Stardew Valley ist kein richtiges Spiel, Fortnite auch nicht – und Mobile Games schon gar nicht! – Solche und ähnliche Aussagen finden sich zuhauf im Internet. Wer sich lediglich mit „Casual Games“ befasst, sei kein richtiger Gamer und möge bitte die selbsternannte Elite nicht beim grinden, looten und craften stören, heißt es dort.
Aber wie kann es sein, dass die Liebe zu den Sims-Spielen weniger wert ist als zu der Elder Scrolls-Reihe? Beobachten lässt sich: Teil einer erlesenen Elite zu sein, pusht das Ego. Daher schaffen sich einige Hardcore-Fans ihre Identität durch Abgrenzung – ein Phänomen, dass es auch in anderen Unterhaltungsbereichen zu sehen gibt.
Sie streben ein abgeriegeltes Heiligtum an, ein nach außen hin geschlossenes System. Nur diejenigen, die nach ihren (oft diffusen und irrationalen) Regeln spielen und so viel Zeit und Herzblut investieren wie sie, haben das Recht auf einen Platz an der Spitze. Das Problem hat einen Namen: Gatekeeping. Man gewinnt dabei den Eindruck, dass gewisse Menschen ihr Hobby bedroht sehen und es schützen wollen vor … ja, wovor eigentlich?
Verteidigung der eigenen vier Wände
Elitäres Denken spaltet jede Gemeinschaft.
Matthias Jessen
Wer stolz auf einen Titel ist, wer ihn als sinn- und identitätsstiftend für sein Leben erachtet, fürchtet sich unweigerlich davor, dass der Zugang zu eben diesem Titel für andere – womöglich weniger hart „Arbeitende“ – erleichtert wird. Der Wunsch, die Worthülse „Gamer“ bis aufs Blut zu verteidigen, ist der Versuch, einen undefinierten, elitären Bereich zu schützen. Die Mittel dafür sind Ausgrenzung und Verunglimpfung.
Dieses reflexartige Verhalten wird durch die Angst befeuert, dass die eigene Lieblingsbeschäftigung von einem breiteren Kulturkreis vereinnahmt wird. Aber was wäre so schlimm dabei? Sich innerhalb einer Gesellschaft an eine selbst definierte Rolle zu klammern, spendet ein Gefühl von Zugehörigkeit und bietet einen Pool an kulturellen Artefakten wie Sprache (bspw. Gamersprache), Idealen (bspw. Trophäen) und Verhaltensweisen (bspw. Investition tausender Stunden in ein Spiel). Wenn diese Harmonie durch „Kulturfremde“ gestört wird, droht eine Veränderung oder sogar eine Umwälzung.
Mitglieder der Gaming-Community sind nicht gerade für ihren höflichen, differenzierten Umgang bekannt. Hochgradig sauertöpfische Diskussionen über die Zugehörigkeit zu einer Konsolenfraktion oder zur „PC Master Race“ zeigen deutlich, auf welchem Niveau Diskussionen größtenteils ablaufen und wie wenig Substanz die tatsächlichen Argumentationspunkte haben. Des toxischen Verhaltens überdrüssig mussten erst kürzlich die Reddit-Moderatoren den Gaming-Bereich vorübergehend schließen.
Eine andere Diskussion wird aktuell über den Schwierigkeitsgrad von Sekiro geführt. Während einige sich einen „Easy-Mode“ wünschen, wird der hohe Schwierigkeitsgrad durch diejenigen verteidigt, die das Spiel bereits durchspielen konnten – und sich damit rühmen.
Ein fragwürdiger Maßstab
Doch außer in den Köpfen einiger gibt es keinen einheitlichen Maßstab, wann sich jemand „Gamer“ schimpfen darf. Gehöre ich erst wirklich dazu, wenn ich über zweitausend Stunden in Counter-Strike verbracht habe? Wenn ich die Dark Souls-Reihe mit verbundenen Augen auf einer Tanzmatte durchgespielt habe? Wenn ich über 500 Euro in kosmetische Items in einem Free-to-Play-Titel investiert habe? Wenn mein Steam-Account über 2.500 Titel umfasst? Wenn meine heimische acht-Meter-Regalwand mit Retro-Konsolen und Spielehüllen vollgestopft ist?
Alleine der Mangel eines Maßstabs führt die gesamte Diskussion ad absurdum – dennoch wird diese inbrünstig weiter auf Twitter, Reddit, Twitch oder in den Fegefeuern der YouTube-Kommentare geführt.
Neue und weniger ambitionierte Spieler als minderwertige Eindringlinge anzusehen, zu beleidigen und zu entmutigen ist schändlich und unmenschlich.
Matthias Jessen
Streit um eine Worthülse
Dabei ist der Begriff „Gamer“ keineswegs mit beispielsweise einem Doktortitel gleichzusetzen, der eine festgelegte Laufbahn mit entsprechenden Qualifikationen voraussetzt. Seien wir ehrlich, die Spiele-Community ist kein Geheimkult mit Aufnahmeritualen oder erstrebenswerten Rängen. Es ist auch keine Quantenphysik, die ein jahreslanges Studium der Bausteine des Universums bedarf.
In seiner Grundidee sind Spiele ein Unterhaltungsmedium, das Freude bereiten soll. Anstatt es zu begrüßen, dass Videospiele inzwischen ein allgemein anerkanntes Kulturgut geworden sind, verdammen einzelne Hardliner die Verwässerung und Verunreinigung ihrer Domäne – und schaffen als Reaktion darauf künstliche Hierarchien.
Diversifikation des Marktes ist begrüßenswert
Elitäres Denken spaltet jede Gemeinschaft. Die Vorstellung, ich wäre ein besserer Mensch, weil ich weitaus mehr Kills in einem Spiel habe, ist blanker Irrsinn – ebenso wie der klägliche Versuch, sich über seinen eigenen Geschmack zu definieren und anderen seine Erhabenheit aufdrängen zu wollen. Und dann ist da noch das Argument, „Casual Games“ und ihre zahlungskräftigen Unterstützer würden „echte Games“ kaputtmachen.
Dabei möchte nicht jeder tagtäglich die drei gleichen Twitch-Dauerbrenner zocken oder zu Schwergewichten wie Sekiro, Dead Cells oder Cuphead greifen. Eine Produktdiversifikation hat den Vorteil, dass jeder Anspruch bedient wird und Spiele auch Personen zugänglich gemacht werden, deren Frustresistenz geringer ausfällt. Je weiter Spiele in die Mitte der Gesellschaft vorrücken, desto größer wird die Akzeptanz für das Medium – und das kommt am Ende allen zugute.
Ungestört weiterzocken
Ich kann weiterhin Freude an The Division 2 auf meinem heimischen PC haben, auch wenn jemand neben mir in der U-Bahn ein Mobile Game spielt. Und ich kann mir weiterhin ungestört die Zähne an bockschweren Spielen wie Bloodborne ausbeißen, auch wenn Blizzard Diablo aufs Smartphone bringt. Der Markt ist vielfältig, wenn nicht sogar übersättigt und ich habe die Wahl, womit ich mir die Zeit vertreibe.
Es ist absurd, sich in seiner Rolle als „passionierte Gamer“ bedroht zu fühlen, nur weil der Markt für weitere Menschen geöffnet wird. Neue und weniger ambitionierte Spieler als minderwertige Eindringlinge anzusehen, zu beleidigen und zu entmutigen ist schändlich und unmenschlich. Und seien wir ehrlich: Wer will schon einem elitären Kreis „wahrer Gamer“ angehören, die einen solchen Umgang pflegen?
Eine Frage der Selbstdefinition
Ohne mit der Wimper zu zucken, würde ich mich selbst als „Gamer“ bezeichnen, auch wenn ich keinen Gaming-Sessel, kein Gaming-Headset, keine Gaming-Tastatur und keine grell blinkende Wasserkühlung in meinem PC-Tower besitze. Bei Steam habe ich nur knapp eine Handvoll Freunde, ich trinke keine Energy-Drinks, gehöre keinem Clan an und auf der Playstation habe ich keine einzige Platin-Trophäe. Mit „nur“ 110 Stunden ist Factorio mein Spiel mit der längsten Spielzeit.
Dennoch ist Gaming seit fast zwanzig Jahren eine Leidenschaft, der ich gerne nachgehe. Und ich freue mich, wenn Menschen, die bisher keine Berührungspunkte mit Videospielen hatten, darin einen gewissen Wert oder Freude daran empfinden.
Wie sieht es bei euch aus, liebe Leserinnen und Leser? Was habt ihr bisher für Erfahrungen mit Gatekeeping gemacht? Hat es eure Spielerfahrung negativ beeinflusst oder befürwortet ihr womöglich sogar, dass sich gewisse elitäre Gruppen bilden? Wenn ja, welchen Einfluss haben sie eurer Meinung nach auf das Medium Spiele, deren Wahrnehmung und deren Entwicklung?
Schreibe einen Kommentar