Mea culpa, Kingdom Come Deliverance

Von Yannic Borchert am
Kommentiert von: Amon, Aurelia, Lenny, Yannic Hertel, Jan Heinemann
Videospielgeschichten lebt durch Unterstützung! Wenn dir unsere Beiträge gefallen, überlege doch bitte ob du unseren Blog fördern kannst. Durch deine Hilfe stellst du sicher, dass Videospielgeschichten weiterleben kann und die unabhängige Medienwelt bunt bleibt!

Ein Kommentar

Was wurde in den letzten Monaten nicht alles über Kingdom Come Deliverance geschrieben. Ein tolles Rollenspiel prognostizierten einige Spielejournalisten um die anbrandende Hypewelle, die sie nicht zuletzt seit Jahren selbst unterfüttert hatten, weiter aufzubauschen. Das Werk eines bekennenden Nazis und somit de facto eine neurechte Vorurteils- und Hassschleuder, kommentierte indes Jan Heinemann in einem Blogpost und löste damit – nicht zuletzt dank eines nicht weniger empörten Retweets von Robin Schweiger – eine Lawine an Rechtfertigungsversuchen seitens der Spielepresse und nicht zuletzt sogar eine Klarstellung des Chefentwicklers Daniel Vávra aus.

Zugleich lamentiert eine lautstarke Minderheit an Spielern, man solle Politik aus Spielen heraushalten, applaudieren jedoch zeitgleich lautstark, da man in Kingdom Come Deliverance endlich mal wieder ein »echter Kerl« sein konnte. Gestrichene Kickstarter Goals, wie die Möglichkeit eine Frau zu spielen, wurden nicht zuletzt damit lächerlich gemacht, dass man – wie in einigen Kommentarspalten zu lesen war – als Frau im Mittelalter ja sowieso nichts Vernünftiges hätte anstellen können. Außer zu putzen oder als Hexe verbrannt zu werden, versteht sich. Das Frauen durchaus an Macht und Stellung gelangen konnten – wenngleich auch meist nur an der Seite (gegebenenfalls über die Leiche) eines Ehemanns oder im Kloster, wird dabei ebenso außer Acht gelassen wie die Tatsache, dass im Mittelalter vor allem eines galt: Wer von niederem Stand war, arm und ohne mächtige Verwandte, dem blieben Aufstiegsmöglichkeiten meist versagt, egal welches Geschlecht er hatte. Und jetzt soll man in einem DLC doch die Möglichkeit bekommen, als Frau zu spielen.

Genau diese Ambivalenz, die Problematik die das Erheben von »Authentizität« mit sich bringt, wurde unter anderem dank Heinemann in vielen Podcasts und Redaktionen öffentlich besprochen. Wenngleich man Heinemann in seinem Beitrag durchaus das Fehlen jeglicher journalistischer Distanz und Objektivität vorwerfen und die Wortwahl kritisieren kann, so ist sein Verdienst um dieses Thema nicht wegzudiskutieren.

Zugleich könnte man Heinemann vorhalten, Kingdom Come Deliverance durch die Kritik, wenige Wochen vor Release, noch mal einen besonderen Spin gegeben zu haben. Während diejenigen, die sowieso empathisch auf die vorgebrachten Probleme (mögliche Geschichtsfälschung, verklärte Nostalgie, Alpha-male usw.) anschlugen, sich entweder kritisch mit dem Spiel auseinandersetzten oder gleich ganz abwandten, sprangen zeitgleich dutzende Personen (vor allem junge Männer) auf das Spiel und versicherten es gerade DESWEGEN zu kaufen, da die »ganzen Linken« so gegen das Spiel wetterten.

Man darf vermuten, dass Kingdom Come, trotz jahrelanger Vorberichterstattung unter anderem von der Game Star, keine derartig große Aufmerksamkeit erlangt hätte, wäre das Spiel nicht Objekt dieses Diskurses gewesen.

Dabei schoss sich Kingdom Come von Anfang an selbst ins Bein – das Spiel war zu Beginn von Bugs gebeutelt, die Kickstarter Baker bekamen ihre versprochenen Belohnungen nicht vollends und es wurde sogar zugegeben, dass man kein Interesse daran hätte, dies noch nachzuholen. Das unausgegorene Speichersystem trieb nicht wenige an den Rand der Verzweiflung, essentielle Minispiele wie das Schlossknacken waren auf der Konsole beinahe unspielbar. Die meisten dieser Bugs wurden mittlerweile beseitigt, hätten aber jedem anderen Spiel bereits zu Beginn das Genick gebrochen.

Dabei ist das Spiel, anders als von Heinemann befürchtet, keine Dreckschleuder rechten Gedankenguts geworden. Wenngleich auch einige problematische Aussagen im Spiel getroffen werden (unter anderem die Tatsache, dass jedes Badehaus im Spiel als Bordell fungiert, die Fähigkeit zu stinken und dabei auf Frauen anziehend zu wirken, oder der Fakt, dass man nach dem Sex den Status ›Alpha-Male‹ zugeschrieben bekommt, der angeblich das Charisma steigert), so sind es alles in allem nicht viel größere Probleme, als auch viele andere Videospiele noch immer in dieser Hinsicht haben. Das kann, darf und soll man durchaus problematisch finden, ist jedoch kein Alleinstellungsmerkmal von Kingdom Come. Vielmehr war die Debatte um das Spiel sinnbildlich für viele andere Probleme, die das Medium Spiel und auch den sich mit ihm befassenden Journalismus noch immer belasten. Tatsächlich ist es völlig irrelevant, ob es People of Color im 14ten Jahrhundert in einem kleinen Landstrich im Böhmen gab. Die Wahrscheinlichkeit dafür ist sogar sehr gering, aber niemand von uns wird für das eine oder das andere Beweise finden. Fakt ist jedoch, dass es durchaus PoC im europäischen Mittelalter gab und das dies zu verneinen entweder auf Dummheit oder Propaganda zurückzuführen ist. Fakt ist ebenfalls, dass Vávra eine, vorsichtig ausgedrückt, streitbare Person ist.

Es ist durchaus legitim, Werk und Künstler strikt voneinander zu trennen.

Yannic Hertel

Dabei ist es egal, ob Vávra das Burzum-Shirt aus Provokation oder Dummheit getragen hat. Nicht egal ist jedoch, wie man damit umgeht (was die RocketBeans bei aller Kritik im Sinne des Pressekodex vorbildlich gelöst haben) und welche Rückschlüsse man daraus zieht.

Es ist sogar durchaus legitim, Werk und Künstler strikt voneinander zu trennen – wenn man dies kommuniziert, begründet und für sämtliche Variationen beibehält. Dann muss man sich jedoch auch durchaus dementsprechende Kritik gefallen lassen.

Dass sich dieser Diskurs dabei gerade an Kingdom Come entbrannte, ist wohl das größte Vermächtnis, welches man diesem Spiel zugestehen kann. Ist es doch in seiner Ausführung ebenso überambitioniert wie mittelmäßig. Es ist ein Spiel für Liebhaber. In seinem Kern noch nicht einmal schlecht. Doch Kingdom Come hätte ohne diese Debatte niemals viele Spieler außerhalb eines bestimmten Millieus angesprochen. Selbst jetzt darf noch bezweifelt werden, dass es viele von denen, die sich vollmundig auf ein »Core-Game« gefreut, es auch tatsächlich durchgespielt haben.

Ich selbst habe versucht, trotz aller Kritik Freude an dem Spiel zu empfinden, da mich das Setting eigentlich hätte ansprechen sollen. Jedoch ist KCD selbst in seinen besten Momenten höchstens irrelevant. Bleibt zu hoffen, dass wenigstens ein Funke jener kritischen Auseinandersetzung mit dem Thema Videospiel erhalten bleibt, die KCD wie ein Leuchtfeuer entfacht hat.

Weiterführende Informationen


Veröffentlicht in: Spielebesprechungen
Tobi

Kommentieren  (5)

Folge uns

MastodonInstagramYouTube

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Kommentare (5)

  1. Habe Kingdom Come auch selber so ca. 20 Stunden gespielt und bin tatsächlich von zumindest manchen Aspekten des Spiels wirklich angetan. Der komplette Diskurs, der dem voranging, halte ich für extrem wichtig und notwendig. So wird wohl nun fast jeder, der sich etwas über das Spiel vor dem Kauf informiert, zwangsläufig auf die Problematik stoßen und kann für sich selbst entscheiden, ob sie/er KCD kaufen will. Und das war ja auch, in meinem Verständnis, das eigentliche Ziel, das Jan damit verfolgte: Die allgemeine Presse darauf aufmerksam zu machen, sodass eine Meinungsbildung durch eine Aufarbeitung der Thematik stattfinden kann. Weiterhin wird wohl auch jeder, der sich dazu entschließt, KCD zu kaufen (mich eingeschlossen), es stets mit einem kritischen Auge betrachten auch hinsichtlich der Aspekte, die du kurz angerissen hast.
    Ich denke außerdem, dass in gewisser Hinsicht die Herangehensweise an historische Authentizität von vornherein falsch gewesen ist. Sich eine perfekte historische Akkuratheit auf die Fahne zu schreiben zeugt abseits dem Rest der Kontroverse von einem falschen Bild geschichtlicher Darstellungen. Ein Medium, das eine Epoche oder einen Zeitraum wiedergeben will, kann nie 100% akkurat sein. Das wird ja bereits im Geschichtsunterricht vermittelt, in dem angestrebt wird, den Schülern durch reflektierte Analyse unterschiedlicher zeitgenössicher sowie moderner Quellen, ein Abbild der Zeit zu zu geben, das sie stets kritisch betrachten sollten. Und da finde ich es wesentlich sinniger, das von Anfang an klar zu machen und darauf aufbauend den Spagat zwischen Authentizität und modernem Gesellschaftsbild anzustreben, anstatt den Anspruch an historische Akkuratheit nach außen hin zu propagieren. Ein tolles Beispiel, wie das richtig gemacht werden kann, habe ich kürzlich erst in einem Beitrag auf Archaeogames vom lieben Dom gelesen. Hier geht es um die Arbeit des Historikers Maxime Durand an Assassin’s Creed Origins: “So bemerkt ein Spieler, dass in den Dorfschulen von Assassin’s Creed Origins nicht nur Jungs, sondern auch Mädchen unterrichtet werden: Ein offensichtlicher „Fehler“, weil im historischen Alten Ägypten zu dieser Zeit nur Männer Zugang zur Schulbildung hatten. Durand stimmt dieser Beobachtung zu, aber erklärt, dass hier ganz bewusst in die historische Rekonstruktion an den Wunsch von Ubisoft angepasst wurde, ein inklusives, modernes Videospiel zu schaffen”
    Unbedingt da mal reinlesen:
    https://archaeogames.net/was-macht-eigentlich-ein-historischer-berater-bei-der-videospielentwicklung/

    Abschließend noch: Fand deine Zusammentragung deiner Gedankengänge wirklich interessant und wie immer wirklich angenehm zu lesen (mag deinen Schreibstil)!

  2. Ich denke KCD ist so ein schönes Beispiel, wie größere Konflikte an einem im Verhältnis vielleicht gar nicht so bedeutsamen Beispiel mal wieder hochgekocht sind haben. Denn natürlich ist das Mittelalterbild in vielen Spielen mit Mittelaltersetting zu problematisieren, weil darüber oft in einem Schritt von Romantisierung (egal ob es um gritty realism oder klassische Heldengeschichten geht) reaktionäre Ideen transportiert werden. Ich habe KCD nicht gespielt, aber nach allem, was ich darüber gelesen habe, scheint das Spiel da auch keine Ausnahme zu sein. Der Konflikt schwielt ja schon länger in der Gaming-Welt und kam ja schon mehrfach z.B. bei Witcher 3 u.a. auf, dass der im deutschen Raum jetzt mal durchgebrochen ist, war eigentlich überfällig und KCD vielleicht einfach nur ein ziemlich zufälliges Beispiel, das die Entwickler auch ein Stück weit selbst durch ihre Authentizitätswerbephrase heraufbeschworen haben. (Ohne diesen “Das war so!!!”-Anspruch, der durch die Werbung vermittelt wurde, hätte es wahrscheinlich deutlich weniger Leute gekümmert, ob es jetzt wieder ein neues vom Mittelalter inspiriertes Spiel gibt, das zumindest in Teilen wohl eine gewisse rechte Imagination bedient.) Mir persönlich hat die Kritik am Spiel vor dem Release übrigens auch v.a. deswegen aus der Seele gesprochen, weil sie sich in der Kritik an der Authentizitätsidee auf X andere Werke (nicht nur Spiele, aber besonders die) anwenden ließe und mir das Thema schon länger sauer aufstößt. KCD als Einzelfall ist egal, aber als Beispiel für ein größeres Phänomen eben ein Problem. (Und das andere, ebenfalls weit größere Thema als KCD, war dann ja Politik im Spielejournalismus und die Art der Berichterstattung der Presse. Auch das war und ist ja keine neue Diskussion, sondern ist an dem Extrembeispiel Authentizität und Vavra nochmal explodiert. Plus die diversen Nebenschauplätze, ob man das Spiel boykottieren sollte oder nicht, die sich dann nochmal weiter auf Twitter und in den Kommentarspalten verselbstständigt haben.)
    Dass KCD im Speziellen vielleicht sogar mittelmäßig durchschnittlich ist, mag sein, ich habe das Spiel selbst wie gesagt nicht angefasst, aber die Diskussionen, die damit aufgekommen sind, entwertet das denke ich nicht bzw. hoffe ich ehrlich gesagt, dass die bleiben und auch trotzdem weiter voran getrieben werden. (Auch außerhalb von den üblichen interessierten Ecken.)

  3. Ich finde und fand die ganze Diskussion um KCD sehr spannend. Denn sie hat eine Frage gestellt, die sich, meiner Meinung nach die ganze Branche stellen sollte. Unabhängig vom Spiel selbst. Denn das Problem oder die Frage die KCD aufwirft, ist eine die grundsätzlich geführt werden muss. Dabei geht es nicht nur um die Frage, ob Kunst und Künstler getrennt werden müssen. Es geht auch um die Frage, wie Spielejournalismus aussehen muss um sich von reiner PR zu unterscheiden. Es geht darum wie unterschiedliche Nationalitäten, Geschlechter, religiöse Zugehörigkeiten usw. miteinander in Einklang gebracht werden.
    KCD war dafür ein passendes Beispiel, denn es hat vieles von dem miteinander vereinbart, worüber diskutiert werden muss. Nur muss sich diese Diskussion jetzt vom Spiel lösen und allgemein geführt werden. Denn ein konkreter Fall ruft sehr häufig diejenigen auf den Plan, die sagen, ja das ist doch nur bei dem Spiel und ein einziger kann nicht für das ganze verantwortlich gemacht werden. Das ist ein Totschlagargument und führt am Ende nur dazu, dass der schwarze Peter weitergegeben wird.
    Kunst und Künstler sind nicht zu trennen. Die Ansichten eines Vávra sind entscheidend dafür wie das Spiel aussieht. Welche Geschichte es erzählt, welche Figuren in der Geschichte vorkommen. Eben alles warum das Spiel so ist wie es ist. Natürlich ist er nicht dafür alleine verantwortlich, aber er steht für das Spiel, er bewirbt es in der Öffentlichkeit und trifft mit Sicherheit Entscheidungen die den Inhalt des Spiels beeinflussen. Also ist KCD ohne Zweifel ein Produkt seines Erschaffers. Bei einem Bild von van Gogh würde ja auch keiner sagen, das Gemälde ist ohne seinen Erschaffer zu sehen.
    Und ich finde es auch erst einmal nicht schlimm, wenn KCD so ist wie es ist. Über den Inhalt sollen sich die streiten und diskutieren, die sich mit dem geschichtlichen Kontext auskennen. Das tue ich nicht. Ich habe natürlich meine Meinung, aber die fußt weniger auf Wissen, denn auf Aussagen und Wissen Dritter.
    Und genauso darf ein Vávra auch seine Meinung und seine Sichtweise auf das Geschehene haben und künstlerisch zeigen. Ich muss ihm da nicht zustimmen. Ich kann seine Ansichten verwerflich finden und ihn aufs schärfste dafür kritisieren, aber ich muss es aushalten, dass es Meinungen gibt, die sich nicht mit der meinen decken. Und solange nicht gegen geltendes Recht verstoßen wird, muss ich damit leben.
    Hier kommt dann auch der Journalismus ins Spiel und der Spielejournalismus im besonderen. Die Aufgabe ist es, so finde ich, sich mit dem auseinanderzusetzen, was von Entwicklern und Publishern produziert wird. Wer macht die Spiele, wie werden sie gemacht. Warum ist ein Spiel so wie es ist. Was passiert in der Branche. Die Branche hinterfragen, aber auch den eigenen Berufsstand. Wenn das passiert, ist ein KCD immer noch kritisch zu sehen, aber es wird von fähigen Journalisten die sich mit dem Medium auskennen und auch dem was im Spiel passiert bearbeitet und in einen Kontext gebracht. Wie dann jede/r einzele Leser/in damit umgeht ist dann ihr/ihm überlassen. Aber es müssen die Möglichkeiten geboten werden.
    Wenn das nicht passiert, ist der Spielejournalismus nicht viel mehr als eine blinde Werbemaschine die vor jeden Spielekarren gespannt wird. Und das sollte nicht der Fall sein.

  4. Lieber Yannic,
    danke für Deinen Kommentar zur Debatte. Wie schon bei Twitter andiskutiert, finde ich mich insbesondere in diesem Punkt falsch wiedergegeben: Ich habe nie geschrieben, dass KCD „das Werk eines bekennenden Nazis und somit de facto eine neurechte Vorurteils- und Hassschleuder “ sei. Ich habe darauf hingewiesen, dass Vávra seit Jahren durch rassistische und sexistische Äußerungen auffällt und obendrein auf der Gamescom noch (indirekt) Werbung für das Metalprojekt eines bekennenden Neofaschisten macht – und in dem Zusammenhang kritisiert, dass die Gamingpresse in der langwierigen Vorberichterstattung darüber kein Wort verloren hat. Denn anders als Du bin ich der Meinung, dass eine Trennung von Autor und Werk spätestens seit den 70er Jahren nicht nur wissenschaftlich ad acta gelegt worden ist (mein Blick schweift sogleich zu einem “what the foucault?!”-Aufkleber an meinem PC): „Es wäre jedoch reiner Romantizismus, sich eine Kultur vorzustellen, in der die Fiktion absolut frei zirkulierte, zu jedermanns Verfügung, ohne sich einer notwendigen oder zwingenden Figur zuzuordnen.“ [1] Du scheinst eher mit Barthes/Derrida zu gehen, oder?

    Da sich mein Habitus nun hinreichend gekrault fühlt also mein eigentliches Anliegen: Besonders schade finde ich, dass Du in Deinem Kommentar gar nicht auf die mittlerweile veröffentlichten historischen und politischen Einordnungen eingehst – so entsteht ein wenig der Eindruck, dass die Bewertung im luftleeren (unpolitischen) Raum nach subjektivem Gusto von Spieler*innen statt fände (noch so eine Sache, die mir bzgl. Gamingjournalismus und Historygames immer wieder auffällt). Wobei ich damit kein Exklusivrecht für Historiker*innen einfordern möchte, sondern die Notwendigkeit unterstreichen, dass sich Historiker*innen mehr mit digitalen Spielen und Spielejournalist*innen mehr mit historischen Einordnungen von Vergangenheitsdarstellungen in digitalen Spielen befassen sollten.
    Ein kleine Auswahl zeigt, dass doch deutlich mehr dahinter steckt, als ein paar unglückliche Darstellungen von Vergangenheit: Reid McCarter hat gezeigt, dass das Geschichtsbild in KCD durch einen tschechisch-nationalistischen Grundton geprägt ist, [2] Imre Bártfai hat gezeigt, dass die Darstellung der Kumanen orientalisierend und weißwaschend zugleich ist, [3] nicht nur Andreas Inderwildi hat nochmal deutlich gemacht, dass KCD ein romantisiertes Mittelalterbild entwirft, in dem gewissermaßen das “christliche Abendland” Tschechien die wilden Horden aus dem Osten und die imperialistischen Deutschen zugleich abwehren muss. [4] In dem Kontext wird dann auch der Fokus von Nathan Grayson umso spannender, der auf das Klientel des Spiels hinweist, von dem Vávra in diversen “Gamergate”-Gruppen auf Steam oder in Foren seit Jahren gefeiert wird [5] – denn für deren politische Ausrichtung steht er quasi mit seinem Namen. [6] Und die umfasst deutlich mehr als „let your politics out of my game“. Was auch an sich eine absurde Forderung ist, [7] sofern die Betonung nicht auf YOUR politics liegt.
    Auf weitere historische Einordnungen dürfen wir gespannt sein – es sind ja noch einige in Arbeit.

    Du hast Recht, wenn Du sagst, dass KCD kein Sonderfall ist. Das habe ich ja auch mehrfach betont, es ist nur so besonders anschaulich. Ancestors Legacy (von den Machern von Hatred und IS Defence) geht in die selbe Richtung – bin gespannt, wie dessen Geschichtsentwurf aussieht. Interessant ist aber auch der generelle Trend, dass das Mittelaltersetting ja schon länger von alt-right/Identitären usw. besetzt wird, nicht nur im Gamingbereich. [8] Umso wichtiger, dass darüber berichtet wird. Darum sehe ich zwar Deinen Einwand, dass die politische Kritik an Spielen „Werbung“ für das kritisierte Klientel sein kann, als generelles Problem – nicht aber als Argument. Und wir werden uns künftig noch viel intensiver mit den politischen Implikationen digitaler Spiele befassen müssen. [9] Und hier sehe ich (auch) den Journalismus (qua Berufsfeld) in der Verantwortung.

    Liebe Grüße
    Jan
    _____________________
    [1] Michel Foucault: Was ist ein Autor? Frankfurt am Main 2003, S. 260.
    [2] https://unwinnable.com/2018/03/02/deliverance-myth-making-and-historical-accuracy/
    [3] http://www.medievalists.net/2018/02/cumans-kingdom-come-deliverance/
    [4] https://www.rockpapershotgun.com/2018/03/05/kingdom-come-deliverance-historical-accuracy/
    [5] https://steamed.kotaku.com/kingdom-come-owes-its-popularity-to-realism-and-conserv-1823420208
    [6] https://alwaysagnew.wordpress.com/2018/02/20/kingdom-come-thy-bullshit-were-done/
    [7] https://derstandard.at/2000054381783/Es-ist-nur-ein-Spiel-Eine-Ausrede-die-nicht-gilt
    [8] https://www.jetzt.de/redaktionsblog/der-nazi-im-computer-der-aufstieg-rechter-computerspiele-402287 und https://www.salon.com/2017/11/30/alt-right-catches-knight-fever-but-medieval-scholars-strike-back/
    [9] Auch wenn ich inhaltlich nicht ganz folgen würde, trifft Alfie Bown damit schon einen (überspitzten) Punkt https://amp.theguardian.com/commentisfree/2018/mar/12/video-games-fuel-rise-far-right-violent-misogynist
    Generell Empfehle ich noch https://www.publicmedievalist.com/race-racism-middle-ages-toc/ bald auch https://www.publicmedievalist.com/cfp-gender/, http://waccglobal.org/articles/the-political-economy-of-historical-digital-games sowie die laufende Debatte über das Politische in Spielen auf Eugen Pfisters Blog https://spielkult.hypotheses.org/.

    1. Hallo Jan,

      erst einmal vielen Dank für deinen ausführlichen und langen Kommentar. Ich entschuldige mich bereits im Voraus, dass meine Erwiderung hierzu nicht einmal Ansatzweise derart lang werden wird.
      Erst einmal möchte ich kurz klarstellen, dass ich dir natürlich NICHT vorwerfe, dass du quasi maßgeblich zu den Verkaufszahlen von KDC beigetragen hast. Selbstverständlich darf sich ein Kritiker nicht dadurch Mundtot machen lassen, dass seine Kritik womöglich unerwünschte Aufmerksamkeit auf das von ihm kritisierte Machwerk zieht. Eine dahingehende Überspitzung ist jedoch zuweilen Teil eines geschliffenen, knappen Kommentars. Klappern gehört, wie man so schön sagt, zum Handwerk.
      Auch möchte ich erwähnen, dass ich persönlich überhaupt kein Anhänger der These bin, dass man Werk und Autor trennen kann. Allerdings ist es dennoch meiner Ansicht nach legitim – also nicht vom Grundsatz verboten – Werk und Autor getrennt voneinander zu betrachten. Zumindest, wenn man dies für sich selbst begründen kann und per se einheitlich hält. Auch ein journalistisches Medium darf dies tun, dann ist es nur eines, dass ich nicht mehr mit großer Freude konsumieren werde.
      Meine Aussage war vor allem auf Einzelpersonen bezogen – so gestehe ich durchaus Leuten zu auch weiterhin Filme von Kevin Spacey gut zu finden. Der Ansatz, dass jeder sich mit dem Macher eines Werkes auseinandergesetzt haben muss um darüber reden zu dürfen kann ich zwar nachvollziehen, doch schließt er meiner Ansicht nach viel zu viele von Diskussionen aus und wirkt schnell überheblich ohne so gemeint zu sein.

      Auch die Aussage, dass Vavra ein bekennender Nazi sei hast du so nicht de Facto getroffen, auch hier greift die Rubrikspezifische Übersitzung. Nichts desto trotz habe ich – und viele andere – eben diese Aussage zwischen den Zeilen deines Beitrags gelesen. Und auch du wirst mir zustimmen, dass diese Assoziation schließlich auch das ist, was sich wie ein Lauffeuer verbreitet hat. Natürlich ist all dies ein klassischer Fall von “die Geister die ich rief”, so dass du für die Blüten die dein Werk trieb nicht direkt zur “Verantwortung” gezogen werden kannst. Allerdings ist diese Aussage letztlich das, was diese Diskussion überlebt hat.

      Was mich zu meinem nächsten Punkt bringt – tatsächlich ist dein Kommentar ein schönes Beispiel für eine weitere Kernessenz des Problems. Ich lese deine Texte gerne und unterhalte/diskutiere auch gerne mit dir. Ich bin der Ansicht, dass wir beide immer auf einer gesitteten und konstruktiven Ebene miteinander kommunizieren können. Aber all deine Texte bezeugen eines: Du schreibst nicht für Menschen, sondern für Akademiker. Das ist nicht schlimm. Du bewegst dich in einem akademischen Milieu, aber deine Wortwahl, die Variante wie du Quellen zitierst usw ist typisch für den akademischen Bereich. Ich glaube fest daran, dass dieser akademische Bereich einen festen Platz im Diskurs um Videospiele verdient hat. Aber nur die wenigsten Akademiker schaffen dies dem Leser auch nachvollziehbar und auf Augenhöhe zu vermitteln. Eine Fähigkeit, die du leider auch nicht besitzt. Das ist keine Kritik – es ist die Aufgabe von uns Journalisten schwere Themen so aufzubereiten, dass sie jeden abholen. Hier hat man im Diskurs zu KDC über weite Strecken versagt.
      Aber das Problem besteht dennoch – viele deine Kollegen und dir gelingt es nicht in einem verständlichen Maße über diese Themen zu reden. Selbst ich, der sich durchaus auch in akademischen Kreisen bewegt hat, hat te keine Ahnung wer Roland Barthes ist. Aber es sind solche Kleinigkeiten, die du in deine Texte einstreust und die dich weiter von dem “normalen” Leser entfernen. Hier müssten wir Journalisten einspringen und zusammen mit den “klassischen” Akademikern neue Wege erarbeiten diesen Diskurs auch bei Videospielen an den Mann zu bringen.

      Was mich zu meiner Kernaussage meines Textes zurück führt, die ich wohl jedoch leider so verpackt habe, dass sie dir entgangen ist (mea culpa an dieser Stelle): KDC ist ein äußerst mittelmäßiges Spiel, dass kaum viel Nachhall hinterlassen wird. Alles in allem was das Beste an dem Spiel der Diskurs drum herum. Danke dafür Jan, auch wenn in der Kommunikation Probleme herrschen. Aber das können wir alle gemeinsam angehen.