Ist die Spielwelt offen, nur weil jeder Ort erreichbar ist? Wie viel Bewegungs- und Entscheidungsfreiheit bietet eine Open World tatsächlich? Alexa und Lenny haben sich über sinnlose Handlungen, tote Orte, alternative Handlungsstränge, Kitsch, Fantasie und unterschiedliche Open-World-Konzepte unterhalten.
Ein Gemeinschaftsbeitrag von Alexa Sprawe und Lenny
Alexa: Weite, Freiheit, Grenzenlosigkeit – das sind Begriffe, die mir direkt einfallen, wenn ich an „Open World“ denke. Eine freie, offene Welt, die zum Erkunden einlädt, ohne dass ich in Zeitnot gerate oder andere Einschränkungen erfahre. Ich sehe darin sehr viele Vorteile. Was sind deine ersten Assoziationen mit diesem Spielkonzept?
Lenny: Open World, das ist der Autoteppich im Kinderzimmer, das sind meine Figuren, die Abenteuer erleben. Das ist der Stock, der zum mächtigen Schwert wird. Die Open World nimmt mir den Part des Ausdenkens ab. Sie gaukelt mir unendliche Möglichkeiten vor. Denke ich an Open World, denke ich an Grenzen UND Freiheit, an Weite UND Enge. Die Open World täuscht Offenheit vor. Und das ist auch gut. Denn ohne Beschränkung, ohne Regeln, wäre eine Welt völlig ohne Sinn.
Alexa: Natürlich muss auch ein Spiel mit einer Open World gewisse Grenzen und Regeln haben. Jedes Spiel beinhaltet Spielregeln – sie sind ein Kriterium für „Spiel“. Und selbst eine Open World kann niemals so offen sein, dass sie tatsächlich grenzenlos ist. Das ist allein technisch schon nicht möglich.
Die für mich entscheidende Frage hierbei lautet also nicht „IST eine Open World wirklich offen?“, sondern eher „WIE offen ist eine Open World“?
Denn Open World ist nicht gleich Open World. Je nachdem, welche Schwerpunkte das Spiel beinhaltet, kann das Konzept variieren. Spiele, die eine Narration haben, sind dabei mehr Grenzen ausgesetzt als solche, die keine lineare Story enthalten. Die Narration setzt die Open World in einen überschaubaren Rahmen. Ich denke da gerade an BotW und Horizon Zero Dawn. BotW ist für mich ein gutes Beispiel dafür, wie Open World funktionieren kann: Es gibt zwar einen roten Faden hinsichtlich Storyverlauf, doch er muss nicht eingehalten werden. Auch können die Nebenquests in beliebiger Reihenfolge erledigt oder aber komplett weggelassen werden.
Nach einem einführenden Tutorial kann die Welt frei erkundet werden, man kann die Story auch außer Acht lassen und sich in „sinnlosen“ Handlungen verlieren: kochen, sammeln, einfach Quatsch machen. Und das alles ganz ohne Zeitdruck oder Beschränkungen. Ich muss nicht erst Quest Nr. XY bestehen, um einen bestimmten Ort erreichen zu können. Zumindest nach dem Tutorial.

Die Entscheidungs- und Handlungsfreiheit ist für mich also ganz klar eine Regel für Open World. Diese ist aber in jedem Spiel mehr oder weniger ausgeprägt. Bei Horizon Zero Dawn fühlte ich mich in meinen Handlungen eingeschränkt. Dies liegt vermutlich daran, dass Horizon mit mehr Filmsequenzen arbeitet und einen relativ starren Storyverlauf hat. Ich kann beispielsweise nicht erst den Gegner an Ort X besiegen, sondern muss erst an Ort Y, um das „freizuschalten“. Wenn ich so darüber nachdenke, ist Horizon für mich zwar ein gutes, spannendes Spiel, aber kein gutes Open-World-Spiel. Hier würde ich dir recht geben, wenn du sagst, dass Open World nur etwas vorgaukelt. Nur weil die Welt groß ist und damit den Eindruck erweckt, unbegrenzte Möglichkeiten zu bieten, ist es noch lange keine gute Open World.
Um nochmal auf deine Assoziationen zurückzukommen: Du meintest, dass dir die Open World den Part des Ausdenkens abnimmt – wie genau meinst du das?
Lenny: Ich versuche mal deine Frage mit dem zu verbinden, was du geschrieben hast. Natürlich hast du erst einmal recht damit, dass jedes Spiel technischen Beschränkungen unterworfen ist. Egal ob Open World, Open Schlauch oder lineares Schlauchlevel. Die Frage ist nur: Was macht ein Entwickler mit den positiven und negativen Aspekten seiner Spielwelt? Ich gehe ja davon aus, dass sich bei der Entwicklung Gedanken darüber gemacht wird. Die Open World hat den klaren Vorteil, dass ich frei entscheiden kann, was ich wann tue, wo ich hingehe, welche Mission ich erledige. Folge ich der Hauptstory oder mache ich erst mal alle Nebenmissionen?
Und hier komme ich auf den Aspekt des Ausdenkens zu sprechen. Heutige Open-World-Spiele wie GTA, Assassin’s Creed, Breath of the Wild etc. entwerfen mir eine komplette Welt. Vom Meeresboden bis zu den Wolken ist die Welt bis in das kleinste Detail ausgearbeitet. Ich muss mir nicht mehr vorstellen, wie es wohl da hinten aussieht oder um die Ecke des Hauses. Ich kann einfach hingehen. Für mich liegt deshalb die Unterscheidung nicht zwischen „IST die Open World offen?“ und „WIE offen ist die Open World?“. Die beiden Fragen verbinden sich für mich zu einer Frage. Ist die Spielwelt offen, nur weil ich überall hinkann? Dort, wo ich bin, ist aber immer das Gleiche. Nicht optisch, aber spielerisch.
Ohne Beschränkung, ohne Regeln, wäre eine Welt völlig ohne Sinn.
Lenny
In allen GTAs, die ich bisher gespielt hatte (4 und 5) sowie auch in Red Dead Redemption bestand ein Großteil der Missionen daraus: gehe, fahre, rudere, fliege zu Punkt X, höre dir da ein Gespräch an, töte die Gegner. So lief es in 95% aller Missionen ab. Egal ob Hauptmission oder Nebenmission. (Mir ist schon klar, dass dem nicht so ist, es geht hier auch mehr um das Gefühl, das mir das Spiel vermittelt.) Das führte bei GTA IV dazu, dass ich später die Zwischensequenzen übersprungen habe, weil ich ohnehin wusste, worauf ich mich einstellen konnte. Ähnlich ging es mir dann erst vor Kurzem mit Assassin‘s Creed Odyssey. Ich mochte das Spiel. Kassandra ist eine tolle, starke weibliche Figur. Die Welt ist wunderschön, aber sie ist auch tot. Die Missionen sind immer wieder die gleichen.

Wie offen ist also eine Welt, deren spielerische Vielfalt so weit beschränkt ist, deren Lösungsmöglichkeiten oft nur eine Variante kennen? Ist eine Open World dann noch wirklich offen, wenn die vielen Möglichkeiten kaum genutzt werden? Sowohl auf spielerischer als auch auf erzählerischer Ebene? Mir wird eine lineare Geschichte in einer offenen Welt erzählt, doch werden die positiven Aspekte einer Open World und auch von Videospielen allgemein nicht genutzt. Stattdessen kommt das Argument „ludonarrative Dissonanz“, mit dem alles erklärt werden soll. Doch warum wird nicht über Wege nachgedacht, um spielerische Freiheit und Erzählung zu verbinden? So könnte man die Open World inhaltlich noch viel offener gestalten. Dann auch inhaltlich und nicht nur auf einer grafischen Ebene.
Alexa: Du sprichst sehr interessante Aspekte an! Und ich stimme dir zu: Je detailreicher eine Welt gestaltet ist, desto mehr nimmt sie uns das Imaginieren ab. Wenn ich jetzt beispielsweise Ocarina of Time und BotW vergleiche, dann kann ich mir zwar bei beiden an den Grenzen der Map vorstellen, dass es dahinter noch etwas gibt, aber der Reiz und die Neugier ist bei einem linearen Spiel, in diesem Fall OoT, viel größer als bei BotW.
Denn die Open World reicht mir in ihrer Größe und „Vielfalt“ vollkommen, und sie muss nicht noch größer werden. In OoT hingegen habe ich stets das Bedürfnis, noch mehr sehen zu wollen, noch mehr zu erleben, die Grenzen zu durchbrechen.
Früher habe ich meiner Fantasie in Form von eigenen Geschichten freien Lauf gelassen. Ich habe OoT „weitergeschrieben“, der Map neue Orte hinzugefügt, weitere Figuren ins Spiel gebracht usw. Dieses Bedürfnis des „Weiterschreibens“ eines Spiels habe ich bei einer Open World nicht. Es ist dort bereits alles vorhanden. Viele Orte, die ich teilweise gar nicht erkunde, weil das zu viel wäre, weil sie sich wie Platzhalter anfühlen, tote Orte, wie du auch schon geschrieben hast. Schön, aber tot.
Ich stehe der Ästhetik von Open-World-Spielen mittlerweile auch sehr kritisch gegenüber: Klar hat sich die Grafik verbessert und natürlich muss der technische Fortschritt genutzt werden, um Spiele noch „schöner“ zu machen. Für mich artet es aber zunehmend in Kitsch aus. Was in Literatur und Film schon lange der Fall ist, entwickelt sich in Spielen gerade erst noch: die Diskussion darum, was Kitsch und was tatsächlich Kunst ist. Vor allem große AAA-Titel spielen damit: detailreiche Grafik, „schöne“ Landschaftsbilder, Sonnenuntergänge und viele (leuchtende) Farben. In Open-World-Spielen können diese Landschaften sogar betreten werden.
Aber macht die Grafik ein Spiel wirklich zu einem besseren Spiel? Täuscht die Spielästhetik nicht über all die Fehler und Nachteile hinweg? Wie ein Filter, der etwas Unschönes verdecken will. Horizon ist da ein gutes Beispiel: Ich war anfangs begeistert von der Schönheit des Spiels. Mich hat die Grafik sehr angesprochen. Aber nach Stunden des Spielens und zig erlebten Sonnenuntergängen, rosa-lila Himmelsbildern und sich im Wasser reflektierenden Sonnenstrahlen, habe ich mich sattgesehen an all der Perfektion von Licht- und Farbspielen. Es berührt mich nicht mehr, es fällt mir sogar kaum noch auf, da es nichts Besonderes mehr ist. Man könnte auch sagen: weil es Kitsch ist.
Aber macht die Grafik ein Spiel wirklich zu einem besseren Spiel? Täuscht die Spielästhetik nicht über all die Fehler und Nachteile hinweg?
Alexa
Ich möchte nochmal auf den Aspekt des Ausdenkens zurückkommen: Wenn Ästhetik eine so wichtige Rolle in Open-World-Spielen spielt, warum wird diese nicht auf den Avatar ausgeweitet, d.h.: Warum ist es uns nicht möglich, die Charaktere so zu verändern, wie wir es wollen? Wie würden Aloy und Link aussehen, wenn wir die Möglichkeit hätten, sie im Spiel zu verändern? Wäre es nicht im Sinne des Open-World-Konzepts, wenn wir den Avatar anpassen könnten und somit weitere Entscheidungsfreiheiten hätten?
Ich finde hinsichtlich Entscheidungsfreiheit auch deine Gedanken zur Narration interessant: dass Wege gefunden werden könnten, wie spielerische und erzählerische Freiheit besser verknüpft werden. Ich denke dabei an entscheidungsbasierte Spiele, bei denen unterschiedliche Erzählstränge gespielt werden, je nachdem wie man handelt. So hätte man zumindest etwas Entscheidungsfreiheit. Ein Spiel, das nicht nur auf grafischer, sondern auch auf narrativer Ebene offen ist, stelle ich mir sehr spannend vor, frage mich aber gleichzeitig, wie genau das aussehen soll. Eine Story folgt schließlich einer bestimmten Dramaturgie.
Eine Idee dazu wäre das Prinzip eines „Montageromans“: Wir gehen weg von dem Gedanken, alles müsse nach einer bestimmten Reihenfolge ablaufen und hin zum eigenständigen Puzzeln von Textteilen. Das könnte so aussehen (korrigiere mich gerne, wenn es so etwas schon gibt): Die Spielerinnen und Spieler werden von Anfang an in eine offene Welt geworfen und haben keine Vorgaben außer der Erkundung der Welt. Während ihrer Reise entdecken sie verschiedene narrative Bausteine, die sich verknüpfen, je nachdem welche Bausteine man in welcher Reihenfolge gefunden hat. So könnten sich viele alternative Geschichten entwickeln.
Ich sehe in dieser Offenheit und Freiheit jedoch auch die Gefahr, dass man sich noch mehr in dieser Welt verliert, weil es keinen roten Faden mehr geben würde, der anspornen könnte. Man müsste schon sehr viel Neugier mitbringen und die Bereitschaft, sich die Story einer Open World selbst zu erarbeiten. Ich meine damit keine Open-World-Spiele wie etwa No Man’s Sky, die von Anfang an offen sind usw., sondern wirklich alternative entscheidungsbasierte Storys in Verbindung mit einer Open World.

Lenny: Unabhängig davon, ob ein Spiel jetzt Open World ist oder linear, liegt es ja an der Welt und allem an und in ihr, ob ich die Welt erkunden möchte. In meiner Vorstellung oder im Spiel selbst. Viele offene Welten bieten mir aber weder für das eine noch das andere den Anreiz.
Wie du schon sagst, eine Welt wie Hyrule (da fasse ich jetzt mal OoT und BotW und auch die anderen Titel der Reihe zusammen) bietet da sehr viele Anreize. Vielleicht auch, weil in dem speziellen Fall die Geschichte vergleichsweise klein ist, sodass man sich fragt: Was ist da noch? Wie wäre es zum Beispiel, die Welt mal durch die Sicht der Zora oder der Orni kennenzulernen? Da gibt es tolle Möglichkeiten. Oder ist das Spiel nur durch seinen Namen beschränkt? Vielleicht einfach statt Legend of Zelda erweitern auf Legend of Hyrule. Ich glaube, das wäre dann aber eine ganz andere Diskussion.
Beim Thema Ästhetik kann ich dir nur zustimmen. An Optik kannst du dich sattsehen. Egal wie schön ein Spiel ist. Ich finde Horizon für mich eines der besseren Spiele des Genres. Obwohl es an sich vieles hat, was ich an Open-World-Spielen nicht mag. Wahrscheinlich ist Horizon die berühmte Ausnahme, die die Regel bestätigt. Du hast schon recht, dass die Ästhetik darüber hinwegtäuschen soll, dass da sonst oft nicht viel ist. Das merkt man gerade jetzt wieder, wo die neue Konsolengeneration vor der Tür steht. Da wird mit noch größeren Welten, noch mehr Handlungsmöglichkeiten und einer noch nie dagewesenen Entscheidungsfreiheit geworben. Komischerweise habe ich das schon seit Xbox 360- und PS3-Zeiten gehört. Viel dahinter steckte meiner Meinung nach aber nicht. Die Welten wurden immer schöner und größer, aber damit auch inhaltsleerer. Da kann Ästhetik dann nur noch schwer drüber hinwegtäuschen.
Der Punkt des Ausdenkens ist ja ein ganz spannender. Du hast da Aloy und Link ins Spiel gebracht. Ich habe daran gedacht, in bekannten Welten Geschichten mit anderen Figuren zu erleben. Dass du dir deinen Charakter heute individuell anpassen kannst, ist ja quasi Standard und GTA San Andreas hat dir ja die Möglichkeit gegeben, dass sich der Charakter auch optisch angepasst hat, je nachdem wie du dich im Spiel verhalten hast. Das war allerdings nur auf optischer Ebene. Der nächste Schritt wäre es dann, die Persönlichkeit zu individualisieren.
Da komme ich gerne auf Trevor aus GTA V zu sprechen. (Ich hoffe, das war Trevor. Ich meine den Verrückten.) In der Geschichte ist er eben der Psychopath. Wenn ich ihn aber spiele, dann ist er die liebenswürdigste Person. Hört Jazz und fährt Taxi und schaut sich die schönen Seiten von Los Santos an. Da würde es sicher helfen, wenn sich eine Figur und dann auch die Charakteristik meinen Entscheidungen und meinem Verhalten anpassen würde. Wenn ich freundlich zu anderen bin, gute Taten vollbringe, dann sehen mich andere positiver. Umgekehrt dann das Gleiche. Die Welt beeinflusst meine Figur. Meine Figur beeinflusst die Welt.
Wahrscheinlich muss man für das neue Erzählen von Geschichten in offenen Welten auch von der klassischen Struktur weg, die aus Haupt- und Nebenquests bestehen.
Lenny
Was die Geschichte an sich angeht, da hast du natürlich recht. Die Gefahr, dass eine Welt durch mehr Freiheit belangloser wird, ist sicher gegeben. Doch da ist es dann eben die Aufgabe der Entwickler, Geschichte und Spiel zu einer stimmigen Einheit zu verbinden. Die Idee des Montageromans finde ich spannend. Ich weiß gerade nicht, ob es so was schon gibt. Mir würde da gerade nur A Link Between Worlds einfallen, wo ich zumindest individuell entscheiden kann, in welcher Reihenfolge ich die Dungeons angehe. Die Geschichte bleibt natürlich die gleiche. Meine Idee einer Geschichte in einem Open-World-Spiel wäre es, dass sie allgemein so funktioniert, wie die Gänsehaut-Geschichten oder manche Drei ???-Folgen, in denen ich selbst entscheide, wie die Geschichte vorangeht.
Wahrscheinlich muss man für das neue Erzählen von Geschichten in offenen Welten auch von der klassischen Struktur weg, die aus Haupt- und Nebenquests bestehen. Womöglich ist es ratsamer, dass ich kleine Geschichten erlebe, NPCs helfe, eben die Welt individuell erforsche und ich hier und da Informationen über eine womöglich größere Geschichte erfahre. Dafür müsste man sicher davon weg, dass viele Quests nur daraus bestehen, gehe dorthin und mache dies oder sammele jenes. Da muss hinter jeder Geschichte dann auch Inhalt stecken. Wenn man aber vielleicht mal weniger auf Ästhetik achtet und dafür mehr auf die Geschichten und die Figuren in ihr, dann ist das sicher möglich. Ich bin zumindest überzeugt davon, dass gute Geschichten mehr dazu anregen, sich in eine Welt zu investieren als Fetch Quest Drölf.

Alexa: Ich frage mich gerade, ob diese „toten Orte“ nicht sogar wichtig sind für eine große offene Welt. Orte, an denen man mal durchatmen kann. Ich muss nicht ständig gegen NPCs kämpfen oder irgendwelche Dialoge lesen oder Quests machen. Ist es nicht auch mal nett, durch ein Gebiet zu wandern, in dem einfach mal gar nichts passiert? Beim Spielen haben mich solche Orte mal gelangweilt, mal entspannt. In jedem Fall fühlte ich mich da aber sicher, denn ich wusste: Hier wird nichts passieren, hier kann ich mich voll und ganz aufs Erkunden konzentrieren. Dass in Spielen ständig etwas geschehen muss, ist vielleicht auch einfach eine Frage der Gewohnheit.
In linearen Spielen haben wir oftmals keinen Einfluss darauf, was als Nächstes geschieht. Wir werden immer weitergeleitet, ohne zu wissen, welche Gefahren und Anstrengungen das nächste Level beinhaltet. In Open-World-Spielen kann ich sagen: Ne, das will ich jetzt nicht, aber ich will diese Spielwelt dennoch nicht verlassen, also mache ich einfach etwas anderes. Und das ist etwas, was ich bei Open-World-Spielen sehr angenehm finde: Ich kann selbst entscheiden, nicht nur nach Lust und Laune, sondern auch nach meinem Wohlbefinden, wie es im Spiel weitergehen soll. Ob ich stundenlang Pflanzen sammele oder aber ständig neue Herausforderungen suche, ist dann völlig abhängig vom individuellen Spielverhalten.
Das ist für mich ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung hinsichtlich individuell wahrgenommener Freiheit. Dass manche Quests belangloser sind als andere, finde ich dabei sogar notwendig, denn wenn ich jetzt bei der Idee bleibe, dass es tote Orte geben sollte, dann muss es auch „tote Quests“ geben, also solche, die mich im Spiel nicht zwangsläufig weiterbringen, mit denen man aber die Zeit totschlagen kann (wenn man das denn will). Wer solche Quests sinnlos findet, muss sie ja nicht machen, aber es geht um die Möglichkeit, es tun zu können.
Ich kann selbst entscheiden, nicht nur nach Lust und Laune, sondern auch nach meinem Wohlbefinden, wie es im Spiel weitergehen soll.
Alexa
Open World heißt für mich also, wenn ich so darüber nachdenke, „Entspannung“, ohne Zeitdruck. Das habe ich bei linearen Spielen nicht immer, mit Ausnahme solcher, die der Entspannung dienen sollen. „Möglichkeiten“ und „individuell“ sind für mich bei Open-World-Spielen zwei Dinge, die noch ausbaufähig wären. Du meintest ja, dass es bereits Standard sei, dass man den Avatar individuell anpassen kann. Dennoch fehlt mir diese Funktion sowohl bei Horizon als auch BotW. Hier würde ich mir noch mehr Diversität wünschen. Vor allem bei The Legend of Zelda fände ich das für die Reihe innovativ und spannend.
Dass sich die Figur je nach Verhalten ändert, ist ein weiterer interessanter Punkt. Ich habe GTA nie selbst gespielt, aber ich kenne das von Fable 2 (ich glaube, dass es der zweite Teil war, ist schon so lange her): Je nachdem wie ich mich verhalte, verändert sich auch das Aussehen der Spielfigur. Begehe ich mehr schlechte Taten (Diebstahl, Mord) als gute (anderen helfen beispielsweise), wachsen meiner Figur Hörner, sie wirkt äußerlich betrachtet böse. Überwiegen mehr die guten Taten, schwebt ein Heiligenschein über ihrem Kopf. Darauf reagieren auch die Menschen: Entweder meiden sie ihn, weil sie sich fürchten, oder sie suchen seine Nähe auf, weil sie sich bei ihm sicher fühlen.
Ich denke, das, was uns in Open-World-Spielen anscheinend noch fehlt, sind schlicht erweiterte RPG-Elemente wie die Individualisierung des Charakters und der Beeinflussung der Welt durch eigene Handlungen, mehr Möglichkeiten, etwas selbst gestalten zu können und so weiter. Mithilfe dieser Elemente gäbe es tatsächlich mehr Handlungs- und Entscheidungsfreiheit. Wir hätten mehr Einfluss auf die Skills des Avatars und auf die Welt. Besonders gefallen würde mir also eine offene Welt mit einer entscheidungsbasierten Story (wie dein Beispiel mit den Drei ???) und weiteren RPG-Elementen wie die Individualisierung des Avatars.
Lenny: Ich kann dir bei allem, was du schreibst nur zustimmen. Ständiger Input und Action wie in Call of Duty passt nicht zum Konzept Open World. Deshalb sind Ruhephasen wichtig. Dass man auch etwas anderes macht. Die Welt erkundet. Das ist ja eigentlich auch das Ziel, weshalb eine Open World gebaut wird. Zumindest sollte das so sein. Die Motivation für das Erkunden ist dann bei jedem anders. Dem einen reicht es, in BotW einfach durch die Landschaft zu laufen und zu entdecken. Ich brauche für mich immer einen Grund, um irgendwo hinzugehen. Wie genau der aussieht, kann unterschiedlich sein. Auf dem Weg zu Punkt X kann ich dann immer noch erkunden und vom Weg abkommen.
Das kann für mich jedoch nur funktionieren, wenn ich auch die Ruhe habe, die Welt zu entdecken. Und da werden sicher viele sagen, die hat man doch. Ja, stimmt. Die Inszenierung der Welt und der Geschichte bietet mir aber diese Ruhe nicht. Oh, Person XY ist in Gefahr, ich muss dringend herausfinden, warum dies oder jenes passiert ist, und so weiter. Mir wird permanent Druck gemacht. Wenn ich der Geschichte folge, habe ich eigentlich nicht die Muße, mir die Welt anzueignen. Wenn ich mir die Zeit aber nehme, wird der Druck der Geschehnisse obsolet.
Du sprichst etwas sehr Wichtiges an: dass Quests auch belanglos sein sollen. Sehe ich auch so. Auch wenn ich gesagt habe, dass ich immer eine Motivation brauche. Die Motivation muss dabei auch nicht immer Hauptstory getrieben sein. Dafür gibt es schließlich die Nebenquests. Was ich mir dann jedoch wünschen würde: dass die Nebenquests dafür genutzt werden, dass gerade da das Missionsdesign anders aussieht oder mir völlige Freiheit gegeben wird, wie ich etwas erledige. Das sagst du ja auch selbst. Gerade dieser Aspekt ist noch ausbaufähig.

Und da muss ich ein Spiel lobend hervorheben, das in eine sehr gute Richtung geht: Lego City Undercover. In LCU gibt es so viel zu entdecken. Die Welt ist vollgestopft mit Sammelkram, Anspielungen, geheimen Orten und so weiter. Die Missionen sind wirklich unterschiedlich, was, glaube ich, vor allem daran liegt, dass es ein Spiel für Kinder ist und dort Alternativen zum Kämpfen oder Schießen gefunden werden müssen. Und das würde ich mir so sehr für andere Spiele wünschen. LCU ist so kreativ in seiner Geschichte und seinen spielerischen Elementen. Dadurch, dass ich ja auch verschiedene Berufe im Spiel habe, ist mein Charakter auch individuell, da auch jeder eigene Beruf ganz viele Kleidungen hat. In gewisser Weise hast du dort schon die Individualisierung, die wir uns beide wünschen. Nur beschränkt dadurch, dass eine Legofigur immer gleich aussieht.
Dazu ist die Geschichte auch nicht so designt, dass ich das Gefühl habe, jetzt unbedingt der Handlung folgen zu müssen. Was natürlich am Legohumor liegt. Wie kann ich die Geschichte ernst nehmen, wenn ich auf Schweinen reiten kann oder mal eben nebenbei zum Feuerwehrmann werde. Es gibt ständig etwas Neues. Bei LCU weißt du am Anfang nicht, was du am Ende machst und wo du dann bist. Bei so vielen anderen Open-World-Spielen weißt du nach ein paar Stunden Spielzeit, wie der Rest des Spiels aussehen wird, und dann kommt es nur noch darauf an, ob dir dieser Gameplayloop und die Story gefallen, oder eben nicht.
Es darf nicht mehr so klar getrennt sein in Gut und Böse oder Schwarz und Weiß. Deine Entscheidungen sollten dazwischenliegen.
Lenny
Was du bei Fable 2 beschreibst, klingt echt spannend. Ich habe Fable nie gespielt, das erinnert mich aber ein wenig an Mass Effect, wo deine Entscheidungen und dein Verhalten auch beeinflussen, ob du gut oder böse bist. Da Fable ja auch aus der Feder von Peter Molyneux stammt, liegt der Verweis auf Black and White natürlich nahe. Schließlich kann man dort ja auch entscheiden, ob man ein guter oder ein böser Gott ist.
Das darf natürlich nur der Anfang sein. Es darf nicht mehr so klar getrennt sein in Gut und Böse oder Schwarz und Weiß. Deine Entscheidungen sollten dazwischenliegen. Was für die eine Fraktion gut ist, ist für die andere schlecht. Vielleicht mache ich auch etwas nur für mich und niemand in der Welt findet das gut. Vielleicht mache ich auch etwas, was mir schadet, aber einer anderen Figur hilft. Dazu noch wirkliche Handlungsfreiheiten, die es mir erlauben, ein Problem auch gewaltfrei zu lösen oder auch einfach zu ignorieren. Mit allen Konsequenzen, die das dann auch für mich als Spielfigur oder die Spielwelt hat. Wer weiß, womöglich nervt einen das auch irgendwann, aber da ich so eine Art von Open World nicht kenne, würde ich zumindest gerne sehen, wie so ein Spiel aussehen würde.
Alexa: Deine Beispiele zeigen mir, dass es doch sehr unterschiedliche Arten von Open World gibt. Es kommt wohl vor allem darauf an, wie dieses Konzept sinnvoll in einen Kontext gesetzt werden kann. Ich sehe auch nach diesem Gespräch noch viele Vorteile und es reizt mich, weitere Open-World-Spiele zu spielen. Ich kann aber auch nachvollziehen, weshalb Begriffe wie Freiheit und Grenzenlosigkeit, die mit der Open World verbunden werden, wie „vorgaukeln“ erscheinen, wenn man sich ein Spiel näher anschaut. Ich bin sehr gespannt, ob und wie sich das Open-World-Konzept in zukünftigen Spielen verändern wird.
Lenny: Mein Anliegen war es nicht, dich davon zu überzeugen, dass Open-World-Spiele alle schlecht sind. Dafür habe ich ja selbst auch zu viele Spiele dieses Genres gespielt, die mir dann auch zum Teil Spaß gemacht haben. Open World ist aber nicht die Antwort auf alles. Nicht jedes Spiel profitiert davon und Entwickler müssen sich fragen: Was bringt die Open World unserer Geschichte? Wie kann das Genre weiterentwickelt werden? Was ist der nächste Schritt?
Was bedeutet „Open World“ für euch? Welche Vor- und Nachteile haben Open-World-Spiele eurer Meinung nach? Und was würdet ihr ändern wollen? Wir sind gespannt auf eure Kommentare!
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