Es war an einem dieser seltenen Sommertage im Jahr 2021, die jeder normale Mensch mit einer gewissen Prise Antipathie begegnet, man als Gamer aber nur weglächeln konnte. Trist und regnerisch, teils stürmisch und mit endlosem grauen Wolkenbehang zog ein Gewitter über unsere kleine „Sommerresidenz“ im Wald und sorgte für diese extra Portion Ungemütlichkeit außerhalb der eigenen vier Wände.
In gemütlicher Zweisamkeit saßen also meine Freundin und ich gezwungenermaßen im Wohnzimmer fest. Eigentlich ein perfekter Moment, meine meistgespielten Games zu jener Zeit, das altbewährte „World of Warcraft“ und „Genshin Impact“, intensiv zu spielen.
Dabei gab es jedoch schon zu Beginn ein schwerwiegendes Problem, welches mein Spieleerlebnis erheblich schmälern sollte: Der steinzeitliche Laptop, den ich mit zum Gartenhäuschen genommen hatte und ein auf 30gb Datenvolumen festgesetzter mobiler WLAN-Router. Beides war nur bedingt kompatibel zu einem erfüllenden Spieleerlebnis und, wie ein altes Sprichwort schon sagt, macht die Not meist erfinderisch.
Während meine Partnerin also ein Buch zur Hand nahm (Wahrscheinlich war es eine wissenschaftliche Abhandlung zum Thema Pferde), lud ich mir also die globale Spieleplattform „Steam“ herunter und fing an, die unendlichen Weiten des Marktplatzes zu durchsuchen.
Wie jeder weiß, existiert dort eine gewaltige Menge an Spielen und sogar einige, die meine Aufmerksamkeit gewannen und meinen Laptop nicht sofort in Brand setzen sollten. So wurde das gute alte „Gothic“ heruntergeladen, „Dungeon Siege“ und „Age of Mythology“ gesellten sich auch dazu und schließlich entdeckte ich ein Spiel, welches mir nur namentlich von Schulhofdebatten am Gymnasium noch bekannt war: „Baldur’s Gate“.
Da es gerade sowieso im „Sale“ war und minimale Systemanforderungen besaß, wurde es geschwind von mir erworben und heruntergeladen. Ich ahnte da noch nicht, dass dieser Tag eine interessante Reise in die Vergangenheit werden sollte.
Hinein ins Abenteuer
Schon als ich mit vollem Körpereinsatz den Doppelklick meiner Maus betätigte und „Baldur’s Gate“ (Wohlgemerkt: Die „Enhanced“ Edition) startete, hatte mich das Intro in seinen Bann gezogen. Eine hünenhafte Gestalt mit stachelgespickter Eisenrüstung ermordet mit kryptischen Worten einen wehrlosen Mann? Für mich ist das auch im neuen Jahrhundert noch ein gelungener und stimmungsvoller Auftakt.
Dabei ist die Hauptgeschichte des rundenbasierten Rollenspiels eigentlich schnell erzählt: Wir ziehen mit unserem Ziehvater in die Welt hinaus; jener wird von besagtem Rüstungsträger ermordet; wir fliehen und stellen eine Gruppe zusammen mit dem Ziel, die Wahrheit herauszufinden und die namensgebende Stadt „Baldurs Tor“ zu retten. Mit dabei ist eine Prise Götterkinder, ein Stückchen Intrige und ein zarter Hauch von wohltuender Vergeltung am Ende des Spiels.
Auch wenn andere Videospiele epochalere Geschichten zu erzählen haben, schafft es für mich dieser Dungeons & Dragons Ableger problemlos, die vorherigen Zutaten zu einem köstlichen Gesamtergebnis zusammenzubringen.
Als ich nun das erste Mal ins Spiel eintauchen konnte, nutzte ich die unerwartet großen Freiheiten des Charakter-Editors und erstellte mich einfach selbst. Mangelnder Kreativität sei Dank, wurde es ein Magier der Menschen mit einer rechtschaffend guten Gesinnung, benannt nach mir. Wichtig zu erwähnen wäre hierbei, dass mein rechtes Zeigefingergelenk und meine Psyche beim Fähigkeiten Auswürfeln bleibende Schäden davongetragen haben müssten. Am Ende war ich aber irgendwie zufrieden mit meinem Charakter und konnte loslegen.
So unmodern spaßig
Das erste Erlebnis mit einem Videospiel zu beschreiben ist schwer, eventuell sogar unmöglich. So geht es mir teilweise auch mit diesem Machwerk von BioWare. Die Grafik ist für heutige Standards extrem veraltet, die Effekte wirken dröge, die Auswahl an Charakteren und Schauplätzen begrenzt und solche Geschichten wurden schon hundertfach erzählt. Dennoch hatte ich an jenem Sommertag und an den darauffolgenden Tagen einen Spielspaß wie seit Langem nicht mehr.
Da gibt es zum Beispiel die unzähligen Aufgaben, welche mal mehr und mal weniger versteckt sind und unerwartete Dramen (oder Explosionen) auslösen können. Auch die Interaktionen der Charaktere, ob Gruppenmitglied oder nicht, sorgen für Lebendigkeit und unterhaltsame Höhepunkte der Geschichte. Von den weit verzweigten und komplizierten zwischenmenschlichen Beziehungen des Nachfolgers war man hier jedoch noch weit entfernt.
Das Spiel fordert ständig Entscheidungen, welche auch Stunden später alle möglichen Auswirkungen haben können. Ich erinnere mich da beispielhaft an eine Aufgabe rund um die Fehde von Adligen und Druiden innerhalb eines Waldes. In einem meiner Spielstände half ich, entgegen meinem moralischen Kompass, den Adligen und vernichtete die Bewahrer der Natur vor mir.
Einige Kapitel später dürfte ich durch diese Tat ein Gebäude in der Hauptstadt betreten, welches sonst im Spiel nicht verfügbar gewesen wäre. Solche kleinen und merkbaren Konsequenzen sind nicht notwendig, aber sie verbessern das Spielerlebnis ungemein.
Sollte dennoch irgendwann eine gewisse Müdigkeit als Held entstehen, so kann man einfach auch einmal seiner dunklen Seite freien Lauf lassen und wie ein tollwütiger Berserker (fast) alles niedermähen, was einem vor die Waffe tritt. Einige Kameraden wollen sogar, dass ihr der Antagonist der Welt werdet und verlassen euch bei allzu tugendhaftem Verhalten.
Der Klimax von Baldur’s Gate schafft es hingegen nicht, die bisher sehr positive Bewertung aufrecht zu halten. Während ich bei den politischen Konflikten im Hintergrund und der rätselhaften Jagd auf die Hauptfigur gespannt der Story gefolgt bin, so verlor mich das Spiel etwas bei dem letzten Spielviertel. Es wirkt mitunter gehetzt und wirft die Gruppe von einem herausfordernden Kampf in den nächsten. Der Endkampf war dann stellenweise schon eine Erlösung, aber dementsprechend auch eine kleine Errungenschaft.
Noch nicht das Ende
Man kann gar nicht oft genug darauf hinweisen, was das Rollenspiel 1998 für einen Einfluss auf unsere Gaming-Landschaft hatte und was alles sich daraus noch entwickelte. Der grandiose Nachfolger „Baldur’s Gate 2″ gibt den eher blassen Charakteren aus dem ersten Teil viel Persönlichkeit und ist in nahezu allen Punkten wie Spielmechanik oder Story eine deutliche Verbesserung. Die darauffolgenden „Icewind Dale“ bzw. „Neverwinter Nights“ Spiele oder sogar das moderne und großartige „Divinity: Original Sin 2“ wären ohne „Baldur’s Gate“ eventuell nie erschienen. Auch von der recht ordentlichen Erweiterung „Siege of Dragonspear“ oder von dem Unterschied der „Enhanced Edition“ zur Ursprungsvariante könnte ich noch ausschweifend erzählen, aber ich belasse es nun dabei.
Die Zukunft für die Reihe jedenfalls sieht sehr rosig aus. Ein dritter Teil befindet sich bei den Larian Studios in der Entwicklung und soll die Rollenspielreihe würdig weiterführen. Die Collector’s Edition zu dem Spiel ist bereits von mir vorbestellt und die ersten Rezensionen im „Early-Access“ stimmen optimistisch.
Garantiert wird auch dann wieder ein Menschenmagier mit rechtschaffend guter Gesinnung die Welt retten.
Sicherlich an einem regnerischen Sommertag.
Welche rundenbasierten Rollenspiele fallen euch noch ein? Hat dieses Genre einen Platz in der modernen Spielelandschaft oder werden diese irgendwann nur noch nostalgische Erinnerungen sein? Schreibt es mir gern in die Kommentare!
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