Plötzlich ist alles anders

Von Florian Auer am
Kommentiert von: Svila, Tobi, André Eymann, Florian Auer, Wolfgang, Chris
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Eine Geschichte in Videospielen liefert in der Regel das ab, was sie anbietet. Ein fetziger Weltkriegsshooter bleibt in seinem Setting und seiner Story dem Thema Weltkrieg, Heldentum und Schusswaffen treu. Ein japanisches Rollenspiel erzählt oft eine Geschichte auf eine bestimmte Weise und bleibt bei seinem Grundthema (zum Beispiel Melancholie wie in “I am Setsuna” oder “Child of Light”) auch grundsätzlich.

Hinweis: Dieser Bericht enthält Spoiler zu “Silent Hill”, “Klonoa: Door to Phantomile” und “Zelda: Link’s Awakening”

Manche Spiele wechseln jedoch inmitten ihres Verlaufs komplett die Stimmung. In diesem kleinen Bericht möchte ich drei davon nennen, bei denen sich die ganze Atmosphäre ab einem bestimmten Punkt anders anfühlt.

Es gibt auch Spiele, die mitten im Spiel ihr Genre ändern und sich völlig anders spielen, doch hier möchte ich mich auf Änderungen, die aufgrund von Überraschungen in der Geschichte auftreten, fokussieren.

Silent Hill

Silent Hill: Lisa Garland
Silent Hill: Lisa Garland

Die Horror-Adventure-Reihe Silent Hill wurde mit Teil 2 bekannt, der auf der PlayStation 2 erschien und sich durch eine äußerst komplexe, und in sich dennoch geschlossene und mitreißende Story auszeichnet. Doch ich möchte hier eine Szene aus Teil 1 beschreiben, welche die grundlegende Stimmung des Spiels vollständig ändert.

In Silent Hill sucht Harry Mason seine Tochter, die bei einem Autounfall verschwunden ist. Er sucht sie in Silent Hill, einer Geisterstadt, in der außer einer weiteren Polizistin und einer Krankenschwester keine weiteren Menschen zu existieren scheinen.

Das Spiel macht den Anschein, als würde es auf der Welle der Horror-Adventures reiten, die in den späten 90ern dank Resident Evil so bekannt und beliebt geworden sind.

Doch in der Szene, in der Lisa Garland versteht, dass sie nicht ein Mensch wie Harry oder Cyril ist, sondern genau wie die Monster nur eine Vision eines geplagten und verängstigten mächtigen Wesens, ändert sich die gesamte Prämisse.

Lisa verwandelt sich nicht etwa in ein unheimliches Ungeheuer, welches den Protagonisten angreift, sondern sie sucht bei ihm Hilfe. Doch Harry stößt sie weg und flieht, während Lisa mehr und mehr blutet. Die Hintergrundmusik ist dabei nicht verängstigend oder unheimlich, sondern unbeschreiblich traurig.

Ab diesem Moment ist Silent Hill kein gruseliges Horrorstück mehr, sondern eine herzzerreißende Geschichte über Missbrauch, religiösen Fanatismus und Fremdbestimmung.

Ein Thema, das sich grundsätzlich auch durch Silent Hill 2 und 3 zieht, wobei Silent Hill 2 mehr Distanz zwischen Spielerinnen und Helden aufrechterhält. Silent Hill 3 besitzt sogar eine Szene von ganz ähnlicher Tragweite wie das Ursprungswerk. Die Atmosphäre ist im dritten Teil aber auch dem Original deswegen so ähnlich, da die Geschichte dieses Spiels dort weitererzählt wird.

Hier die Szene auf YouTube

Klonoa: Door to Phantomile

Klonoa: Door to Phantomile (PS1)
Klonoa: Door to Phantomile (PS1)

Als ich mir 1998 dieses Spiel gekauft hatte, war es für mein 17-jähriges Ich beinahe zu kindisch. Die Startmusik begrüßt uns mit einer Melodie, die genauso gut aus dem Musikplayer eines meiner Kinder schallen könnte.

Das Spiel präsentiert sich als zuckersüßer 2.5D-Plattformer mit wunderschönen Arealen und wirklich erstaunlich gut gemachter Musik.

Held Klonoa ist ein Kater mit Hasenohren, begleitet von einem Ringgeist, der ihm hilft, Gegner einzusammeln und aufzublasen. Als Spieler bewegt man sich durch die Level, meistert Sprungpassagen und bekämpft interessant inszenierte Bosse auf der Suche nach Lephise, die vom finsteren Ghadius entführt wurde.

Unterstützung erhält Klonoa von seinem Großvater, der immer zu wissen scheint, was als Nächstes zu tun ist.

Am Ende der vierten Welt allerdings, als Klonoa zu seinem Großvater zurückkehrt, droht Ghadius’ Lakai, Joker, den Großvater zu töten, um ein magisches Amulet zu erlangen … und tut es.

Es folgt ein dramatischer Bosskampf mit melancholisch-mitreißender Musik, und danach stirbt der Großvater in Klonoas Armen, und dieser schreit seine Trauer in der Phantasiesprache des Spiels heraus.

Klonoa: Door to Phantomile, Großvater-Szene
Klonoa: Door to Phantomile, Großvater-Szene

Diese Szene ist allerdings nur der Anfang einer Entwicklung, welche das Spiel von Niedlichem Jump’n’run hin zu einer ernsten, traurigen und gerade niederschmetternden Inszenierung führt – mit Gegnern und surrealen Designs, die teilweise beängstigend wirken können.

Gerade bei diesem Beispiel stellt sich die Frage, welche marketingtechnischen Überlegungen dahintergestanden haben, das Spiel so zu gestalten, wie es letztendlich umgesetzt  wurde.

Der Anfang ist süß, erdrückt Spieler und Spielerinnen beinahe in fröhlicher Unschuld und wendet sich somit klar an Kinder, der spätere Teil ist dann so ernst und hintergründig, dass ich das Spiel keinem Kind unter zwölf Jahren antun würde.

Nichtsdestotrotz, ich finde es toll.

Hier die Szene auf YouTube

Zelda: Link's Awakening auf der Switch
Zelda: Link’s Awakening auf der Switch

Für viele Leute ist Link’s Awakening, welches ursprünglich 1993 auf dem Game Boy erschienen, das beste zweidimensionale Zelda. Es ist auch das einzige Spiel der Hauptreihe, in welcher Link nicht Prinzessin Zelda retten muss, und auch Serienbösewicht Ganon keine Rolle spielt.

Nach den Erlebnissen des Vorgängerspiels geht Link auf eine Reise, und erleidet in einem Unwetter Schiffbruch auf einer mysteriösen, aber auch witzigen Insel. Die Bewohner scheinen alle sehr spleenig zu sein, das Spiel präsentiert sich mit mehr Witz und Selbstironie als vorherige Teile der Serie.

Link möchte natürlich die Insel wieder verlassen, und so kämpft er sich durch viele Verliese, um seinen Wunsch zu erfüllen. In den Verliesen sind Instrumente, um den “Windfisch” zu erwecken, der ihm die Möglichkeit bietet, nach Hause zurückzukehren.

Im letzten Drittel des Spiels stellt Link aber fest, dass die Insel nur ein Traum des Windfischs ist, und dessen Erweckung die ganze Insel, zusammen mit seinen freundlichen und verrückten Bewohnern verschwinden lassen wird.

Ab diesem Zeitpunkt wird auch hier das Spiel, wie Klonoa zuvor, ernster und trauriger. 

Ganz besonders trifft das auf den Dungeon zu, vor dem Link feststellt, dass die Insel aufhören wird zu existieren, wenn er sie verlassen sollte.

Im Switch-Remake ist die Musik dort unglaublich traurig und niederschmetternd. Link’s Awakening verliert seine Leichtigkeit und endet schließlich auch mit einer bitteren Note.

In Link’s Awakening ist diese Entwicklung organischer als in Klonoa, und das Spiel deutet ständig an, dass die Dinge nicht so leicht und lustig sind, wie sie zu Beginn scheinen.

Beispiele für den Stimmungswechsel:

Fazit

Ich liebe Melancholie. Und daher freut es mich, wenn scheinbar ganz anders gestimmte Spiele ihre Stimmung dahingehend ändern, ernster und trauriger zu werden. 

Persönlich bin ich kein Freund von Horror und Grusel, und dennoch konnte ich mich durch die Silent-Hill-Spiele kämpfen, da irgendwann der Horror völlig verschwindet und eine tiefe Melancholie und Traurigkeit die Geschichten auszeichnet.

Allerdings kann ich mir auch gut vorstellen, dass viele Spielerinnen und Spieler überrascht oder gar irritiert sind, wenn sich ein Spiel in eine ganz andere Richtung entwickelt, als das zu Anfang zu erwarten ist.

Habt ihr auch Erfahrungen mit Spielen gemacht, die ganz überraschend anders ausgegangen sind, als ihr das Anfangs erwartet hattet?


Veröffentlicht in: Videospielgeschichten
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Kommentare (9)

  1. Hallo Florian, ich habe soeben deinen Beitrag lesen können und stimme dir da sehr zu. Im Dezember habe ich ENDWALKER gespielt und die Stimmung wurde von Quest zu Quest deutlich anders. Von abenteuerlichen Schwingungen überkommen dich Wut, Verwirrung, Ratlosigkeit, mehrere WTF-Momente sowie ganz viel Traurigkeit. Eine derart emotionale Achterbahnfahrt hatte ich bisher noch nie. Ich muss im Übrigen wieder die Tränen aus dem Gesicht wischen, so sehr hat mich das mitgenommen … diese Plot Twists in Spielen sind die Momente, die mir immer sagen “Spiel weiter! Das ist nicht das Ende! Es wird bestimmt besser!” auch, wenn es im Nachhinein dann nicht so ist. Vielen Dank für den Beitrag 🙂

    Tobi
  2. Unwahrscheinlich, aber vorsichtshalber: Dieser Kommentar enthält Final Fantasy VII Spoiler
    Vielen Dank für deinen wirklich interessanten Beitrag, Florian. Klonoa hatte ich überhaupt nicht mehr auf dem Schirm, danke daher auch für die Erinnerung daran! Ich habe jetzt tagelang hin und her überlegt, ob ich so einen Plottwist in Spielen kenne und bin sicher, dass ich so etwas schon gespielt habe, aber komme nicht wirklich drauf. Als Situation, die mich erstmal sprachlos hat sitzen lassen, fällt mir da aber immerhin Final Fantasy VII ein. Die berühmte Aeris Szene kennt mittlerweile vermutlich so ziemlich jeder. Ein “Warum?!” war da erstmal im Kopf und die Stimmung im Spiel war ab da gefühlt anders. Gedämpfter, melancholischer. Niemand war mehr wirklich sicher in dieser Spielwelt. Shinra Schergen sterben hier, klar, aber hey, das geheimnisvolle Blumenmädchen?!?
    Wenn mir doch noch etwas einfällt, ergänze ich das gerne. Danke für deinen anregenden Beitrag!

  3. Mir fällt hier spontan Northbound: Long Road Ahead von Johannes Köberle und Arno Justus ein. Achtung es folgt ein heftiger Spoiler!

    Das Spiel beginnt mit einem wohlig nostalgischen Gefühl und ended in der harten Realität der Tatsachen. Es ist quasi eine Demontage, die schonungslos das Seelenleben der Akteure bloßstellt. Ich würde es auch als ein Art Reise ins Innere beschreiben.

    Mir gefällt diese “Achterbahn” sehr gut und ich mag es, wenn Spiele ihre Tonalität verändern. Auf diesem Wege hinterlassen sie einen Eindruck und eine Wirkung in uns. Videospiele sind – wie Kunst im Allgemeinen – am stärksten, wenn sie uns berühren.

    WolfgangFlorian AuerTobi
  4. Sehr schöner Beitrag! Von Filmen, oder aber auch Büchern kennt man das mehr. Also dass sie ihre Stimmung, teils oft auch das Genre in eine ganz andere Richtung ändern. Vor allem bei Link’s Awakening sehe ich das ähnlich. Kenne das Original, habe es aber auch auf der Switch gespielt. Wobei, ich muss eher sagen ich spiele es noch. Denn ich bin genau in dieser Phase des Spiels, wo dieser Wechsel passiert. Alle Instrumente sind beisammen, aber ich möchte es “nicht zu Ende spielen”. Dieser Spielstand ruht jetzt schon seit geraumer Zeit so auf der Switch. Ich habe sehr viele Zelda Teile beendet, auch BOTW. Gerade weil dieser Teil ein wenig anders ist, fällt es mir vielleicht “schwerer”. Wann es soweit sein wird und ob, wird sich zeigen.

    Ich sehe es generell sehr spannend, dass sich in den Spielen nicht nur melancholische und bedrückende Elemente finden lassen. Sondern auch andere Elemente, die den Spielern nahe kommen. Kurz gesagt, dass sich Emotionen in den Spielen zeigen und diese auch transportiert werden. Das haben RPGs und auch japanische Vertreter viel früher gekonnt. Wer heute sagt, dass Videospiele an Emotionen sparen oder diese “nicht können”, der hat schlicht noch nicht das passende auf dem Bildschirm gehabt.

    Lieben Dank auch für Klonoa, das hatte ich so gar nicht mehr auf meinem Schirm. In den Silent Hill Teilen ist für mich ebenfalls vieles richtig gemacht worden. Diese sind psychologisch eine wahre Fundgrube und haben bis heute nichts von ihrer Atmosphäre verloren.

    Florian AuerTobiAndré Eymann
    1. Das verstehe ich total dass du Zelda nicht durchspielen möchtest. Wirklich ein interessanter psychologischer Kniff, den Nintendo da gemacht hat 🙂

      Allgemein finde ich auch dass Spiele hier die Möglichkeit bieten, eine sehr große Bandbreite an Emotionen zu ermöglichen. Schön, wenn sie das auch tun 🙂

      André EymannTobiWolfgang
  5. Sehr schöner Beitrag!

    Tatsächlich habe ich mit Tales of Arise gerade letztens ein Spiel mit ähnlicher Entwicklung durchgespielt, allerdings eher in umgekehrter Richtung.

    Ohne viel zu spoilen beginnt Tales of Arise eher melancholisch und bedrückend, findet sich aber später in heimeliger „Mut, Liebe und Freundschaft“ Atmosphäre wieder.

    Ansonsten fällt mir noch Final Fantasy XV ein, das als kameradschaftlicher, chilliger Roadtrip beginnt, und auf ein bitteres Finale hinausläuft.

    Florian AuerTobiAndré Eymann
    1. Gerade das hat mich irgendwie von Tales of Arise abgeschreckt. Es gibt so viele Spiele, grade JRPGs, die dieses “Mut, Liebe, Freundschaft” und “Wenn man will kann man alles schaffen!” bedienen. Deshalb gefiel mir FF6 ja auch so, denn da… war ja auch plötzlich alles anders.

      Mist, ich hätte FF6 noch in den Bericht aufnehmen sollen 😀

      André Eymann