Wer kennt es nicht: nach etlichen Jahren fällt einem ein Videospiel in die Hände, in welchem man als Kind oder Teenager zig Spielstunden angesammelt hat. Da erinnert man sich flashbackartig an grandiose Graphiken, spannende Dialoge und unfassbar knifflige Rätsel – und es war doch auch ein wirklich gutes Game… oder?
Ein Spiel, welches als Kind für mich das Highlight war, ist das 1995 für MS-DOS erschienene Point and Click Adventure „Torin’s Passage“ von Sierra Entertainment. Wenn ich zurückblicke, sehe ich das cartoon-artige Characterdesign und World-Building vor meinem geistigen Auge, und alles ist knallig, bunt, einfach ’schön gemacht‘.
Nach 20 Jahren des Einstaubens habe ich das Game mal wieder ausgegraben, um es noch einmal zu erleben. Ist das Spiel wirklich so gut, wie ich es in Erinnerung habe? Kann (und sollte) man Retro-Games überhaupt nach heutigen Gesichtspunkten bewerten? Und welche Rolle spielt Nostalgie bei dieser Rückschau?
Nostalgie – wie funktioniert das?
Nostalgie ist ein bisschen wie Heimweh – ein sentimentales Gefühl der Sehnsucht nach etwas Vergangenem. Es ist greifbar und vertraut, aber irgendwie weit weg. Mit dieser Sehnsucht einhergehend ist oft eine Verklärung und Idealisierung der Erinnerung. Man schwelgt und sinniert – dabei passieren aber auch oft Rückschaufehler.
Interessant ist dabei, dass in der Populärkultur das Nostalgie-Gefühl quasi zum Aushängeschild für Medien- und Marketingzwecke wurde. Was retro ist, ist ‚cool‘. Das liegt daran, dass nach dem modernen Nostalgie-Verständnis vor allem die verknüpften Emotionen ausschlaggebend sind – das lässt sich auch auf den Konsum von popkulturellen Medien beziehen. Und plötzlich ist man wieder 10, sitzt im abgedunkelten Computerraum und spielt mit seinem Vater Thief: The Metal Age und alles ist viel einfacher.
Doch auch, wenn positive Gefühle bei einer solchen Rückschau im Vordergrund stehen, so schleicht sich oft eine gewisse Melancholie ein. Das Erlebte ist ja schließlich vergangen, und kann nicht mehr genau so wieder erlebt werden. Und meistens, gerade in Bezug auf Games, wird man bei erneutem Spielen herbe enttäuscht: die rosarote Nostalgie-Brille hat Vieles verklärt.
Aber: Gilt das auch für unser Retro-Game Torin’s Passage – oder kann man den bittersüßen Aspekt getrost beiseite legen?
Torin’s Heldenreise – Verschachtelte Welten, ein süßer Sidekick und zahlreiche Herausforderungen
Meine wunderschöne Erinnerung musste direkt einen harten linken Haken kassieren, als ich mir das Cover-Artwork angesehen habe. Das ist doch nicht Torin! Ich erinnerte mich, dass die Ingame Grafik enorm ansprechend war. Und: die Backside beweist das auch – abwechslungsreiche Szenerien und diverses, ausdrucksstarkes Character-Design.
Torin’s Passage setzt dabei auf eine gezeichnete Cartoon-Optik, ähnlich King’s Quest VII oder Monkey Island 3. Dass Zeichentrickfiguren besser altern, als die bahnbrechend deklarierte 3d Grafik aus dem Jahre 1995, ist dabei offensichtlich.
Dabei wird klar: nicht jedes Game sollte qualitativ an seiner Grafik gemessen werden. Gerade Retro-Games, allen voran aus dem Point and Click Genre, trumpfen eher mit ihrer Liebe zum Detail, dem World-Building und allen voran der Story auf. Anhand moderner Kriterien kann man die Qualität nur schwer bemessen – der Fokus liegt durch begrenzte Möglichkeiten auf anderen Punkten, als bei modernen Spielen.
Torin setzt dabei auf ein klassisches Helden-Abenteuer: als Baby werden seine Eltern von einem bösen Magier umgebracht, seine Amme rettet ihn und bringt ihn in ein Dorf, wo er aufwächst – nur, damit seine Adoptiveltern auch von eben jenem bösen Zauberer entführt werden – und so beginnt Torin’s Reise durch 5 ineinander verschachtelte Welten, alle gespickt mit neuen Charakteren und Rätseln. Dabei gerät man ob der begrenzten Design-Möglichkeiten ab und zu an die eigenen Grenzen – ich glaube niemand schafft es durch dieses Labyrinth, ohne einen Tobsuchtsanfall zu bekommen:
Genannte Hürden mindern jedoch nicht die Qualität des Games. Es ist, als spiele man einen interaktiven Disney-Film. Oft werden gute Games mit einem gewissen Maß an grafischem Hyperrealismus gleichgesetzt, alte Videospiele, wenn man sich nicht sowieso in der Retro-Bubble bewegt, werden nicht angefasst – die Immersion sei nicht dieselbe.
Moderne SpielerInnen sind verwöhnt: Handlung muss schnell sein, mitreißen, und alle Dialoge sollen überspringbar sein, während die Welt erscheint, als schaue man aus dem Fenster. Möglichst viel visuelle und realistisch anmutende Stimulation – davon muss man sich bei Torin verabschieden. Und das ist ok so.
Das Adventure basiert auf Details und Charakterinteraktion, ausgereiften Dialogen (das Highlight der deutschen Synchro dürfte die ‚Kölsch schwätzende‘ Schnecke sein, welche ihr auch hier links im Titelbild des Artikels sehen könnt. Redselig sind allerdings alle beide – und sie freuen sich enorm über ihre eigenen Witzchen. Abgerundet wird das Ganze mit dem ‚Augenklatscher‘, Zitat: „Jib mir 5 mit de Augen!“ – naja, Schnecken haben nun mal keine Hände…) und viel Trial & Error, besonders, wenn es ans Rätselraten geht. Ungewohnt sind vor allem die langen Laufwege – aus heutiger Sicht gerechtfertigte Kritik. Grafisch kann wenig kritisiert werden – das Spiel hat nie versucht, realistisch zu sein, sondern ist viel mehr ein interaktives Abenteuer.
Die Lösungen zu den Rätseln sind nicht immer offensichtlich, es muss um die Ecke gedacht werden. Das kann gerade für SpielerInnen, welche neu im Genre sind, relativ frustrierend sein. Besonders schön ist die Charakterkomik, Torin’s Passage lebt von der Interakton von Boogle, Torin, und all den neuen Charakteren, welche man auf seinem Abenteuer trifft.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Torin’s Passage ideentechnisch seiner Zeit ein Stück voraus war, besonders, was Charakerdarstellung- und Interaktion sowie World Building betrifft. Die Umsetzung dessen war allerdings durch technischen Stand natürlich nur begrenzt möglich. Der Comic-Style hilft dabei jedoch enorm.
Das Endprodukt strotzt vor Charme und spaßigen Rätseln. Bestimmt ist Nostalgie ein starker Faktor, wenn es zur Rezeption des Klassikers kommt, jedoch ganz sicher nicht ausschlaggebend. Wer über ein paar fehlplatzierte Pixel und lange Dialoge hinwegsehen kann, der wird (auch als EinsteigerIn!) seine wahre Freude an Torin’s Passage haben (und sollte sich im selben Zuge King’s Quest VII zu Gemüte führen).
Quellen
- Macht uns Retro glücklich? Über die Bedeutung von Nostalgie für das psychische Wohlbefinden auf In-Mind
- Lowe, Al: Torin’s Passage. Published by Sierra Entertainment, 1995
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