Wie erstklassige Homebrewspiele die Mutter aller Konsolen auf ein neues Level heben – und manche dieser Hobbyproduktionen das antike Gerät sogar zum sprechen bringen!
Als ich hier kürzlich Tutankham Arcade vorstellte, ein brandneues Spiel für das antike Atari 2600, gab’s etliche erfreuliche Rückmeldungen. Beispielsweise von Leser Alexander Strellen, der folgenden netten Kommentar hinterließ: „Toll das hier ein Spiel aus der Homebrew-Szene vorgestellt wird. Da gibt‘s viele Titel zu entdecken, über die leider selten berichtet wird.“
GENAU!
Deshalb folgt heute ein Bonus-Artikel, in dem ich euch zehn weitere erstklassige neue Spiele für meine Lieblingskonsole zeige. Bis auf eines sind sie obendrein komplett gratis oder zumindest als kostenlose Demo verfügbar. Ergo könnt ihr die Games für lau runterladen und selbst dann zocken, wenn ihr kein Atari 2600 besitzt. Der Emulator Stella macht’s möglich!
Am Ende des Artikels findet ihr ferner ein Video, das alle Spiele in Aktion zeigt. Wer um die technisch doch sehr beschränkten Möglichkeiten der 1977 erschienenen Konsole weiß, wird ob der Grafik- und Soundeffekte staunen. Mindestens. Doch jetzt gibt’s erst mal Text:
Aardvark
Banausen, die die blaue Elise für eine Briefmarke, Beethovens angeschickerte Knatterkumpeline oder eine rechtsextreme Politikerin halten, sollten Aardvark eigentlich gar nicht spielen dürfen. Die Generation Paulchen Panther weiß hingegen Bescheid: Hier geht’s um ein knuffiges Erdferkel. Das muss unterirdische Stollen leer futtern, ohne dass die vermeintliche Beute dem Fressfeind in die Zunge zwickt – zum Glück lässt sich die lange Lutschliane notfalls blitzartig per Feuerknopf einfahren. Das als Download kostenlose Spiel fühlt sich ein wenig an wie Pac-Man auf Speed. Tierisch lustig!

Boom!
Wer bei Boom! länger überleben möchte als eine Schlachtplatte vor Markus Söder, braucht mehr als nur den letzten Funken Verstand, um die Zündschnur seiner Bomben anzufachen: Es ist taktische Überlegung gefragt, wenn ihr alle in den Labyrinthen hausende Monster unter Zeitdruck rechtzeitig zerpixeln wollt, ohne euch selbst zu killen. Denn darüber hinaus müsst ihr hinter ebenfalls zerstörbaren Ziegelmauern diverse Power-Ups und vor allem die Ausgangstür finden. Hat hier der eine oder andere ein Déjà-vu? Jap, bei Boom! handelt es sich um die 1a-Gratis-Umsetzung von Bomberman. BÄM!

Circus Convoy
Bei diesem Titel, der intelligente Leser mag es ahnen, steht tatsächlich ein Zirkus-Konvoi im Mittelpunkt. Wobei, eigentlich steht der gar nicht, sondern fährt, während der Held wie ein Stuntman darauf herumhüpft. Umgesetzt haben diese im Wortsinn abgefahrene Idee die zwei Altmeister David Crane (Pitfall!) und Garry Kitchen (Keystone Kapers), sodass ihr neues Werk nur so vor ikonischen Anspielungen strotzt. Dabei entpuppt es sich nicht nur als simples Jump & Run mit sechs zusätzlichen Minigames. Ihr sammelt auch Gegenstände ein, die es in bester Adventure-Manier sinnvoll einzusetzen gilt.

Deepstone Catacomb
Dieses Action-Rollenspiel schafft es in gewisser Weise, das Diablo-Prinzip aufs Atari 2600 zu wuppen – und es schaut dabei trotz der groben 160×200-Auflösung keineswegs aus, als habe jemand Bauklötze gekotzt. Die staunt man dann eher: Der Protagonist massakert sich durch 26 Ebenen eines Gewölbes, das bei Spielstart per Zufall generiert wird. An Gegnern wartet ein bunter Strauß phantasievoller Kreaturen, unter anderem Mumien, Skorpione, Geister, Flammenelementare, skelettierte Köpfe auf Insektenbeinen, drei mächtige Drachen und letztendlich als Oberfiesling der sogenannte Dark Lord.

Donkey Kong VCS
Könnte das erste Donkey Kong fürs Atari 2600 mit einer Schaufel umgehen, es würde sich beim Vergleich mit dem kostenlosen Donkey Kong VCS vor Scham in der Wüste verbuddeln, direkt neben dem Grab des E.T.-Spiels, welches ja immer wieder als Exempel für unterirdisches Gamedesign herhält. Das Homebrew-Affentheater liefert eine irrsinnige Optik (der titelgebende Riesenaffe sieht z.B. nicht aus wie ein lausiger Lebkuchenmann), alle vier Kapitel des Automaten, Zwischensequenzen und einen pfiffigen Präsentations-Twist: Man sieht nur einen Teil der Levels. Klettert Mario nach oben, scrollt das Bild mit.

Draconian
Draconian hat gegenüber der Arcade-Vorlage Bosconian zwei Vorteile: Erstens klingt der Titel cooler und nicht nach einem öden Apfelernten-Simulator. Zweitens verschlingt es als Gratis-Download keine Münzen, sondern nur Freizeit (im positiven Sinn). Ihr jagt mit einem Starfighter durch Dutzende von Levels, um Raumstationen zu zerstören, die ihr per Radarschirm aufspürt. Abfangjäger, Raketen, Asteroiden und Minen erschweren die Aufgabe. Die Grafik scrollt in acht Richtungen, das Schiff schießt nach vorne und hinten. Sogar die aus der Spielhalle bekannten Sprachsamples sind mit an Bord. Alert! Alert!

Galagon
Während alte Games wie Pac-Man oder Defender auf dem 2600 stärker flackern, als die Leuchtstoffröhren in jedem Horrorfilmkrankhaus, greifen bei dieser Galaga-Umsetzung bis zu 40 insektoide Invasoren gleichzeitig an, und zwar nahezu beschwerdefrei. Selbstverständlich darf auch das bekannteste Feature des Shoot’em-Up-Klassikers nicht fehlen: Wird mein Jet von einem feindlichen Flaggschiff entführt, kann ich ihn mit dem Nachfolger, sofern ich noch ein Leben habe, wieder befreien. Beide Flieger werden dann klimakleberlike seitlich zusammenmacgyvert, was doppelte Feuerkraft bringt.

Gorf Arcade
Sprachausgabe in Spielen klang Anfang der 80er noch wie ein Zylon aus dem Film Kampfstern Galactica, der es nicht mehr durch den TÜV geschafft hat. Das war im Fall von Gorf nicht anders, als es 1981 in den Spielhallen auftauchte. Cool hörte sich es dennoch an – und wer einen AtariVox-Synthesizer besitzt, den labert auch die Homebrewfassung fürs Atari 2600 authentisch voll. Abgesehen von einer fantastischen Grafik bekommen Shoot’em-Up-Jünger alle fünf Levels serviert – also auch die Galaxians-Mission, die bei der ersten Gorf-Umsetzung 1982 urheberrechtsbedingt fehlte.

Lode Runner
Das vor allem vom Commodore 64 bekannte Action-Denkspiel Lode Runner erinnert an das Kinderspiel Fangen, das überambitionierte Waldorfpädagogen mit irre langen Leitern und horizontalen Hangelstangen aufgepeppt haben. Der Held soll in 150 Levels Goldtruhen bergen, die von Weltraumpiraten geklaut wurden, wobei ihn bis zu fünf Wachen verfolgen. Er kann nicht springen, sondern nur rennen, klettern und mit einem Sci-Fi-Akkubohrer Löcher in den Boden stanzen, damit die Verfolger hineinstürzen. Es ist aber auch möglich, sich dort fallen zu lassen, um ins Stockwerk darunter zu fliehen.

Turbo Arcade
Wer heute ein Atari-2600-Rennspiel wie Night Driver startet, bangt wegen der Technik ständig, dass sich Augen und Ohren zur Organspende freigeben, weil sie einfach nur schnell wegwollen. Turbo Arcade ist die heilende Netzhautsalbe und Trommelfellpflege für Rennsportfans: Bei Gewitter spiegeln sich die Autos auf feuchtem Asphalt (Bild), es blitzt, donnert und der Regen rauscht. In Tunneln klingt der Motor dumpfer. Selbst Eis und Aquaplaning werden simuliert. Und: Eine Wüsten-Passage, die ans Monument Valley zwischen Arizona und Utah erinnert, gab‘s nicht mal beim Automaten-Vorbild!

Living on Video
Bewegte Bilder sagen mehr als Worte, deshalb habe ich die im Artikel vorgestellten Titel für euch angespielt und ein kurzes Video produziert. Viel Spaß!
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