Wir schreiben das Jahr 1999 – zumindest behaupte ich das jetzt mal, wer weiß das schon so genau. Mein älterer Bruder hat sich bereits einen Game Boy bei meinen Eltern durch langes Betteln erkämpft. Inzwischen hat er es sogar geschafft, dass sie sich zu einem N64 haben erweichen lassen. Nun ist aber der GAU eingetreten: Die jüngere Schwester will sich nicht mehr nur damit begnügen, ihm beim Spielen zuzuschauen. Nein, sie will auch noch mitspielen!
Da mir eine gewisse Sturheit und Penetranz angeboren zu sein scheint, bekam er einfach nicht mehr seine Ruhe, bis ich wirklich einmal mitspielen durfte. Allerdings natürlich nicht bei einem Spiel, bei dem ich einen seiner Speicherstände ruinieren könnte. Die waren damals nämlich rar gesät. Bis heute darf ich seinen Speicherstand der Roten Edition (Pokémon) nicht anrühren, während ich meinen Speicherstand der Blauen Edition wohl schon das 20. Mal überschrieben habe. (Für alle, die damals nicht Pokémon gespielt haben: Ja, es gibt wirklich nur einen Speicherstand).
Nun gut. Mein Bruder wurde also vor das Problem gestellt, dass er einen Quälgeist vertreiben musste, damit er wieder in Ruhe spielen konnte und ich mich mit Zugucken begnügte. Leider war ich nämlich schon alt genug, um sofort zu bemerken, wenn der Controller nicht angeschlossen war. Seine Lösung war so einfach wie genial: FIFA World Cup 98. Ein Sportspiel. Für die kleine Schwester, die mit Sport und insbesondere Fußball absolut nichts anfangen konnte. Das musste doch dazu führen, dass sie freiwillig den Controller nach fünf Minuten wieder aus der Hand gab oder wahlweise auch frustriert in die Ecke pfefferte. Zumal mein Bruder deutlich besser in diesem Spiel war. Blöderweise hatte er in seinem Plan nicht den Grund bedacht, wieso ich überhaupt mitspielen wollte. Auch dieser war sehr simpel: um etwas mit ihm zusammen zu machen, weil ich ihn schlicht liebte (und bis heute liebe).
Lehrreiche Geliebte und ehrgeiziger Quälgeist
Also biss ich mich durch jedes Match durch. Verlor Mal um Mal, Tag um Tag. Aber es störte mich nicht, da wir ungemein Spaß hatten. Mein Bruder und ich hatten etwas gefunden, das uns verband. So verbrachten wir die Nachmittage nach der Schule zusammen vor der Konsole und spielten FIFA World Cup 98. Ich habe diese Tage noch als die schönsten meiner Kindheit in Erinnerung; obwohl ich sehr froh war, als Pokémon Stadium rund ein Jahr später erschienen ist und wir endlich ein anderes Spiel für uns gefunden hatten.
Ich habe FIFA World Cup 98 letztlich als erstes Spiel auch alleine gespielt. Immerhin musste ich besser werden, um für meinen Bruder ein ebenbürtiger Gegner zu werden – was ein ambitioniertes Ziel war, schließlich ist mein Bruder deutlich älter als ich. Ich habe geübt und gelernt. Ich habe versucht, alle möglichen Tricks einzustudieren. Am Ende konnte ich sogar mal ein Match gegen meinen Bruder für mich entscheiden; auch wenn ich schwer vermute, dass er mich hat gewinnen lassen, um mich nicht zu entmutigen.
Schnell habe ich mir dann sogar zugetraut, andere Spiele ganz allein zu spielen und mich den Herausforderungen der virtuellen Welten zu stellen. Ich wollte weitere Spiellandschaften für mich erkunden und in sie abtauchen. Schließlich hatte ich meinem Bruder oft genug dabei zugesehen. Was sollte also schon schief gehen? Mir half dabei zugegebenermaßen die Gewissheit, dass ich im Notfall immer noch meinen Bruder hatte, der mir mit Rat und Tat zur Seite stand.
Mein erster eigener Game Boy Color folgte also nur wenige Wochen nach meinem ersten Match in FIFA World Cup 98. Natürlich spielten mein Bruder und ich trotzdem weiter Fußball auf dem N64. Damit haben wir wirklich erst aufgehört, als wir dann Pokémon Stadium hatten.
Vermeintliche Geliebte und dankbare Spieler
Gut, vielleicht habe ich den Game Boy auch geholt, weil ich auch andere Spiele spielen wollte. Ich war es damals schon leid, ständig und ausschließlich ein Spiel zu spielen, das ich eigentlich gar nicht mochte. Überraschung! Ich fand FIFA World Cup 98 trotz allem schrecklich und habe es seit dieser Zeit nie wieder angefasst. Sportspiele sind bis heute ein Grauen für mich. Ich besitze auf keiner meiner Spielkonsolen ein Sportspiel.
FIFA World Cup 98 hat aber etwas geschafft, was kein anderes Spiel geschafft hätte. Es hat mich in die Welt der Videospiele eingeführt. Es hat die Weichen dafür gestellt, dass mein Bruder und auch ich mir immer mehr zutrauten und ich auch Spiele wie Zelda – Ocarina of Time oder Super Mario 64 in Angriff nahm. Sie alle bleiben aber hinter einem einfachen Fußballspiel zurück. Und das aus genau diesem Grund. Es war einfach genug, dass es sogar eine Sechsjährige verstehen konnte. Die eingängigen Spielmechaniken. Das klare Ziel. Die bekannten Regeln. Ich konnte mich darauf konzentrieren, zu lernen, worauf es erst einmal ankam.
Durch die gemeinsame Zeit mit meinem Bruder habe ich das erste Mal ein Videospiel zu schätzen gelernt und vielmehr sogar habe ich das Spielen selbst zu schätzen gelernt. FIFA World Cup 98 hat damit etwas fundamental Wichtiges geschafft: In mir wurde die Liebe zum Spielen selbst geweckt. Dieses Spiel sollte der Grundstein für eine lebenslange Leidenschaft werden. Also bleibt mir letztlich nur, FIFA World Cup 98 zu danken. Ich mag dich immer noch nicht, Spiel. Aber das macht nichts. Denn du hast mir die wichtigste Lektion von allen erteilt. Und dafür Danke.
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