Atari 2600: Zehn neue Hightech-Games für die Steinzeit-Maschine

Lesedauer: 4 Minuten

Wie erstklassige Homebrewspiele die Mutter aller Konsolen auf ein neues Level heben – und manche dieser Hobbyproduktionen das antike Gerät sogar zum sprechen bringen!

Als ich hier kürzlich Tutankham Arcade vorstellte, ein brandneues Spiel für das antike Atari 2600, gab’s etliche erfreuliche Rückmeldungen. Beispielsweise von Leser Alexander Strellen, der folgenden netten Kommentar hinterließ: „Toll das hier ein Spiel aus der Homebrew-Szene vorgestellt wird. Da gibt‘s viele Titel zu entdecken, über die leider selten berichtet wird.“

GENAU!

Deshalb folgt heute ein Bonus-Artikel, in dem ich euch zehn weitere erstklassige neue Spiele für meine Lieblingskonsole zeige. Bis auf eines sind sie obendrein komplett gratis oder zumindest als kostenlose Demo verfügbar. Ergo könnt ihr die Games für lau runterladen und selbst dann zocken, wenn ihr kein Atari 2600 besitzt. Der Emulator Stella macht’s möglich!

Am Ende des Artikels findet ihr ferner ein Video, das alle Spiele in Aktion zeigt. Wer um die technisch doch sehr beschränkten Möglichkeiten der 1977 erschienenen Konsole weiß, wird ob der Grafik- und Soundeffekte staunen. Mindestens. Doch jetzt gibt’s erst mal Text:

Aardvark

Banausen, die die blaue Elise für eine Briefmarke, Beethovens angeschickerte Knatterkumpeline oder eine rechtsextreme Politikerin halten, sollten Aardvark eigentlich gar nicht spielen dürfen. Die Generation Paulchen Panther weiß hingegen Bescheid: Hier geht’s um ein knuffiges Erdferkel. Das muss unterirdische Stollen leer futtern, ohne dass die vermeintliche Beute dem Fressfeind in die Zunge zwickt – zum Glück lässt sich die lange Lutschliane notfalls blitzartig per Feuerknopf einfahren. Das als Download kostenlose Spiel fühlt sich ein wenig an wie Pac-Man auf Speed. Tierisch lustig!

Bezugsquelle

Boom!

Wer bei Boom! länger überleben möchte als eine Schlachtplatte vor Markus Söder, braucht mehr als nur den letzten Funken Verstand, um die Zündschnur seiner Bomben anzufachen: Es ist taktische Überlegung gefragt, wenn ihr alle in den Labyrinthen hausende Monster unter Zeitdruck rechtzeitig zerpixeln wollt, ohne euch selbst zu killen. Denn darüber hinaus müsst ihr hinter ebenfalls zerstörbaren Ziegelmauern diverse Power-Ups und vor allem die Ausgangstür finden. Hat hier der eine oder andere ein Déjà-vu? Jap, bei Boom! handelt es sich um die 1a-Gratis-Umsetzung von Bomberman. BÄM!

Bezugsquelle

Circus Convoy

Bei diesem Titel, der intelligente Leser mag es ahnen, steht tatsächlich ein Zirkus-Konvoi im Mittelpunkt. Wobei, eigentlich steht der gar nicht, sondern fährt, während der Held wie ein Stuntman darauf herumhüpft. Umgesetzt haben diese im Wortsinn abgefahrene Idee die zwei Altmeister David Crane (Pitfall!) und Garry Kitchen (Keystone Kapers), sodass ihr neues Werk nur so vor ikonischen Anspielungen strotzt. Dabei entpuppt es sich nicht nur als simples Jump & Run mit sechs zusätzlichen Minigames. Ihr sammelt auch Gegenstände ein, die es in bester Adventure-Manier sinnvoll einzusetzen gilt.

Bezugsquelle

Deepstone Catacomb

Dieses Action-Rollenspiel schafft es in gewisser Weise, das Diablo-Prinzip aufs Atari 2600 zu wuppen – und es schaut dabei trotz der groben 160×200-Auflösung keineswegs aus, als habe jemand Bauklötze gekotzt. Die staunt man dann eher: Der Protagonist massakert sich durch 26 Ebenen eines Gewölbes, das bei Spielstart per Zufall generiert wird. An Gegnern wartet ein bunter Strauß phantasievoller Kreaturen, unter anderem Mumien, Skorpione, Geister, Flammenelementare, skelettierte Köpfe auf Insektenbeinen, drei mächtige Drachen und letztendlich als Oberfiesling der sogenannte Dark Lord.

Bezugsquelle

Donkey Kong VCS

Könnte das erste Donkey Kong fürs Atari 2600 mit einer Schaufel umgehen, es würde sich beim Vergleich mit dem kostenlosen Donkey Kong VCS vor Scham in der Wüste verbuddeln, direkt neben dem Grab des E.T.-Spiels, welches ja immer wieder als Exempel für unterirdisches Gamedesign herhält. Das Homebrew-Affentheater liefert eine irrsinnige Optik (der titelgebende Riesenaffe sieht z.B. nicht aus wie ein lausiger Lebkuchenmann), alle vier Kapitel des Automaten, Zwischensequenzen und einen pfiffigen Präsentations-Twist: Man sieht nur einen Teil der Levels. Klettert Mario nach oben, scrollt das Bild mit.

Bezugsquelle

Draconian

Draconian hat gegenüber der Arcade-Vorlage Bosconian zwei Vorteile: Erstens klingt der Titel cooler und nicht nach einem öden Apfelernten-Simulator. Zweitens verschlingt es als Gratis-Download keine Münzen, sondern nur Freizeit (im positiven Sinn). Ihr jagt mit einem Starfighter durch Dutzende von Levels, um Raumstationen zu zerstören, die ihr per Radarschirm aufspürt. Abfangjäger, Raketen, Asteroiden und Minen erschweren die Aufgabe. Die Grafik scrollt in acht Richtungen, das Schiff schießt nach vorne und hinten. Sogar die aus der Spielhalle bekannten Sprachsamples sind mit an Bord. Alert! Alert!

Bezugsquelle

Galagon

Während alte Games wie Pac-Man oder Defender auf dem 2600 stärker flackern, als die Leuchtstoffröhren in jedem Horrorfilmkrankhaus, greifen bei dieser Galaga-Umsetzung bis zu 40 insektoide Invasoren gleichzeitig an, und zwar nahezu beschwerdefrei. Selbstverständlich darf auch das bekannteste Feature des Shoot’em-Up-Klassikers nicht fehlen: Wird mein Jet von einem feindlichen Flaggschiff entführt, kann ich ihn mit dem Nachfolger, sofern ich noch ein Leben habe, wieder befreien. Beide Flieger werden dann klimakleberlike seitlich zusammenmacgyvert, was doppelte Feuerkraft bringt.

Bezugsquelle

Gorf Arcade

Sprachausgabe in Spielen klang Anfang der 80er noch wie ein Zylon aus dem Film Kampfstern Galactica, der es nicht mehr durch den TÜV geschafft hat. Das war im Fall von Gorf nicht anders, als es 1981 in den Spielhallen auftauchte. Cool hörte sich es dennoch an – und wer einen AtariVox-Synthesizer besitzt, den labert auch die Homebrewfassung fürs Atari 2600 authentisch voll. Abgesehen von einer fantastischen Grafik bekommen Shoot’em-Up-Jünger alle fünf Levels serviert – also auch die Galaxians-Mission, die bei der ersten Gorf-Umsetzung 1982 urheberrechtsbedingt fehlte.

Bezugsquelle

Lode Runner

Das vor allem vom Commodore 64 bekannte Action-Denkspiel Lode Runner erinnert an das Kinderspiel Fangen, das überambitionierte Waldorfpädagogen mit irre langen Leitern und horizontalen Hangelstangen aufgepeppt haben. Der Held soll in 150 Levels Goldtruhen bergen, die von Weltraumpiraten geklaut wurden, wobei ihn bis zu fünf Wachen verfolgen. Er kann nicht springen, sondern nur rennen, klettern und mit einem Sci-Fi-Akkubohrer Löcher in den Boden stanzen, damit die Verfolger hineinstürzen. Es ist aber auch möglich, sich dort fallen zu lassen, um ins Stockwerk darunter zu fliehen.

Bezugsquelle

Turbo Arcade

Wer heute ein Atari-2600-Rennspiel wie Night Driver startet, bangt wegen der Technik ständig, dass sich Augen und Ohren zur Organspende freigeben, weil sie einfach nur schnell wegwollen. Turbo Arcade ist die heilende Netzhautsalbe und Trommelfellpflege für Rennsportfans: Bei Gewitter spiegeln sich die Autos auf feuchtem Asphalt (Bild), es blitzt, donnert und der Regen rauscht. In Tunneln klingt der Motor dumpfer. Selbst Eis und Aquaplaning werden simuliert. Und: Eine Wüsten-Passage, die ans Monument Valley zwischen Arizona und Utah erinnert, gab‘s nicht mal beim Automaten-Vorbild!

Bezugsquelle

Living on Video

Sie sehen gerade einen Platzhalterinhalt von YouTube. Um auf den eigentlichen Inhalt zuzugreifen, klicken Sie auf die Schaltfläche unten. Bitte beachten Sie, dass dabei Daten an Drittanbieter weitergegeben werden.

Mehr Informationen

Bewegte Bilder sagen mehr als Worte, deshalb habe ich die im Artikel vorgestellten Titel für euch angespielt und ein kurzes Video produziert. Viel Spaß!

Permalink: https://www.videospielgeschichten.de/atari-2600-zehn-neue-hightech-games-fuer-die-steinzeit-maschine/


Gefällt mir

TobiKentMarcel DörpinghausAlexander StrellenAndré Eymann

14 Antworten zu „Atari 2600: Zehn neue Hightech-Games für die Steinzeit-Maschine“

  1. Avatar von André Eymann

    Lieber Harald, jetzt muss ich natürlich auch noch ein paar Zeilen an Dich richten. Obwohl ich (fast) sonnenverbrannt auf dem Urlaubssofa in der direkten Nähe zur rauschenden Ostsee sitze, gibt’s ein gleich dreifaches Lob.

    Zuerst natürlich erneut für Deine unfassbar unterhaltsame Schreibe. Es macht einfach so viel Spaß Dir „zuzulesen“. Danke dafür – Du bist und bleibst einmalig! Zweitens freue ich mich riesig über die konkret vorgestellten Spiele plus Links. Es ist so schön zu sehen, dass für den alten Holzimitatklassiker noch immer Menschen kreativ sind. Und so gute Spiele produzieren!

    Und drittens für die liebevollen Screenshots plus Video, die das Gelesene visuell tieferlegen. Ich finde Du hast allen Entwicklern der erwähnten Spiele und uns Lesern ein wunderbares Geschenk gemacht.

    Großes Pixelkino!

    1. Avatar von Harald Fränkel

      Danke dir! Auch für die Plattform hier. 🙂

      André Eymann
  2. Avatar von DocOwer

    Was mich beim alten VCS immer wieder fasziniert hat war, wie viele Farben das darstellen konnte. Warum eigentlich? Wieso konnte man in so einer engen Hardware so viele Farben zaubern ^^

    André Eymann
    1. Avatar von Harald Fränkel

      Ein VCS mit der für Europa üblichen PAL-Videonorm verfügt über eine Palette von 104 Farben, also 24 weniger als ein NTSC-Gerät. Wegen einiger technischer Beschränkungen bekommt man aber ohnehin sehr viel weniger gleichzeitig zu sehen. In der Regel kann man von 4 bis 16 Farben ausgehen, je nachdem, wie findig ein Spiel programmiert war. Wie das dann genau funktioniert hat, dazu kann ich dir mit meinem gefährlichen Halbwissen allerdings nix sagen.

      André Eymann
  3. Avatar von Pascal Parvex
    Pascal Parvex

    Attack of the Mutant Phase Alternate Line – Oder hast du das Video, aus dem du deine eigenen Screenshots mit einer Instantkamera mit Hitzeproblem mit einer 60Hz-Amikamera von deinem 50Hz-FBAS-Anschluss-Mono-TV-Klotz abgefilmt?

    😉

    1. Avatar von Harald Fränkel

      Weil im Internet IMMER gemault wird und mir mal jemand vorwarf, ich sei von der „Lügenpresse“ und würde „Geschichtsfälschung“ betreiben, weil ich qualitativ zu hochwertige HDMI-Bilder von alten Spielen aufnehme, die „früher aber gar nicht so aussahen“, bin ich diesmal EXAKT so vorgegangen, wie du vermutest (allerdings mit einer Polaroid-Kamera und einhändig aus der Hüfte geschossen).

  4. Avatar von Alexander Strellen

    Freut mich das der angekündigte Text tatsächlich auch geliefert wird 😉

    Sehr interessante Sammlung von Spielen. Da ist für jeden was dabei. Den Emulator werde ich ausprobieren. Der ist mir noch unbekannt.

    André Eymann
  5. Avatar von Markus N.
    Markus N.

    Mega Artikel von meinem Lieblingsschreiberling! Gern mehr von Herrn Fränkel 👍👏

    Harald FränkelAndré Eymann
    1. Avatar von Harald Fränkel

      Danke für die erfreuliche Rückmeldung! Ich hab sicher mal wieder was für die Seite, stay tuned!

      André Eymann
  6. Avatar von keine KI
    keine KI

    sehr schöne und knackige Zusammenfassung. Die Wortspiele erinnern mich an Dietmar Wischmeyer 😉

    DIABLO auf Atari 2600? muss man haben !

    Harald FränkelAndré Eymann
    1. Avatar von Harald Fränkel

      Vielen Dank, ich fühle mich gewischmeyert, wirklich!

      André Eymann
      1. Avatar von keine KI
        keine KI

        Besser als gelackmeiert 😃

        André Eymann

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Teilen mit Freunden

Im Kontakt bleiben

Fediverse Reaktionen


Ehrlich. Authentisch. Unabhängig.

Wenn dir unsere Inhalte gefallen, überlege doch bitte ob du uns unterstützen kannst.

Bei Videospielgeschichten ist alles authentisch und garantiert ohne KI. Auch Werbung gibt es bei uns nicht. Das ist nur durch Unterstützung möglich. Durch deine Hilfe stellst du sicher, dass unsere Webseite weiterleben kann und die unabhängige, ehrliche und authentische Medienwelt bunt bleibt.