DAS VERDAMMTE DING NICHT AAAAAAARGHHH“ führte, während man aus der glorreichen Maschinenpistole – die über mehr BRRRT verfügt als die Gatlings in Armored Core 6 – gefühlte 50.000 Headshots per Minute in den Gegner geblasen hat.
Der Schluss liegt nahe, es handele sich bei Deadly Premonition 2 auch nicht mehr um ein Survival Horror Spiel, weshalb diese Elemente bewusst unauffindbar sind. Aber daraus resultiert dann die Frage: Was für ein Spiel ist es überhaupt?
Teil Visual Novel, Teil (quasi) Railshooter, Teil Bethesda Fetchquest Simulator mit Lego Island 2 Skateboard Physik entzieht es sich erfolgreich den Anforderungen enger Genre Korsetts. Aber es ist halt zu viel. Zu viel für das Team. Zu viel für die Nintendo Switch, deren Rechenleistung die gähnende Leere auf Le Carrés Straßen zu verantworten hat. Im Endeffekt fühlt es sich an, als ob man für den Selbstmach-Pizza Abend zu wenig Käse gekauft hat und in hungrige Augen blickend die Lippen schürzt und versucht die letzten traurigen, schon leicht trockenen Krümel so zu arrangieren, dass möglichst wenig rot hindurchscheint.
Hier scheint extrem viel rot hindurch.
Und damit bleibt der zweite Teil diese intensiven Momente aus dem Vorgänger schuldig und all die Zweifel, über Morgans Glaubwürdigkeit und die Entfaltung einer meta Narrative verpuffen in’s Leere, weil das eigentliche Gameplay so unglaublich freudlos ist, dass meine positiven Erinnerungen und Erfahrungen mit dem Spiel von dieser Tristesse überlagert werden.
Mund abputzen – weitermachen
Dennoch bereue ich meine Zeit mit Deadly Premonition 2 nicht.
Im Gegenteil, in den Momenten, in denen man mit anderen Menschen interagiert (und die einen Großteil des Spiels ausmachen), brilliert das Spiel häufig und es führt Francis Morgans Geschichte zu einem zufriedenstellenden Ende.
Zwar lässt es mich lange nicht so verwirrt und schon gar nicht euphorisiert zurück, wie der erste Teil. Eher im kompletten Gegenteil. Aber dafür ist es auch ein Abschiedsspiel, denn einen weiteren Teil wird es höchstwahrscheinlich nicht geben.
Und dazu passt die Melancholie dann wieder.
Permalink: https://www.videospielgeschichten.de/deadly-premonition-2-und-die-melancholie-des-mittelmasses/
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