Wir haben uns für euch etwas ganz besonderes ausgedacht. Die heutige Kolumne ist Teil einer zweiteiligen Kolumnenserie. Wir werden uns mit der Frage beschäftigen, ob man Spiele unterstützen und spielen soll, die wir als moralisch fragwürdig einordnen können.
Wir beginnen mit den Gedanken von André, der uns erklärt, warum wir bestimmte Spiele getrost weglegen dürfen und werden in Kürze die Gegenargumentation von Claudia veröffentlichen, warum wir genau dann weiterspielen sollten, wenn wir uns damit unwohl fühlen. Wir freuen uns auf spannende Diskussionen mit euch in den Kommentaren!
„Da spiele ich nicht mit!“ – Über Spiele, die man moralisch nicht unterstützen kann
Das Contra-Argument von André Eymann
Moralisch fragwürdige Spiele gibt es schon lang. Das Videospiele, auch ganz bewusst, immer wieder Grenzen überschreiten steht außer Frage. Wo aber liegen die persönlichen Grenzen? Wann und warum legen wir den Controller aus der Hand?
Meine erste persönliche Erinnerung zum Thema ist Custer’s Revenge von Mystique (siehe Link am Ende des Beitrags) aus dem Jahr 1982. Das geschmacklose, wenn auch pixelige Spiel simuliert den Missbrauch einer Indianerin und rief bereits kurz nach der Veröffentlichung Frauenrechtsgruppen auf den Plan. Obgleich die grafische Darstellung im Spiel aus heutiger Sicht nicht „realistisch“ anmutet, ist die Absicht ein solches Spiel zu entwickeln und veröffentlichen höchst zweifelhaft.
Wann hört der Spaß auf?
Im Sommer 2020 hatte ich meine Twitter-Timeline befragt. Die vielen interessanten Antworten haben mich zu dieser Kolumne inspiriert, auch weil die erwähnten Beispiele oft begründet wurden. Meine Frage war: „Habt ihr schon einmal ein Videospiel abgebrochen oder gar nicht erst spielen wollen, weil es für euch moralisch nicht vertretbar war/gewesen wäre?“
Hier eine (anonyme) Auswahl der Antworten in Form einer Zitatliste.
- Soldier Of Fortune Payback, weil ich das Gefühl hatte, dass es dabei nur darum ging, möglichst viele Gliedmaßen abzuschießen. Und Wolfenstein 2, weil ich den Hund am Anfang nicht töten (lassen) konnte.
- Nicht abgebrochen, aber es gab ein paar Spiele bei denen mir bestimmte Situationen/Szenen sauer aufgestoßen haben. Bestes Beispiel, GTA 5 und die Folterszene, die dem Spiel nicht hinzufügt und in meinen Augen nur des Schockfaktors wegen importiert wurde.
- Ich hab bisher alle Weltkriegsshooter ausgelassen. Ob’s wg. moralisch vertretbar war oder nicht kann ich nicht sagen. Die einseitige Darstellung hat mich einfach genervt.
- Ich habe das Point-and-Click Adventure „Gray Matter“ abgebrochen, weil die Protagonistin mir einfach einen Tick zu skrupellos war. Damit konnte ich mich kein Stück identifizieren.
- Fallout 4, an dem Punkt, als man sich für eine der Fraktionen entscheiden muss und alle sind irgendwo totalitär oder faschistisch usw. Wahl zwischen Pest und Cholera. Konnte ab da nicht weiterspielen.
Und weiter …
- Weiß nicht, ob das ein Moralding ist, aber Wolfenstein TNC habe ich abgebrochen, als mir klar wurde, dass die „German Edition“ so drastisch umgeplottet ist, als dürfe man ein deutsches Publikum nicht mit dem Holocaust konfrontieren.
- Meins war Postal 2. Ich hatte einen wirklich sadistischen Menschen aus der Gymiezeit gehabt, der das so gut und „witzig“ fand. Mir war’s zu krass.
- Da fällt mir als aller erstes „Hatred“ ein. Als ich die Prämisse des Spiels gehört habe, war ich schon recht verwundert und schockiert, dass so ein Spiel überhaupt entwickelt wurde.
- Ja, auf dem C64 „KZ Manager“ z.B. – nicht nur technisch oll, sondern auch inhaltlich.
- Bei Spec Ops: The Line habe ich in Kapitel 13 (eh schon reichlich spät) den Tod durch Steinewerfer zum Ende meines Spieldurchlaufs erklärt.
- Eine gewisse Mission mit Trevor in GTA 5 war für mich das Ende der Story.
- Homefront damals bei der Opening-Sequenz abgebrochen. Da wurden glaube ich, ist ja schon ein paar Jahre her, Eltern vor ihrem weinenden Kind erschossen…
- Die ganzen Shooter, bei denen man US-Soldaten, schlimmstenfalls in Konflikten, die US Kriegsverbrechen waren, spielt.
- Battlefield 3, nachdem mir auffiel dass die beste Taktik war, in der Richtung aus der Arabisch gesprochen kam, erstmal blindlings zu feuern. Call of Duty Black Ops, weil man da gleich zu Beginn vom Tutorial gezwungen wird, einen Gefangenen zu foltern.
- Jeder Jagdsimulator. Sicher nix verwerfliches, aber ich erfülle eben das Klischee. Tiere erschießen ist auch digital nicht mein Ding.
- Vampire: The Masquerade. Hatte Probleme, harmlosen Menschen in den Hals zu beißen. Hätte mir hier ne Alternative gewünscht. Habs dann deinstalliert.
Die Grenzen von Normen und Werten
An den Antworten kann man gut ablesen, dass sich die Spielenden viele Gedanken um Ethik, Normen und Werte machen. Obwohl es beim Spielen primär darum geht die Leistungsforderungen des Spiels zu erfüllen, werden moralische Handlungen im Medium immer bedeutsamer. Neben der Kritik, wie wir sie in den Beispielen oben nachlesen können, bieten Spiele auch viel Potential für positive Felder. Spiele können und dürfen deshalb nicht in einer Killerspiele-Debatte enden, sondern müssen umfassend bewertet werden.
Aus meiner Sicht ist es vollkommen legitim, ein Spiel, dass einen in eine bedenkliche Situation bringt, zu beenden. Sich von einem Spiel zu moralisch fragwürdigen Handlungen oder Triggern „zwingen“ zu lassen muss nicht geduldet werden. Sobald die Grenzen des eigenen Geschmacks oder bestimmte persönliche Normen überschritten werden, darf man den Controller ohne schlechtes Gewissen aus der Hand legen.
Was meinst Du dazu?
Hier findest Du übrigens den Konter-Kommentar von Claudia Feiner.
Links
- Custer’s Revenge Interview (a clip from the documentary Rate It X (1986), filmed in late 1982.) / YouTube
Podcast zum Thema
Der wunderbare DURCHGESPIELT-Podcast sich in seiner Folge „Bonus Level: Moral in Spielen und um Spiele herum“ ebenfalls mit dem Thema auseinandergesetzt. Lauscht dort unbedingt mal rein, es lohnt sich.
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