Als Schulnoten und Bösewichte purzelten: Die Schulzeit und das Leben im Monitor

Von Andreas Wanda am
Kommentiert von: Nerd Wiki, Andreas Wanda, Ferdi, André Eymann, YesterPlay80, Stephan Ricken
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Der hat gesessen. Die vormals sorgfältig gebügelte rote Karateka-Kluft zerknittert unsanft auf dem gelben Boden pixellierter Tatsachen, die explodierende Faust hat auf dem C64 seinen Weg gefunden.

Ebenfalls angekommen sind im Moment des großen sportlichen Erfolgs die Eltern, aufgebracht vom Elternsprechtag zurückgekehrt: „Du hast morgen Entscheidungsprüfung in Biologie!” Auch das hat gesessen: Gedanken über die bewusstseinsreinigende Dissonanz zwischen High Score-Heldentum und schulischen Notensystemen.

Ausbildung umschreibt den Lernprozess und die einhergehende Veränderung des Verhaltens, belohnt mit einer qualitativ gewichteten Bewertung einer Leistung – wie im Grunde genommen ein Spiel auch. Aber im Spiel fühlte man sich einfach selbstbestimmter: man wählte die Kassette mit den bösen Außerirdischen am Inlay oder die Diskette mit einer wackeren Heldentruppe – keine Spur von der spannenden Materie der Photosynthese.

Mangelhafte schulische Leistungen wollte man paradoxerweise durch eine Fokussierung auf den Drachen im dritten Level von Chris Butlers Ghosts ‘n Goblins auf dem C64 vermeiden. Man flüchtete von einer unangemehmen Realität in eine scheinbar gestalt- und beherrschbare Umgebung. Plötzlich konnte man den Stecker ziehen, wenn die handverlesene The Bard’s Tale Party nur ein Quadrat vom Review Board entfernt selbst den Kürzeren zog.

In der Schule ging aber alles seinen grundsätzlich unveränderbaren Gang, einzig determiniert von der Schulleistung, die zwar die Heldentruppe nicht wiederbelebte, aber Eltern und Lehrkörper verzücken würde. Zahlreich sind daher besondere Erinnerungen, da der Heimcomputer oder die Spielekonsole die Leistung auf dem Parkett des Unterrichtssystems nachhaltig beeinflusste.

Nicht genügende Spione

Da laufen sie, die langnasigen Spione in der MAD-Comic Umsetzung von First Star Software. Unglaublich, das alles, ein durch und durch allerliebst animierter Cartoon, Spieler-gesteuert und ungemein amüsant. Gerade eben hatte ich meine Vorbereitungen für die nächste Mathematik-Schularbeit abgeschlossen, die Zerstreuung vor dem C64 schien wohlverdient.

Der Morgen darauf vergeht wie im Fluge, mit flotten Füllfeder-Strichen löse ich Beispiel für Beispiel, denn die beiden Spionen warten zu Hause. Keine 24 Stunden später überholte mich eine andere Gewissheit: so eine negative Beurteilung tut ganz schön weh. Es winkte das Übungsheft und nicht der knackige Einschalter an der Brotkiste.

Ungemein fesselnd: Mit einem C64 konnte man tatsächlich Antonio Prohias Spione aus den MAD Magazinen steuern. Da blieb das Schulheft im Halfter stecken. (Bild: Beyond)
Ungemein fesselnd: Mit einem C64 konnte man tatsächlich Antonio Prohias Spione aus den MAD Magazinen steuern. Da blieb das Schulheft im Halfter stecken. (Bild: Beyond)

Vom Physiktest flankiert

Schule und Computerspiele wetteifern um die Gunst des noch formbaren Geistes. Jeder Test, jede Schularbeit wirkt in sicherer, weiter Ferne, zum Leidwesen des Joysticks, ehe sie endgültig unvereinbar abermals aufeinanderprallen: Vietnam von SSI lockt mit abstrakten, strategischen Herausforderungen. Oceans Platoon würde erst zwei Jahre später erscheinen, das fordernde Strategiespiel agiert als gelungenes Substitut.

Plötzlich bricht der Vietcong aus dem Dschungel heraus, meine Einheiten sind in Bedrägnis, untermalt vom Maschinengewehr-Knattern des SID-Chips: „Das ist aber nicht gut”, sagt eine wohlvertraute Stimme aus der Familie, der ich, ob mangelnder strategischer Brillianz peinlich berührt entgegne: „Ja, ja, ich weiß” und mit einem Joystickschlenkerer die Soldaten auf die Flanke des Gegners ansetze: „Nein, das meine ich nicht, Andreas, aber das!”

Ein Finger zeigt auf meine Physik-Mitschrift, die auf meinem Schoß liegend im Schatten des Competition Pro um Aufmerksamkeit bittet. Es kommt wie es kommen muß: auf eine schlechte Note folgen die Einsicht und eine wesentlich bessere Nachfolgeleistung, während der vereinsamte Rechner Staub ansetzt.

Strategic Simulations Incorporated (SSI) machte sich einen Namen als Garant für Strategiespiele mit Tiefgang wie dem 1986 veröffentlichten Vietnam: warum die Dichte berechnen wenn gerade im Dickicht umzingelt wurde? (Bild: SSI)
Strategic Simulations Incorporated (SSI) machte sich einen Namen als Garant für Strategiespiele mit Tiefgang wie dem 1986 veröffentlichten Vietnam: warum die Dichte berechnen wenn gerade im Dickicht umzingelt wurde? (Bild: SSI)

Konvertierungs-Latein

Als Weihnachten 1987 eine wahre Flut an lang ersehnten Arkade- und Lizenzumsetzungen auf den geneigten Schüler hereinstürzt, der sich einem ersten, umfassenden Latein-Vokabeltest stellen muß, hatte die lateinische Grammatik keine Chance: was dem gelehrten sein Abl.Abs., das ist dem anderen sein Magical Sound Shower in U.S. Golds Out Run-Konvertierung.

Die Noten der fröhlichen Arkademusik hatten nachhaltig alles Wissen um Deklinationen und Konjugieren „weggespült”, soviel stand jedenfalls fest, als mich der Test an einem verregneten Dienstagmorgen anlächelte. Nach tumultreichen Wochen war die Notenlage abermals wieder im Reinen und das Out Run-Erlebnis durchgespielt. Dictum factum würde der Lateiner sagen.

Jeder kannte, jede kaufte Out Run: Weihnachten 1987 brachte Segas Arkadekracher aus 1986 nach Hause. Wenngleich die Konvertierungen zweifelhafter Qualität waren, fesselte U.S. Gold, die Schulleistung musste einen Gang zurückschalten. (Bild: US Gold)
Jeder kannte, jede kaufte Out Run: Weihnachten 1987 brachte Segas Arkadekracher aus 1986 nach Hause. Wenngleich die Konvertierungen zweifelhafter Qualität waren, fesselte U.S. Gold, die Schulleistung musste einen Gang zurückschalten. (Bild: US Gold)

Möge die Macht mit der Schularbeit sein

Erfahrung macht natürlich irgendwann weiser und so verlief bereits der 1. März 1988 ganz anders: wieder einmal sollten Zahlen und Formeln den verkannten Joystick-Maestro bemühen, der sich an diesem Montag aber bewusst und erfolgreich einem Ziel entgegenrechnet: Domarks Amiga-Umsetzung von Ataris Vektorgrafik-basierten Star Wars lag schon das ganze Wochenende lang verlockend am Tisch.

Der Versuchung sich widersetzend, bemühte ich mich, Vektoren selbst auf dem Papier zu berechnen, anstatt diese einfach dumpf auf dem getreuen 1084 zu konsumieren.

Umso größer dann die Freude, am besagten Tage nach verrichteter Schularbeit endlich die Diskette in den Amiga 500 schieben zu können, mit einer interessanten Selbstbeobachtung: Etwas war ganz anders als sonst, denn die Realität hatte mich endgültig eingeholt.

Möge die Maus mit Dir sein: Der Deutsche Jürgen Friedrich programmierte sich in der Herzen der 16-Bit User mit der frappant originalgetreuen Konvertierung des Atari Games Automaten Star Wars. (Bild: Domark)
Möge die Maus mit Dir sein: Der Deutsche Jürgen Friedrich programmierte sich in der Herzen der 16-Bit User mit der frappant originalgetreuen Konvertierung des Atari Games Automaten Star Wars. (Bild: Domark)

Schule und Joystick im Einklang

Noch heute ist mir diese eine Schularbeit vom 1.3.88 in Erinnerung, das Star Wars-Spiel – so gut es auch damals war und so zufrieden ich auch die Polygone zerbröselte – wurde nie mehr diese Sensation, wie einst ein Way of the Exploding Fist.

Ich hatte begonnen, die Reize der Computerspielerei zu akzeptieren, ihre Gesetzmäßigkeiten hinzunehmen, so als hätte man sich daran gewöhnt, dass der Montag immer Grau und die Suppe immer kalt sind. Tatsächlich vollzog sich eine für die Unterhaltungsindustrie gefährliche Veränderung, da aus dem nimmersatten, geprägten Spielekonsument, einem „wahren Freund”, eine anspruchsvolle „Klette” wurde, die zwar viel Information und neue Ware wünscht, aber das vorhandene Interesse keine signifikanten Umsätze generiert. So einen vormals enthusiasmierten Spieler zurückzuholen ist zweitaufwändig und kostenintensiv.

Die Schule und die Computerspiele waren jedoch endlich im Einklang, gaben sich ballettartig die Hand, nie mehr sollte die eine Leistung die andere aufheben – ehe sich nicht die Reize signifikant ändern.

Ein „F” für zuviel B-Wing

Der Amiga wurde eingemottet, strebsam kartonierte man das Amiga & Video Buch aus dem Hause Markt & Technik, um Platz zu schaffen für tragende Werke der Literatur- und Sprachwissenschaft. An die Stelle des A500 trat ein frischgebackener 486 66 Mhz, mit 4 MB RAM und markiger SVGA-Karte. Gemeinsam mit einer 100 MB-großen Festplatte stand dem Studiumerfolg nichts mehr im Wege.

Bis auf Star Wars: LucasArts hatte 1993 mit X-Wing einen vollwertigen „Space Combat Simulator” auf den MS-DOS Spielemarkt gebracht, der nie für die 16 Bitter erschienen ist. Dazu noch 256 Farben, Soundblaster-Krachen und kernige Sprachausgabe und um den Fleiß des frisch gebackenen Studenten war es geschehen. Vereinsamt vergilbten die lehrreichen Bücher im Zimmer, während Mission für Mission in Ed Kilhams und Lawrence Hollands X-Wing pflichtbewusst abgearbeitet wurden.

Als eine Prüfung Anfang März 1994 nur knapp bewältigt wurde, fasst man sich den Vorsatz, nie wieder den Vorlesungsstoff zu schmähen. Aber die fleißige Technologiebranche und wackere Programmiergenies setzten noch eins drauf.

X-Wing, der große Konkurrent der Wing Commander-Reihe aus dem Hause LucasArts, setzte auf CPU- und Speicher-freundliche, ausgefüllte Polygon-Grafik. Vom 286er bis 486er konnte jeder PC User das spannende Weltraumepos spielen. Die Mission Disk B-Wing spendiert den Rebellen-Piloten den titelgebenden, schwer gepanzerten Bomber. Harte Zeiten für Sternenzerstörer. Und Studienabschlüsse. (Bild: EA)
X-Wing, der große Konkurrent der Wing Commander-Reihe aus dem Hause LucasArts, setzte auf CPU- und Speicher-freundliche, ausgefüllte Polygon-Grafik. Vom 286er bis 486er konnte jeder PC User das spannende Weltraumepos spielen. Die Mission Disk B-Wing spendiert den Rebellen-Piloten den titelgebenden, schwer gepanzerten Bomber. Harte Zeiten für Sternenzerstörer. Und Studienabschlüsse. (Bild: EA)

Zur Hölle mit dem Uni-Studium: Doooom!

Es ist ein grauer Donnerstagvormittag im November 1994. Am Nachmittag steht an der Universität ein doch komplexer Test an, aber die faszinierenden 3D-Welten des Doom 2: Hell on Earth verlangen nach Aufmerksamkeit. Selbst die Universität mit ihrem weitaus größeren Lernstoff vermag nicht den angehenden Akademiker von den scheinbar so realistischen Grafiken in der Ego-Perspektive loszureißen.

Mit dem Beginn der First-Person Shooter wiederholt sich ein ähnlicher Qualitäts- und Erfahrungssprung wie einst bei Way of the Exploding Fist oder Spy Vs Spy, aktiviert den einst erreiften, abgeklärten Spieler abermals und belastet die Leistungsfähigkeit des Studenten, des Menschen an sich einseitig. Es scheint, als würde die Aktivierung von einer Angst herrühren, die Zukunft womöglich zu verpassen.

Gott sei Dank hat sich mal wieder Portal in eine andere Dimension geöffnet: neue Monster, neue Waffen, die Hölle auf Erden - ids Doom II war kein Health Pack für das Uni-Studium. (Bild: id Software)
Gott sei Dank hat sich mal wieder Portal in eine andere Dimension geöffnet: neue Monster, neue Waffen, die Hölle auf Erden – ids Doom II war kein Health Pack für das Uni-Studium. (Bild: id Software)

Die Stase der Bildungswelt und das virtuelle Heute

Technologie wird durch die spielbedingte Einbeziehung der Menschen direkt erlebbar. Der Spieler erschließt die technologische Errungenschaft einer flüssigen Animation in Exploding Fist durch bewusste Joystickbewegungen und „begreift” so den Stand der Technik. Der Reiz des Neuen gegenüber althergebrachten Mathe-Formeln oder lateinischen Texten über Pflugscharen im Dienste Cäsars war unbestreitbar.

Heute werben diverse Hersteller mit der wiederauferstandenen Virtual Reality. Schon steigt das Interesse, nach Schul- und Studienalltag nun auch das Berufsleben in Frage zu stellen.

Mit Virtual Reality bietet sich eine abermals völlig neue Spielerfahrung an, die noch nicht in kollektive Verhaltensmuster verspeichert ist. Es ist bezeichnend, wie Entwickler Rocksteady in seinem Batman Arkham VR Spielern als erste Aufgabe das Anlegen der Batsuit und seiner Accessoires beschert; durch die neuartige Technik ist der Spieler von einer trivialen Handlung – quasi dem täglichen Krawattenbinden – vollends begeistert.

Sprichwörtlich gefangen in einer virtuellen Umgebung, macht man sich bereit für einen weiteren Tag in der Stadt Gotham, Utility Belt und Baterang inklusive – aber exklusive der Realität, die unentwegt mit möglichen „echten” Zielen und Leistungen lockt. Aber wie sah das Aristoteles nochmal? „Maßvoll” soll man seinem Leben nachgehen, mal von hier und da und dort und gut.

Alles neu macht VR: Um neuartige Technologien am Markt zu etablieren, locken einfache Aufgaben im hübschen Grafikgewand im Heldenmetier. So also beginnt der Arbeitstag des Bruce Wayne. Da kann der reale Alltag einpacken. (Bild: Rocksteady)
Alles neu macht VR: Um neuartige Technologien am Markt zu etablieren, locken einfache Aufgaben im hübschen Grafikgewand im Heldenmetier. So also beginnt der Arbeitstag des Bruce Wayne. Da kann der reale Alltag einpacken. (Bild: Rocksteady)

Spiele als Alltagsbewältigung vor dem virtuellen Morgen

Der Konflikt zwischen Schulnoten und Hi-Score Table ist Synonym für ein tiefes menschliches Verglangen, das real erlebte zu verarbeiten. Die immanente Erfahrung des Erfolgs, die momentane Korrektur des Scheiterns durch eine weitere Runde geben dem Spieler eine attraktive Form der Kontrolle über sein Dasein zurück, wie sie subjektiv empfunden im Alltag ab und an verlorengegangen scheint und mitunter nicht zu realisieren ist.

Durch das Scheitern in der Realwelt manifestieren sich intensive Assoziationen mit einst geliebten Spielen. Manchmal holt einen das Schuldbewusstsein sein, die Erkenntnis, mehr Fleiß in der Schule wäre besser gewesen. Oder die Sensation, comichaft animierte Sprites wie einem Comicbuch entsprungen zu bewundern, deren Erinnerung viel zu stark wirkt, als dass das reale Scheitern noch großes Gewicht hätte. Eines ist aber klar.

Ob nun Pixel, Papier oder Holzfiguren: Spiele, wie auch andere Betätigungen, sind Vehikel lang vergessener Erinnerungen. So eine Video- oder Computerspielgeschichte, die schenkt einem Erfahrungen und das Lächeln vergangener Stunden wieder aber bereichert den Spieler gleichzeitig jenseits einer nostalgischen Verklärung um Zusammenhänge, um Wissen und ein Verständnis, die alle einst unerreicht.

So erschließt die individuelle Auseinandersetzung mit der eigenen Spielvergangenheit insbesonders aus dem Blickwinkel der intensiven Schulzeit betrachtet und mit einem Lächeln im Gesicht, einen neuen, frischen Blick für das Morgen. Auch das ist Retro.


Veröffentlicht in: Videospielgeschichten
André EymannTobi

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Kommentare (9)

  1. Du bist mir auch so eine “bewusstseinsreinigende Dissonanz”! ;D

    Aber im Ernst: Ein sehr guter Text, der mich auf gleich zwei Ebenen nachdenklich macht.

    Zunächst muss ich natürlich breit grinsen und mich an all die Diskussionen mit meinem Vater über schulische Leistungen und meine Zockerleidenschaft erinnern. Dass die “Flucht” in Pixelwelten mit zugänglicherem Belohnungssystem meine Leistungen in anderen Lebensbereichen ganz klar schmälerten, zieht sich wie ein roter Faden durch mein Leben.
    Aber durch wessen Leben denn nicht? Jeder “Gamer” muss in jedem Augenblick seines Lebens Prioritäten setzen. Objektiv betrachtet gibt es ja immer etwas “Wertvolleres” oder gerade “Dringlicheres”, was anstatt zu spielen erledigt werden könnte. Aber bereue ich es deswegen früher aus meiner Abi-Klausur verschwunden zu sein, um schneller wieder mit einem Kumpel im LAN Diablo zocken zu können? Nö! Hat ja trotzdem irgendwie geklappt mit dem Abi…
    Letztlich stellt sich für mich die Frage nach dem grundsätzlichen Verständnis dessen, was Menschen tun sollten und was nicht. Wenn uns Spielen so leicht fällt, warum dann wider unserer Natur handeln und uns Lateinvokabeln reintrichtern? Was, wenn der Sinn des Lebens ist, das zu tun, was Kinder ganz automatisch und intuitiv machen: Die Welt entdecken und spielen? Zumindest müsste die Schule viel verspielter und auf die Bedürfnisse (lies: Stärken) des Einzelnen angepasst werden. Wenn die Lehrer und Eltern damals nicht so krampfhaft versucht hätten meine Schwächen auszubügeln und stattdessen meinen Stärken zugespielt hätten, dann wäre ich heute sicher erfolgreicher, glücklicher und hätte dem Item-Grinden in Diablo damals vermutlich nicht den Vorzug vor der Abi-Klausur gegeben.

  2. Lieber Ferdi! Ich bin dir dankbar für deinen Kommentar, insbesondere die wahren Worte, dass Computerspiele uns zusammengebracht haben und es auch weiterhin tun.

    Heute habe ich Freundschaften ins Ausland, als wäre ich mit allen in die Schule gegangen, so nah ist der Austausch an Erinnerungen.

    Diese Erinnerungen werden gefördert durch Schemen, die wir verspeichert und unterbewusst kategorisiert haben. Im Moment, da ein Schema aktiviert wird, erschließen sich die Zusammenhänge dieser Kategorie: Ich verbinde beispielsweise Rescue on Fractalus mit Silvester 85, da ich quasi ins Neujahr geflogen bin.

    Diese Zeit von einst steht uns wohl wirklich in diesem Ausmaß nicht mehr zur Verfügung und ist ein kostbares Gut. Aber Erinnerungen und ihre Zusammenhänge bereichern auf ihre Weise die Gegenwart.

    In diesem Sinne, bis demnächst und liebe Grüße,

    Andreas

    Liebe Grüße,

    Andreas

    1. Das hast Du schön gesagt. Ich muss gestehen, dass ich bisher ein ziemlicher Stoffel war, was die sozialen Netzwerke angeht; bis vor wenigen Wochen hatte ich nicht mal einen Twitter-Account.

      Mit meiner Retro-Spiele-Nostalgie fühlte ich wie ein unverstandener, einsamer Wolf. Das hat sich Gott sei Dank geändert und ich bin sehr froh darüber. Mit dem Atari 800XL, dem C64 und dem Amiga habe ich vor 30 Jahren viele Freundschaften geschlossen und sie bestehen noch.

      Heute tauschen wir Erinnerungen aus und ich finde neue Freundschaften. Dafür nehme ich mir auch gerne die Zeit dies es eben braucht, weil es mir wichtig ist und mir gut tut. Zu dieser Erkenntnis bin ich tatsächlich erst durch die Gemeinschaft der VSG gelangt.

  3. Auch bei mir war es ähnlich wie bei den anderen Kommentatoren. Einen negativen Effekt hatten Computerspiele glaube ich nicht auf meine Schulzeit. Das mag aber auch daran liegen, dass die frühen Computerspiele recht kurzweilig waren. Centipede oder Pole Position sind halt kein World of Warcraft gewesen 😉 Es war einfach gar nicht möglich, sich tagelang in einem Spiel zu verlieren. Dennoch kenne ich natürlich das Spannungsfeld Lernen/Spielen. Aber eben nur mit geringen Konflikten.

    Was Ferdi schreibt ist mir auch sehr wichtig: wir haben fast immer zu zweit gespielt. Auf dem Atari VCS, auf dem C64 und auch danach (Doom!) – Computerspiele haben mich immer mit anderen Kindern zusammengebracht und niemals einsam gemacht. Und dieser Effekt war auch eine Konstante in der Schulzeit.

    Der von Yesterplay80 erwähnte “Spiel”raum ist heute leider tatsächlich auch ein Minimum zusammengeschmolzen. Sehr schade: heute hat man die Mittel, aber die Zeit kaum noch. Ich freue mich aber sehr, über das Internet so viele Gleichgesinnte kennengelernt zu haben. Irgendwie ist das nun ein Teil unseres “neuen” Kinderzimmers geworden 😉

  4. Ich habe auch nur noch sehr vage Erinnerungen an die frühere Schulzeit, bin mir im Nachhinein aber ziemlich sicher, dass Videospiele wenn überhaupt nur einen sehr geringen negativen Einfluss auf meine Schulnoten hatten. Die Grundschule fiel mir generell sehr leicht, entsprechend einfach und gefahrlos war es für mich, nachmittags Zeit am LCD-Spiel oder bei einem Freund mit dem Atari 2600 oder C64 zu verbringen.

    Die Noten wurden bei mir erst mit der Pubertät schlechter und obwohl ich da natürlich auch gezockt habe, bin ich mir sicher dass man das nicht oder zumindest kaum den Videospielen anlasten konnte. Zum einen waren meine Eltern immer aktiv dahinter, dass es nicht Überhand nimmt, zur Not verschwand der Mega Drive auch mal ein paar Tage in ihrem verschlossenen Schrank. Zum anderen hatte ich natürlich, wie viele andere Jugendliche in dieser Zeit, definitiv andere Sorgen, die sich deutlich stärker in einem sinkenden Notendurchschnitt ausdrückten.

    Generell boten die Tage damals aber alle viel mehr “Spiel”raum, heute habe auch ich definitiv größere Probleme, Hobbies und Verpflichtungen gleichermaßen gerecht zu werden. Und auch wenn die Frau manchmal etwas mosert, weil ich wieder später ins Bett gekommen bin als in Anbetracht des Weckers gut gewesen wäre, oder weil die Onlinepartie mit den Freunden mal wieder eine samstagliche Renovierungsarbeit effektiv verkürzt oder gar ganz verhindert hat, denke ich dennoch dass es mir im Großen und Ganzen gelingt. 😉

    Und diese VR-Spiele auf der PS4 reizen mich immer mehr…

    1. Hallo Yesterplay und vielen Dank für deinen Kommentar!

      Die wunderbare Sache an Andrés Videospielgeschichten ist die Erfahrung wie gleich und doch verschieden unsere Erlebnisse von einst sind. Mit dem gemeinsamen Nenner der Computerei unterm Arm unterhalten wir uns alle wie die besten, ältesten Freunde. Die Unterschiede verleihen der Unterhaltung eine wichtige Textur.

      Der C64 war für mich vollkommen neu und unvorstellbar fortschrittlich, als er dem Intellivision folgte. Verstärkt durch meine Affinität für Computer beeindruckte mich die Computerszene gerade in den ersten Jahren doch merklich. Aber was es nicht alles zu sehen gab.

      Der Freund mit Saboteur auf dem Spectrum, der andere mit Koronis Rift auf dem Atari XL (flott!) oder die Nachbarn mit Skiing auf dem NES. Und ich mit
      Kaiser beim Palastbauen. Auch damals hatte man eben schon Termine.

      Spielen ist eine Form der Entspannung oder der Abwechslung; im Vergleich zum Alltag ist man in Kontrolle der Umstände – oder kann Herausforderungen Groundhog Day-mäßig immer wiederholen – bis eben der Morgen graut oder der Plüsch-C3P0 ruft.

      Auch beschäftigt ein Spiel, schult analytisches Denken, schärft Reflexe. Oder macht einfach nur Spaß: einmal Bruce Lee durchspielen, schon beginnen sich die Falten zu glätten und das Haupthaar zu verdichten…

      In diesem Sinne, freut mich, dass dir der Beitrag gefallen hat, bis zum nächsten Mal.

      Liebe Grüße,

      Andreas

  5. Sehr schön geschrieben, auf Deine eigene unnachahmliche Art. Und zum Ende hin fast schon philosophisch. Niemand schreibt hier so charmant wie Du.

    Mir geht es ähnlich wie Stephan. An die Schulzeit habe ich nur diffuse Erinnerungen. An konkrete Hausaufgaben schon überhaupt nicht. Selbst wenn ich alte Schulhefte aufschlage, von denen ich noch ein paar habe (samt Scout- Schulranzen mit Borussia Mönchengladbach-Aufkleber) weckt das keine besonderen Erinnerungen in mir.

    Aber seltsam, kaum sehe ich ein Bild von Spy vs Spy oder The Way of the Exploding Fist, erinnere ich mich an die spaßige Agentenjagt (natürlich zu zweit), an die MAD-Hefte und an die geschmeidig animierten Karatekämpfe, die wir auf dem C64 ausgetragen haben. Wieso ist das so? Keine Ahnung. An eines erinnere mich aber noch sehr wohl: An das schlechte Gewissen, wenn der C64 meine Gunst zulasten der Hausaufgaben gewonnen hatte.

    Meine zweite Erkenntnis ist, dass Computerspiele nicht einsam gemacht haben. Oft saßen wir zu zweit vor dem Brotkasten, selbst wenn es Solospiele waren, die wurden eben abwechselnd gespielt.

    Die dritte Erkenntnis: Wenn ich eines in den Achtzigern hatte, dann war das Zeit. Trotz Schule, Studium und Ausbildung. Zeit ist für mich heute kostbarer denn je und ich kann Stephan absolut nachvollziehen.

    Danke für den schönen Artikel Andreas.

  6. Sehr schön geschrieben und beschrieben, Andreas. Wie eigentlich jeder deiner Artikel, denen du deinen ganz eigenen stilistischen Stempel verpasst. Was uns früher als ärgerlicher Konflikt zwischen dem, was uns Spaß bereitet und unseren lästigen Pflichten wie Hausaufgaben oder das Pauken für die nächste Klausur begegnete, konfrontiert uns heute als die nicht weniger ärgerliche Aufgabe der Verteilung unseres Zeitbudgets. Damit einher gehen ‘Opportunitätskosten’ die einen quälen und die Angst, stets etwas zu verpassen. Befeuert wird das Ganze durch die ständige und nicht abreissende Informationsflut, gerade auf Twitter, wo das Ganze im Sekundentakt auf die Spitze getrieben wird. Aber das ist ein anderes Thema, mit dem ich mich gerade aber ernsthaft befasse.

    Dass du dich so genau an Schularbeiten und sogar deren Datum erinnern kannst, ist beeindruckend, für mich ist die Schulzeit in den 80ern eher diffus in der Erinnerung.

    Bei der Studienzeit sieht das schon anders aus. Bei mir war es System Shock, das mich drei Wochen am Stück inklusive der Nächte nicht aus seinem Bann gelassen hat und mich auch die ein oder andere Klausur kostete. Ich bereue nichts. 😉

    1. Lieber Stephan! Vielen Dank für deinen schönen Kommentar.

      Unsere Aufmerksamkeit ist heute klar überbelastet. „Dank” heutiger Technik „dürfen” wir mit Kommunikation jederzeit interagieren; wenn ich gerade mal ein Fremdwort nachschlage, blinken mich Urlaubs- und Pizzaangebote an, reden von Freundschaftsbekundungen auf sozialen Medien obwohl ich doch nur das Fremdwort nachschlagen wollte. Jeder will scheinbar erwas von mir.

      Der Reiz des retrografischen Ansatz liegt in der Faszination gesellschaftsverändernder Technik, die einen in den Bann zieht und vom Alltag „abzieht”. In der Tat warb man auch zum Teil damit, dass Eltern dank eines Heimcomputers den Sprößling immer sicher zuhause wissen könnten. Für uns war es eine neue, andere Welt, die sich auftat und erlernt werden wollte. Dabei gab es doch die vielen schönen Schulbücher…

      Dass ich Schularbeiten eng mit Computerei in Verbindung bringe liegt an zwei Veränderungen, die 1985 zusammenfielen: der C64 kam ins Haus und ich kam ans Gymnasium. Und dann dasselbe mit dem 486er DX2/66, X-Wing und die Universität Wien. Kann man im Duden unter „Interessenskonflikt” nachlesen…

      …wir alle haben also unsere assoziativen Vehikel als Schlüssel zu Erinnerungen, die ich gerne als Teil von Andrés Videospielgeschichten teile. Dafür nehme ich mir dann auch Zeit und gehe auf Reise.

      Danke für deinen „Erinnerungsabriß” zu meinem Artikel, Stephan, und liebe Grüße,

      Andreas