Seemannsgarn und Pixelbrei: Monkey Island im Theater

Von Steffen Anton am
Kommentiert von: Steffen Anton, Alexander Strellen, André Eymann
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Lange bevor Disneys „Fluch der Karibik“ den allgemeinen Hype um das Thema Piraten und Seeräuber angefacht hatte, gab es zu Beginn der 1990er Jahre ein Computerspiel, auf das eine ganze Generation heute noch wehmütig zurückblickt: Ron Gilberts „The Secret of Monkey Island“.

Es war die Pionierzeit der Grafikadventures. Lucasfilm Games hatte einige Jahre zuvor mit „Maniac Mansion“ den Vorreiter einer ganzen Welle humorvoller Abenteuerspiele auf den Markt gebracht, die vor kreativen Einfällen nur so sprühten. Eines davon erzählte die Geschichte eines jungen Piratenanwärters, der von einer absurden Situation in die nächste stolperte, sich unsterblich verliebte, und es obendrein mit einem gefährlichen Geisterpiraten namens LeChuck zu tun bekam. Der Name des Mannes: Guybrush Threepwood.

Inspiriert wurde Ron Gilbert seinerzeit von zwei Quellen: Zum einen von einem Roman eines Autors namens Tim Powers, „Fremdere Gezeiten“, Zum anderen von Disneys Themenpark „Pirates of the Carribean“. Und hier schließt sich auch der Kreis zu „Fluch der Karibik“ wieder — basiert die Filmreihe doch ebenfalls auf dieser Attraktion.

Karibisches Flair auf der Haut
Karibisches Flair auf der Haut

Dass ich meines Zeichens überzeugter Nostalgiker und Retrogamer bin, wissen vielleicht einige. Dass ich jedoch seit 1994 das Spiel fast im Jahresrhythmus durchspiele und quasi alle Dialoge mitsprechen kann, das wissen wohl die wenigsten. Zudem ziert das Motiv der Verpackung seit einigen Jahren als Tattoo meinen linken Oberarm.

Es geht einfach nichts über die gute alte gepixelte VGA-Grafik, die zahlreichen Gags und Anspielungen, und nicht zuletzt die Atmosphäre, welche vor allem beim nächtlichen Durchstreifen der Insel Meleé Island erzeugt wird. 2009 wurde das Spiel mit einem Remake, inklusive verbesserter Grafik und Sprachausgabe, bedacht. Dieses war zwar durchaus gut gemeint, für mich jedoch doch einfach nicht das gleiche.

Vom Bildschirm auf die Bühne

Nach dieser langen Vorrede könnt Ihr Euch sicher meine Reaktion vorstellen, als ich vor einigen Jahren vom Theaterprojekt „Monkey Island — Ich will Pirat werden“ erfuhr. „Ich muss da hin, egal wo es stattfindet, egal was es kostet!“ Regisseur Martin Kreusch aus Halle hatte sich dieser schier unlösbaren Aufgabe angenommen, und hat dabei den Weg des Crowdfunding gewählt, um das Ganze auf die Beine zu stellen.

Ein kurzer Trailer im Internet mit der vertrauten Titelmelodie, auf einem Klavier gespielt, überzeugte mich dann vollends, sofort zuzuschlagen. Für den Preis von 40 EUR würde ich als Dankeschön sogar einen Platz in der ersten Reihe bekommen. Was nun folgte, war eine Zeit des Bangens und Hoffens, dass der benötigte Gesamtbetrag zustande kommen würde. Aber letztendlich war es dann soweit: Ich hatte die Karten für mich und meine Frau im Briefkasten. Und an Halloween 2015, als viele meiner Freunde sich als Zombies geschminkt auf einer der zahlreichen Partys vergnügten, hatte ich stattdessen mein lange erwartetes Date mit Mr. Threepwood, Stan, Otis und allen anderen von mir heißgeliebten Figuren.

Hält tapfer die Stellung: der Mann am Ausguck!
Hält tapfer die Stellung: der Mann am Ausguck!

Im kleinen, aber feinen Theater „Kulturreederei“ in Halle war schon der Eingangsbereich liebevoll im Piratenstil dekoriert. An der „Scumm Bar“ konnte sich der durstige Gast mit Getränken versorgen. Nur Grog war leider keiner zu bekommen. Von einem pöbelnden Freibeuter wurden dann unsere Karten kontrolliert und wir durften unsere Plätze in der ersten Reihe einnehmen. Als ich das Bühnenbild sah, bekam ich eine Gänsehaut. Da stand der alte Mann vom Ausguck im authentischen Kostüm, der Hintergrund war mit einem Sternenhimmel versehen.

Inventar inklusive

Liebevolle Details ergänzten die Kulisse, und ich befand mich auf einmal nicht mehr in einem Theater in Halle, sondern in der Karibik, beziehungsweise in einem Computerspiel. Auf der linken Seite war ein Arrangement aus mehreren Kisten oder Boxen, welche aufeinandergestapelt und offensichtlich zusammengeklebt waren. Ich fragte mich, was das sein konnte. Doch kurze Zeit später fiel es mir wie Schuppen von den Augen. Es handelte sich ja um die Inszenierung eines Grafikadventures. Das Inventar natürlich! Und bald darauf wurde dies auch bestätigt. Jeder Gegenstand, den Guybrush im Verlauf der Handlung erhielt, wurde hier von ihm abgelegt.

Einige Gegenstände hat Guybrush schon eingesammelt, inklusive Gummihuhn!
Einige Gegenstände hat Guybrush schon eingesammelt, inklusive Gummihuhn!

Stichwort Guybrush: Trotz anfänglicher Bedenken meinerseits — war doch der ihn Schauspieler wesentlich älter als der von ihm dargestellte Pirat – machte Martin Sommer seine Sache hervorragend. Auch wenn ich seine Frisur nach wie vor für etwas übertrieben und seltsam hielt. Das gesamte Ensemble kann hier übrigens gelobt werden. Manche Darsteller übernahmen sogar gleich mehrere Rollen, und erweckten dennoch alle Charaktere überzeugend und glaubwürdig zum Leben. Besondere Erwähnung verdient auch das Bühnenbild.

Jeder wichtige Ort der Story wurde absolut detailverliebt zum Leben erweckt, und die Problematik der wechselnden Locations wurden mit Hilfe der drehbaren Bühne und vieler fleißiger Helfer optimal gelöst. In Verbindung mit der tollen Pianobegleitung von Markus Liebscher entstand so die wirklich perfekte Illusion. Lediglich die Titelmusik wurde für meinen Geschmack etwas zu schnell gespielt Doch das ist wirklich nur „Jammern auf hohem Niveau“, und störte nicht den insgesamt perfekten Gesamteindruck. Es waren die vielen kleinen Details, die Aha-Effekte, und die Insidergags, die wohl nur eingefleischten Fans ins Auge fielen.

Man merkte in jeder Minute, dass der Regisseur selbst ein großer Verehrer des Spiels ist und nun mit dieser Inszenierung den vielen anderen Fans ein Geschenk machen wollte. Man kann sagen: Dies ist ihm auf ganzer Linie gelungen!

Verweise

Dieser Text erschien erstmals am 01.11.2015 als PDF-Foto auf der FB Seite „Barney Stinson Double“ des Autors. Am 12.08.2017 erschien er dann „richtig“ veröffentlicht auf der Webseite Retrokram.


Veröffentlicht in: Medien & Literatur, Videospielgeschichten
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Kommentare (4)

  1. Vielen lieben Dank Steffen, dass Du uns an diese Veranstaltung erinnerst! Hätte ich damals davon gewusst, wäre ich sicher hingegangen. Nach dem Lesen Deines Beitrags drängt sich mir der folgende Gedanke auf: warum werden nicht mehr Videospiele im Theater inszeniert? Die Kunstrichtung zu gehen bietet sich ja förmlich an. Ikonische Schauplätze, interessante Charaktere und oft farbenfrohe Settings… die Bühne des Theaters wäre ein tolles Parkett dafür!

    Falls Dir bekannt (oder der Leserschaft) wäre es super, wenn ähnliche Events hier in den Kommentaren gepostet werden könnten ❤️

    Michael
    1. Ja das ist eine gute Frage. Zumindest die Grafikadventures eigenen sich aufgrund ihrer Narrativität in der Tat sehr gut für eine Aufführung im Theater. Es fehlen einfach die Köpfe, die es umsetzen. Wobei mir wenige Spiele außer Monkey Island einfallen, die solch einen ikonischen Charakter besitzen, um genug Publikum anzulocken über die gewöhnlichen Nerds hinaus.