Zu den ungewöhnlichsten Erscheinungen aus der Ära der Videospiele zählt sicher die Idee, erfolgreiche Arkadehits auch als herkömmliches Brettspiel anzubieten.
Das Vorhaben ein interaktives Reaktionsspiel in ein einfaches runden basierendes Würfelspiel zu verwandeln, konnte natürlich nicht gelingen. Zum Glück versuchten die Hersteller erst gar nicht diesen Weg zu gehen, sondern verwendeten liebevolle kleine Details, um die besondere Atmosphäre aus der Spielhalle einzufangen. Dadurch entstanden einige Umsetzungen, die tatsächlich die Faszination ihrer elektronischen Vorbilder vermitteln konnten.
Letztendlich bescherten Arkade-Brettspiele wohl nicht den gewünschten Erfolg, trotzdem kamen im Laufe der Zeit eine Menge verschiedener Produkte in den Handel. Der größte Anbieter, die Firma Milton Bradley (MB), setzte hauptsächlich auf die ganz großen Spielhallenhits. 1983 erschienen in Deutschland drei der erfolgreichsten Videospiele aller Zeiten: Frogger, Pac-Man und Donkey Kong. Später folgten zahlreiche weitere Titel, teilweise jedoch nur in den USA erhältlich.
Ebenfalls ungewöhnlich war der Versuch Videospiele zusammen mit einem herkömmlichen Brettspiel zu kombinieren.
Im Programm der Philips G7000 Konsole existieren drei Spielkassetten die beides erfolgreich miteinander vereinen. Eine gewagte Mischung, die sich aber leider nicht durchsetzten konnte.
- Kassette Nr. 41: Conquest of the World / Die Eroberung der Erde
- Kassette Nr. 42: Quest for the Rings / Die abenteuerliche Suche nach den Ringen
- Kassette Nr. 46: Wall Street Fortune Hunt
Rückblickend betrachtet nehmen Arkade-Brettspiele wohl eher eine Sonderstellung in Welt der Videospiele ein. Sie gehören mehr in den Bereich der Merchandising Produkte und sind vielleicht gerade deshalb für Sammler besonders interessant. Auf jeden Fall ist es immer noch ein Riesenspaß, Pac-Man & Co. nach so langer Zeit mit dem Würfel zu spielen. Inzwischen vielleicht sogar schon zusammen mit seinen eigenen Kindern… Unglaublich wie doch die Zeit vergeht!
Allen Retrogamern die etwas mehr über dieses Thema erfahren möchten bieten wir unsere Artikelreihe „Videospiele als Brettspiel“ an. Der Autor Michael Braun hat viele alte Brettspiele ausführlich getestet und uns seine Texte hierfür zur Verfügung gestellt.
Übersicht: Retro-Videospiele als Brettspiel
Anbei folgt eine kleine Übersicht von Retro-Videospielen, die als Brettspiel erschienen sind ohne Gewähr auf Vollständigkeit. Außerdem lassen wir die Übersicht 1995 enden, da wir dort subjektiv für das Thema Retro-Videospiele eine Grenze setzen wollen.
- Pac-Man (MB, 1982)
- Frogger (MB, 1982
- Invader (Entex, 1982, nur USA)
- Turtles (Entex, 1982, nur USA)
- Donkey Kong (MB, 1983)
- Berzerk (MB, 1983)
- Turbo (MB, 1983)
- Jungle Hunt (MB, 1983, nur USA)
- Ms. Pac-Man (MB, 1983, nur USA)
- Pitfall! (MB, 1983, nur USA)
- Defender (MB, 1983, nur USA)
- Zaxxon (MB, 1983, nur USA)
- Popeye (Parker, 1983)
- Q*Bert (Parker, 1983)
- Pole Position (Parker, 1983, nur USA)
- Joust (Parker, 1983, nur USA)
- Blue Print (Ideal, 1983, nur USA)
- Commando (Bandai, 1983, nur Japan)
- Dragon’s Lair (MB, 1983, nur USA)
- Pooyan (Ideal, 1983, nur USA)
- Rocky (Ideal, 1983, nur USA)
- Tutankham (Ideal, 1983, nur USA)
- Wizard of Wor (Ideal, 1983, nur USA)
- Centipede (MB, 1984, nur USA)
- Super Xevious (Namco, 1985, nur Japan)
- Crazy Climber (Bandai, 1986, nur Japan)
- Lode Runner (Tsukuda, 1986, nur USA)
- Dragon Buster (Namco, 1986, nur Japan)
- Super Mario Bros. (MB, 1988, nur USA)
- The Legend of Zelda (MB, 1988, nur USA)
- Double Dragon (Tiger Electronics, 1989)
- Ghosts n Goblins (Bandai, 1989, nur Japan)
- Tetris (MB/Tomy, 1991)
- Das Super Mario Spiel (Kidfun, 1991)
- Sonic the Hedgehog (MB, 1992)
- Street Fighter II (MB, 1994)
- Donkey Kong Country – Pog Pitchin‘ Game (Hasbro, 1995, nur USA)
Es folgt eine Brettspiele-Besprechung zu Berzerk von Michael Braun.
Über Berzerk gibt es keine netten Geschichten zu erzählen wie über Popeye, Pac-Man oder Donkey Kong. Wer oder was ist überhaupt Berzerk?! Wo kommt Berzerk- das Spiel überhaupt her… und wieso überhaupt Herzinfarkt?!
1980 war es als der amerikanische, aber deutsch klingende, Automatenhersteller Stern seinen ersten Erfolg in den Arcade-Spielhallen feiern konnte. Berzerk war im Grunde, ja praktisch, also quasi der erste Ego-Shooter überhaupt und das auch noch als erster Spielautomat mit Sprachausgabe!
Als einzelner Spieler gegen zahlreiche gewissenlose Roboter und einem fast übermächtigen Gegner – den „bösen Otto“ (engl. Evil Otto) – mit nur einer einzigen Waffe zu kämpfen. Nicht einfach – Hektik und Joystickstress sind garantiert! Zumal auch noch alle Wände des Spielfeldes elektrisch geladen sind und nicht berührt werden dürfen.
Diese Umstände waren wohl für zumindest zwei Spieler in den Jahren zwischen 1981 und 1982 zuviel. Sie starben, obwohl beide nicht älter als 19 Jahre, jeweils kurz nachdem sie Berzerk am Automaten spielten an den Folgen einer Herzattacke! Klingt nach einem Videospiel-Ammenmärchen – aber so steht es geschrieben. Eine traurige Geschichte, die der Videospielkultur nicht besonders zuträglich war. An der einzigartigen Spielqualität des Titels wird es aber sicher nicht gelegen haben.
Die Spielidee wurde ursprünglich durch eine Roman-Serie des US-amerikanischen Science Fiction-Autors Fred Saberhagen (The Berserker Stories) inspiriert. In dem Roman geht es darum, dass böse Roboter die Menschheit vernichten wollen.
Im gleichnamigen Brettspiel von Milton Bradley (MB) wird man sicherlich keinem Herzinfarkt erliegen, was aber nicht zugleich bedeutet, dass man hier vor Langeweile stirbt. Als Spiel für 2 Brettspieler wurde es konzipiert – klar, dass da einer den wackeren Menschen und der andere die böse Seite spielt. Das pfiffige an dem Brettspiel ist aber, dass die Seiten nach jeder Runde wechseln. Ziel des Spiels ist es nämlich, als Humanoid Punkte zu sammeln und als zeitgleicher Gegenspieler eben dieses zu verhindern, um nach gespielter Runde den Spieß umzudrehen.
Ziel des Humanoid-Spielers ist es den Ausgang auf der gegenüberliegenden Seite des Spielfeldes zu erreichen. Das Spielfeld wird von 6 gegnerischen Robotern belagert und ist nicht einfach zu durchqueren. Nur der Humanoid-Spieler kann punkten – beispielsweise durch Zerstören der Roboter und Erreichen des Ausgangs.
Der Herrscher der Roboter (Evil Otto) und zugleich schlimmster Gegner kann, genau wie im Videospiel, nicht zerstört werden. Zudem hat er, vergleichbar mit dem Schachspiel (Bauer – Dame), mehr Bewegungsfreiheiten als seine ihm untergebenen Robotniks. Trotz seiner erweiterten Bewegungsmöglichkeiten ist es dennoch für den Gegenspieler der zum Beispiel Evil Otto spielt, zunächst erst einmal recht schwierig, den Humanoid zu erwischen.
Kleiner Exkurs zu Evil Otto
Wenn in einem Videospiel der finstere Gegner „böser Otto“ heißt, denkt jeder sofort, dass mal wieder der immer fiese deutsche Bösewicht (Freddy Krüger und James Bond Gegner lassen grüßen) herhalten muss. Stimmt diesmal aber nicht. Zumal der „böse Otto“ ja auch noch ein permanentes lächeln auf dem Gesicht hat!
Vorbild für die Programmierer des Arcade-Spiels von Stern-Electronics war ein Wachmann namens Otto des Stern-Gebäudes, der immer dann gelächelt hat, wenn er jemanden aus dem Gebäude herausgeworfen hat.
Das Brettspiel wird in Runden gespielt: erreicht der Humanoid sein Ziel endet die Runde und die erreichten Punkte werden notiert. Wird er jedoch vom Gegenspieler gestellt, verliert er eines von 5 Leben. Wer alle fünf Leben verspielt hat kann nicht mehr den Humanoid spielen, kann keine Punkte mehr erreichen und wird es sehr schwer haben, das Spiel zu gewinnen. Insgesamt werden drei Runden gespielt, wobei jeweils die Rollen der Spieler gewechselt werden.
Von Runde zu Runde erweitern sich die Zugmöglichkeiten des Roboter-Spielers (zum Beispiel die Länge der Zugwege) und es wird immer schwieriger für den Humanoid-Spieler zu punkten. Spätestens nach 3 Runden ist Schluss. Dann wird abgerechnet.
Wer jetzt denkt: „Hey! Ein tolles Strategiespiel!“, liegt leider etwas falsch. Über die Wege, die Mensch und Maschine gehen dürfen bestimmt hier (leider) auch der Würfel. Ein bisschen Strategie („hinter welcher Mauer verstecke ich mich denn…“) gehört zwar auch dazu, aber Väterchen Würfel spricht auch hier ein kräftiges Wörtchen mit – leider. Bei zwei gleichwertigen Gegnern wird der mit dem größeren Würfelglück gewinnen.
Fazit
Die Ausstattung des Spiels im MB-typischem Outfit ist gelungen, wenn auch Evil Otto im Videospiel als hüpfendes Smiley daherkommt und im Brettspiel ein wirklich finsteres Alien darstellt. Es gibt ein adäquates Spielbrett mit netten Spielfiguren. Der Humanoid kann sogar seinen Arm zwecks Niederstreckung der Roboter ausschwingen! Der Spielspaß ist ok, die Ausstattung auch – Durchschnitt!
Überarbeitete Originalfassung aus dem Dezember 2003.
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