First try: Mirror’s Edge

Avatar von Kevin Puschak
Lesedauer: 4 Minuten

Über Dächer, hinter Schächten, an Wänden, überall auf der Flucht vor der Polizei. Läuft bei Faith, der Protagonistin des inzwischen 15 Jahre alten Actionspiels, dessen Schönheit bis heute nicht gelitten hat.

Zugegeben: Videospiele, bei denen es schon zur Essenz gehört, an zahlreichen Passagen zu klettern und zu hangeln, haben eine gewisse Faszination in sich, was die Bewegungsfreiheit angeht. „Tomb Raider“ von 1996 ist ein Prachtexemplar dafür. Das Problem: ich bin furchtbar schlecht in solchen Spielen. Kein Witz.

Wie komme ich dann auf die Idee, ein Spiel anzurühren, in dem man sowas ähnliches macht? Ganz einfach. 2008 ist eine Zeit, in der eine Computermaus zum standardmäßigen Peripheriegerät für ein Computerspiel gehört. Und die Charaktere mit ebendieser gesteuert werden können. Das macht die Navigation durch zahlreiche Hindernisse wesentlich angenehmer.

„Mirror’s Edge“ bietet verschiedene Kombinationen an, um sich in der Spielwelt elegant fortbewegen zu können. Springen, ducken, schlittern, an Wänden hochlaufen und dabei sich noch nach hinten drehen, um eine Plattform zu erreichen. Nur mit Tastatur ein Knochenjob, mit Maus und Tastatur eine halbwegs machbare Angelegenheit.

A little Faith in you…

Ein optionales Tutorial bringt die Bewegungsmechaniken näher. (Screenshot aus einem Twitch-Livestream)
Ein optionales Tutorial bringt die Bewegungsmechaniken näher. (Screenshot aus einem Twitch-Livestream)

Einen vertrauenswürdigen Namen trägt die Dame, die wir in diesem Actionspiel steuern: Faith. Sie gehört zur Gruppe der Runner, die unter dem Deckmantel der totalen Überwachung einer Stadt „[i]n naher Zukunft“ anonyme „Pakete, Daten und alles andere transportieren“. Doch sie gerät ins Kreuzfeuer, als ein bekannter Politiker ermordet aufgefunden wird. Ihre Schwester Kate – eine Polizistin – gerät ebenfalls in Verdacht. Eine wilde Verfolgungsjagd beginnt.

Die Fortbewegung erfolgt über verschiedene Stellen, die wie ein Parcours wirken. Je nachdem, wie flott man voranschreitet, hangelt man sich geschmeidig an Wände, springt von Gebäude zu Gebäude oder klettert an Rohren. Im einfachen und normalen Schwierigkeitsgrad hilft die so genannte „Runner Vision“ dabei, die möglichen Sprung- und Greifpunkte in der hellen Spielwelt zu erahnen; sie strahlen dann in einer auffällig roten Farbe.

Schwindelerregende Höhen bilden dabei keine Ausnahme. Von hohen Punkten zu springen erfordert eine sanfte Landung, sei es auf gigantischen Kissen oder Abrollen auf dem Boden. Weit entfernte Plattformen können teilweise nur durch einen „Wallrun“ erreicht werden, was ein wenig gewöhnungsbedürftig ist, aber ausgesprochen cool aussieht.

Da die Polizei der streng kontrollierten Stadt die Protagonistin ausfindig machen möchte, hilft in manchen Fällen nicht einmal die Flucht. Faith ist in der Lage, Nahkampftechniken an Gegnern anzuwenden. Und sollten etwas kräftig gepolsterte Einsatzkräfte auftauchen, kann auch die Waffe aus der Hand genommen und für eine Weile verwendet werden. Da wir hier allerdings kein „Ballerspiel“ haben, sind die Schussgefechte eher rudimentär vorhanden. Geheilt wird man nach einer gewissen Zeit automatisch.

A little Fail in you…

Wie ich zu Beginn erwähnt habe, ist mein Gameplay in Spielen mit wahnsinnig vielseitigen Bewegungsmöglichkeiten ungefähr so zuverlässig wie die sehr billigen Sachen dem China-Shop „Temu“. Die Basics, die keinerlei Fragen aufwerfen, gehen voll in Ordnung. An einer Wand die Springen-Taste drücken und Faith klettert nach oben. Die Aktionstaste an einem Fahrstuhl betätigt und Faith drückt ein Knöpfchen darin.

Beim ersten Spieldurchgang wird man dennoch mit Trial & Error konfrontiert. Trotz der Hilfe, die man aktivieren kann, um zu sehen, wo man hin muss, ist die Orientierung gerne mal problematisch. Wo muss ich hin? Wie muss ich springen? Wie komm’ ich da rüber? Es gab in meinem Spielverlauf nur eine einzige Stelle, an der ich über eine halbe Stunde über genau sowas nachdenken musste.

Wenn ich vor allen Dingen meinen Spieldurchgang mit denen anderer – etwa in Youtube-Videos – vergleiche, merke ich, wie wenig ich die flotten Bewegungsmöglichkeiten nutze. Teilweise war mir gar nicht bewusst, dass sowas überhaupt möglich war. Statt langsam hangeln, um eine höher gelegene Plattform zu erreichen, genügt mit Anlauf ein Wallrun da hin. Flotte Spieler schaffen es ohne seltsames „Bug-Using“ das Spielende in unter zwei Stunden, mein erster Durchgang gelang in knapp acht.

Trial & Error ist vor allen Dingen dafür verantwortlich, dass mein Spielcharakter wahnsinnig oft gestorben ist, was sich äußerst unangenehm anhört. Das faire Checkpoint-System setzt den Spielcharakter allerdings nicht zu weit zurück, sofern man kritische Stellen passieren musste.

An Spiegels Kante

Zur Mittagszeit erstrahlt die ganze Welt im Sonnenglanz. (Screenshot stammt aus einem Twitch-Livestream)
Zur Mittagszeit erstrahlt die ganze Welt im Sonnenglanz. (Screenshot stammt aus einem Twitch-Livestream)

„Mirror’s Edge“ bietet eine überaus farbintensive Spielwelt. Tageslicht neigt zur Überblendung und die Nächte wirken imponierend. Darüber hinaus stechen beim Durchlaufen einiger Gebäude im Innenbereich die kräftigen Farben hervor. Mal ein kräftiges Grün, mal ein kräftiges Blau. Optisch kann sich der Titel 15 Jahre nach Veröffentlichung immer noch sehen lassen.

Die deutsche Synchronisation haut keinen vom Hocker, ist aber solide gemacht und die Emotionen kommen gut rüber. Absolut umgehauen hat mich aber die Geräuschkulisse. Mit Kopfhörern ist die Intensität der Stadtatmosphäre oder die der Schussgefechte kräftig wahrnehmbar. Die Windgeräusche beim Laufen tragen ebenfalls zu einem hervorragenden Sound bei. Insbesondere, da das Spiel aus einer First-Person-Perspektive gespielt wird. Auf Dauer nichts für Leute, die schnell zu Motion Sickness neigen.

Sehr schön anzusehen sind die Comic-Cutscenes, die einen Übergang zum neuen Kapitel darstellen. Manche Cutscenes finden allerdings im laufenden Spiel statt, was sich über die flüssigere Bewegung und dem Entzug der Kontrolle bemerkbar macht.

Auf meinem Testsystem – ein HP-Rechner mit AMD Phenom 9600B, vier Gigabyte Arbeitsspeicher, Nvidia Geforce 9800 GT und Windows Vista Home Premium – lief das Spiel mit hohen Grafikdetails und 720p im angenehmen Frameraten-Bereich. Leider musste ich auf die äußerst schicken PhysX-Effekte verzichten, da das Spiel sonst regelmäßig abgestürzt ist. Ungefähr so regelmäßig wie mein Spielcharakter.

Wer es heute noch spielen möchte, hat Glück. Sowohl Steam als auch GOG bieten „Mirror’s Edge“ an. Und es läuft hervorragend auf aktuellen Systemen. Wer dem Parcours-Gefecht mit First-Person-Perspektive und schicker Grafik eine Chance geben möchte, nur zu.

Mein Fazit: Läuft!

Die Großstadt ist auch spätabends hübsch anzusehen. (Screenshot stammt aus einem Twitch-Livestream)
Die Großstadt ist auch spätabends hübsch anzusehen. (Screenshot stammt aus einem Twitch-Livestream)

Faith braucht wahnsinnig großes Vertrauen in mir, denn mein erster erfolgreicher Durchlauf (no pun intended) durch „Mirror’s Edge“ endete in zahlreichen Abstürzen und Versuchen, bestimmte Bereiche erreichen zu können. Dennoch hat mich das intensive Gameplay durchaus gereizt, da man ohnehin das große Verlangen hat, alle Spielumgebungen dank der Bewegungsmöglichkeiten flott zu erreichen.

Nichtsdestotrotz darf man einen Blick auf die hübsche Spielwelt riskieren, die zwar nicht immer die schärfsten Texturen besitzt, aber so mit kräftigen Farben strahlt, dass man davon glatt geblendet wird. Doch nicht nur die Optik, sondern auch die Akustik ist ein wahrer Schmaus für die Sinnesorgane.

Und sollte man dennoch an vielen Stellen scheitern: das Checkpoint-System ist überaus fair gestaltet und die „Runner Vision“ hilft ungemein, nicht allzu sehr die Orientierung zu verlieren. Wenn vorhanden. Im Großen und Ganzen kann selbst ich als jemand, der in diesem Bereich der Videospiele häufig scheitert, „Mirror’s Edge“ definitiv als spielenswert ansehen.

LordJohn75WolfgangAndré EymannDennis GereckeMichaelTobi

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11 Antworten zu „First try: Mirror’s Edge“

  1. Avatar von Wolfgang

    Habe Mirrors Edge damals geliebt und auf der PS3 durchgespielt (steht heute noch im Regal). Die „finalen Szenen“ sind mir noch in guter Erinnerung. Damit man in einen richtigen „Flow“ gekommen ist, war durchaus einiges an „Einarbeitungszeit“ zu investieren. Wenn ein solcher gelang, dann konnte man so richtig durch die Abschnitte rauschen. Ein tolles Erlebnis. Vor allem der Soundtrack, hach, der begleitete mich noch Jahre danach ( Lisa Miskovsky mit „Still Alive“ anyone?) Bei mir ist es umgekehrt zu einigen Ansichten hier, gerade die Ego Perspektive machte für mich viel von dem Reiz aus.

    Natürlich gab es Elemente davon auch schon in Spielen zuvor, Prince of Persia wurde ja schon angesprochen. Parkour als Fortbewegungsart, das gehört für mich jedoch einfach in ein „urbanes Setting“. Genau das macht Mirrors Edge richtig gut. Weil einfach auch die Story davon durchzogen ist, und das Ganze nicht nur als Mechanik im Spiel dient. Für mich hat Mirrors Edge damals durchaus einen Weg für andere Spiele gelegt. Dying Light fällt mir ein, auch Ghostrunner (das treibt Trial & Error richtig an die Spitze), ja auch Cyberpunk. In denen sind viele Einflüsse zu finden. Heute sind mir derartige Spiele etwas zu schnell geworden.

    Mirrors Edge wird unter allen meinen gespielten Spielen immer einen besonderen Platz haben ..und jetzt muss ich gleich nach dem Soundtrack suchen 🙂

    Kevin PuschakTobi
    1. Avatar von Tobi

      Sehe ich auch so, dass die immersive Ego Ansicht so muss, wie sie ist. Nicht umsonst überkommt mich bei Mirror’s Edge noch immer so ein kurzes, panisches Gefühl im Bauch, wenn ich irgendwo runterfalle. Das hat später nur Dying Light geschafft. Der Soundtrack ist bei beiden Teilen der Hammer und passt einfach sooo gut zu den Spielen 😍

      Kevin PuschakWolfgang
    2. Avatar von Kevin Puschak

      Ich kann mir sehr gut vorstellen, dass man den Flow perfekt ausführen kann, wenn man weiß, wo man was wie machen muss. Dann setzt dieses befriedigende Gefühl des flotten Gameplays definitiv ein. Denke mal, dass dieses Gefühl noch nicht so ganz rüberkommen wird, wenn man „Mirror’s Edge“ vorher noch nie (richtig) gespielt hat. Aber ich kann mich gut in die Lage von jemanden versetzen, der es dutzende Male probiert, um das perfekte Gameplay zu kreieren.

      Ich muss offen zugeben, dass der Soundtrack in Verbindung mit der Hintergrundgeschichte des Spiels ein kleines Tränchen bei mir vergießen ließ. 😀

      Tobi
      1. Avatar von Tobi

        Ich hab noch mal das Original entstaubt und bin sogar etwas weiter gekommen 😅 Dabei wurde mir wieder bewusst, wie viel geschmeidiger, frustfreier und entspannter sich Catalyst spielt, auch wenn Verfechter des Originals mich dafür hassen werden. Vielleicht ist der zweite Teil auch mal ein Versuch wert, Kevin.

  2. Avatar von Tobi

    Ooh, danke für deinen Beitrag, Kevin! Mirror’s Edge ist wirklich eine Besonderheit auf dem Spielemarkt und hat von seinem Charme auch so viel später nichts eingebüßt. Der sehr nüchterne und doch farbenfrohe Artstyle, der Sound, die Aussicht, die Parcour-Akrobatik, der treibende Spielablauf. Die ganze Atmosphäre von Mirror’s Edge ist eine sehr zwiegespaltene und gesellschaftskritische, finde ich. Ein Meilenstein der Videospielgeschichte.
    Wie du schon schreibst, kann es durch viel Try & Error aber auch frustrieren und man fällt vielleicht das 73. Mal an der gleichen Stelle runter oder wird von der gleichen Wache niedergestreckt. Zugegeben, habe ich es nie beendet, da ich bestimmt das 74. Mal an der einen, gleichen Stelle gescheitert bin. Angespornt durch deinen Text werd ich mit dem Ganzen noch mal einen Anlauf wagen 😊
    Ich habe den Nachfolger (welcher ja eigentlich sogar der Vorgänger ist) Mirror’s Edge Catalyst durchgespielt und laufe dort noch manchmal nach Feierabend zur Entspannung über die Dächer und durch die Häuser der futuristischen, aber schon steril wirkenden Stadt Glass. Was auch mein größter Kritikpunkt wäre, denn ein wenig Menschheit abseits der unerreichbaren Dachterrassen hätte dort gut gepasst. Was aber auch irgendwie wieder gut zur geteilten Gesellschaft passt. Ja, aber trotzdem… Viele sagen, dass die Open World dem Franchise nicht gut tat, aber ich bin dort – entgegen bei so vielen anderen offenen Spielwelten – total aufgeblüht.
    Ein tolles Franchise, lieben Dank für deine Würdigung und den schönen Beitrag, Kevin!

    Kevin PuschakWolfgang
    1. Avatar von Kevin Puschak

      Ehrt mich, dass der Text zum nochmaligen Anschmeißen motiviert hat. 😀

      Ja, „Mirror’s Edge“ ist schon so eine kleine Perle. Nicht perfekt, aber auf seine Weise doch irgendwie herausstechend und besonders. Leider habe ich den Nachfolger noch nicht angerührt, aber vielleicht gebe ich dem auch mal eine Chance. 🙂

      Tobi
      1. Avatar von Tobi

        Mach das ruhig, ich hab weiter oben schon bei Wolfgang was zu Catalyst geschrieben. Vielleicht sollte ich nächstes Mal erst alles lesen, bevor ich antworte..

  3. Avatar von Dennis Gerecke

    Ich habe das Spiel damals auch gespielt. Es konnte mich allerdings nur durchschnittlich unterhalten. Die Parkoureinlagen waren mir bereits aus Prince of Persia bekannt, wo sie besser ausgeführt wurden konnten. Die Ego-Perspektive von Mirrors Edge passt irgendwie nicht zum schnellen Gameplay des Spiels. Ich habe dadurch – wie du es in deinem Text beschrieben hast – häufig die Orientierung verloren. Mir hätte eine Third-Person-Ansicht wahrscheinlich mehr zugesagt.

    Kevin PuschakWolfgangTobiAndré Eymann
    1. Avatar von Kevin Puschak

      Eine optionale Third-Person-Ansicht wäre wahrscheinlich nicht schlecht gewesen, um beide Parteien zufriedenstellen zu können. Ich finde, die Ego-Perspektive passt zum Setting, jedoch hat man da einiges so gewöhnungsbedürftig realisiert, dass da schon der Eindruck des „fehl am Platz“ herrscht.

  4. Avatar von Adrian 🇩🇪

    @vsg Es war ein tolles Spiel in das ich mich damals sehr verliebt habe. Damals auf dem Rechner von meinem Vater gespielt da er den potenteren Rechner hatte. 😄

    WolfgangTobiAndré EymannMichaelKevin Puschak
  5. Avatar von M. Forester

    @vsg Ein großartiges Spiel, das auch großartig gealtert ist. Ich habe es selbst erst vor ein paar Jahren wieder gespielt. Diesmal allerdings mit einem Gamepad statt Maus und Tastatur, was ich noch ein wenig angenehmer finde. Man muss sich immer noch Button Combos merken, die fast an ein Fighting Game erinnern, aber eben das fällt mir auf dem Gamepad leichter.Dem Nachfolger Catalyst habe ich auch eine Chance gegeben, aber der Open World Ansatz gefiel mir nicht so wie die stringente Story hier.

    WolfgangTobiAndré EymannMichaelKevin Puschak