Über Dächer, hinter Schächten, an Wänden, überall auf der Flucht vor der Polizei. Läuft bei Faith, der Protagonistin des inzwischen 15 Jahre alten Actionspiels, dessen Schönheit bis heute nicht gelitten hat.
Zugegeben: Videospiele, bei denen es schon zur Essenz gehört, an zahlreichen Passagen zu klettern und zu hangeln, haben eine gewisse Faszination in sich, was die Bewegungsfreiheit angeht. „Tomb Raider“ von 1996 ist ein Prachtexemplar dafür. Das Problem: ich bin furchtbar schlecht in solchen Spielen. Kein Witz.
Wie komme ich dann auf die Idee, ein Spiel anzurühren, in dem man sowas ähnliches macht? Ganz einfach. 2008 ist eine Zeit, in der eine Computermaus zum standardmäßigen Peripheriegerät für ein Computerspiel gehört. Und die Charaktere mit ebendieser gesteuert werden können. Das macht die Navigation durch zahlreiche Hindernisse wesentlich angenehmer.
„Mirror’s Edge“ bietet verschiedene Kombinationen an, um sich in der Spielwelt elegant fortbewegen zu können. Springen, ducken, schlittern, an Wänden hochlaufen und dabei sich noch nach hinten drehen, um eine Plattform zu erreichen. Nur mit Tastatur ein Knochenjob, mit Maus und Tastatur eine halbwegs machbare Angelegenheit.
A little Faith in you…
Einen vertrauenswürdigen Namen trägt die Dame, die wir in diesem Actionspiel steuern: Faith. Sie gehört zur Gruppe der Runner, die unter dem Deckmantel der totalen Überwachung einer Stadt „[i]n naher Zukunft“ anonyme „Pakete, Daten und alles andere transportieren“. Doch sie gerät ins Kreuzfeuer, als ein bekannter Politiker ermordet aufgefunden wird. Ihre Schwester Kate – eine Polizistin – gerät ebenfalls in Verdacht. Eine wilde Verfolgungsjagd beginnt.
Die Fortbewegung erfolgt über verschiedene Stellen, die wie ein Parcours wirken. Je nachdem, wie flott man voranschreitet, hangelt man sich geschmeidig an Wände, springt von Gebäude zu Gebäude oder klettert an Rohren. Im einfachen und normalen Schwierigkeitsgrad hilft die so genannte „Runner Vision“ dabei, die möglichen Sprung- und Greifpunkte in der hellen Spielwelt zu erahnen; sie strahlen dann in einer auffällig roten Farbe.
Schwindelerregende Höhen bilden dabei keine Ausnahme. Von hohen Punkten zu springen erfordert eine sanfte Landung, sei es auf gigantischen Kissen oder Abrollen auf dem Boden. Weit entfernte Plattformen können teilweise nur durch einen „Wallrun“ erreicht werden, was ein wenig gewöhnungsbedürftig ist, aber ausgesprochen cool aussieht.
Da die Polizei der streng kontrollierten Stadt die Protagonistin ausfindig machen möchte, hilft in manchen Fällen nicht einmal die Flucht. Faith ist in der Lage, Nahkampftechniken an Gegnern anzuwenden. Und sollten etwas kräftig gepolsterte Einsatzkräfte auftauchen, kann auch die Waffe aus der Hand genommen und für eine Weile verwendet werden. Da wir hier allerdings kein „Ballerspiel“ haben, sind die Schussgefechte eher rudimentär vorhanden. Geheilt wird man nach einer gewissen Zeit automatisch.
A little Fail in you…
Wie ich zu Beginn erwähnt habe, ist mein Gameplay in Spielen mit wahnsinnig vielseitigen Bewegungsmöglichkeiten ungefähr so zuverlässig wie die sehr billigen Sachen dem China-Shop „Temu“. Die Basics, die keinerlei Fragen aufwerfen, gehen voll in Ordnung. An einer Wand die Springen-Taste drücken und Faith klettert nach oben. Die Aktionstaste an einem Fahrstuhl betätigt und Faith drückt ein Knöpfchen darin.
Beim ersten Spieldurchgang wird man dennoch mit Trial & Error konfrontiert. Trotz der Hilfe, die man aktivieren kann, um zu sehen, wo man hin muss, ist die Orientierung gerne mal problematisch. Wo muss ich hin? Wie muss ich springen? Wie komm’ ich da rüber? Es gab in meinem Spielverlauf nur eine einzige Stelle, an der ich über eine halbe Stunde über genau sowas nachdenken musste.
Wenn ich vor allen Dingen meinen Spieldurchgang mit denen anderer – etwa in Youtube-Videos – vergleiche, merke ich, wie wenig ich die flotten Bewegungsmöglichkeiten nutze. Teilweise war mir gar nicht bewusst, dass sowas überhaupt möglich war. Statt langsam hangeln, um eine höher gelegene Plattform zu erreichen, genügt mit Anlauf ein Wallrun da hin. Flotte Spieler schaffen es ohne seltsames „Bug-Using“ das Spielende in unter zwei Stunden, mein erster Durchgang gelang in knapp acht.
Trial & Error ist vor allen Dingen dafür verantwortlich, dass mein Spielcharakter wahnsinnig oft gestorben ist, was sich äußerst unangenehm anhört. Das faire Checkpoint-System setzt den Spielcharakter allerdings nicht zu weit zurück, sofern man kritische Stellen passieren musste.
An Spiegels Kante
„Mirror’s Edge“ bietet eine überaus farbintensive Spielwelt. Tageslicht neigt zur Überblendung und die Nächte wirken imponierend. Darüber hinaus stechen beim Durchlaufen einiger Gebäude im Innenbereich die kräftigen Farben hervor. Mal ein kräftiges Grün, mal ein kräftiges Blau. Optisch kann sich der Titel 15 Jahre nach Veröffentlichung immer noch sehen lassen.
Die deutsche Synchronisation haut keinen vom Hocker, ist aber solide gemacht und die Emotionen kommen gut rüber. Absolut umgehauen hat mich aber die Geräuschkulisse. Mit Kopfhörern ist die Intensität der Stadtatmosphäre oder die der Schussgefechte kräftig wahrnehmbar. Die Windgeräusche beim Laufen tragen ebenfalls zu einem hervorragenden Sound bei. Insbesondere, da das Spiel aus einer First-Person-Perspektive gespielt wird. Auf Dauer nichts für Leute, die schnell zu Motion Sickness neigen.
Sehr schön anzusehen sind die Comic-Cutscenes, die einen Übergang zum neuen Kapitel darstellen. Manche Cutscenes finden allerdings im laufenden Spiel statt, was sich über die flüssigere Bewegung und dem Entzug der Kontrolle bemerkbar macht.
Auf meinem Testsystem – ein HP-Rechner mit AMD Phenom 9600B, vier Gigabyte Arbeitsspeicher, Nvidia Geforce 9800 GT und Windows Vista Home Premium – lief das Spiel mit hohen Grafikdetails und 720p im angenehmen Frameraten-Bereich. Leider musste ich auf die äußerst schicken PhysX-Effekte verzichten, da das Spiel sonst regelmäßig abgestürzt ist. Ungefähr so regelmäßig wie mein Spielcharakter.
Wer es heute noch spielen möchte, hat Glück. Sowohl Steam als auch GOG bieten „Mirror’s Edge“ an. Und es läuft hervorragend auf aktuellen Systemen. Wer dem Parcours-Gefecht mit First-Person-Perspektive und schicker Grafik eine Chance geben möchte, nur zu.
Mein Fazit: Läuft!
Faith braucht wahnsinnig großes Vertrauen in mir, denn mein erster erfolgreicher Durchlauf (no pun intended) durch „Mirror’s Edge“ endete in zahlreichen Abstürzen und Versuchen, bestimmte Bereiche erreichen zu können. Dennoch hat mich das intensive Gameplay durchaus gereizt, da man ohnehin das große Verlangen hat, alle Spielumgebungen dank der Bewegungsmöglichkeiten flott zu erreichen.
Nichtsdestotrotz darf man einen Blick auf die hübsche Spielwelt riskieren, die zwar nicht immer die schärfsten Texturen besitzt, aber so mit kräftigen Farben strahlt, dass man davon glatt geblendet wird. Doch nicht nur die Optik, sondern auch die Akustik ist ein wahrer Schmaus für die Sinnesorgane.
Und sollte man dennoch an vielen Stellen scheitern: das Checkpoint-System ist überaus fair gestaltet und die „Runner Vision“ hilft ungemein, nicht allzu sehr die Orientierung zu verlieren. Wenn vorhanden. Im Großen und Ganzen kann selbst ich als jemand, der in diesem Bereich der Videospiele häufig scheitert, „Mirror’s Edge“ definitiv als spielenswert ansehen.
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