Eine kleine Bemerkung vorab: Die Originalfassung des nachfolgenden Texts ist schon circa zehn Jahre alt. Es handelt sich quasi um das Prequel meines 486er-Artikels hier auf Videospielgeschichten. Ursprünglich wurde er auf Retrokram veröffentlicht. Für die Neuveröffentlichung habe ich einige Formulierungen angepasst und Fakten korrigiert. Ansonsten wurde nichts verändert, bitte habt daher Nachsicht hinsichtlich des manchmal vielleicht etwas flapsigen Schreibstils.
Wenn man über nostalgische Kindheitserinnerungen bezüglich des ersten Computers oder der ersten Konsole spricht, dann kommen bei vielen der C64 oder das Nintendo NES ins Spiel. Zumindest sofern die betreffende Person in den 1980er-Jahren aufgewachsen ist. Bei mir war das jedoch etwas anders, was hauptsächlich meiner Herkunft geschuldet ist: Die DDR war hinsichtlich dieser Themen eher ein Niemandsland. Zwar gab es Heimcomputer und eine dazugehörige Szene, aber diese spielte sich hauptsächlich in größeren Städten ab, zudem waren die Geräte nicht für jeden verfügbar. Als dann im Jahr 1989 die Grenze geöffnet wurde, war die große Zeit des C64 fast schon wieder vorbei. Und PCs waren damals nach wie vor recht teuer. Daher war es das SEGA Master System, das zu meiner „ersten elektronischen Liebe“ werden sollte, meinen Eltern sei Dank.
Doch um SEGA soll es dieses Mal gar nicht gehen. Während ich nämlich am heimischen Fernseher mit Alex Kidd unterwegs war, durfte mein einige Jahre älterer Cousin seine ersten Schritte auf einem MS-DOS-PC machen: Er besaß einen 286er mit sagenhafter 40-MB-Festplatte und 1 MB Arbeitsspeicher. Eine Konsole zu besitzen war eine Sache, ein richtiger Computer war jedoch noch einmal etwas gänzlich anderes. Deshalb versuchte ich, meinen Cousin so oft wie möglich zu besuchen. Allein die Geräusche, die der Rechner beim Hochfahren machte, oder das leise Rauschen des Lüfters klangen für mich nach purer Magie. Und dann kam die Befehlszeile. Was für mich wie ein Schreibprogramm mit schwarzem Hintergrund aussah, war in Wirklichkeit das Tor zu unendlichen Möglichkeiten.
Weil diese Zeit sehr prägend für mich war, habe ich mich dazu entschlossen, diesen kleinen und sehr persönlichen Bericht zu verfassen, und über meine ersten Schritte in diesem Bereich zu erzählen.
Norton Commander
Eine grafische Benutzeroberfläche in dem Sinne, wie wir sie heute kennen, gab es damals für das Betriebssystem noch nicht. Windows steckte diesbezüglich noch mehr oder weniger in den Kinderschuhen, und sollte erst einige Jahre später diese vollwertige Funktion bekommen. Aber es gab etwas, das dem zumindest ansatzweise nahe kam: den „Norton Commander“.
Was sich anhört wie eine militärische Simulation, ist nichts anderes, als ein Dateiverwaltungssystem in zwei Fenstern, ähnlich dem Explorer im heutigen Windows. So konnte man schon damals relativ bequem Ordner oder Dateien mit der Maus hin und her schieben, ohne umständliche Befehle eingeben zu müssen. Ausgestattet mit einem charakteristischen blauen Hintergrund, wurde der „Norton Commander“ so zu einem nützlichen Tool mit sehr hohem Wiedererkennungswert. Für mich war er immer der Beginn langer Sitzungen, denn von hier aus starteten wir die Anwendungen und natürlich auch die Spiele.

Speicherverwaltung
Apropos Spiele: Das von heute bekannte Plug-and-Play war seinerzeit ein Fremdwort. Einfach einen Doppelklick machen und schon startet das Programm, das war nicht drin. Immer wieder konnte es passieren,dass der Rechner entweder insgesamt zu schwachbrüstig war, um eine Software zum laufen zu bringen (Stichwort „Wing Commander“), oder dass es Probleme mit dem EMS oder XMS gab.
Veteranen aus der damaligen Zeit werden bei diesen Begriffen Tränen in die Augen bekommen. Bei der Speicherverwaltung der damaligen MS-DOS-PCs gab es nämlich eine Besonderheit. Man konnte zwar durchaus im Besitz von „schnellen“ 4 MB RAM sein. Wichtig waren jedoch die ersten 640 KB, der sogenannten konventionelle Speicher. Dieser war oft ausschlaggebend, ob man ein Spiel zum Laufen brachte, oder nicht.
Die Ursache hierfür war, dass Anfang der 1980er-Jahre dieser Speicher als vollkommen ausreichend angesehen wurde, und niemand damit rechnete, dass es irgendwann einmal anders sein würde. Dummerweise wurden diese 640 KB jedoch auch durch diverse andere Programme wie den Maustreiber belegt. Ja, auch so etwas gab es damals. Jede Hardware hatte ihren eigenen Treiber, ohne den der Betrieb derselben unmöglich war.
Die Kunst war es also, so viel Speicher wie möglich freizuschaufeln, etwa, indem man den Maustreiber in den erweiterten Speicher (XMS) lud. Klingt kompliziert, und das war es auch. Es gab nämlich zwei Dateien, die hierfür angepasst werden mussten, da der PC sie beim Hochfahren quasi „abarbeitetete“. Die „autoexec.bat“ und die „config.sys“. Diese musste man nun dementsprechend gestalten, dass möglichst viele Speicherfresser in den erweiterten Speicher geladen wurden. Richtige Cracks schrieben sich deshalb schon damals regelrechte Startmenüs, welche vor dem Booten die Auswahl der Konfiguration ermöglichten, damit man dieses oder jenes Spiel besser zum Laufen brachte.


Viren
Auch damals wurden die Benutzer schon von elektronischen Schädlingen geplagt. Aufgrund des (noch) fehlenden Internets in seiner heutigen Form verbreiteten sich diese zwar hauptsächlich auf dem konventionellen Weg, also über das illegale Kopieren von Spielen und Anwendungen, aber trotzdem war auch damals schon deren Gefahr nicht zu unterschätzen. Sie hatten solch illustre Namen wie „Tequila“ oder „Yankee Doodle“, und richteten teilweise verheerende Schäden an.
lm Zuge der Wendezeit hatten sich einige Witzbolde sogar einen Erich-Honecker-Virus ausgedacht. Sobald ein von ihm infiziertes Programm gestartet wurde, erschien ein Bild des ehemaligen Staatsratsvorsitzenden mit dem Hinweis: „Das ist meine späte Rache!“ auf dem Bildschirm. Diese Rache bestand darin, dass vom Virus die bereits erwähnte Datei „autoexec.bat“ gelöscht wurde. Hatte man hiervon keine Sicherungskopie angefertigt, so konnte der PC seinen Bootvorgang nicht mehr ausführen. So groß der Schreck beim ersten Mal auch war, später machten wir uns einen Spaß daraus, „Honni“ auf den Schirm zu bringen.
PC-Speaker
Der heutige Spieler sieht das Vorhandensein von hochauflösender und fotorealistischer 3D-Grafik als selbstverständlich an. Ebenso wird natürlich ein bombastischer, orchestraler Sound mit Sprachausgabe erwartet. In Zeiten von IBM-PCs mit MS-DOS war das jedoch noch etwas völlig anderes. Wollte man digitalisierten Sound, so benötigte man dazu zusätzliche Hardware, die sogenannte Soundkarte. Hiervon waren die unterschiedlichsten Modelle erhältlich. Ihnen allen war gemeinsam: Sie waren gerade Anfang der 1990er-Jahre nicht gerade günstig in der Anschaffung.
Ohne Soundkarte musste man sich mit dem eingebauten PC-Lautsprecher begnügen. Dieser brachte jedoch wenig mehr heraus, als Pieptöne a lá R2-D2. Irgendwie gewöhnte man sich jedoch an das Geträller, und manchmal ertappe ich mich sogar heute noch dabei, es zu vermissen.
Einige wenige Spiele enthielten auch kratzige Sprachsamples, was für mich damals die Krönung darstellte. Ermöglicht wurde dies durch ein technisches Verfahren namens Pulsweitenmodulation. Der Lautsprecher hatte damit zwar so seine liebe Mühe, aber mit etwas Phantasie konnte man die gesprochenen Worte sogar verstehen. Auch das machte und macht für mich das Flair der damaligen Zeit aus.
Packprogramme
Bei einer Festplattengröße von 40 MB überlegte man sich zweimal, welches neue Spiel man installierte, wenn man bedenkt, dass beispielsweise „Indiana Jones and the Fate of Atlantis“ im entpackten Zustand fast die Hälfte dieses Speichers belegte. Im entpackten Zustand? Ja, man konnte Dateien auch damals schon mittels einer speziellen Software „verpacken“. Man kennt es heute noch vom sogenannten ZIP-Format für die platzsparende Archivierung.
In Zeiten von USB-Sticks und Festplatten mit mehreren Terrabyte ist die Notwendigkeit zur Speicherminimierung jedoch in den Hintergrund getreten. Zur damaligen Zeit war dies jedoch essentiell. Deshalb waren Programme wie ARJ oder RAR damals sehr populär. Denn im verpackten Zustand belegte ,,Indy 4“ dann nur noch 6 Disketten á 1,44 MB, was einen enormen Vorteil darstellte.
Grafikstandards
Lieber CGA oder EGA? Oder doch eher VGA? Was für Außenstehende wie Kauderwelsch klingt. war damals die Entscheidung zwischen wenigen Farben mit geringer Auflösung, oder vielen Farben mit vergleichsweise hoher Auflösung. Aber auch die Entscheidung, wie viel Geld einem diese bessere Optik wert war. Im Gegensatz zu Heimcomputern wie dem C64 oder Amiga waren nämlich die PCs von IBM nicht standardisiert. Erst ab VGA Anfang der 1990er-Jahre war dann eine Auflösung und Farbvielfalt möglich, wie Benutzer von Konsolen und Heimcomputern sie schon seit längerem kannten.
Zwei Rechner mit exakt der gleichen Ausstattung zu finden, war somit praktisch unmöglich. Ständig erschien neue Hardware und Peripherie, mit dem man seinen Computer tunen und verbessern konnte, sofern der Geldbeutel dies mitmachte. Und ständig erschienen auch Spiele, die genau dies verlangten. Die Firma Origin war hierfür berüchtigt.
Ich möchte nun kurz einige Spiele aus der damaligen Zeit vorstellen. Diese Liste erhebt jedoch weder einen Anspruch auf Vollständigkeit oder Allgemeingültigkeit, noch enthält sie Klassiker wie „The Secret of Monkey Island“. Es sind einfach die allerersten, mit denen ich in Berührung kam, und die ich deshalb immer mit meinem Einstieg in die PC-Welt verbinden werde.
Spiele
Gorillas (1991)
Zwei Gorillas stehen sich auf Hochhausdächern gegenüber und bewerfen sich mit Bananen. Gewonnen hat der Gorilla, der den anderen als erstes trifft. Das Spielprinzip beruht auf dem Klassiker „Artillery“, das heißt es gilt, die Parameter Weite und Höhe so zu ändern, dass das Geschoss die gewünschte Richtung bekommt. „Gorillas“ wurde standardmäßig ab MS-DOS 5.0 zusammen mit dem Betriebssystem ausgeliefert, und ist in der Programmiersprache QBasic geschrieben. Man sollte sich nicht vom einfachen Prinzip täuschen lassen, Gorillas birgt trotz Minimalgrafik ein erhebliches Suchtpotential.
Gorillas wurde übrigens hier im Blog von Nadine besprochen. Ihr könnt dazu ihren Beitrag Ausgekramt: Gorillas lesen.
Shuffllepuck Café (1989)
Ebenfalls von einem bekannten Spiel inspiriert ist „Shufflepuck Café“ von Broderbund Software. In diesem Falle ist es das allseits beliebte Airhockey. In einer Spelunke, die an die Cantina auf Mos Eisley erinnert, sucht man sich einen der unterschiedlich schweren Gegner aus, um dann gegen diesen anzutreten. Das Pad wird per Maus gesteuert, hat man einen Treffer kassiert, so wird dies durch eine berstende Glasscheibe signalisiert. Der Spieler kommt hier in den Genuss von digitalisierter Musik und Sounds aus dem PC-Speaker. Umsetzungen des Spiels erschienen auch auf diversen anderen Plattformen.

Perestroika (1989)
Auch bekannt als „Toppler“. Wie der Name schon verrät, stammt dieses Spiel ursprünglich aus Russland. Die Spielfigur muss den Bildschirm von links unten nach rechts oben durchqueren, indem sie von lnsel zu lnsel hüpft. Dumm nur, dass die Inseln immer kleiner werden und irgendwann einfach verschwinden. Zudem machen einem diverse Monster das Leben schwer. So landet man oft schneller im Wasser, als einem lieb ist. Ein prachtvolles Bild von Gorbatschow ziert das Intro, komplett mit digitaler russischer Musik aus dem Speaker. Vor einigen Jahren konnte ich ein Interview mit dem Entwickler führen und habe daraus einen Bericht für das RETURN-Magazin gemacht.


Prince of Persia (1989)
Zu Jordan Mechners Meisterwerk muss nicht mehr viel gesagt werden. Als lebensecht animierter Gefangener kämpft man sich in einem Kerker etagenweise nach oben, um am Ende die schöne Prinzessin zur Frau zu bekommen. Klirrende Schwertkämpfe und gewagte Sprünge über tödliche Abgründe sind das Markenzeichen dieses Spiels. Auch hiervon gibt es zahllose Umsetzungen und Fortsetzungen. Die ursprüngliche Fassung war für den Apple ll erschienen.


Xenon 2 — Megablast (1989)
Dieser Shooter der Bitmap Brothers hat nicht nicht nur wegen seines coolen Soundtracks von „Bomb the Bass“ Kultstatus erlangt. Besonders eklige und schleimige Gegner, sowie ein beinharter Schwierigkeitsgrad sorgen für Langzeitmotivation. Zwischen den Levels kann man in einem Laden bei einem höchst seltsam aussehenden Händler Upgrades erwerben. Und wenn man sein Schiff dann so richtig schön mit allen Extrawaffen aufgemotzt hat, gibt es Saures für die Aliens.

The Games: Winter Challenge (1991)
Was für den C64 „Winter Games“ von Epyx war. das war dieses Spiel von Accolade für den PC. Es enthält acht verschiedene Disziplinen, unter anderem Skispringen und Biathlon. Eine offizielle Olympia-Lizenz gibt es zwar nicht, aber Spaß macht es trotzdem. Vor allem mit ein paar Freunden kann man so launige Abende verbringen. Dabei überzeugt vor allem die nette Pseudo-3D-Grafik. Das Spiel wurde unter anderem für SEGAs Mega Drive umgesetzt. Im Nachgang erschien auch noch „Summer Challenge“, welches jedoch nicht die Klasse des Vorgängers erreichte.


World Class Leaderboard (1988)
Access Software bescherte uns diese erste richtig gute und realistische Golfsimulation. Mehrere internationale Plätze waren dabei bespielbar. Die für damalige Verhältnisse hervorragende Grafik sowie die immer wieder eingestreuten Sprachsamples sorgten für viel Atmosphäre. Das Highlight war jedoch die einfache und logische Steuerung, die in den Nachfolgern „Links“ und „Links386″ noch verfeinert wurde. Auch dieses Spiel erschien auf unzähligen Plattformen, der Vorgänger „Leaderboard“ war für den C64 entwickelt worden. Auch über dieses Spiel habe ich bereits in der RETURN geschrieben.


Grand Prix Cicuit (1988)
Der Sportspielespezialist Accolade war in den späten 1980er-Jahren sehr umtriebig. Daher ist es nicht verwunderlich, dass auch ein Formel-1-Rennspiel veröffentlicht wurde. Aus drei verschiedenen Fahrzeugtypen, unter anderem Ferrari, kann gewählt werden. Acht bekannte Strecken wie zum Beispiel Monaco oder auch Hockenheim können dann befahren werden. Die Grafik geht der Zeit angemessen in Ordnung, aus dem Lautsprecher kommen jedoch nur nerviges Gedudel und einige Geräusche beim Fahren. Nicht die beste Formel-1-Simulation für den PC, aber eben meine erste.


Commander Keen 4 (1992)
„Commander Keen“ beansprucht den Titel für sich, das erste seitwärts scrollende Jump-and-Run für den PC zu sein. Bisher war diese Domäne nur den Konsolen vorbehalten gewesen. Entwickler id Software, später für den Klassiker „Doom“ berühmt geworden, zeigte, dass dies trotz technischer Einschränkungen durchaus möglich war. Grafisch wurde zwar nur EGA-Kost geboten, aber dafür machte das Spiel verdammt viel Spaß. Vertrieben wurde es von der Firma Apogee als Shareware. Das heißt: Einige Level waren kostenlos erhältlich, wer mehr wollte, musste zahlen. Dass dieses Modell durchaus erfolgreich war, zeigt die Tatsache, dass insgesamt sechs Fortsetzungen veröffentlicht wurden.


Beim Schreiben dieses Textes kamen viele angenehme Erinnerungen in mir hoch. Die Jahre 1991 bis 1994 waren eine spannende Zeit für mich. Selbst nur im Besitz einer Konsole, lernte ich bei meinem Cousin die Welt der (richtigen) Computer kennen. Und viele der Dinge, die mir damals begegneten, haben meinen weiteren Lebensweg auf die eine oder andere Weise beeinflusst. Erst einige Jahre später bekam ich selbst meinen ersten eigenen PC. Die Geschichte hierzu könnt Ihr ebenfalls nachlesen, sie ist unter diesem Artikel verlinkt.
Noch heute starte ich gelegentlich die „DOS Box“, um in den Genuss der erwähnten Spieleklassiker zu kommen. Da das Gefühl jedoch einfach nicht das gleiche ist, habe ich mir vor einigen Jahren wieder einen MS-DOS-PC zugelegt, allerdings einen 486er.
Ich denke nach wir vor gern an verregnete Sonntagnachmittage Anfang der 1990er-Jahre zurück, an denen mir der Sprecher auf dem Golfplatz Cypress Creek nach einem Hole-in-one zurief: ,,Absolutely marvellous put!“
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