Könnt ihr mir mal bitte eine Frage beantworten? Wie kann es eigentlich sein, dass ich noch nie ein Spiel vom Spieleentwickler „CING“ (der Name wird wohl „sing“ ausgesprochen) gespielt habe? Dabei zeichnete sich das japanische Studio doch durch die Entwicklung einiger Adventures für den Nintendo DS aus – also eigentlich genau mein Beuteschema?!
Tja, was soll ich sagen? Bisher hat sich nie die Gelegenheit ergeben, da ich schlicht und einfach keines der Games besitze. Zugegeben, das ist eine faule Ausrede, weil so ein Spiel an und für sich ja schnell gekauft ist. Das heißt aber noch lange nicht, dass dann auch Zeit ist, es zu spielen. Mittlerweile muss ich leider schon sehr selektiv bei der Spielauswahl sein, wenn ich mich intensiver mit einem Titel beschäftigen möchte. Zeit ist sehr kostbar geworden, die Bürde des Erwachsenseins!
Klasse statt Masse
Vielleicht liegt es aber auch einfach an der Tatsache, dass dem Studio nur eine elfjährige Existenz vergönnt war, bevor das Unternehmen 2011 Insolvenz anmelden musste. Entsprechend wenig Spiele wurden von den Japanern veröffentlicht. Das überrascht mich nicht. Spielen dieser Art ist so gut wie nie ein kommerzieller Erfolg vergönnt und Adventures fristen im Allgemeinen ein Nischendasein.
Wirklich schade, denn bei den Fans sind einige der CING-Spiele wie z.B. die beiden Games der „Kyle Hyde Saga“ („Hotel Dusk: Room 215“ und „Last Window: The Secret of Cape West“) recht gut angekommen. Auch die zwei Spiele der „Another Code“-Reihe genießen in Fankreisen ein hohes Ansehen. Teil eins mit dem Titel „Another Code: Doppelte Erinnerung“ wurde 2005 für den Nintendo DS veröffentlicht. Im Jahr 2009 folgte dann der zweite Teil („Another Code R: Die Suche nach der verborgenen Erinnerung“) für die Nintendo Wii.

Mein Nintendo DS und meine Wii-Konsole liegen zwar brav im Regal, doch leider besitze ich keines der genannten Spiele. Pech gehabt. Aber wisst ihr was? Manchmal ergeben sich ungeahnte Möglichkeiten! Direkt neben den beiden Konsolen-Oldies steht nämlich die Switch und genau für dieses Spielgerät wurde 2024 im Auftrag von Nintendo unter der Leitung des Studios Arc System Works ein Remake der beiden Another Code Spiele veröffentlicht. Und es kommt noch besser: Wie es der Zufall will, habe ich das gute Stück sogar bereits in meinem Fundus.
Die Flüchtigkeit von Erinnerungen
„Another Code: Recollection“ heißt die modernisierte Spielesammlung und wenn ich mich recht erinnere, war das Spiel ein Weihnachtsgeschenk. Ganz sicher bin ich mir aber nicht mehr. Ich weiß, peinlich, aber so ist das eben mit Erinnerungen. Sie verblassen recht schnell, wenn man sie nicht pflegt und regelmäßig (z.B. durch Erzählungen oder Gespräche im sozialen Umfeld) wieder ins Gedächtnis ruft und somit auffrischt. Sei es drum – wenn das Spiel schon mal hier liegt, können wir es uns auch gleich gemeinsam ansehen und so endlich meine persönliche Lücke schließen, bisher noch nie ein CING-Spiel gezockt zu haben.

Okay – worum geht es in Another Code? Wir begleiten unsere Protagonistin, einen Teenager namens Ashley Mizuki Robins mit ähnlichen Erinnerungslücken wie der Autor dieses Beitrags, bei dem Versuch, diese zu schließen. Kurz vor ihrem 14. Geburtstag erhält sie einen Brief ihres verschollen geglaubten Vaters, woraufhin sie sich zusammen mit ihrer Tante Jessica auf den Weg zur sagenumwobenen Blood-Edward-Insel macht, um Papas Schicksal und ihrer eigenen Vergangenheit auf den Grund zu gehen.
Puh, das klingt nicht gerade so, als wäre Mr. Richard Robins (Papa) Anwärter auf den Titel „Vater des Jahres“! Und es kommt noch dicker: Ashleys Mutter ist leider bereits verstorben. Sayoko (so hieß Mama) wurde unter höchst mysteriösen Umständen an unserem dritten Geburtstag ermordet. Die Erinnerungen an den Vorfall sind lückenhaft und werden erst im Verlauf des Spiels wieder zusammengesetzt, bzw. vervollständigt. Ich muss aber trotzdem nochmal auf Papa zurückkommen: Sicherlich ist das alles nicht einfach für den guten Richard, aber trotzdem irgendwie merkwürdig, dass er die Erziehung seiner einzigen Tochter seiner Schwester überlässt. Natürlich hat auch dieser Umstand seine Gründe, aber die werden wir erst im Lauf des Spiels entdecken.

Das DAS
Wer auf ein so großes Abenteuer gehen möchte, braucht natürlich coole Gadgets! Wie gut, dass Papa uns per Post ein merkwürdiges Gerät zukommen hat lassen. Das sogenannte „DAS“ (Dual Another System) ist eine Art Schweizer Taschenmesser, mit dem wir Fotos aufnehmen, eine Karte der Umgebung betrachten oder Informationen über alle Charaktere samt derer Beziehungen zu einander einsehen können. Der Gerät schneidet nicht nur Dönerfleisch schweißfrei, sondern hat auch einen biometrischen Schutz verbaut und kann ausschließlich von Ashley verwendet werden. Echt praktisch, aber irgendwie erinnert mich das Ding frappierend an den Shiekah-Stein aus „The Legend of Zelda: Breath of the Wild“.
Wobei, wenn ich so darüber nachdenke, erinnern mich beide Geräte extrem an die Nintendo Switch. Scheinbar bin ich mit dieser Einschätzung nicht alleine, denn selbst Ashley gibt zu, dass das DAS (Zungenbrecher?) wie eine Spielekonsole aussieht. Ob Papa einfach eine Switch gehackt und mit einer Custom Firmware bespielt hat? Wer weiß. Zumindest bleiben die Entwickler des Remakes der Linie des Originals treu. Mir wurde aus dem Freundeskreis zugeflüstert, dass das Design des DAS (noch üblerer Zungenbrecher?) im Original von 2005 (Another Code: Doppelte Erinnerung) an einen DS-Handheld angelehnt war. Völlig logisch, dass Ashley im Jahr 2024 nicht mehr mit einem DS durch die Gegend laufen kann. Was sollen ihre Klassenkameraden sagen? Das wäre ja mega uncool!

Übernatürlicher Sparringspartner
Durchatmen. Wo waren wir? Ach ja, die Blood-Edward-Insel. Wir lernen, dass Mama und Papa Neurowissenschaftler waren, bzw. sind und sich auf die Forschung von Erinnerungen, samt deren Extraktion, Speicherung und Manipulation konzentriert haben. Angeblich hat sich Dr. Robins nach Sayokos Tod auf der Insel in das Edward-Anwesen (ein heruntergekommenes Herrenhaus) zurückgezogen, um weiter an dem Thema, sowie einer Maschine namens „Another“ zur Modifikation von Erinnerungen direkt im Hirn zu forschen. Leider fehlt von ihm bei unserer Ankunft jede Spur und auch Jessica verlieren wir aus den Augen. Stattdessen treffen wir auf den Geist eines Jungen namens „D“, welcher ebenfalls seine Erinnerungen verloren hat.
Aha! Noch ein Parallele zwischen Ashley und mir: Der letzte Geist, der mir begegnet ist, war ein Himbeergeist mit 40 Umdrehungen und an die Geschehnisse nach dem Kontakt mit selbigem kann ich mich auch nur noch lückenhaft erinnern. Doch genug von meinen Erfahrungen und schnell zurück zu Another Code. Der Schock, warum die gespenstische Erscheinung überhaupt für uns sichtbar ist, hält nicht lange an und Ashley und D entschließen sich, gemeinsam auf die Suche nach ihren Erinnerungen zu gehen. Wie ist D verstorben? Was hält ihn noch auf der Erde? Welchen Bezug hat er zur Villa der Familie Edward? Wer hat Ashleys Mutter um die Ecke gebracht und wo sind Ashleys Vater und Jessica abgeblieben? Und warum liegt hier eigentlich Stroh rum? Alles Fragen, die sich im Lauf der nächsten Stunden klären – bis auf die letzte vielleicht.

Ich kenne mittlerweile die Antworten auf diese Fragen (bis auf die letzte), aber ich verrate sie euch nicht. Ich weiß, mega fies. Ihr müsst mir aber glauben, dass ich kein Sadist bin und euch einfach nur gerne empfehlen möchte, selbst Ashleys Geschichte zu erleben. Darum sei nur so viel zur Story des ersten Teils gesagt: Das Abenteuer dreht sich größtenteils um die Erkundung des Edward-Anwesens und natürlich gibt es – so wie es sich eben für eine gute Geschichte gehört – Intrigen sowie den ein oder anderen Plot-Twist. Dennoch ist die Story für aufmerksame Spieler größtenteils vorhersehbar und gegen Ende löst sich so gut wie alles auf. Wir treffen unseren Dad und erfahren die wahren Gründe über Ds Ableben. Was ich besonders schön finde: Das Remake enthält nicht nur einfach die beiden Another Code Spiele, sondern integriert die Story beider Teile miteinander. So können wir nach Abschluss der Geschichte des ersten Teils direkt mit Teil zwei weiterspielen. Cool gelöst!
Zelten mit Teenagern
Ich kann mich nicht erinnern, wann ich das letzte Mal zelten war. Vermutlich ist das auch besser so, denn um ehrlich zu sein, möchte ich Bandscheiben und Lendenwirbelsäule auch gar keine Isomatte mehr zumuten. Ganz anders unsere Protagonistin. Ashley ist mittlerweile 16 Jahre alt und lässt sich auf ein Campingwochenende mit ihrem Vater am Lake Juliet ein. Trautes Familienglück? Wohl kaum, denn unser Rabenvater ist mal wieder so gut wie nie zu Hause und arbeitet inzwischen in einer Forschungseinrichtung, die sich rein zufällig am Lake Juliet befindet und zufälligerweise auch mit Erinnerungsforschung („Projekt Another“) beschäftigt. Ein Zufall? Ich glaube nicht!
Die Prämissen sind ähnlich, wie zwei Jahre zuvor. Ein bedeutungsschwangerer Ort, eine Verschwörung, die Suche nach verloren gegangenen Erinnerungen und ein männlicher Begleiter. Diesmal bekommt die gute Ashley aber nicht einen Geist, sondern einen 13-jährigen Jungen namens Matthew Crusoe an die Seite gestellt, der ebenfalls auf der Suche nach seinem verschollenen Vater ist. Scheinbar sind Erziehungsberechtigte Mangelware im Another Code Universum. Wie auch schon im ersten Teil, ranken sich einige Mysterien um die Örtlichkeiten – sei es nun der Zeltplatz, der See, ein alter Glockenturm oder die Forschungseinrichtung selbst. Was es mit all dem auf sich hat? Tja, wer weiß. Auch die Geschichte des zweiten Teils wird hier nicht gespoilert, sorry!
Na gut, ein paar Details möchte ich euch dann doch verraten: Letztendlich gibt es ein Happy End und Matthew wird wieder mit seinem Vater vereint. Ashley muss dagegen etwas mehr tun, um alle Geheimnisse rund um Lake Juliet und ihre eigene Vergangenheit zu lüften. Natürlich wird die Geschichte von Sayokos Tod nochmal aufgerollt und gerade gegen Ende nimmt die Story kräftig an Fahrt auf. Im Vergleich zum ersten Teil sind die Ereignisse auch deutlich weniger vorhersehbar. Ich hätte z.B. nie gedacht, dass wir in der zu Beginn vergleichsweise seichten Coming of Age Geschichte einer Teenagerin noch etwas über eine selbstverändernde, künstliche Intelligenz erfahren. Welche Rolle spielt Dr. Robins bei der Another-Forschung? Wer sind die wahren Antagonisten in der Geschichte? Was hat eine KI damit zu tun? Und warum hast du eine Maske auf? Alles Fragen, die sich am Ende des Spiels geklärt haben – bis auf die letzte vielleicht.

Neben dem DAS bekommen wir im zweiten Spielabschnitt ein weiteres Gadget, nämlich das „RAS“ (Reboot Another System), ein an einen Fitness-Tracker erinnerndes Armband, im wahrsten Sinne des Wortes an die Hand gegeben. Eine schöne Spielerei, allerdings kommt das Ding leider eher selten zum Einsatz. Und wenn es dann mal so weit ist, wird das RAS nur zum Entriegeln von ein paar Türen verwendet. Das geht ganz leicht, durch ein paar getimte Knopfdrücke, fast wie bei einem Rhythmusspiel. Hier wurde meiner Ansicht nach Potenzial verschenkt und man hätte das Armband noch viel Stärker in die Rätsel integrieren können. Trotzdem – Schlösser auf Knopfdruck knacken zu können wäre schon eine coole und vor allem hilfreiche Fähigkeit. Als Angestellter eines Schlüsselnotdienstes (oder natürlich als Einbrecher) könnte man so richtig fett Umsatz bzw. Beute machen!
Sprechen will gelernt sein
Die technischen Spielereien trösten allerdings nicht darüber hinweg, dass sich gerade der zweite Teil etwas zäh spielt. Müsste ich mich festlegen, woran das liegt, würde ich auf die Gespräche tippen, die sich teilweise wie Kaugummi ziehen. Wir treffen auf zahlreiche Personen, die keine oder kaum Relevanz für den Ausgang der Geschichte haben und es wirkt manchmal so, als wären wir gezwungen, mit jedem Nebencharakter zu sprechen, selbst wenn dieser scheinbar nur zufällig am Lake Juliet herumgeistert. Entsprechend viele vermeintlich belanglose Gespräche werden geführt und jedes noch so unwichtige Detail wird bis ins letzte Korn breitgetreten. Was hat bitte die Suche nach Ashleys Vergangenheit mit einem verlorenen MP3-Player, einer zickigen Lead-Sängerin, Bandproben und Fischburgern auf Lachsbasis zu tun?

Die Dialoge selbst laufen aber auch unabhängig vom Inhalt erschreckend schleppend ab und tragen ihren Teil zu der ein oder anderen, wirklich langatmigen Spielszene bei. Lange Redepausen, merkwürdig geschnittene Szenenabfolgen und unglaubwürdig wirkende Reaktionen sorgen für Stirnrunzeln. Weniger wäre hier manchmal mehr gewesen. Die Gespräche werden in Form von Sprechblasen erzählt, sind vollständig vertont und die Synchronsprecher machen einen ordentlichen Job. Die Bildschirmtexte sind auf Deutsch, Ashley sowie alle anderen Charaktere sprechen allerdings nur japanisch oder englisch. Beim Erkunden der Spielwelt oder dem Betrachten von Gegenständen werden wir allerdings nur durch ein paar kurze Laute von Ashley beglückt, welche ich als „typisches Anime-Gestöhne“ (nicht so wie ihr jetzt denkt) betiteln würde. Auch wenn sich das erst mal vergnüglich anhört, gehen mir ihre akustischen Ergüsse bereits nach ein paar Minuten auf den Zeiger.
Schöne neue Welt
Ansonsten ist die Präsentation der Welt von Another Code: Recollection – sei es nun im ersten oder im zweiten Teil des Spiels – insgesamt betrachtet recht ansprechend. Die Grafik wurde im Vergleich zu den Original-Spielen komplett überarbeitet und so können wir jetzt sämtliche Schauplätze in der dritten Dimension mit frei drehbarer Kamera erkunden. Das hört sich doch eigentlich gut an, oder? In der Theorie schon, doch in der Praxis zeigen sich technische Schwächen. Zwar wurden Räumlichkeiten und Objekte schön modelliert, aber gerade einige Umgebungstexturen lassen doch sehr zu wünschen übrig und wirken recht klobig. Ebenso kommt die Switch bei größeren Gebieten ganz schön ins Schwitzen und kann sich kleinere Ruckler nicht verkneifen. Bedenkt man die Tatsache, dass das Spiel sieben Jahre nach Erscheinung der Konsole entstanden ist und dann leider auch nur mit 30 FPS läuft, ist das schon etwas dürftig.
Schön dagegen finde ich die Tatsache, dass alle Charaktermodelle vollständig modelliert sind. Auch die Zwischensequenzen und Animationen wirken aus einem Guss. Generell gefällt mir der cartoonartige Grafikstil sehr gut und man könnte meinen, man spielt eine Art 3D-Anime. Doch auch hier gibt es etwas zu meckern: Mimik und Gestik der Charaktere wirken leider häufig überzeichnet und in der jeweiligen Situation unpassend. Mich erinnert die Körpersprache einzelner Personen etwas an die teils leblos wirkenden Charaktere moderner Pokémon-Spiele. Wenn man sich schon die Mühe macht, sämtliche Leute in der dritten Dimension zu modellieren, hätte man ruhig noch etwas Zeit in den Ausdruck und Körpersprache stecken können.

Auf der Suche nach nichtlinearem Gameplay
Beim Gameplay macht Another Code keine Experimente und hält sich an gewohnte Adventure-Konventionen. Wir können uns bewegen, Gegenstände ansehen, diese in einem Inventar aufnehmen und anschließend wieder benutzen. Ashleys Taschen sind dabei so groß, dass man meinen könnte, sie hat ein schwarzes Loch in ihrer Hose. Ich will mir gar nicht ausmalen, wo sie die ganzen Dinge wie Schlüssel, Taschenlampe oder ein ferngesteuertes Boot hin steckt. Als Besonderheit stehen uns die Funktionen der technischen Gadgets (das Dies und Das, ähm ich meine das DAS und das RAS) zur Verfügung. Optional finden sich in fast jedem Abschnitt dann noch Origami-Kraniche, welche mit dem DAS eingescannt werden können, um Story-Hintergründe in Form von kleinen Textschnipseln freizuschalten. Ein wirklich nettes Detail, welches der Spielwelt und den Charakteren, von denen die Anekdoten handeln, mehr Persönlichkeit verleiht. Etwas schade ist, dass sich die Papiervögel verpassen lassen und man so – sofern man alle haben möchte – ggf. einen alten Spielstand laden muss, da nicht permanent alle Gebiete zugänglich sind.
Zwar lassen sich die Schauplätze des jeweiligen Gebietes, in dem wir uns gerade befinden recht frei erkunden, doch leider gibt es dort – außer den absolut notwendigen Gegenständen oder den Kranichen – nicht wirklich viel zu entdecken. Meist finden sich nur ein paar alte Vasen oder verschmutzte Bilder in der Edward-Mansion oder eben etwas gebrauchtes, heruntergekommenes Campingzubehör am Lake Juliet, zu welchen Ashley immer wieder die gleichen, bzw. recht ähnlichen Textzeilen murmelt. Was bringt es mir, wenn ich mich frei durch die Welt bewegen kann, wenn es dort einfach nichts zu entdecken gibt? Ernsthaft – müsste ich raten, würde ich sagen, dass ich mir im Verlauf des Spiels bestimmt über 50 verstaubte Blumengefäße und Porträts angesehen habe. Hier hätten etwas lustigere Kommentare als ein „Auf diesem Bild kann man nicht viel erkennen, da es sehr verstaubt ist“ für willkommene Abwechslung gesorgt.

Das alles wird noch durch das extrem lineare Spieldesign verstärkt. Die Story schreitet nicht voran, sofern man sich nicht an dem vom Spiel vorgegebenen Ort befindet und einen Trigger (meist ein Gespräch oder ein Rätsel) auslöst. Umgekehrt merkt man auch sofort, wenn man sich an einem Ort ist, den man noch nicht (oder nicht mehr) erkunden soll. Zugegeben – Point-and-Click-Adventures sind eher selten dafür bekannt, ein epochales Open-World-Erlebnis zu bieten, aber zumindest ein paar belohnende Worte für neugierige Spürnasen, die auch mal abseits vom Weg schnüffeln, hätten dem Spiel nicht geschadet. Es hilft nicht, dass die gute Ashley eher gemütlich zu Fuß unterwegs ist. Okay, wer läuft schon gerne, aber bei dem gemäßigten Tempo wird aus einer auf dem Papier frei erkundbaren Welt mit epischer Story schnell ein Walking-Simulator mit Puzzle-Spiel-Elementen in Form von gelegentlichen Rätseln.
Gewöhnliche Rätselkost auf entspanntem Niveau
Apropos Rätsel – diese haben leider in den seltensten Fällen einen erzählerischen Wert und wirken häufig etwas aufgesetzt. Die Puzzles sind logisch und auch nicht schwer, aber auf Grund der schwachen Integration in die Story wirken sie meist zufällig und irgendwie auch überflüssig. Das Auffinden diverser Schlüssel in einem nur so von versperrten Türen strotzenden Herrenhaus macht ja noch Sinn, aber warum müssen wir dafür Münzen wiegen, Silberteller in Regalen aufreihen oder die Sprinkler einer Bewässerungsanlage trockenlegen? Klar, auch dieser Punkt (ein Rätsel ohne offensichtlichen Storybezug oder Sinn) ist eine typische Krankheit von Adventures, aber Another Code: Recollection treibt das Konzept auf die Spitze.
Und wenn dann doch mal ein vermeintlich schwieriges Rätsel dabei ist, liegt es nicht an der Knobelei an sich, sondern vielmehr an der Mechanik, also letztendlich der Bedienung des Spiels. Ein Beispiel gefällig? Um eine Melodie auf einem Flügel zu spielen, benötigen wir zwei Notenblätter. Diese lassen sich problemlos in zwei unterschiedlichen Zimmern der Villa finden. Können wir die Partituren vielleicht einfach als Objekte in unserem Inventar mitnehmen? Nein, warum auch immer. Also gut, dann machen wir eben mit dem DAS Fotos von den beiden Blättern. Aber wie schaffen wir es jetzt, beide Bilder zusammen zu fügen, damit wir sie als ein Blatt auf den Notenständer legen können? Tja, dafür benötigt es eine Spezialfunktion unserer DAS-Kamera. Die Bilder müssen beide markiert und per Knopfdruck übereinandergelegt werden. Eine Funktion, von der ich mich nicht erinnere, dass sie jemals erklärt wird und die man nur ein einziges Mal im Spiel – und zwar exakt an dieser Stelle – braucht. Was soll das?

Viel gewollt, viel verschenkt
Ich habe den Eindruck, dass hier zu viele, unterschiedliche Konzepte und Gameplay-Mechaniken integriert wurden, die dann einfach nicht konsequent genutzt werden. So lässt sich z.B. jeder einzelne Gegenstand im Inventar betrachten und sogar horizontal und vertikal um 360 Grad drehen. Klingt gut, allerdings hat diese Funktion überhaupt keine Bewandtnis. Wäre es nicht schön, wenn man die Mechanik nutzen müsste, um Hinweise wie z.B. Fingerabdrücke oder Markierungen auf Gegenständen zu entdecken? Gleiches gilt für die Umgebungskarte und die Übersicht der Charakterbeziehungen. Schön, dass es das gibt, aber so richtig notwendig sind diese Funktionen zum Vorankommen im Spiel nicht.
Oder was ist mit Ashleys Begleitern? D und Matthew sind sich so ähnlich, dass ich mir nicht sicher war, ob es nicht doch eine Verbindung zwischen den beiden gibt und selbst Ashley gibt an einer Stelle im Spiel zu, dass Matthew sie an D erinnert. So ein Sidekick ist schon eine feine Sache, aber völlig gleich, mit wem unsere Protagonistin um die Häuser zieht – beide Jungs sind nicht wirklich in die Rätsel samt deren Lösung eingebunden, sondern dienen eher dazu, die Geschichte voranzutreiben und parallel dazu ihre eigene zu erzählen. Man merkt, dass die Entwickler das Hauptaugenmerk auf Ashleys Story gelegt haben und die Jungs eher als Beiwerk zu betrachten sind. Entsprechend schwer fällt es, ihren Handlungssträngen zu folgen. Ich habe mich einige Male – immer dann, wenn einer der Beiden wieder in Aktion getreten ist – dabei ertappt, wie ich dachte: „Ah, der ist ja auch noch da. Was war nochmal sein Problem? Vermisster Vater oder so?“.

Ein Blick zurück
Zuerst dachte ich, dass sich die Gameplay- und Designschwächen recht leicht erklären lassen, da es sich um ein Remake von zwei über 15 Jahre alten Spielen handelt. Aber wisst ihr was? Erst im Nachgang, bei der Recherche für diesen Text, habe ich herausgefunden, wie unterschiedlich die beiden originalen Spiele im Vergleich zum Remake sind. Da wären zum einen die offensichtlichen, technischen Anpassungen wie beispielsweise eine andere Grafik (Vogelperspektive und 2.5D-Look) und ein damit verbunden geändertes Gameplay.
Aber auch an Story und Charakteren wurde kräftig geschraubt. So fehlen ein paar Nebencharaktere und andere wurden durch neue Rollen ersetzt. Die Reihenfolge der Ereignisse ist anders und teilweise wurden komplette Abschnitte entfernt und neue eingefügt. Auch wurde die Story an vielen Stellen maßgeblich verändert. Das Ende des zweiten Spiels ist im Remake scheinbar komplett neu gestaltet worden. Mir gefällt das „moderne“ Ende sehr gut, trotzdem finde ich es erstaunlich, dass man nicht einfach auf die ebenso gelungene Vorlage zurückgegriffen hat. Bei diesen ganzen Änderungen könnten man fast meinen, das Remake sei ein komplett anderes Spiel, welches eher lose auf den ersten beiden Teilen basiert.

Besonders stark fällt das bei den zu lösenden Puzzeln auf. Dadurch, dass das Remake auf einer völlig anderen Konsolenplattform läuft, gehen einige der technischen Besonderheiten der jeweiligen Hardware (DS-Touchscreen und Wii-Remote) der Erstauflagen verloren. So wurden z.B. auf dem Nintendo DS die beiden Bildschirme und Hardwarefunktionen des Handhelds clever für Rätsel genutzt (z.B. Zuklappen der Konsole, um etwas abzustempeln oder Pusten in das Mikrofon, um Staub von einem alten Bild zu entfernen). Auch im zweiten Teil auf der Wii wurden die Remote-Fähigkeiten der Fernbedienung intensiv in das Spielgeschehen integriert. Im Switch-Remake wurden fast alle Rätsel überarbeitet, bzw. durch neue ersetzt und wirken ohne diese technischen Spielereien recht gewöhnlich. Klar werden die Besonderheiten der Switch-Controller (z.B. Drehen von Schlüsseln oder Manövrieren einer Kugel durch ein Labyrinth per Gyrosensor) genutzt, aber trotzdem fühlen sich die Rätsel nicht so richtig ins Geschehen eingebunden an. Auch der Schwierigkeitsgrad wurde nach unten korrigiert und meist findet sich die Lösung im selben Raum, in dem sich das dazugehörige Puzzle befindet. Völlig unverständlich ist, warum gut ein Drittel der Rätsel im Vergleich zum Original einfach vollständig gestrichen wurde. Ich könnte mir vorstellen, dass gerade dieser Umstand vielen Fans der ersten Stunde sauer aufstößt.
Am Ende irgendwie doch gut
Betrachten wir all diese Unterschiede, gibt es eigentlich keine Entschuldigung, warum das Remake so viele kleine, merkwürdige Designentscheidungen enthält. Wenn man das so liest, könnte man meinen, dass mir Another Code: Recollection nicht wirklich gefallen hat. Dem ist aber nicht so, denn trotz all der Schwächen fällt auf, dass hier einiges an Zeit investiert wurde, um Ashley und Co. den Sprung auf eine moderne Konsolenplattform zu ermöglichen und Another Code einem breiten, jungen Publikum zugänglich zu machen. Getragen wird das Spiel von seiner Protagonistin. Ashley selbst ist ein sehr angenehmer Charakter und es fällt leicht, sich mit ihr zu identifizieren. Mit ihrer freundlichen aber zielstrebigen Art versucht sie in all dem Chaos einen klaren Kopf zu behalten und Schritt für Schritt die Fragen ihrer Vergangenheit zu klären.
Gerade weil sich einige der Interaktionen mit Nebencharakteren seltsam anfühlen, verleihen sie dem Spiel eine gewisse Aura. Vieles wirkt unnötig, aber genau das macht es so besonders. Die Entwickler hätten beispielsweise gar nicht jedes einzelne Gespräch in der Dialogansicht in Szene setzen müssen. Und wenn sie es schon machen – wieso ist die Körpersprache der Charaktere häufig so unpassend? Warum gönnen sich selbst junge Gesprächspartner Denkpausen, bei der man meinen könnte, man wäre im Seniorenstift? Anders gesagt – es passiert manchmal einfach nicht viel und es gibt Momente, in denen hätte ich mir gewünscht, Ashleys Abenteuer als Film oder Anime-Serie anzusehen, anstatt einen Walking-Simulator, ähm Verzeihung, interaktiven Roman mit gelegentlichen Rätseln zu spielen.

Trotzdem – all diese Kleinigkeiten machen Another Code: Recollection so herrlich anders und für Freunde von Visual Novels, Mystery- oder Point-and-Click-Adventures auf jeden Fall einen Blick wert. Die Story hat einiges zu bieten und wer über das etwas langsame Spieltempo hinweg sehen kann, den kann ich nur dazu einladen, sich mit Ashley und ihren Mannen auf ein Abenteuer zu begeben und selbst die Wahrheit über das „Projekt Another“ herauszufinden. Ich jedenfalls bin froh, dass ich meinen persönlichen „CING-Fluch“ überwunden und endlich mal ein Spiel des Studios gespielt habe, welches ähnlich besonders war, wie die Spiele, die sie entwickelt haben.
Habt ihr schon mal ein CING-Spiel gezockt? Bin ich der einzige, der sich über den gamäßigten Spielablauf in Another Code: Recollection wundert? Schreibt es gerne in die Kommentare!
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