Meine Suche war erfolgreich. Ein Spiel zum Abschalten, ohne großen Anspruch. Kampagne ausgewählt, Easy Mode an. So schlimm wird es schon nicht werden. Knapp 8 Sekunden später lehnte ich mich mit einem Lächeln gemütlich auf meiner Couch zurück. Ich hatte gefunden, was ich suchte. Eine Geschichte, die sich mit der Invasion der Vereinigten Staaten durch das technologisch weit fortschrittlichere Nordkorea beschäftigt, bedarf keiner besonderen Aufmerksamkeit. Liebe graue Zellen, holt euch einen Cocktail. Jetzt wird entspannt.
Ich konnte mich also darauf konzentrieren, oder eben nicht konzentrieren, die Energiereserven meines ermüdeten Geistes wieder aufzuladen. Doch in den Tiefen des zerstörten Philadelphia fand ich mehr, als ich suchte. Die Geschichte eines Videospiels, das zwischen seinen Bits und Bytes lauthals um Hilfe schreit. Die Rufe erzählen von einer Entwicklungshölle, von hohen Ambitionen, wechselnden Entwicklern, mangelndem Management und dem Stolz, mit letzter Kraft ins Ziel gekommen zu sein. Trotz all dem hatte ich einige schöne Stunden mit dem Spiel verbracht. Eine Geschichte, die als Ganzes erzählt werden muss.
EINE FRAGE DER PERSPEKTIV∃
Zugegeben – hätte ich für Homefront den Vollpreis bezahlt, wäre ich im besten Fall enttäuscht und im schlimmsten sauer gewesen.
Die rein objektiv-technische Qualität des Spiels schwankt von miserabel bis gut. Selbst nach über zwei Jahren der Erstveröffentlichung wird der Spielverlauf durch viele Bugs, Framerate-Einbrüche und viele andere kleine bis große Probleme gestört. Den Zustand des Spiels am Release Tag kann ich nur anhand älterer Reviews erahnen (Metacritic liegt zwischen 48 und 54).
Doch ich hatte das Glück, dieses schöne Stück Geschichte in den Tiefen des Xbox-Gamepass zu finden. Somit verglich ich meine Rund 15 Stunden mit dem Shooter eher mit dem Äquivalent eines schlechten Netflix-Films. Bezahlt wird mit Freizeit anstatt Geld. Diese Perspektive erlaubte mir, das Spiel viel eher zu genießen. Meine Erwartungen waren also gedämpft, da ich nicht wirklich dafür bezahlt hatte. Der innere Kapitalist lässt grüßen.
Also weiter im Text. Die Nordkoreaner, technisch wundersamerweise allen weit überlegen, haben die USA erobert und sind seitdem nicht gerade die liebsten Besetzer.
Ich, Ethan Brady, stummer Protagonist und Alleskönner, schließe mich der Revolution an, um meinen amerikanischen Mitbürgern wieder Hoffnung zu geben. Der bewaffnete Aufstand, Wahnsinn und letzter Funke Hoffnung. Die Hoffnung muss als thematisch zentrales Gameplay-Element und praktisch Inhalt eines jeden Dialoges herhalten und wird somit zum einzigen wirklichen Bindeglied meiner Aktionen. Ich schicke meinen Mitbürgern eine Botschaft der Hoffnung, indem ich möglichst viele Machenschaften der Nordkoreaner sabotiere, Gebiete zurückerobere, Gefangene befreie und die „Nords“ mit meiner Waffe in den langen Schlaf kitzle. Auch wenn dies keineswegs neu oder innovativ ist, konnte ich mich mit dem Gedanken gut anfreunden, der Fackelträger für die Revolution zu sein. Wir wurden mehr, wegen mir. Wir wurden stärker, wegen mir. Wir kämpfen für unsere Freiheit. Ein Thema, das heute wie gestern funktioniert.
Die Zwischensequenzen überzeugen mit guter Synchro, enttäuschen aber mit schwachen Dialogen und Animationen.
Philipp Arnold
Das Grundkonzept der Open World ist gut gelungen. Gebiet für Gebiet beraube ich den Feind in bester Guerilla-Taktik-Manier seiner Infrastruktur und Nachschübe. Untermalt vom atmosphärisch passenden Synthesizer Soundtrack finde ich mich immer wieder verdeckt in den Ruinen von Philadelphia wieder. Patrouillen werden mit ferngesteuerten Spielzeug-Sprengstoff-Autos dezimiert, um ihnen anschließend vom Dach mit meiner modifizierten Sniper Rifle endgültig den Gar aus zu machen. Das neu eroberte Gebiet dient nicht nur als Ressourcen-Nachschub, sondern auch als Basis für meine Verbündeten. So schnappe ich mir drei bis vier der neuen Soldaten und stürme auf das nächste Gebiet zu, während eine zweite NPC Gruppe das Gebiet von der anderen Seite in Beschuss nimmt.
Es sind Szenen wie diese, welche das Potenzial von Homefront am besten beschreiben. Wenn der Feind verzweifelt um Hilfe ruft, die Revolutions-Kämpfer in den Ruinen einen Hinterhalt planen und Luftschiffe am Himmel nach uns suchen – ja, dann ist das Spiel in Höchstform.
Die Immersion greift, das Gewehr wummst, der Gegner fällt, die Verbündeten jubeln. Jetzt kann ich meine Waffen noch weiter aufwerten, Rüstung kaufen und die Technologien der Nords endlich ferngesteuert hacken. Ich habe meinen Teil beigetragen. Wir können die Stadt zurückerobern!
ENTWICKLUNGSROULETTE
(Ruhe in der letzten Reihe, das ist wichtig.)
Die ersten Stunden im Spiel hatten mich neugierig gemacht. Etwas an dem Spiel fühlte sich seltsam an. Die angestrebte Top-„AAA“-Qualität wurde eindeutig verfehlt. Irgendwo hinter all den technischen Unzulänglichkeiten, dem Story-Unsinn und repetitiven Gameplay schrie ein gutes Spiel um Hilfe. Was war hier geschehen?
Die Entwicklung von Homefront als turbulent zu beschreiben, wäre eine regelrechte Untertreibung. Ursprünglich Ende 2011 angekündigt, sollte der Nachfolger von Homefront (Teil 1, erschienen im März 2011) von THQ Montreal entwickelt werden. Bereits ein paar Monate später wurde der Stab aber an Crytek UK übergeben. Ende 2012 musste Publisher THQ Insolvenz anmelden, sodass Crytek die Gelegenheit nutzte, um die Rechte an Homefront gleich ganz zu kaufen, nur um knapp zwei Jahre später selbst in finanzielle Probleme zu geraten. Anschließend verkaufte Crytek die Marke an Koch Media, Muttergesellschaft von Deep Silver, welche ab jetzt als Publisher auftrat. Ein Großteil der Belegschaft von Crytek UK wurde übernommen, um ein neues Studio mit dem Namen Dambuster Studios zu formen. Das kleine Team in Nottingham stand vor der nahezu unmöglichen Aufgabe, die Scherben aufzuheben und möglichst gute Kunst daraus zu basteln.
Bei Dambuster arbeiten eine ganze Reihe talentierter Leute. Ehemals von Rareware abgespalten, entwickelte man Anfang der 2000er unter dem Namen Free Radical Design die beliebte Time Splitters-Reihe. Später folgten unter anderem Second Sight und Haze. Besonders Teil 2 und 3 von Time Splitters bleibt mir bis heute in guter Erinnerung. Es ist zwar unklar, wie viele Mitarbeiter von damals heute noch bei Dambuster arbeiten, auf ihrer Homepage brüstet man sich aber mit der genannten Vergangenheit. Talent, Kreativität und Passion müssten als vorhanden sein.
Frei nach Jason Schreiers Buch Blood Sweat an Pixels: Es ist ein Wunder, dass überhaupt ein Videospiel erscheint, kann im Falle von Homefront: The Revolution wörtlich genommen werden. Es wird uns nur in den seltensten Fällen ein Blick hinter die Kulissen der Videospiel-Entwicklung gewährt. Im Falle von Homefront konnte die Öffentlichkeit leider allzu gut nachvollziehen, unter welchen Bedingungen die Mitarbeiter von Crytek/Dambuster ihre Vision umzusetzen versuchten.
Angekommen
Homefront: The Revolution ist rein objektiv gesehen kein gutes Spiel. Es ist technisch schwach, die Story und Dialoge sind im besten Fall zum Schmunzeln und das Game-Design ist repetitiv.
Trotzdem steckt das Spiel voller Faszination, nicht zuletzt, weil es auf eine einzigartige Weise die Entwicklungshölle widerspiegelt, die verschiedene Studios und Publisher durchschreiten mussten. Hier hat ein kleines englisches Team unter schwierigsten Bedingungen etwas geschaffen, dass nicht minder beeindruckend ist als manch andere „AAA“-Spiele. Als nach rund 15 Stunden die End Credits den Fernseher entlangrollten, wurde ich mit einer ehrlichen Nachricht überrascht, die ich in dieser Form noch nie gesehen habe.
Die Botschaft war ein erneuter Weckruf. Manchmal muss gerüttelt und geschüttelt werden, um nicht zu übersehen: Hinter den Bits und Bytes, stehen Leben und Träume. Lasst sie uns nicht VERGESSEN, nachdem wir sie VERRISSEN haben.
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