Ich werde aus einem unschönen Traum gerissen, in dem ich zu ertrinken drohe, denn zum Glück reißt mich der nervige Weckton und die durchdringende Vibration meines Smartphones aus dem Schlaf. Glück gehabt. Oder?
Mosaic hatte ich schon länger auf dem Zettel. Gefangen hatte mich der Trailer, der einen tristen, grauen Murmeltier-Alltag unserer Spielfigur zeigt. Außerdem mag ich Röyksopp, deren Song „Coup de Grace“ (Gnadenstoß) diesen kurzen Einblick ins Spiel so passend begleitet und somit auch gleich eine Brücke schlug.
Zugegeben hatte ich keine Ahnung, was das für ein Spiel sein sollte, aber neugierig war ich dennoch und fühlte mich sofort berührt und irgendwie auch ertappt.
Achtung und sorry, dieser Text enthält leider Spoiler zum sowieso schon kurzen Spiel und behandelt die Themen Depressionen und Einsamkeit.
Aller Anfang ist schwer
Ich habe hier die 1% Edition von Mosaic auf der Xbox gespielt, diese beinhaltet unter anderem eine schnieke, goldene Smartphonehülle. Das ändert leider nichts an dem nervigen Geräusch, welches mir gerade unaufhörlich durch Mark und Bein bimmelt. Guten Morgen, Realität. Würg.
Es kostet Kraft, mich aufzusetzen. Schön versinnbildlicht mit einer Aufwärtsbewegung am Controller-Stick, nicht einfach nur einen Knopf drücken. Ich sitze. Immerhin. Und klatsche mir erst einmal eine, patsch. Ob zum wach werden, oder zum testen, ob das jetzt wirklich die Realität ist, in der ich gerade stecke, konnte ich nicht klären. Vielleicht ist es ein wenig von beidem.
Wecker aus. Nachrichten checken. Super, der Tag fängt ja gut an. Die Arbeit nervt und droht mir mit Sanktionen, falls ich wieder einmal unpünktlich dort aufschlage. Mein allgegenwärtiger und einflussreicher Arbeitgeber wird mich noch öfter im Spiel mit solchen mutmachenden Freundlichkeiten überschütten. Ebenfalls auf dem Smartphone empfängt mich das stupide Klickerspiel BlipBlop, mit dem ich im wahrsten Sinne im weiteren Spielverlauf punkten kann. Online Banking? Kennt man ja mittlerweile auf dem Smartphone. Kein Problem. Ein freundliches Rot lacht mir aus der Banking App entgegen. Doch Problem. Klassiker.
Das Smartphone ist in Mosaic mein stetiger Begleiter. Parallelen ausgeschlossen? Ich kann es ständig benutzen, während ich mich durch das Spiel bewege und es wird mir noch den ein oder anderen schweren Seufzer entlocken. Smartphone weg, ich schlurfe träge ins Bad und starte in den Tag. Zähne putzen, stylen, die Krawatte richten. Hochmotiviert blickt mich mein Spiegelbild an. „Was soll das alles hier?“ kann ich förmlich hören, ohne dass etwas gesagt wird. Hallo, grauer Alltag, da sind wir wieder. Seufz.
Der Entwickler Krillbite Studio hat es in Mosaic in meinen Augen gut eingefangen, was es heißt, seine zermürbte Seele durch den Alltag zu schieben und ich konnte einige Parallelen zu mir persönlich finden. Echt, wozu das alles?
Der Schreck, durch den Wecker aus dem Schlaf zu fallen und hart auf der Realität aufzuschlagen, sitzt noch tief. Gerade war doch alles noch so friedlich? Die beklemmenden paar Sekunden auf der Bettkante, in der die Vernunft, lieber doch zur Arbeit zu gehen, nur knapp vor der Kapitulation einfach liegen zu bleiben, die Oberhand gewinnt. Die kenne ich gut. Aber man hat ja seine Verpflichtungen, Rechnungen wollen bezahlt werden. Seufz.
Und täglich grüßt das Murmeltier
So erlebe ich in Mosaic ständig die gleiche Leier. Aufstehen, Bad, zur Arbeit trotteln, in der morgendlichen, anonymen Masse der anderen Arbeitnehmer in der Bahn sitzen. Das wurde hier sehr schön und sehr bildlich umgesetzt. Auch die wirklich dumme Arbeit, die „Aufgaben“, die ich zu erfüllen habe, haben mich schon am zweiten Arbeitstag total genervt. Ich glaube, dass das von den Entwicklern tatsächlich so gewollt war und die Sinnlosigkeit, mit der ich im Spiel mein Geld verdienen muss, darstellen soll.
Im tristen Leben der Spielfigur wird noch so einiges schiefgehen, was sie anfasst und der arme Tropf scheint mir tatsächlich die Verkörperung von einem Pechvogel zu sein, mit dem auch sichtlich niemand etwas zu tun haben möchte. Da motiviert auch der Fernseher nicht, vor den ich mich einsam und alleine in meiner kargen Wohnung klemmen kann.
Es kann ja nicht immer regnen
Wäre da nicht plötzlich dieser komische Fisch im Bad, der sich farblich so sehr vom Rest des Spiels abhebt. Ein Goldfisch. Er erst bringt etwas Abwechlung ins Grau, stellt unbequeme Fragen. Verrücktes Ding, denke ich und nehme die Herausforderung an. Viel mehr schiefgehen kann ja nicht.
Und tatsächlich nehme ich bald mein Umfeld nach und nach anders wahr. Da sind schöne, bunte Dinge. Kurze, fragile Momente, aber sie sind da. Ein Fisch als Zündfunke? Mmh. Das Spiel lässt mich hier entscheiden, ob ich Fischi’s Einfluss stärker werden lasse, oder ihn im Klo hinunterspüle. Möglicherweise geht Mosaic auch anders aus, wenn man sich für letzteres entscheidet. Herz und Neugier hatten aber gewonnen, ich konnte den Glubschi nicht fallen lassen.
Je weiter ich im Spiel komme, welches sich als ein Mix aus Adventure, Walking Sim und ein paar wenigen, kleinen Geschicklichkeitseinlagen herausstellt, umso öfter konfrontiert mich die Spielwelt mit Farbe. Kleine, aber besondere Begebenheiten erheitern den Alltag und färben ihn stellenweise bunt. Musik, die wärmende Sonne, ein Schmetterling. Wie oft klebt mein Blick nicht nur im Spiel auf den kleinen, aber wundervollen Dingen, um nicht komplett durchzudrehen.
Diese Begebenheiten schaffen es durchaus, temporär das große Grau in mir einzureißen und meine Welt vorübergehend zu verändern, zu erwärmen, oder mit Farbe zu füllen. Kurze Momente des Glücks und der Zufriedenheit. Der Hoffnung. Das Krillbite Studio hat das schön umgesetzt. Dass der Weg aus dem Sumpf kein leichter ist und viele daran scheitern, das hält mir Mosaic ebenfalls sehr bildlich vor Augen.
Und auch wenn Röyksopp nur im Trailer vorkommen und der Sound in Mosaic zwar nicht üppig, aber toll und atmosphärisch ist, kommt die Musik im Spiel doch teils recht nah an den breiten Stil der zwei norwegischen Musiker heran.
Die Grafik ist speziell und recht einfach gehalten, aber ich mag das. Und auch, wenn es öfters mal zu einigen kleineren, aber nicht ignorierbaren Rucklern kam, hatte mich das Spiel mit seiner teils fast schon komischen Tragik gepackt und es tatsächlich geschafft, mir für meinen oft ähnlich grauen Alltag etwas Hoffnung zu geben. Während ich das hier gerade tippe, scheint die Sonne durch mein Fenster.
Es kann ja nicht immer regnen. Dieses vielleicht bekannte Filmzitat mag ich sehr.
Ein Erklärungsversuch
Muss man das bei Spielen? Ich mache es dennoch, weil mich das Thema täglich begleitet und sehr beschäftigt, der Gegner ist allgegenwärtig. Wozu das Ganze? Du taugst nichts, hast keinen Erfolg, du kannst nichts richtig machen. Egal wie sehr du dich auch anstrengen… ach, vergiss es einfach. Oder es ist einfach mal wieder alles Mist um mich herum. Das Ganze hier als Arbeit und Einheitsbrei zu tarnen, ist für mich eine gut gewählte Metapher, denn auch dieser tägliche Gang ist für mich eher ein quälendes Muss und schluckt viel Energie des Tages. Auch wenn es nicht am Job liegt, bin ich alles andere als glücklich damit.
Eine weitere Krönung der Sinnlosigkeit ist für mich persönlich das Spiel im Spiel, BlipBlop. Ich kann mir gut vorstellen, dass die Entwickler das genauso rüberbringen wollten, wie es bei mir ankommt – als stupide Zeitverschwendung. Als erzwungenes Mittel zum Zweck, um die Erfolge freizuschalten, die fast ausschließlich hier erspielt werden.
Wie bei einem Mosaik fügt sich hier vieles zusammen. Steinchen für Steinchen bahne ich mir meinen Weg. Den Sinn hinter dem Namen des Spiels hab ich erst recht spät verstanden. Da wäre noch der Fisch im Waschbecken. Vielleicht ist er der eine Gedanke, etwas verändern zu wollen. Verändern zu müssen. Das kann vielfältig sein und ist sehr persönlich. Ich fand bei der Recherche dieses Beitrags heraus, dass in manchen Kulturen der (Gold)Fisch ein Symbol des Lebens und ein Ausdruck von Lebensfreude ist. Das würde sogar passen.
Leider ist das ein langwieriger, schwerer Prozess und es wäre schön, wenn das *schnipp*, schneller gehen könnte. Immerhin braucht Fischi auch ein paar Anläufe, um mich ingame anzutreiben. Auch wenn ich mich im echten Leben oft so fühle, als hätte ich ihn schon lange im Klo versenkt, bin ich nicht ganz hoffnungslos.
Vielleicht schaffe ich das auch irgendwann mal.
Zu guter Letzt
- Trotz ein paar technischer Hiccups und einer kurzen Spielzeit (bei mir etwa 4 Stunden) habe ich Mosaic sehr gerne gespielt.
- Wer nicht genug von BlipBlop bekommt, das gibt es auch als App für Android und iPhone.
- Hier noch der eingangs erwähnte Trailer. Wenn ich mir bei YouTube die Kommentare darunter ansehe, geht es vielen ähnlich wie mir. Zu sehen, dass man nicht alleine dasteht, erschreckt mich ehrlich gesagt noch mehr, als es mich beruhigen könnte.
Schreibe einen Kommentar