Sehr bildhaft erinnere ich mich an diese Zeit direkt um die Jahrtausendwende. Ich war ein Heranwachsender, jugendlich möchte ich mich rückblickend noch gar nicht genannt haben, und Videospiele faszinierten mich damals mindestens so sehr wie Fußball.
Ich besaß ein Nintendo 64 und einen einigermaßen leistungsfähigen PC, der sich bereits mit dem Internet verbinden ließ. In den Sommerferien verging der ein oder andere ganze Nachmittag – auch bei gutem Wetter – zu viert vor dem TV meiner Eltern bei vielen Runden Mario Kart 64 und vielen gesammelten Puzzleteilen in Banjo-Kazooie. Am PC hingegen saß ich fast immer alleine und so war er eher die letzte Wahl bei der Ausschmückung meiner Freizeit. Eher gelangweilt spielte ich schon damals sehr alte Spiele wie Frogger, die mir mein deutlich älterer Cousin auf Disketten zuspielte. Zu den aufregendsten Erinnerungen gehört da noch Commander Keen. Das änderte sich einige Zeit später. Von einem Freund erfuhr ich, dass sein älterer Bruder seine Sammlung an PC-Spielen auflöst.
Mit dem Freund zusammen schwang ich mich aufs Fahrrad und fuhr zu dem recht entlegenen Haus, in dem die PC-Sammlung auf uns wartete. Das Haus befand sich am Dorfrand, es war das vorletzte Haus einer einseitig bebauten Straße, rechter Hand wehte der Wind über das Feld. Ich konnte von hier aus die nächste Ortschaft nicht sehen. Das PC-Regal des älteren Bruders wies bereits Lücken auf, doch es war riesig. Ich weiß nicht ob es an der Größe des Regals lag, den monströsen PC-Big-Boxen oder daran, dass ich noch recht klein war. Mein Eindruck war jedenfalls, dass genug für das ganze Dorf da ist. Ich hatte 30 DM mit auf die Reise genommen. Über Videospiele erfuhr ich damals etwas von Freunden oder aus dem Club-Nintendo-Magazin. Die PC-Spiele und ihre riesigen Boxen, die in diesem Regal auf mich warteten, waren mir im Prinzip durch die Bank weg unbekannt.
Für meine 30 DM wurden mir drei Spiele zugesagt und meine Wahl fiel auf Diablo, Metro-Police sowie Dark Project: Der Meisterdieb – der erste Teil der Thief-Reihe, deren bekanntester Vertreter heute wohl das gleichnamige Reboot aus dem Jahre 2014 ist. Ich weiß auch noch sehr gut warum. Die Cover waren düster, sahen gefährlich aus und versprachen, den mit Abstand meisten Eindruck unter Freunden zu schinden. Übrigens: Die USK-Siegel befanden sich damals noch ganz klein auf der Unterseite der Big-Boxes, nur teilweise auf der Rückseite, aber keineswegs auf der Front der Box. Und das USK-16-Siegel war gelb (heute blau).
Ich radelte mit einem ziemlich guten Gefühl nachhause. Das mit den Systemanforderungen würde schon passen, dachte ich mir. Und das Schicksal meinte es gut mit mir. Zuhause wurde mir klar, was für ein Schnäppchen mir gelungen war. N64-Spiele waren für meinen Geldbeutel, der unglücklicherweise parallel auch durch das Sammeln von Panini-Fußballbildern intensiv belastet wurde, nahezu unerschwinglich und nur zu Geburtstagen und zu Weihnachten realisierbar. Meistens wurde mit Freunden getauscht. Im Regal dieses jungen Mannes hingegen warteten unzählige Schätze darauf, gefunden zu werden – für vergleichsweise lächerliche 10 DM. Mit Diablo und Dark Project hatte ich sogar ein richtig gutes Händchen bewiesen, wie mir einige Jahre später klar wurde. An Metro-Police hingegen habe ich gar keine Erinnerungen. Seltsam.
Ich erstritt mir bei meiner Mutter also einen Taschengeldvorschuss und war fest entschlossen, diesen nicht an Panini-Klebebildchen zu verballern, sondern am besten an zwei weitere PC-Spiele. Das riesige Regal wies inzwischen ebenso riesige Lücken auf. 20 DM hatte ich bei diesem zweiten Ausflug dabei und schnell fiel meine erste Wahl auf Silver. Eine dieser „westlichen Antworten auf JRPGs“, wie ich heute weiß. Es hat mir ganz gut gefallen – wenn ich mir heute Screenshots aus Silver ansehe, kann ich mich gut erinnern.
Nun hatte ich noch 10 DM für ein letztes Spiel. Immer noch standen einige Spiele zur Wahl und entweder die Käufer vor mir waren ebenso ungebildet ob der Qualitäten der noch verbleibenden Spiele wie ich oder aber sie besaßen eine der größten Perlen der Videospielgeschichte bereits und das Spiel verblieb nur deshalb noch im Regal. Jedenfalls befand sich ein gewisses Final Fantasy VII noch immer unter den hier verfügbaren PC-Spielen. Ein „echtes JRPG“. Die Big-Box war vollständig weiß und das war bei meinem ersten Anlauf noch relativ unattraktiv für mich. Doch nun, bei weniger Auswahl und auf den zweiten Blick, fiel mir das riesige Schwert des Protagonisten auf. Er selbst schien mir ein wenig kindlich, doch seine Waffe imponierte mir. Die Bildschirmfotos auf der Rückseite der Big-Box gingen in Ordnung für mich. Das war eine gute Grafik, soweit ich es erkennen konnte.
Die Wahl fiel also auf Final Fantasy VII und es war eine schicksalhafte Wahl. Das Spiel zog mich derart in seinen Bann, dass ich Gleichgesinnte suchte, die ich in meinem Freundeskreis aber nicht fand. Im Internet entstanden längst die ersten Communitys und Foren, ich schloss mich an und es begann eine aufregende Internetzeit, in der ich dank SELFHTML auch selbst lernte, Internetseiten zu erstellen.
Ich fieberte Final Fantasy VIII entgegen, das ich mir zur Veröffentlichung kaufte. Ich schloss mich einer Online-Petition an (die gab es schon damals), um für eine PC-Version von Final Fantasy IX zu streiten. Denn eine PSOne hatte ich nie besessen. Als die PlayStation 2 veröffentlicht wurde, war mein erstes PS2-Spiel ein alter PSOne-Schinken: eben Final Fantasy IX. Ich verschlang Final Fantasy X und war enttäuscht darüber, dass Final Fantasy XI ein MM-Online-RPG war. Dafür hatte ich nicht die Internetleitung. Es mag klingen, als lägen Dekaden zwischen dem Regal am Dorfrand und Final Fantasy XII, doch tatsächlich waren es nur eine Handvoll Winter.
Als Final Fantasy XII angekündigt wurde, war meine Final-Fantasy-Leidenschaft immer noch riesig und meine HTML-Kenntnisse waren inzwischen groß genug für mein erstes großes Internetprojekt. Im Dezember 2003 ging PLANETFF12.DE (noch in den Internet-Archiven abrufbar) online, daraus entwuchs FINAL-FANTASY-FUTURE.DE und schließlich JPGAMES.DE, das ich heute nebenberuflich betreibe. Hätte mir meine Mutter damals den Taschengeldvorschuss nicht gewährt, wäre es dazu wohl nie gekommen.
Übrigens: Viele Jahre später hatte ich die Möglichkeit, Nobuo Uematsu zu einem Interview zu treffen. Dafür bin ich (auf eigene Kosten) extra an einem Tag von Leipzig nach Köln und zurück gereist. Meine Big-Box hat unversehrt die Jahre überdauert und auch die Zeit, die leider viel zu viele von uns durchliefen und in der wir der Meinung waren, von einem Videospiel sei ja allenfalls der Datenträger von Belang. Schweigeminute? Bei der Gelegenheit jedenfalls habe ich mir meine gut erhaltene Big-Box von Final Fantasy VII signieren lassen, mit der einst alles begann.
Wie ist es mit euch? Hat auch bei euch eine vielleicht beiläufige Entscheidung euren Geschmack nachhaltig geprägt, vielleicht aber auch Abneigungen erzeugt? Oder gar, auch wenn das ein bisschen hochgegriffen klingt, euer Leben beeinflusst? Und ich denke davon kann man sprechen, wenn man auch nach all den Jahren ein Hobby noch derart intensiv ausübt, dass es in eurem Zeitmanagement eine wesentliche Rolle spielt. Oder?
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