Wer ein Herz für Superlative hatte, war in den 1980er Jahren gut aufgehoben. Computerspiele und Anwendungsprogramme wurden damals mit möglichst vielen Adjektiven unters Volk gebracht.
In der Vor-Internet-Zeit waren Kaufhäuser oder der Fachhandel klassische Bezugsmöglichkeiten für neue Software. Dort waren neue Spiele aber oft teuer und mit dem schmalen Taschengeld kaum zu bezahlen. Was also tun, wenn man das heißbeliebte Automatenspiel „Scramble“ dennoch zu Hause auf seinem C64 spielen wollte?
Zusätzlich zu den kommerziell etablierten Anbietern blühte früher ein vielfältiger Katalog- und Prospektversand, der regelmäßig in einschlägigen Computer- und Spielezeitschriften inserierte. Über diesen Weg fanden unzählige Programme ihren Weg in die Haushalte.
Was aber bekam man dort für sein Geld? Profi-Software oder Billig-Ramsch?
Sie werden staunen!
Die Firma S+S Soft aus Castrop-Rauxel bot seinerzeit mit ihrem DIN A5-Katalog „unglaubliche Spiele“, die „Wahnsinn“ oder „noch nie Gesehenes“ versprachen. Die Preise der Spiele lagen in der Regel zwischen 1 bis 3 DM und wurden nach Bestellung per Post zum Käufer versandt. So kam dann „Scramble 64“ mit „sehr schöner Graphic“ auf einer handelsüblichen Kassette nach nur wenigen Tagen durch die Haustür.
Das Katalogangebot von S+S Soft strotzte nur so vor gesteigerten und skurrilen Satzgebilden. Als Kinder sind wir freilich nicht über diese Formulierungen gestolpert, aber in der Rückschau können sie zum Schmunzeln anregen. Es folgen ein paar Beispiele.
- „Sie haben die Aufgabe, da der Computer ausgefallen ist, ein Kernkraftwerk unter Kontrolle zu halten. Sehr realistisch gemacht.“ (Kernkraftwerk C64)
- „Ein echt gut gemachtes Arcade-Game. Das Leben im Wald ist nicht gerade einfach. […] Ein echtes Spitzenspiel!“ (Centipede 64)
- „Ein Programm mit Sprite und hochauflösender Graphik. Echt Spitze!“ (Raumpirat C64)
Im ganzen Katalog wurde mit Adjektiven nicht gespart: „Echte Spannung!“, „Sensation“, „Partyknüller“, „Superpreis“, „Superarcade-Game“, „Wahnsinn“, „Sie werden staunen!“, „Knüllerpreis“, „Mit echt guter Farbgraphic“, oder „unschlagbar“ sind nur einige der oft verwendeten Sätze.
Der liebe Computerfreund
Die Ansprache des geneigten Lesers im Katalog war persönlich und schon fast freundschaftlich formuliert. Zwar wurde man gesiezt, aber dennoch als „lieber Computerfreund“ angesprochen. Erklärende und auflockernde Ausflüge in die Begriffswelt der Computertechnik und Programmierung („Was ist die Zeropage?“, „Wie man seine Programme schützt“, oder „Wie spielt man Adventure-Games?“) unterstrichen den „freundschaftlichen“ Ansatz, dem potenziellen Käufer als Berater zur Seite zu stehen.
So finden sich auch vereinzelt kleine Listings (Programmcodes zum Abtippen) im Katalog, die für den täglichen Gebrauch am Homecomputer nützlich sein sollten.
Im hinteren Teil des Katalogs stellt sich dann auch das „Entwicklungsteam“ vor. Hier erfahren wir, wer all die „Knüllerspiele“ programmiert hat und welche Menschen hinter S+S Soft stehen.
Es sind viele Schwarz-Weiß-Abbildungen (Screenshots) eingestreut, auf denen man leider nicht immer eindeutig erkennen kann, was eigentlich dargestellt wird.
Die „Buzzwords“ des Katalogs dringen hingegen immer wieder klar durch: GRAPHIC, SPRITES, MASCHINENSPRACHE, HIGH RES GRAPHIC, SUPERSOUND, FÜR WENIG GELD, NEUHEIT, STOP, BRANDNEU, FÜR KENNER oder SPITZENPREIS.
Oft werden auch Programmsammlungen als „Superangebot“ oder „bärenstarkes Paket“ feilgeboten. 50 Programme für nur 98 DM oder 20 Programme für 19,80 DM.
Woher der Knüller kommt
Nun ist es keineswegs meine Absicht das Angebot von S+S abfällig zu belächeln oder irgendeinen der Beteiligen bloßzustellen. Ich habe diesen Beitrag recherchiert und geschrieben, weil mich die historischen Hintergründe und Fakten interessieren. Aus heutiger Sicht ist es für mich spannend, „hinter die Kulissen“ zu schauen und herauszufinden, wie diese Angebote entstanden sind.
Als Kind war ich begeistert und glücklich, neue Spiele für meine Homecomputer kaufen zu können, die in meinem finanziellen Rahmen lagen. Die Art und Weise der Vermarktung hat mich durchaus angesprochen und neugierig gemacht.
Bei meiner Recherche bin ich auf Daniel Springwald gestossen, der seinerzeit als Schüler bei S+S Soft gejobbt hat. Daniel war so freundlich sich für uns zu erinnern und so können wir im folgenden Absatz einige Details dieser Zeit aufleben lassen.
Erinnerungen eines Beteiligten
Text von Daniel Springwald, Dezember 2020
Ich war damals als Schüler auf der Suche nach einem Ferienjob und bekam von meiner Großcousine den Tipp, mich mal an S+S Soft zu wenden. Sie hatte dort zuvor als Sekretärin gearbeitet.
Zu diesem Zeitpunkt stand „S+S“ für „Schlüter und Schlüter“: Jeweils ein „S“ für Herrn und Frau Schlüter, die beide in der Firma tätig waren. Davor bedeute S+S ursprünglich wohl Schlüter + Scheitza. Offenbar hatten sich die Namensgeber noch vor meinem ersten Kontakt mit S+S Soft getrennt und Herr Scheitza betrieb seitdem in Herne die Firma „Multisoft“ mit ähnlichem Geschäftsmodell.
Meine primäre Aufgabe war es, bestehende Spiele mit einem grafischen Loader-Startbildschirm zu versehen und das Copyright Jahr hochzusetzen. Beides, damit die Spiele (wieder) neuer und wertiger wirkten. Die Startbildschirme habe ich mit Koala Painter erstellt und dann in einen Preloader eingebaut, der das Bild lädt, anzeigt und anschließend im Hintergrund das eigentliche Spiel lädt.
Autoren der Spiele aus dem S+S-Katalog bin ich während meiner Zeit dort nie begegnet. Das Team bestand aus einem Disketten-Kopierer (Jobbeschreibung), einer Sekretärin und Frau/Herrn Schlüter. Aufgabenbereich war also primär werben, vertreiben, Disketten kopieren und versenden.
So gesehen war ich als ca. 15-jähriger Schüler der einzige Mitarbeiter, der sich halbwegs mit Programmierung beschäftigte. Das dazu nötige Wissen stammte aus dem Selbststudium – ich hatte mit ca. 13 Jahren einen VC20 bekommen und zur Konfirmation dann einen C64.
Neben dem Re-Engineering bestehender Programme und wenigen Büchern waren Zeitschriften die (einzigen) Quellen für Programmierwissen.
Ob die anderen Programme des Katalogs von externen Autoren eingekauft waren oder das Material vielleicht noch aus der gemeinsamen Zeit mit Herrn Scheitza stammte (und „In-House“ erstellt wurde), kann ich nicht sagen. Neben dem Aufhübschen bestehender Programme habe ich seinerzeit auch selbst Software für S+S geschrieben, die dort dann auch vertrieben wurde. Gleiches dann auch für die Firma Crown-Soft, mit der sich der S+S Mitarbeiter Frank Rothberg selbständig machte.
Autorenverträge gab es damals für mich nicht – die Entwicklung wurde über die Bezahlung der geleisteten Stunden abgegolten.
Insgesamt habe ich die Zeit bei S+S Soft als sehr spannend und unterhaltsam in Erinnerung.
Leere Versprechungen?
Wie „fantastisch“ aber waren die Programme in der Praxis tatsächlich? Um die Sicht eines Schülers der Achtzigerjahre widerzuspiegeln, erinnert sich Marc, der zu dieser Zeit ein Teenager war, für uns.
Text von Marc, Dezember 2020
Mein Kumpel Götz und ich, Marc, waren damals von den Versprechungen und den günstigen Preisen „verzaubert“ und haben so Mitte der Achtziger für, wenn ich mich richtig erinnere, 40 bis 50 DM Spiele bestellt. Wir waren um die 15 Jahre alt und natürlich noch Schüler, also war es ein Haufen Geld, den wir für die Spiele ausgegeben haben.
Als diese dann endlich in der Datasette landeten, war die Ernüchterung groß. Die meisten Spiele waren einfachere BASIC-Spiele und die wenigen „Maschinensprache“-Games entpuppten sich auch eher als durchschnittlich. Kein Vergleich zu dem, was so in den Diskettenboxen schlummerte.
Ich habe nur wenig Erinnerung an die Spiele, eines ist mir aber noch im Kopf hängen geblieben, auch wenn es kein Spiel war: Supergame. Das fanden wir ganz lustig und haben uns mit anderen Freunden den Spaß erlaubt, das einfach mal „durchzocken zu lassen“.
Ein buntes Programm
Um einen kleinen Eindruck davon zu geben, wie die Spiele, die durch S+S vertrieben worden sind, ausgesehen haben, folgen in der Galerie ein paar Screenshots. Dabei ist gut zu erkennen, dass die Mischung bunt war. Abenteuerspiele wechselten sich mit Adventures und Actionspielen ab und boten für jeden Geschmack etwas.
An dieser Stelle möchte ich auch ausdrücklich erwähnen, dass in der Mitte der Achtzigerjahre viele kreative Ideen mit BASIC und Assembler durch unterschiedlichste Autoren umgesetzt wurden. Die einfachen Möglichkeiten, Software zu erstellen, boten in den „goldenen Tagen der Heimcomputer“ für viele einen Anlass, Spiele für fast jeden Geschmack anzubieten.
Obgleich der Katalog von „S+S Soft“ zunächst vielleicht unseriös wirken mag, wurde mit dem Programmangebot die Software-Vielfalt der damaligen Zeit unterstützt.
Falls du dich noch an das Angebot von S+S Soft, Multisoft oder Crown-Soft erinnern kannst, würden wir uns sehr über einen Kommentar freuen. Dieser Beitrag ist auch dazu gedacht, durch weitere Ergänzungen oder Erinnerungen in den Kommentaren vervollständigt zu werden.
Bildergalerie
Screenshots von Spielen
Katalog von S+S Soft
Inserate in Zeitschriften
Quellen
- DIN A5-Katalog „VC 64 S + S Soft Software Shop“
- E-Mail-Interview mit Daniel Springwald, Dezember 2020
- Anzeigen aus der Heimcomputerzeitschrift RUN von 1985 und 1987
- Internet Archive (Begriffssuche nach „S+S Soft“)
- The GameBase64 Collection (Begriffssuche nach „S+S Soft Vertriebs GmbH“)
Hinweis zum Beitragsbild: die abgebildete Hard- und Software stammt aus dem Privatbestand von André Eymann. Der Screenshot von Schatzinsel 64 wurde nachträglich eingefügt. Die Rechte dieses Spiels liegen bei den ursprünglichen Rechteinhabern. Der Screenshot stammt von archive.org.
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