Prolog
Meinen Game Boy bekam ich Anfang der 1990er, also mit ungefähr 10 Jahren. Endlich war der lang ersehnte Tag gekommen. Meine Augen leuchteten, als mir meine Oma lächelnd eine Schachtel zu meinem Geburtstag überreichte. Ich konnte meinen Augen kaum trauen, als ich das Geschenk öffnete und das Nintendo Logo erblickte. Dies ist der Beginn einer erfreulichen, schönen Game Boy-Story. Aber nicht von dieser hier.
Wenn du gerne Artikel mit Happy End liest, solltest du schnell den Zurück-Button des Browsers anklicken, und die schönen Geschichten auf VSG lesen. Es gibt hier kein Happy End, noch nicht einmal einen fröhlichen Anfang. Nur traurige Ereignisse, die zwischen unerfreulichen Anfang und düsterem Ende geschehen. Wenn du dem Text aber doch weiter folgst sag nicht, ich hätte dich nicht gewarnt.
Kapitel Eins – Der schreckliche Anfang
Wir bleiben am Beginn der 90er Jahre und auch bei meinem Geburtstag. Ein fröhlicher Tag, an dem wir auch meine Omi besuchten. Meine Großmutter überreichte mir in der Tat ein Geschenk über welches ich mich auch freute, allerdings handelte es sich nicht um einen Game Boy, da dies kein schrecklicher Anfang gewesen wäre.
Ein Päckchen Manner-Schnitten ohne Geschenkverpackung drückte mir die alte Dame in die Hand, über welches ich mich in meiner kindlichen Naivität sogar freute. Dies war nicht der Tatsache geschuldet, dass sie vielleicht arm war und sich nicht mehr leisten konnte. Meine Großmutter war nicht arm, allerdings auch nicht reich.
Nein, es war weil ich ein Junge war und sie mich deshalb nicht leiden konnte. Bewusst war mir dies damals allerdings nicht.
Erst als mich meine Mutter viele Jahre später aufklärte wie ich zu dem Game Boy kam, erfuhr ich die bittere Wahrheit. Es war nämlich meine Mutter, die dafür sorgte, dass ich den weißen Klotz besitzen durfte. Angesichts der Tatsache, dass ich nur das Päckchen Schnitten bekam war meine Mutter so wütend, dass sie ihrer Mutter die Meinung geigte.
Beim nächsten Besuch meiner Großmutter forderte mich meine Mutter auf, ihr zu erzählen, dass ich mir einen Game Boy wünsche. Da ich wusste, dass die wunderschöne, tragbare Spielkonsole nicht gerade wenig Geld kostet, musste ich meinen ganzen Mut fassen um meinen Wunsch zu äußern.
Auf ihre Antwort „Wos kost‘ der Schmarren“ entgegnete ich zögernd „Naja, tausendfünfhundert Schilling“ woraufhin sie mir das Geld in die Hand drückte und ich mich sogleich mit meiner Mutter auf den Weg zum nächsten Elektrohandel machte um den grauen Klotz zu erstehen.
Kapitel Zwei – Das Haus der Ziegel
Es muss der darauffolgende Sommer gewesen sein, als meine Eltern mich zu meinem Onkel und meiner Tante aufs Land begleiteten. Eine langweilige, kinderunfreundliche Gegend zwischen Nirgendwo und Ödnis. Wer denkt, er wohnt am Arsch der Welt, war noch nie im niederösterreichischen Obritz.
Damit meine Eltern etwas kinderfreie Zeit genießen durften, verbrachte ich ein paar Tage ohne meine Eltern in dem stillgelegten Vierkanthof. Der einzige Zeitvertreib war (neben Game Boy spielen) das Abklopfen gebrauchter Ziegelsteine (kein Witz), da sie mein Onkel noch verwenden wollte. Mehr konnte man in der entvölkerten Gegend kaum machen. Möglicherweise war es meinen Verwandten auch einfach zu mühsam, mit mir den Hof zu verlassen und für etwas Abwechslung zu sorgen.
Als meine Eltern kamen um mich abzuholen, freute ich mich wie ein Schneekönig. Endlich durfte ich diesen trostlosen Ort verlassen. Doch auch dieses Happy-End blieb mir verwehrt. Es gibt in diesem Artikel kein Happy End. Ein paar Tage sollte ich noch bleiben, bat mich meine Mutter. Was das mit dieser Story zu tun hat? Ich wollte nicht bleiben und fing an zu weinen. Egoistisch, aber so sind Kinder eben. Daraufhin wurde ich mit einem Spiel bestochen, welches ich daraufhin auf und abspielte. Es wurde schnell mein Lieblingsspiel und ist auch noch heute einer meiner Favoriten: Super Mario Land!
Jetzt wäre der ideale Zeitpunkt, nicht mehr weiterzulesen und den Zurück-Button zu drücken, denn was nun folgt, ist ein grausamer Auszug meiner Schulzeit.
Kapitel Drei – Die Schule des Schreckens
Meine Schulzeit war, zumindest in der höheren Schule, wenig erfreulich. Technisch affine Kinder, so genannte Nerds, waren damals fast noch weniger gesellschaftskonform als Streber und Petzen. Sonderbar wurde man genannt. Außerhalb der Norm, weil ich mich nicht für die coolen Sachen interessierte, sondern dünn, schmächtig und alles andere als modisch angezogen war. Aber ich hatte meinen Game Boy. Ein cooles Teil, damit kann ich in der Schule angeben – dachte ich zumindest.
Wie auch bei den beiden Kapiteln zuvor war auch in der Schule mein Weg mit Unglück und Pech gepflastert. Zwar war ich nicht der einzige, der einen Game Boy besaß, jedoch war nur ich dumm genug, ihn in die Schultasche zu packen. Natürlich versammelten sich ein paar Schüler um mich damit sie mir beim Spielen zusehen konnten (schließlich hatte ich doch ein paar wenige Freunde). Kinder können aber auch abgrundtief böse sein, besonders wenn sie vom Neid zerfressen wurden.
Ein Schüler war immer dabei. Ein Schüler, der es unglaublich witzig fand den Game Boy während ich spielte abzuschalten. Der Klassenstreber der 3c, welcher verhängnisvollerweise auch ich zugewiesen war, hänselte mich sogar deswegen. Er rief laut, dass ich den Schäm-Boy zu Hause lassen solle. Denn wenn man das Ding hat, muss man sich dafür schämen.
Ja, ich kann mich noch ganz gut dran erinnern, aber ich bin nicht nachtragend und erzähle diesen Teil der kummervollen Geschichte, ohne Namen zu nennen. Thomas.
Kapitel Vier – Die unheimliche Mutter
Was tut nun ein Schüler, der von den Meisten aufgrund seines Hobbys belächelt wird? Er sucht sich Gleichgesinnte. Mein Kumpel Fabian war einer davon. Viele Stunden spielten wir gemeinsam Double Dragon oder Tetris gegen Einander oder jeder von uns spielte für sich. Bis auf den Tag, der meine Videospiel-Weltanschauung bleibend verändern sollte.
Ausschlaggebend hierfür war eine Diskussion über die „angebliche“ Rakete, die es bei Tetris geben solle. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass irgendjemand in der Lage ist, 25 Lines in Level 9 und High 5 zu legen. Er behauptete steif und fest, dass seine Mutter problemlos die Rakete steigen lassen könne. Dies passte natürlich überhaupt nicht meiner damalig kindisch-sexistischen Meinung über Videospieler überein. Ein Mädchen? Und noch dazu erwachsen? Nun, was soll ich sagen. Die besagte Mutter hörte mit und konnte dies verständlicherweise nicht auf sich sitzen lassen. Um mir zu zeigen was sie konnte, nahm sie prompt den Game Boy in die Hand und begann zu spielen. Dies war jedoch eine Information, welche mir zu diesem Zeitpunkt vorbehalten war. Schnell beruhigten sich unsere Gemüter wieder, Doch der Frieden währte nicht lange, denn schon ein paar Minuten nach unserer Debatte stürmte seine Mutter ins Kinderzimmer. Trotzig hielt sie mir ihren Game Boy unter die Nase, um mir ihre Leistung zu präsentieren. Zu sehen war der Abspann mit der aufsteigenden Rakete.
Respekt zollendes Schweigen erfüllte den Raum, nur das Gedudel des Game Boys war zu hören. Seit diesem charakterformenden, einschneidenden Erlebnis habe ich es nicht mehr gewagt, Videospielkönnen an biologischen Eigenschaften zu messen.
Kapitel Fünf – Das schaurige Spiel
Mangels Erwerbstätigkeit war ich darauf angewiesen, dass mir Spiele geschenkt wurden. Ganz stolz war ich, als ich genug Taschengeld mühevoll zusammengespart habe um mein allererstes, eigenes Spiel zu kaufen. Internet gab es in dieser Form noch nicht und auch Videospielzeitschriften waren zumindest bei uns im Haushalt eher Mangelware. Also ging ich zum Elektrohändler meines Vertrauens und stellte mich vor das Regal mit den Game Boy Spielen.
Nach langem Überlegen entschied ich mich, ein Simpsons Spiel zu erstehen. Es müsse doch cool sein, als Bart durch die Welt zu hüpfen. Auch wenn es aus heutiger Sicht besonders für junge Leute schwer nachzuvollziehen ist: Damals war es nicht unüblich einfach in den Laden zu gehen um ein Spiel aufgrund des Covers und der Bildchen auf der Rückseite zu kaufen.
Mit dem trügerischen Gedanken Nichts falsch machen zu können schnappte ich die Schachtel und ging mit einem Lächeln zur Kassa. Wie du dir vielleicht schon denken kannst, hielt die Freude nur sehr kurz an, denn das Spiel, welches ich mit nach Hause nahm war „Bart Simpsons Escape from Camp Deadly“.
Um den Namen alle Ehre zu machen schaffte es dieser Titel in kürzester Zeit, jeden Spielspaß sterben zu lassen. Grauenvoll, was hier zusammengeschustert wurde. Sogar David Crane schien gegen mich zu sein und sorgte mit diesem Modul dafür, dass ich mein komplettes Erspartes verlor. Und mit dieser herben Enttäuschung beende ich die traurige Geschichte.
Epilog
Nun liest sich dieser Artikel wie die Buchserie von Lemony Snicket. Klar, war ja auch Absicht. Die Richterin wäre meine Mutter, Graf Olaf ist Thomas (Ja, du!), Esmé Elend müsste dann meine Großmutter sein und ich bin eines der Baudelaire Kinder. Rein theoretisch würde David Crane in die Rolle von Mr. Poe passen, aber soweit möchte ich dann doch nicht gehen – schließlich hatte er bei vielen guten Spielen seine Finger im Spiel. Erfreulicherweise gab es auch viele, viele schöne Erinnerungen.
Mit der Zeit fand ich Mitschüler, mit welchen ich Spiele tauschte. Ich lernte, den Game Boy nicht mit in die Schule zu nehmen und Bücher nicht nur nach ihrem Einband zu beurteilen. Und es entstanden auch neue Freundschaften mit anderen Videospielern. Obwohl ich meist alleine spielte, verbrachte ich viel Zeit mit dem guten Stück. Noch heute weiß ich, wo die Extraleben bei Super Mario Land versteckt sind. Dass ich bei Fortress of Fear zu Beginn das Leben links nicht übersehen darf und vor Allem, dass Escape from Camp Deadly das schlechteste Game Boy Spiel aller Zeiten ist!
Mein damaliges Ich ging, wie ich es heute auch noch Pflege, seinen eigenen Weg. Es gab Hürden, die zu bewältigen waren, manche davon auch unüberwindbar.
Aber es war mein Weg und ich blieb mir treu. Ob dies nun eine gute Idee war sei dahingestellt, schließlich ist Thomas nun Arzt und ich arbeite bei einer Versicherung. Vom monetären jedoch einmal abgesehen bin ich zufrieden wie sich mein Leben entwickelt hat und froh, dass ich nicht mit der Masse geschwommen bin.
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