Es ist zwanzig nach elf Uhr abends. Wie soft in letzter Zeit gingen mir einige Gedanken durch den Kopf. Während ich diese Zeilen hier schreibe, weiß ich auch noch nicht, wohin mich diese Gedanken führen werden oder wie das Ende dieses Textes aussieht.
Warum spiele ich?
In letzter Zeit habe ich mir immer wieder die Frage gestellt, was meine persönliche Verbindung zu Videospielen ist. Was macht sie aus? Woher kommt sie? Je intensiver ich darüber nachdenke, desto diffuser wird eine Antwort darauf.
Wie oft habe ich schon die Frage gelesen oder beantwortet, was die erste Konsole war. Welches war das erste Spiel. In den meisten Fällen zielen solche Fragen, ob bewusst oder unbewusst, darauf zu zeigen, wie sehr das Spielen im eigenen Leben verankert ist. Bei manchen ist sicher auch eine gewisse Eitelkeit damit verbunden.
Die andere Frage, die mit der Sicherheit des Donners auf einen Blitz folgt, ist die Frage, ob man auch noch im Alter zocken wird. In 99,9% der Fälle wird diese Frage mit einem „Ja“ kommentiert. Mit anschließendem Unverständnis, warum diese Frage überhaupt gestellt wird. Schließlich ist man ja schon mit dem Controller in der Hand auf die Welt gekommen.
Vielleicht ist es weniger das Spiel an sich, sondern was Videospiele darüber hinaus bedeuten.
Lennart Koch
Für mich fassen diese beiden Fragen aber nicht das auf, worüber ich mir in letzter Zeit sooft Gedanken gemacht habe. Was interessiert und fasziniert mich an Videospielen? Ist es das Spiel an sich oder doch eher das Drumherum? Vielleicht bringt mich das Schreiben einer möglichen Antwort näher.
Ich spiele gerne, aber ich spiele wahrscheinlich nicht so viel wie es andere tun. Ich besitze weder eine der aktuellen Konsolen, noch besitze ich einen Gaming-PC. Trotzdem besteht mein Umfeld aus gamingaffinen Menschen. Die Webseiten die ich besuche haben zu einem Großteil Gamingbezug. Gleiches gilt für Podcasts die ich höre und fast allen denen ich auf Twitter folge. Doch was kann ich beitragen? Was ist meine Rolle?
Ich kann zu aktuellen Spielen nichts inhaltliches beitragen und auch so mancher Klassiker entzieht sich meiner gespielten Kenntnis. Trotzdem bin ich in dieser Filterbubble unterwegs. Ich höre Leuten zu, die über Videospiele reden, die ich nicht gespielt habe. Ich lese Artikel von Menschen über alte und neue Spiele und Konsolen. Ich schaue anderen gerne beim spielen zu. Und immer wieder kommentiere ich gerne unter Artikeln oder tausche mich in den sozialen Netzwerken aus.
Bin ich also ein Gamer oder tue ich nur so, weil ich meine Filterbubble nicht verlassen will? Ab und zu wird mal ein Spiel gespielt um nicht ganz aus der Rolle zu fallen. Trotzdem hält sich mein Interesse und meine Begeisterung für Videospiele immer noch. Vielleicht ist es weniger das Spiel an sich, sondern was Videospiele darüber hinaus bedeuten. Welchen Einfluss sie auf andere haben. Kurzum der Kontext und das Umfeld in denen sie stattfinden. Sowohl auf persönlicher Ebene als auch auf allgemeiner.
Ein persönlicher Blick auf die Spiele und das Umfeld
Aus meiner persönlichen Sicht gibt es kaum eine Gruppierung mit dem gleichen Interessengebiet, die so ambivalent ist, wie die der Videospieler. Sowohl gegenüber Außenstehenden als auch in sich. Auf der einen Seite gibt es laute Aufschreie und Proteste, wenn aus ihrer Sicht über Spiele falsch oder verkürzt berichtet wird. Und diese Kritik ist gerechtfertigt, da sich nicht-gaming Medien in der Berichterstattung immer wieder Fehler leisten oder geleistet haben.
Videospiele nehmen eine wichtige Rolle ein, sie sind Kulturgut und auch Wirtschaftsgut. Trotzdem werden Spiele meist noch belächelt oder misstrauisch beäugt. Natürlich hat sich da in den letzten Jahren viel getan und es steht mittlerweile besser um die Anerkennung von Gamern und Spielen in der öffentlichen Wahrnehmung.
Doch habe ich das Gefühl, dass diese Entwicklung nicht von allen positiv gesehen wird. Als ob man Angst davor haben müsste, dass einem etwas genommen wird. Frei nach dem Motto: „Was willst du mir erzählen? Ich kenne mich aus! Du spielst höchstens Casualgames.“
Ich habe bis heute nicht verstanden was diese Einstellung bringen soll. Vielleicht glauben manche, dass sie etwas verteidigen müssten gegen diejenigen, die einen Weg in das Thema suchen und womöglich einen neuen Blickwinkel mitbringen. Mit einer neuen Spielerschaft verändert sich demnach auch die Art der Spiele. Es kommen neue Arten des Spielens auf, die eher auf das kurze Vergnügen ausgelegt sind, aber es gibt auch eine Entwicklung in Sachen Storytelling, Weltendesign oder Themenvielfalt.
Das führt natürlich auch unweigerlich dazu, dass Videospiele zu mehr werden als nur Unterhaltung. Die Kosten für AAA-Titel steigen immens und Entwickler und Publisher müssen Wege finden wie sie die Kosten wieder einfahren. Das funktioniert heutzutage oftmals über Preorder, Special Editions oder Lootboxen. Nicht alle sind mit dieser Entwicklung zufrieden. Ich auch nicht. Jegliche Kritik ist da gerechtfertigt und die müssen sich die Spielehersteller auch gefallen lassen.
Mit dem zunehmenden wirtschaftlichen Erfolg wächst aber auch die Verantwortung. Verantwortung gegenüber dem Produkt und seinen Machern, als auch gegenüber den Spielern und dem Kontext in dem es stattfindet. Das gilt für den Big Budget-Titel genauso wie für den kleinen Indietitel. Spiele können nicht mehr nur für sich stehen. Dieser Kontext bietet immer wieder Zündstoff. Es gibt dann Kommentare wie: Warum kann ich nicht einfach mein Spiel spielen? Mich interessiert es nicht, was da während der Entwicklung passiert oder welche Personen dort an der Entwicklung beteiligt sind. Meinem Gefühl nach ist diese Einstellung in der Spielerschaft in den letzten Jahren größer geworden. Ein reflektierter Umgang wird versucht unter „SJW“-Rufen zu unterdrücken. Gamergate und das Erstarken rechter Gesinnungen sind massive Probleme der Branche und des Umfeldes.
Trotz all dieser Probleme, wozu auch schlechte Arbeitsbedingungen oder Sexismus gehören, ist die Videospielbranche auch mit soviel Potenzial gesegnet wie selten zuvor. Dem allgemeinen Tenor nach war das Spielejahr 2017 eines der Besten seit langem. Tolle AAA-Titel, spannende und innovative Indietitel kamen auf den Markt.
Es gab technische Neuerungen, wie das aufkommen der Virtual Reality und auch auf inhaltlicher Ebene versuchen sich immer mehr Entwickler an komplexere Themengebiete, die gerade durch den Indiemarkt eine größere Chance zur Entwicklung bekommen.
Auch rund um die Videospiele bewegt sich einiges. Viele sehen in Spielen mehr als nur den reinen Entertainmentwert. Es geht um Geschichten, kulturellen und politischen Einfluss, aber natürlich auch immer noch um die Freude und die Leidenschaft am spielen. Es gibt Blogs, Videos, Artikel, Podcasts die sich mit all den Facetten auseinandersetzen, die die Videospiele so interessant und spannend machen. Allen negativen und allen positiven Aspekten.
Ich spiele weil…
Bringt mich dieser Exkurs aber in meiner persönlichen Frage weiter? Sind es die Spiele oder doch eher die Menschen, die sich so intensiv mit dem Thema auseinandersetzen? Wahrscheinlich ist es beides, denn ohne das Eine gäbe es das Andere nicht. Ich mag es, wenn Menschen mit Enthusiasmus an etwas herangehen und sich kritisch und künstlerisch mit ihrem Hobby und ihrer Leidenschaft auseinandersetzen. Das gilt für Bücher, Filme, Musik und auch Videospiele.
Ich spiele sehr gerne, weil mir Videospiele durch ihre Interaktion andere Formen der Geschichtenerzählung bieten. Sie können aber auch Entertainment, Competition oder Frust bedeuten.
Nun habe ich meinen Text mehrere Male bis hier hin gelesen und ich habe noch immer keine befriedigende Antwort auf meine Fragen gefunden. Was brachte also das Schreiben?
Es hat mir auf jedenfall geholfen Gedanken zu ordnen (wer weiß ob sich diese Ordnung in diesem Text zeigt), die sich im Laufe der Zeit immer weiter angesammelt haben. Deswegen ging es mir beim Schreiben auch weniger um eine Aufarbeitung dessen was in letzter Zeit passiert ist. Da gibt es weitaus kompetentere Artikel, die sich mit den Themen auseinandergesetzt haben.
Mir ging es um eine persönliche Sicht auf die Welt der Videospiele und meine Rolle und Position darin. Ich kann nicht sagen, ob sich das Lesen für andere gelohnt hat. Ein reflexiver Umgang mit der eigenen Arbeit und auch dem eignen Hobby ist meiner Meinung nach jedoch unerlässlich.
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