Bild: Valve Corporation

Sind Videospiele Zeitverschwendung?

Lesedauer: 4 Minuten

Kennt ihr das? Ich liege nach einem langen abendlichen Strandspaziergang an der französischen Atlantikküste auf dem Bett und spiele gemütlich Portal 2 auf dem Steam Deck. Herrlich entspannend. Ein Wohlgefühl von Zufriedenheit und Glückseligkeit. Ich habe Spaß und bin völlig in den weitläufigen Testkammern versunken.

Meine Freundin kommt rein und sagt sinngemäß: „Du spielst ja wie ein Kind. Ob ich nichts Besseres zu tun hätte – das ist doch Zeitverschwendung.“

Das kam für mich eher überraschend, da sie sehr tolerant ist. Sie hat das auf Spanisch gesagt – da klingt das weniger dramatisch. Und dennoch ist wirklich alles an diesem einen Satz falsch. Jedes Wort!

„Du spielst ja wie ein Kind“

Na und? Ist Spielen etwa nur etwas für Kinder? So ein Quatsch! Spielen ist für mich zeitlos, also völlig losgelöst vom Alter. Möglicherweise habe ich einen ausgeprägten Spieltrieb – mag sein. Ich spiele gern, schon immer. Egal was: Tennis, Volleyball, Padel, aber auch jede Art von Brettspielen – Schach natürlich, und wie könnte es anders sein: Videospiele. Angefangen im Kindesalter mit dem Pong-Atari-Automaten, über Elite auf dem C64, Stunt Car Racer auf dem Amiga bis hin zu Portal 2 auf dem Steam Deck.

Es juckt mich schon in den Fingern, wenn ich Leute beim Spielen auch nur sehe – Beachvolleyball beim Strandspaziergang oder Boule an der Strandpromenade der französischen Atlantikküste – wie beim letzten Urlaub. Da bleibe ich automatisch stehen, schaue zu und habe gleich Lust, mitzuspielen. Spielen – das hört nie auf. Sollte es einmal aufhören, fehlt ein Stück von mir. Ein Teil meiner Seele.

„Hast du nichts Besseres zu tun?“

Nein habe ich nicht! Ich habe frei! Ich bin mit dem Spiel beschäftigt und bin ganz Mensch – ganz nach Friedrich Schiller:

„Der Mensch spielt nur, wo er in voller Bedeutung des Wortes Mensch ist, und er ist nur da ganz Mensch, wo er spielt.“

Was meint Schiller damit? Schiller sieht das Spiel nicht als bloße Freizeitbeschäftigung, sondern als Ausdruck der menschlichen Freiheit und Ganzheitlichkeit. Spielen ermöglicht dem Menschen, frei und schöpferisch zu handeln – ohne Zwang, ohne bloßen Nutzen, sondern aus innerer Freiheit und Freude.

Menschsein wird hier mit Spielen gleichgesetzt. Wenn wir spielen, fühlen wir uns auf eine intensive, auf eine echte Weise lebendig. Das ist weit mehr als bloßer Zeitvertreib.

Spielen stärkt unsere Lebensfreude

Beim Spielen sind wir frei und unbekümmert. Hirnforscher haben mittels funktioneller Kernspintomografie festgestellt, dass wir im Spiel weniger Angst haben. Gleichzeitig kommt es zu einer verstärkten Aktivierung neuronaler Netzwerke, die gebraucht werden, um die Herausforderungen des betreffenden Spiels zu meistern. Je komplexer das Spiel, desto mehr neuronale Netzwerke werden gleichzeitig aktiviert und miteinander verknüpft.

Bei jedem erfolgreichen Spielzug oder jeder gelösten Aufgabe ist zudem zu beobachten, dass bestimmte Neuronenverbände im Mittelhirn – die als Belohnungszentren bezeichnet werden – verstärkt zu feuern beginnen. Es kommt zur Ausschüttung von Dopamin, einem Verstärker für ein Gefühl, das als erfolgreich oder angenehm erlebt wird. Das damit einhergehende Gefühl erleben wir als Freude, Lust und wenn es gut läuft, als Glücksgefühl. Spielen stärkt also unsere Lebensfreude!

Wenn wir wirklich spielen, erleben wir keinen Druck, keinen Zwang. Und wenn es nichts mehr gibt, was uns bedrängt, verschwindet auch die Angst.

Was Schiller schon vor über 200 Jahren wusste, bestätigt auch die Wissenschaft von heute: Spielen fördert Lernen, Motivation und Wohlbefinden – und das auf messbare, neurobiologisch nachvollziehbare Weise.

„Das ist doch Zeitverschwendung“

Zeitverschwendung? Kann etwas Zeitverschwendung sein, das Wohlgefühl, Zufriedenheit und Spaß auslöst? Bei dem die Angst verfliegt und bei dem wir frei und unbekümmert sind? Eben!

Im höheren Sinne könnte man die Frage aufwerfen, was denn der Sinn des Lebens ist. Unwohlsein? Unzufriedenheit? Ein Leben ohne Spaß?

Ich bin gar nicht auf die Bemerkung meiner Freundin eingegangen und habe einfach weitergespielt. Wozu auch? Ich muss mich nicht dafür rechtfertigen, Videospiele zu spielen. Genauso wenig muss sich irgendjemand dafür rechtfertigen, Bücher zu lesen, Serien zu schauen, Kreuzworträtsel zu lösen oder einfach nur seinem Hobby nachzugehen.

Erst später habe ich darüber nachgedacht. Auf der Rückfahrt von Frankreich nach Deutschland habe ich zudem ein Hörbuch über das Spielen gehört: Rettet das Spiel – Weil Leben mehr als Funktionieren ist von Gerald Hüther und Christoph Quarch, und das Buch Homo Ludens von Johan Huizinga gelesen – dem Standardwerk über das Spiel, sozusagen. Einige Gedanken davon sind in diesen Beitrag geflossen.

Der Geschmack von Erdbeeren

Warum meine Freundin das so gesagt hat, liegt womöglich daran, dass sie nie in ihrem Leben ein Videospiel gespielt hat – nicht einmal Casual Games auf dem Handy. Denn sonst müsste sie es ja besser wissen!

Der englische Philosoph Bertrand Russell (1872–1970) meinte, dass ein Mensch, der Erdbeeren mag – bliebe alles andere gleich –, besser an die Welt, in der wir leben, angepasst ist als jemand, der sie nicht mag. Es gibt ja keinen objektiven, unpersönlichen Maßstab dafür, ob Erdbeeren gut sind oder nicht, sondern dem, der sie mag, schmecken sie, und dem anderen nicht. Allein derjenige, dem sie schmecken, hat einen Genuss, den der andere nicht kennt – und in diesem Sinne ist sein Leben erfreulicher. Denn Erdbeeren existieren, und eine positive Beziehung zu ihnen trägt zum Wohlbefinden bei, so Russell.

Genauso ist es auch mit Videospielen! So wie Erdbeeren für denjenigen, der sie mag, eine Quelle des Genusses sind, bereichern Videospiele das Leben. Wer sie genießt, erfährt eine Form von Freude, die jemand ohne Bezug dazu nicht kennt – wie eben meine Freundin.

In diesem Sinne sind Videospiele eine Quelle von Wohlbefinden. Wer eine positive Beziehung zu ihnen hat, kann daraus Genuss ziehen – und lebt damit in gewisser Weise „besser angepasst“ an eine Welt, in der Videospiele – wie Erdbeeren auch – existieren und eine Rolle spielen.

Zu guter Letzt

Lest ihr noch, oder spielt ihr schon? Der Text ist hier zu Ende – ihr könnt jetzt spielen.

Lasst euch das Spielen nicht madig machen! Geht Spielverderbern aus dem Weg.

Spielt einfach!

Permalink: https://www.videospielgeschichten.de/sind-videospiele-zeitverschwendung/

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TobiLucaAndré Eymann

5 Antworten zu „Sind Videospiele Zeitverschwendung?“

  1. Avatar von Holger Krupp

    Am besten „Hast du nichts Besseres zu tun?“ fragen und dann 3 Stunden durch Instagram und Facebook zu scrollen. Dann doch lieber Videospiele. Bei mir haben Videospiele auch schon lange Serien und Filme von der Abendunterhaltung verdrängt.

  2. Avatar von André Eymann

    „Ob man nichts Besseres zu tun hätte“ – das ist wirklich ausgemachter Blödsinn. Ich hoffe nicht, dass das wirklich ernst gemeint ist bzw. war. Bei mir ist es so: ich kenne eigentlich fast niemanden mehr, der nicht spielt. Außer meiner Frau. Meine Frau spielt nicht. Aber ihr würde so ein Satz nicht um Traum einfallen. Weil sie genau weiß, dass (Video-)Spielen etwas sehr schönes ist, auch wenn sie davon selbst nicht angesprochen wird. Dafür mag die Spiele im Grundsatz und spielt auch gern mit der Familie Brett- oder Kartenspiele beispielsweise.

    Dafür lese ich zum Beispiel keine Comics (zumindest nicht regelmäßig). Es geht halt auch nicht um das Medium, wie Alex schon angesprochen hat. Es geht auch um die Haltung. Den Respekt anderen gegenüber und der Offenheit andere und ihre Leidenschaften und Einstellungen zu akzeptieren.

    Spielen ist unfassbar wichtig um soziale und psychologische Strategien zu erlernen und auf- und auszubauen. Und das Beste ist: Spiele machen einfach Spaß! Und auch hier kann ich mich Alex nur anschliessen.

    „Spielverderber“ würde ich dennoch nicht in die Ecke stellen, sondern versuchen, ihnen Einblicke in das Spielen zu geben, so dass sie es vielleicht auch für sich entdecken können.

    Danke für Deinen anregenden Text Ferdi!

    Ferdi
    1. Avatar von Ferdi

      Nein, das war sicher nicht ernst gemeint und ich habe das auch nicht ernst genommen. Passt auch überhaupt nicht zu meiner Freundin. Aber das war ein guter Aufhänger für den Text und passte gut zu den Büchern über das Spiel an sich, die ich zu der Zeit gelesen hatte. Aber nein, ich würde Spielverderber auch nicht in die „Ecke“ stellen. Danke für Deinen Kommentar André.

  3. Avatar von Alexander Strellen

    Die Reihe könnte man fortführen: Lesen, Comics, Kunstgalerie, Fußball, Autorennen, alles ist Zeitverschwendung. Wichtig ist doch das jeder mit seiner Gestaltung der Freizeit glücklich wird.
    Ich finde Spielen so wichtig. Nicht nur Videospiele. Alle Arten von Spielen sind wichtig. Im Spiel erfährt man seine Grenzen, man lernt sich an Regeln zu halten, man lernt Gemeinschaft kennen und ganz wichtig: Man lernt zu verlieren. So wird man im Spiel auf das Leben vorbereitet.
    Mir tun Menschen leid die sich auf kein Spiel einlassen können. Die sich vielleicht nicht mal aufraffen und mit ihren eigenen Kindern etwas spielen können. Da gibt es leider zu viele in unserer Gesellschaft.

    FerdiAndré Eymann
    1. Avatar von Ferdi

      Ich bin völlig Deiner Meinung. Der Text war als Plädoyer für das Spiel an sich gedacht, also nicht nur für Videospiele. Ich glaube dennoch, dass Videospiele ganz allgemein in der Gesellschaft eher als Zeitverschwendung angesehen werden, als z.B. Lesen, Kunstgalerie oder Fußball. Leider. Und ja, Menschen, die aufgehört haben zu spielen, haben eher weniger Spaß im Leben. Danke für Deinen Kommentar.

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