Kennt ihr das? Ich liege nach einem langen abendlichen Strandspaziergang an der französischen Atlantikküste auf dem Bett und spiele gemütlich Portal 2 auf dem Steam Deck. Herrlich entspannend. Ein Wohlgefühl von Zufriedenheit und Glückseligkeit. Ich habe Spaß und bin völlig in den weitläufigen Testkammern versunken.
Meine Freundin kommt rein und sagt sinngemäß: „Du spielst ja wie ein Kind. Ob ich nichts Besseres zu tun hätte – das ist doch Zeitverschwendung.“
Das kam für mich eher überraschend, da sie sehr tolerant ist. Sie hat das auf Spanisch gesagt – da klingt das weniger dramatisch. Und dennoch ist wirklich alles an diesem einen Satz falsch. Jedes Wort!
„Du spielst ja wie ein Kind“
Na und? Ist Spielen etwa nur etwas für Kinder? So ein Quatsch! Spielen ist für mich zeitlos, also völlig losgelöst vom Alter. Möglicherweise habe ich einen ausgeprägten Spieltrieb – mag sein. Ich spiele gern, schon immer. Egal was: Tennis, Volleyball, Padel, aber auch jede Art von Brettspielen – Schach natürlich, und wie könnte es anders sein: Videospiele. Angefangen im Kindesalter mit dem Pong-Atari-Automaten, über Elite auf dem C64, Stunt Car Racer auf dem Amiga bis hin zu Portal 2 auf dem Steam Deck.
Es juckt mich schon in den Fingern, wenn ich Leute beim Spielen auch nur sehe – Beachvolleyball beim Strandspaziergang oder Boule an der Strandpromenade der französischen Atlantikküste – wie beim letzten Urlaub. Da bleibe ich automatisch stehen, schaue zu und habe gleich Lust, mitzuspielen. Spielen – das hört nie auf. Sollte es einmal aufhören, fehlt ein Stück von mir. Ein Teil meiner Seele.
„Hast du nichts Besseres zu tun?“
Nein habe ich nicht! Ich habe frei! Ich bin mit dem Spiel beschäftigt und bin ganz Mensch – ganz nach Friedrich Schiller:
„Der Mensch spielt nur, wo er in voller Bedeutung des Wortes Mensch ist, und er ist nur da ganz Mensch, wo er spielt.“
Was meint Schiller damit? Schiller sieht das Spiel nicht als bloße Freizeitbeschäftigung, sondern als Ausdruck der menschlichen Freiheit und Ganzheitlichkeit. Spielen ermöglicht dem Menschen, frei und schöpferisch zu handeln – ohne Zwang, ohne bloßen Nutzen, sondern aus innerer Freiheit und Freude.
Menschsein wird hier mit Spielen gleichgesetzt. Wenn wir spielen, fühlen wir uns auf eine intensive, auf eine echte Weise lebendig. Das ist weit mehr als bloßer Zeitvertreib.
Spielen stärkt unsere Lebensfreude
Beim Spielen sind wir frei und unbekümmert. Hirnforscher haben mittels funktioneller Kernspintomografie festgestellt, dass wir im Spiel weniger Angst haben. Gleichzeitig kommt es zu einer verstärkten Aktivierung neuronaler Netzwerke, die gebraucht werden, um die Herausforderungen des betreffenden Spiels zu meistern. Je komplexer das Spiel, desto mehr neuronale Netzwerke werden gleichzeitig aktiviert und miteinander verknüpft.
Bei jedem erfolgreichen Spielzug oder jeder gelösten Aufgabe ist zudem zu beobachten, dass bestimmte Neuronenverbände im Mittelhirn – die als Belohnungszentren bezeichnet werden – verstärkt zu feuern beginnen. Es kommt zur Ausschüttung von Dopamin, einem Verstärker für ein Gefühl, das als erfolgreich oder angenehm erlebt wird. Das damit einhergehende Gefühl erleben wir als Freude, Lust und wenn es gut läuft, als Glücksgefühl. Spielen stärkt also unsere Lebensfreude!
Wenn wir wirklich spielen, erleben wir keinen Druck, keinen Zwang. Und wenn es nichts mehr gibt, was uns bedrängt, verschwindet auch die Angst.
Was Schiller schon vor über 200 Jahren wusste, bestätigt auch die Wissenschaft von heute: Spielen fördert Lernen, Motivation und Wohlbefinden – und das auf messbare, neurobiologisch nachvollziehbare Weise.
„Das ist doch Zeitverschwendung“
Zeitverschwendung? Kann etwas Zeitverschwendung sein, das Wohlgefühl, Zufriedenheit und Spaß auslöst? Bei dem die Angst verfliegt und bei dem wir frei und unbekümmert sind? Eben!
Im höheren Sinne könnte man die Frage aufwerfen, was denn der Sinn des Lebens ist. Unwohlsein? Unzufriedenheit? Ein Leben ohne Spaß?
Ich bin gar nicht auf die Bemerkung meiner Freundin eingegangen und habe einfach weitergespielt. Wozu auch? Ich muss mich nicht dafür rechtfertigen, Videospiele zu spielen. Genauso wenig muss sich irgendjemand dafür rechtfertigen, Bücher zu lesen, Serien zu schauen, Kreuzworträtsel zu lösen oder einfach nur seinem Hobby nachzugehen.
Erst später habe ich darüber nachgedacht. Auf der Rückfahrt von Frankreich nach Deutschland habe ich zudem ein Hörbuch über das Spielen gehört: Rettet das Spiel – Weil Leben mehr als Funktionieren ist von Gerald Hüther und Christoph Quarch, und das Buch Homo Ludens von Johan Huizinga gelesen – dem Standardwerk über das Spiel, sozusagen. Einige Gedanken davon sind in diesen Beitrag geflossen.
Der Geschmack von Erdbeeren
Warum meine Freundin das so gesagt hat, liegt womöglich daran, dass sie nie in ihrem Leben ein Videospiel gespielt hat – nicht einmal Casual Games auf dem Handy. Denn sonst müsste sie es ja besser wissen!
Der englische Philosoph Bertrand Russell (1872–1970) meinte, dass ein Mensch, der Erdbeeren mag – bliebe alles andere gleich –, besser an die Welt, in der wir leben, angepasst ist als jemand, der sie nicht mag. Es gibt ja keinen objektiven, unpersönlichen Maßstab dafür, ob Erdbeeren gut sind oder nicht, sondern dem, der sie mag, schmecken sie, und dem anderen nicht. Allein derjenige, dem sie schmecken, hat einen Genuss, den der andere nicht kennt – und in diesem Sinne ist sein Leben erfreulicher. Denn Erdbeeren existieren, und eine positive Beziehung zu ihnen trägt zum Wohlbefinden bei, so Russell.
Genauso ist es auch mit Videospielen! So wie Erdbeeren für denjenigen, der sie mag, eine Quelle des Genusses sind, bereichern Videospiele das Leben. Wer sie genießt, erfährt eine Form von Freude, die jemand ohne Bezug dazu nicht kennt – wie eben meine Freundin.
In diesem Sinne sind Videospiele eine Quelle von Wohlbefinden. Wer eine positive Beziehung zu ihnen hat, kann daraus Genuss ziehen – und lebt damit in gewisser Weise „besser angepasst“ an eine Welt, in der Videospiele – wie Erdbeeren auch – existieren und eine Rolle spielen.
Zu guter Letzt
Lest ihr noch, oder spielt ihr schon? Der Text ist hier zu Ende – ihr könnt jetzt spielen.
Lasst euch das Spielen nicht madig machen! Geht Spielverderbern aus dem Weg.
Spielt einfach!
Permalink: https://www.videospielgeschichten.de/sind-videospiele-zeitverschwendung/
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