Sagt Ihnen der Name Bright Falls etwas? Ein beschauliches Örtchen, abseits von überlaufenen Tourismusstädten. Sie sind zur richtigen Zeit gekommen, denn in Kürze findet ein kleines Festival statt, das Hirschfestival und alle fiebern diesem Höhepunkt entgegen.
Eingebettet in bewaldete Berge und nur mit der Fähre erreichbar kann man hier ruhige und erholsame Tage verbringen. Die Einwohner scheinen zunächst etwas verschroben und komisch, doch erweisen sie sich nach dem ersten Kennenlernen als zuvorkommend und freundlich. Der Kaffee im Diner ist hervorragend und die Becher füllen sich quasi von alleine nach. Fühlen Sie sich uninspiriert, motivationslos und jeglicher Kreativität beraubt? In Bright Falls können Sie die Batterien aufladen und sich vom hektischen Alltag erholen.
Auf einem See befindet sich eine kleine Insel und auf dieser Insel befindet sich eine Hütte. Abgelegen von anderen Menschen und im Einklang mit der Natur und einer wundervollen Aussicht geradezu ideal für eine schöne Zeit mit ihrem Partner. Vielleicht möchten Sie zweite Flitterwochen bei einem atemberaubenden Panorama hier verbringen? Es ist auch eine Chance, die Beziehung wieder zu intensivieren und dem Partner noch unausgesprochene Geschichten und Geheimnisse zu entlocken und die Bindung zu festigen. Am Besten bei einem ausgiebigen Spaziergang im Wald. Dieser ist zwar ruhig und idyllisch, doch auch voller Leben.
Bleiben Sie bitte dennoch auf den gekennzeichneten Pfaden, zur ihrer eigenen Sicherheit. Im Endeffekt bleibt also nur noch eins zu sagen: Willkommen in Bright Falls. Genießen Sie ihren Aufenthalt.
Angst und Schrecken im Ferienort
Was ist die Quintessenz von Angst bzw. von Horror? Ich würde es sagen, zum Großteil ist es lähmende Ungewissheit. Was erwartet mich hinter der nächsten Ecke? Was lauert da in der Dunkelheit? Hat sich da jemand oder etwas in der Dunkelheit bewegt? Hoffentlich halten die Batterien in meiner Taschenlampe, damit ich wenigstens etwas Licht habe.
Das Spiel Alan Wake etabliert diese Stimmung auf hervorragende Weise. Der Titelheld ist ein Schriftsteller mit einer Schreibblockade, der schlimmste Alptraum eines Autoren. Allerdings verschwindet seine Frau Alice unter mysteriösen Umständen und Alan verliert seine Erinnerungen. Dennoch begibt er sich auf die Suche nach Alice und nach den Hintergründen ihres Verschwindens.
Wer Alan Wake zum ersten Mal spielt, muss sich zunächst mit den offensichtlichen Schwächen arrangieren. Die Animationen sind hölzern, die deutsche Synchronisation, vorsichtig gesagt, gewöhnungsbedürftig. Die Gesichter wirken wie Wachsfiguren und das Gameplay ist auch nicht gerade abwechslungsreich. Sieht man über diese negativen Punkte hinweg, wird man mit einer sehr atmosphärischen Geschichte belohnt, die ein Mix aus Twin Peaks, Stephen King und Twilight Zone zu sein scheint, mit schönen Ideen und skurrilen Charakteren, die ich gerne nochmal oder auf andere Weise in einem Spiel, vorzugsweise in einer Fortsetzung sehen würde.
Um auf die Frage am Anfang dieses Abschnitts einzugehen; in Alan Wake wird die Angst vor der Ungewissheit wirklich geweckt. Die Abschnitte im Wald waren mit das Unheimlichste, was ich in einem Videospiel je erlebt habe. Alleine mit einer Taschenlampe und einer Pistole in der Dunkelheit. Die Nerven angespannt, Äste knacken und der Wind heult ab und an auf und bringt die Bäume zum Biegen.
Der Wald ist der eigentliche Star des Spiels, mein absolutes Highlight. Er vermittelt das Gefühl einer unbekannten Bedrohung, man freut sich über jedes Licht in diesem Meer aus Dunkelheit. Tagsüber wirkt er friedlich, verlockend, nachts verwandelt er sich ein Monster, ein lichtschluckendes Etwas. Niemand mit gesundem Verstand würde sich dort hineinwagen, vor allem weil im Inneren noch eine größere Gefahr droht. Die Gegner scheinen menschlich, doch unrettbar von einer Dunkelheit gefangen, die sie kontrolliert.
Ein kleiner Rest des früheren Ichs scheint noch vorhanden, doch ist dieses so verzerrt, das jede Menschlichkeit verloren ist. Man muss sie mit Licht bekämpfen, das Licht vertreibt die Dunkelheit. Erst dann sind diese Wesen verwundbar. Das Spiel entführte mich an Orte und brachte mich in Situationen, die ich im echten Leben nicht aufsuchen würde, vor allem nicht in der Nacht. Ständig sucht man die Umgebung nach einem rettendem Lichtkegel ab, der eine kurze Atempause verheißt.
Was fast noch schlimmer ist: Niemand glaubt Alan, die gemietete Hütte existiert seit Jahren nicht mehr und ein Bundesbeamter jagt den Autor. Ziemlich viel für einen einfachen Schriftsteller. Wake ist auch nicht unbedingt ein sympathischer Mensch, er ist auf Grund seiner Schreibblockade schlecht gelaunt und zu seinen Erfolgszeiten ein wenig abgehoben. Aber das macht ihn für mich glaubwürdiger und für die Story passender. Er ist von den Ereignissen überfordert und hat selbst Probleme, die ganzen Vorgänge zu begreifen. Nach und nach kommt er hinter die Geschichten, die unter der Oberfläche dieses scheinbaren Bilderbuchortes stecken und welche Geheimnisse der See im Laufe der Zeit in seine Tiefe gerissen hat.
Bitte keine Auflösung
Ich mag diesen mysteriösen und übernatürlichen Einschnitt, den das Spiel hat. Es ist nicht wirklich greifbar und verständlich, was im Hintergrund geschieht. Es ist das große Unbekannte, die Dunkelheit, die mich mit Grusel und Angst erfüllte.
Darüber hinaus gefielen mir einige Ideen, aus denen man in einem Nachfolger noch viel mehr machen könnte. Zum einem kann man Manuskriptseiten finden, die Ereignisse beschreiben, die sowohl in der Vergangenheit als auch in der Zukunft liegen. Eine Seite beschreibt einen Angriff eines dieser Wesen. Dieses Wissen spukte in meinem Hinterkopf herum und ich wartete voller Anspannung auf dieses Ereignis. Die Hauptfigur schrieb anscheinend selbst die Geschichte, die man als Spieler durchlebt.
Außerdem gibt es mehrere Kurzfilme, die sehr an die Serie Twilight Zone erinnern. Zusätzlich ist das gesamte Spiel wie eine Serie aufgebaut, mit Episoden und Rückblicken. Den sehr schönen Soundtrack kann ich auch jedem ans Herz liegen, selbst wenn man mit dem Spiel nichts anfangen kann. Einige der Charaktere erinnerten mich an Figuren aus Twin Peaks.
Und als Stephen King-Fan war ich begeistert, dass das Spiel ihn zitiert. Vielleicht bin ich zu anfällig für solch kleine Geschenke, wobei dieses Zitat den Grundkern meiner Faszination ausmacht: „Alpträume existieren außerhalb der Logik. Es bringt wenig, sie erklären zu wollen“. Und da es sich darüber hinaus um Remedy handelt, finden sich auch kleine Anspielungen an Max Payne.
Alan Wake ist eine anderer Art von Horror; keine Zombies, keine Irrenanstalt, kein Festival an Jumpscares oder ähnliches. Es ist Horror, der sich langsam entfaltet und der auch nicht komplett aufgelöst wird. Die bedrohliche Atmosphäre baut sich Schritt für Schritt auf. Man spürt etwas kommen, weiß nur nicht was und wie damit umzugehen ist. Das soll auch gar nicht so sein, sondern würde nur die Wirkung vermindern. So ein Spiel, mit der Qualität eines RE2-Remakes. Eine Fortsetzung, die die Ideen des Spiels noch weiter ausbaut und auf vielfältige Weise darstellt.
Licht und Worte sind die Waffen des Schriftstellers und die Elemente des Spiels. Ansätze davon gab es bereits in den DLCs und im Hauptspiel selbst zu sehen. Für Kenner nenne ich hier mal ein Stichwort: Rockshow. Dennoch bleibt im Endeffekt der Eindruck, dass doch etwas Potenzial verschenkt wurde. Aber wie gesagt, das tut der großartigen Atmosphäre keinen Abbruch.
Es wäre toll, wieder ein Single-Player-Horrorspiel von dieser Machart zu haben. Bestimmt sind mir ein paar Perlen in der Zwischenzeit entgangen. Als ich die Nachricht las, dass Remedy keine Zeit für einen Nachfolger hat, erinnerte ich mich gern an diesen schönen Titel zurück, der trotz seiner Schwächen bei mir zu den Lieblingstiteln gehört. Aus diesem Grund habe ich hier diese kleine „Würdigung“ geschrieben.
Der Wald, oh mein Gott, dieser Wald.
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