Ich erinnere mich noch Mitte der Neunziger an das ewige Warten auf die von Nintendo angekündigte neue Wundermaschine, das N64. Nach 1,5 Jahren der Vorankündigungen, Verschiebungen, des bangen Wartens und vieler weiterer Verschiebungen, war es dann endlich, endlich soweit.
Das lange Warten auf Nixdo
Die evolutionäre Krone der Videospielkonsolen war erschienen. Leider im Juni 1996 vorerst nur in Japan. Gab es denn keine Gerechtigkeit, keinen Gott der Videospiele spielte?
Im September 96 sollte das Objekt der Begierde dann in den USA auf den Markt kommen. Grübel, grübel … das waren ja nur zwei Monate, das konnte man als Ninjameister, zumindest beim Videospielen, doch ertragen.
Nur was nutzte eine US-Konsole in Deutschland? Aber die Hoffnung nahte, in Form einer Europa-Veröffentlichung und die war schon im März 1997. WAS! Das waren weitere 9 Monate! 270 Tage, 6.480 Stunden oder 388.800 Sekunden!
Jetzt war es an der Zeit, Nintendo den Rücken und andere Körperteile zu zeigen. Nach all dem ewig langen und bangen Warten, nun auch noch regionale Unterschiede. Dann blieb und investierte man halt weiter in seine PlayStation. Das habt ihr nun davon „Notendo“, „Nixtendo“, „Nintendont“.
Es herrschte totaler Frust selbst bei den treuesten Nintendo Fans. Man hatte sich von der Konsole abgewandt und auch ich konnte und wollte NICHT mehr. Aber das Schicksal, kam in Form eines Freundes. Anruf, klingeln und dann stand er im August da … mit einem sagenumwobenen japanischen N64.
Wunder gibt es immer wieder
Pfft, sollte er doch, interessierte mich nicht mehr. Ich war in meiner Schmollecke. Aber da zückte er, wie Dumbledore seinen Zauberstab und MARIO KART 64 erschien in seinen Händen.
Nintendo, immer schon habe ich dich geliebt, alles andere war doch nur Spaß. Ruckzuck war die PlayStation vom Fernseher getrennt und in eine dunkle Ecke verbannt.
Schnell noch einen dritten Verrückten angerufen. Zum Glück hatte der Kumpel voller Weisheit in seinem Rucksack der Wunder, genügend Controller. Nach dem erstem Schreck mit dem komischen Dreizack Neptuns, wie der N64 Controller damals genannt wurde, spielte er sich fantastisch gut, auch wenn immer irgendwo ein Finger zu viel war. Super Mario 64 war grandios, aber ich wollte nur Mario Kart 64.
Machen wir es kurz. Mit der Ehefrau haben wir werktags bis zwölf und dann zu dritt weiter, bis nach zwei Uhr Nachts gegambelt, trotz beruflicher Verpflichtungen. Kurz danach habe ich in voller Selbstbeherrschung, ähm reiner Gier eine Import US-Version bestellt. Allein Mario Kart 64 US kostete damals unglaubliche 189 DM (ich habe heute noch die OVP mit Aufkleber).
Aber dies und die folgenden sonntäglichen Game-Sessions über Jahre hinweg und immer am Schluss und Höhepunkt mit MarioKart und den damit verbundenen Urschreien „der fährt schon wieder eine Abkürzung das Ekel“ ist eine andere Geschichte.
Weihnachtsabenteuer
Der Kumpel, einerseits Nintendo-Gott, andererseits Crazy-Nerd, kam auf die glorreiche Idee an Heiligabend nach Heidelberg zu fahren. Gab es doch dort ein Schraubergeschäft, welches japanische N64-Konsolen umrüstete. Ein für die damalige Zeit unerhörter Technikboost.
Dann ist der Verrückte, mit mir in ähnlichem Geisteszustand, an Heiligabend(!) im Schneegestöber(!!) nach Heidelberg gefahren, um sein N64 umbauen zu lassen….
Bereits auf der Autobahn sahen wir nur noch schwarz, besser gesagt weiß oder genauer vor Schneefall so gut wie gar nichts mehr. Irgendwo im amerikanischen Bezirk mit Nullsicht parkten wir. Strafzettel konnten wir ignorieren, sahen wir doch nach einem Meter schon unser eigenes Auto nicht mehr.
Was folgte waren 45 Minuten blindes umher Getappe, links-rechts, quer-rüber und wieder zurück. Man konnte nämlich die verflixten und zugeschneiten Straßenschilder überhaupt nicht lesen. Eine Schneeballaktion auf das Schild brachte maximal einen verwischten Buchstaben hervor. Die glorreiche Idee des Kumpels das Strassenschild hochzuklettern, endete mit einem nassen Hintern. An der Länge der Schilder versuchten wir nun zu erraten, wie sie heißen könnten.
Im Dungeon
Ein Mann, plötzlich im Schneegestöber vor uns auftauchend und tief vermummt brachte uns dem Ziel näher. Auf der anderen Straßenseite und allein stehend sei ein umgebauter Wasserturm, mit so einem komischen Laden, erklärte er uns mit krächzender Stimme
Der Wasserturm versteckte sich jedoch im Schneefall vor uns, aber wir waren jung und hartnäckig und fanden ihn endlich doch. Wie sich ein ganzer Wasserturm vor uns verstecken konnte, kann ich mir heute eigentlich nicht erklären, aber vielleicht lag es auch an uns maulwurfsblinden Brillenträgern und ständig beschlagenen NICHT-Sehgläsern.
Das Objekt der Begierde, entpuppte sich als uralter baufälliger Turm, ohne irgendeinen Hinweis auf einen Videospieleladen und verschlossener Tür. Hatten wir mit Knecht Ruprecht gesprochen und anstelle seiner Rute einen Scherz über uns ergehen lassen müssen?
Aber die himmlische Lösung nahte, die Holztür hatte nur wegen der Witterung geklemmt. Nun sahen wir in voller weihnachtlicher Pracht, eine ebenfalls baufällige Treppe in einem dunklen Raum. Nach einigen Minuten trauten wir uns ein paar krachende Stufen hoch und sahen einen schwachen Lichtschein und als wir voller Vorfreude um die Rundung bogen, erkannten wir einen … abgeschlossenen Friseursalon.
Ratlosigkeit, Verwirrung, Verzweiflung und dann die Erleuchtung, hinter einer weiteren Rundung gab es noch eine weitere baufällige Treppe…
Im Paradies oder im Irrenhaus
Da war es das lang gesuchte Geschäft! Nach Schneegestöber, Straßenschilder raten, einer Begegnung mit Knecht Ruprecht, einer schmerzenden Schulter vom Tür öffnen und Herzklopfen ob der baufälligen Treppen, wir waren im zweiten Level des Adventures.
Der Eingang begrüßte uns mit Postern von Filmen und Spielen von denen wir niemals etwas gehört hatten und eines seltsamer als das andere. Aber da ein Lichtblick, ein Boxset mit allen Bruce Lee Filmen, ungeschnitten und ab 18 Jahren. Aber preislich leider jenseits von gut und böse.
Weitere mysteriöse Dinge standen in Regalen an den Wänden und immer im Kreis rum, schließlich waren wir ja in einem runden Turm. Da waren obskure Animes, undefinierbare Japan Games, unbekannte Konsolen, mehrere legendäre PC-Engines, geheimnisvolle Controller und dergleichen unerklärlicher Dinge mehr.
Hinter einer riesigen Theke saß der Inhaber, umgeben von einer Herde Nerds. Der Inhaber, besser Schrauber, war beidhändig mit einem geöffneten N64 emsig beschäftigt. Er hantierte mit Akkuschrauber und Schrauben soweit das Auge reichte, die er fein in Plastikschälchen ablegte, um nicht den Überblick zu verlieren.
Lauter Verrückte und ich
Jetzt realisierte ich erst die Umgebung. Das Crazy-Nerd-Grüppchen, der Schrauberguru und wir beide Verrückte. Jeder Irrenarzt hätte sich gefreut – Neuzugänge!
Der Rest war gefühltes stundenlanges Warten, waren wir doch erst die Nummer drei oder vier in der Nahrungskette der Wartenden. Geschraube mit Händen, Mund und eventuell sogar Füßen, verschwimmen vor meinem geistigen Auge und dem immer verzweifelteren Wunsch nach einer Toilette.
Was der Kumpel eigentlich genau und so mühselig umbauen ließ, weiß ich heute nicht mehr genau und ist aus meinen Hirnwindungen ins Dunkle entschwunden.
Das Ende vom Weihnachtslied
Nach einem panischen Abstecher hinter den Wasserturm und vielen Eiskristallen später, konnten wir erleichtert die Heimfahrt antreten.
Es war ein wunderbares, herrlich verrücktes Weihnachtsabenteuer und würde sich für den Film „Weihnachtsjagd – Das Fest der Spiele“ als Fortsetzung anbieten.
Als wir nach einer weiteren Fahrt im White-Noise-Schneegestöber endlich um 18:45 Uhr am Weihnachtsabend nach Hause kamen und abwechselnd ausgeschimpft und geküsst wurden, wussten wir definitiv, was wir unseren verzweifelten Angehörigen wert waren 😉
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