Es ist kurz vor sechs Uhr abends. Langsam aber sicher legt sich die Dunkelheit über Seattle. In den Pfützen auf Straße und Gehweg spiegeln sich die Lichter der Stadt: Straßenbeleuchtung, Neonreklame, Abblendlichter und eine herrlich warme Beleuchtung, welche aus dem Schaufenster meines Nachtcafés den Gehweg beleuchtet.
Genau der richtige Zeitpunkt für mein Café, denke ich bei mir, während ich mit einem Schmunzeln Mühle und Kaffeemaschine einschalte. Ich wische noch einmal über den Tresen, dimme das Licht etwas, überprüfe alle Zutaten und starte meine Lieblings-Playlist. Seattle ist schon eine faszinierende Stadt. Eine Stadt wie keine Andere. Der perfekte Ort für mein Café. Ich kann mir nicht vorstellen, dass es einen anderen Ort gibt, an dem es so interessante Gäste gibt wie hier.
Als ich gerade auf meinem Brewpad das Profil einer meiner Stammgäste checken will, bimmelt auch schon die Klingel der Eingangstür und mein erster Gast kommt herein. Ich kenne sie, Espresso-Junkie, etwas schüchtern, angehende Autorin und viel zu selbstkritisch. Ich höre ihr zu und wie immer urteile ich nicht. Zuhören, mir Mühe geben beim Zubereiten Ihres Getränkes, alleine das scheint bereits genug, um Ihr ein gutes Gefühl zu geben – und das macht mich glücklich.

Hier ist jeder Willkommen. Egal ob Mensch, Elfe, Geschöpf der Nacht oder Unirdisch. Jeder bekommt einen Platz in meinem Café, ein von Hand und mit Liebe zubereitetes Heiß- oder Kaltgetränk der Wahl und ein offenes Ohr. Ich bekomme so allerhand Geschichten mit. Manchmal nehme ich die Geschichten ein kleines bisschen in meinen Gedanken mit, doch meistens bleiben sie im Café und wollen genau dort weiter erzählt, gelöst oder abgeschlossen werden.
Ich erinnere mich an Jorij den Cop der so manche Pause seiner Nachtschicht hier verbracht hat. An Gala den Werwolf der sich wahrlich keinen leichten Beruf für seine Gattung ausgesucht hat. Ich bewundere seinen Eifer. Aber auch an die Geschichte einer verbotenen Liebe und den Beginn neuer Freundschaften wie beispielsweise die zwischen Myrtle dem Ork und Aqua der Meerjungfrau. Neil, den Außerirdischen dem es unbegreiflich ist, wieso wir Plastikstrohalme nutzen, wo dies doch eindeutig die Umwelt schädigt.
Sie alle erleben das Leben auf ihre eigene Weise, doch sie alle vereint der Wunsch nach einem Ort der Ruhe und Gelassenheit sowie einem mit Hingabe zubereiteten Getränk. Dies ist es, was ich ihnen biete, und dabei ganz nebenbei mein eigenes Bedürfnis nach Gastfreundschaft und Gesellschaft befriedige.

Der Nacht bleibt ruhig. Jorij genoss seinen Kaffee und Neil tauchte mal wieder seinen Finger in die Tasse.
Während ich die Tür schließe und das Licht ausknipse, wird mir wieder bewusst warum ich das hier mache: Mein Café ist ein Ort der Ruhe, ein urteilsfreier Raum, ein Ort für gute Getränke in dem alles passieren kann – aber nichts passieren muss.
Ich freue mich, Dich als nächstes als meinen Gast oder meine Aushilfe begrüßen zu dürfen.
Im Café “Coffee Talk”
In Erinnerung an Mohammad Fahmi Hasni (Co-Creator und Author von Coffee Talk)
9 Kommentare