Vielleicht könnte ich die – spätestens durch Fallout 76 auch bei mir in Ungnade gefallene – Fallout-Reihe eher loslassen, wenn ich einen adäquaten Ersatz für ihre Stimmung finden könnte. Ihre Audiostimmung, um genau zu sein. Der perfekt auf den Retrofuturismus der Reihe abgestimmte Jazz-, Swing- und Blues-Soundtrack hat nicht nur meinen generellen Musik-Geschmack ähnlich stark geprägt wie Brütal Legend; Ich verbinde ihn auch untrennbar mit der Lichtstimmung und dem Gefühl der erhabenen Einsamkeit, das ich empfinde, wenn ich spätnachts durch die Ruinen Amerikas stapfe.
Das mithin Beste an der auch alleinstehend tollen Auswahl an Musik war die Zufälligkeit, mit der die Radiosender Fallouts Spielsituationen mit einem Soundtrack versehen haben. Nicht immer passte das im Hintergrund spielende Lied zur Situation, klar. Aber während ich mich an die unpassenden Situationen nicht mehr erinnere – die Musik war schließlich trotzdem gut – habe ich noch einige Momente sehr lebhaft im Kopf, in denen Soundtrack und Spielsituation ganz ohne Kuration die perfekte Stimmung erzeugt haben.
Als ich in Fallout 4 zweimal kurz hintereinander in die Hallozinogen-Fabrik im Herzen Bostons ging, einmal zum Erkunden und ein zweites Mal für eine der endlos generierten Railroad-Quests, leierte das Radio an meinem Pip-Boy zufällig beide Male Skeeter Davis’ It’s the End of the World an. Die langgezogenen, traurigen Akkorde und Skeeters verweinte Stimme, die durch die grünen Nebelschwaden der Fabrik waberten, während ich mich an Ghoulen und Robotern vorbeischlich, haben sich tief in meine Erinnerung hineingeätzt.
Why do the birds go on singing?
Why do the stars glow above?
Don’t they know it’s the end of the world?
It ended when I lost your love
Verzweiflung und Hoffnung, in Takten konserviert
Eine noch viel größere Fülle dieser Momente verbinde ich allerdings mit Fallout: New Vegas. Die Aufbruchsstimmung der sich langsam neu formenden Zivilisation in der Mojave-Wüste erreichte in meiner Spielerfahrung ihren verfrühten Höhepunkt, als ich nach dem Verlassen der ersten Stadt den Handelsposten betrat, in dem sich die Begleiterin Whiskey Rose eifrig betrinkt. Während ich dort unter der gigantischen Statues eines Rangers aus Altmetall hindurchging, die Bar betrat und begann, mit Rose zu schäkern, pfiff mir Guy Mitchell sein Heartache by the Numbers ins Ohr, und bis heute verkörpert kein Song die Extravaganz des Strips und die orange-rötlichen Dämmerungen von Nevada stärker für mich.
Heartache by the numbers,
Trouble by the score.
Every day you love me less,
Each day I love you more.
Nun ja, abgesehen vielleicht von Nat King Coles viel zu passend gewähltem Orange Coloured Sky. Ebenfalls hart getroffen hat mich New Vegas, als es unabsichtlich durch die Auswahl der Musik mit seiner optimistischen Grundhaltung gebrochen hat.
Während der Erkundung einer Wohnsiedlung, die wie so viele andere in Fallout ein besonders trauriges Ende genommen hatte, spielte mein Radio das melancholische In The Shadow of the Valley an. Während ich zwischen verlassenen Hundehütten durch Gärten streifte und eine vollkommen menschen- und gegnerleere Kleinsiedlung unter einer Art riesigem Lagerhallendach untersuchte, raunten mir Lost Weekend vom Ort ihrer Träume ins Ohr. Plötzlich fand ich diesen in der zerstörten Siedlung wieder, deren Schränke ich gerade plünderte. Das Gefühl, ein Grab zu plündern, war in diesem Moment stärker als jede Furcht vor dem Angriff einer Todeskralle.
In the shadow of the valley
I would like to settle down.
Wide open space,
Wind on my face.
Musik als Bindeglied, allein zwischen Knotenpunkten
Vielleicht gefällt mir Death Strandings einsames Botendasein deswegen so gut: Die in saftigen Naturtönen gehaltenen Umgebungen stehen den grünen, orangenen und neonfarbenen Weiten der Fallout-Trümmerlandschaften in ihrem atmosphärischen Design in nichts nach. Und auch der Soundtrack spielt eine ganz ähnliche Rolle: Zwar sind viele Stücke durchaus gescriptet und spielen an bestimmten, von Kojima Productions festgelegten Stellen, doch weit wichtiger für die Untermalung der Einsamkeit ist die Schwarmintelligenz der Spielenden: Jede erbaubare Struktur kann aufgewertet werden, um ein Musikstück nach Wahl für vorbeifahrende Boten abzuspielen.
Wenn ich mich bei strömendem Regen durch einen zerklüfteten Canyon arbeite, vollbeladen und mit zwei Lastkarren an den Gürtel gespannt, könnte das Gefühl der Einsamkeit und die Danklosigkeit der Welt um mich herum kaum stärker sein. Wenn ich dann plötzlich eine von einer freundlichen Spielerin erbaute Brücke vor mir sehe, die mir einen schwierigen Ab- und Aufstieg erspart und bei der Überquerung die ersten Takte von Low Roars Poznan klimpert, dann fühle ich mich plötzlich für einige wertvolle Sekunden nicht mehr allein und ungedankt. Dann sind da draußen noch andere wie ich, die das gleiche durchmachen, und die teilweise noch größere Mühen auf sich nehmen, um es Leuten wie mir in Zukunft leichter zu machen.
In meinen ersten paar Spielstunden habe ich sehr darüber gelacht, dass sich jeder Postkasten mit einem Musikstück ausstatten lässt, das er beim Vorbeigehen zu trällern beginnt. Heute orientiere ich mich von Spielerkonstrukt zu Spielerkonstrukt, um die Schwere der Einsamkeit zu mildern. Ob Skeeter Davis in der hoffnungslosen Offenheit der nuklearen Postapokalypse oder Low Roar beim Mammutprojekt der Neu-Erschließung des nordamerikanischen Westens, beide packen mich unerwartet bei den Schultern, rütteln mich wieder auf und erinnern mich: Halte durch, es ist fast geschafft.
Habt ihr ähnliche Erfahrungen gemacht? Fallen euch gar noch andere Spiele ein, deren Soundtrack euch ganz zufällig besonders berührt hat? Ich würde mich freuen, wenn ihr mir in den Kommentaren davon erzählt!
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