Wie die frühen Star Wars-Spiele erklären, warum Retrospiele auch heute noch greifen. Eine Reflexion über Lizenzpolitik und die Freiheit erzählerischer Leerräume.
Während die Charaktere in den Star Wars-Filmen gerne bedrohen, angreifen, sich rächen, hoffen, zurückschlagen, zurückkehren und erwachen, wollten geneigte Kinogeher in unserer Galaxie nur das eine, Star Wars persönlich erleben.
Auch wenn das alles sehr simpel gestrickt war zu Beginn im Vergleich zu späteren, mächtigen Titeln wie „Jedi Knight“ oder „TIE Fighter“ aus dem Hause Lucasfilm Games / LucasArts, so gibt es einen selten beachteten Grund, warum gerade frühe Star Wars-Lizenzspiele für Retrografie im Allgemeinen und der Sternenkriege-Reihe im Besonderen von großer Bedeutung sein würden…
Als Unterhaltung ortsgebunden und organisatorisch forderend war, bedenkt man die Riten des Film- und Videoverleihs oder der spärlich programmierten TV-Sender, konnte Star Wars im Speziellen ab 1982 durch die Magie der Videospielkassette jederzeit auf den Fernsehschirm gezaubert werden. Man war als „analogue native“ gefühlt uninformierter aber auch selbstbestimmter.
Und wer von Star Wars nicht genug bekommen konnte, der fühlte sich geradezu gesegnet von dem Spieleangebot, denn es versprach nicht nur Konsum von Inhalten sondern natürlich gebührende Teilnahme. Ein Spieler und eine Star Wars-Videospielkassette bilden eine Einheit. Es ging um das Ausleben von Fantasien, die von den Machern der frühen Star Wars-Spiele mit großem Geschick durch Werbung und Packungsdesign auf dem Punkt gebracht wurden, zu einer Zeit als „MMORPG“ nur für einen Tippfehler gehalten wurde.
Elektronisches Spielzeug
Trotz George Lucas‘ Credo, die Technologie wäre Anfang der 1980er noch nicht weit genug, um Star Wars als Videospiel umzusetzen, hatten die Sternenkriege heimische TV-Geräte längst erobert: die Firma Parker Brothers, Monopoly-Erzeuger und Hasbro-Firmentochter, kaufte kurzerhand den Spielzeughersteller Kenner, der über eine Star Wars-Lizenz zur Herstellung von Spielzeug verfügte, und ließ fortan Programmierer an „elektronischem“ Spielzeug arbeiten, darunter – rein zufällig – Star Wars-Videospiele. Dem Juristen, der sich das ausgedacht hatte, gebührt ein Platz in den Annalen der Jedi.
Parker Wars
Parker Bros. veröffentlichte 1982 das allererste Star Wars-Spiel überhaupt, „The Empire Strikes Back“. 1983 folgten „Jedi Arena“, „Star Wars – The Arcade Game“ und „Return of the Jedi – Death Star Battle“. Allen diesen Titeln ist gemein, dass je eine Szene aus den Star Wars-Filmen umgesetzt wurde, vielleicht mit Ausnahme der überaus wackeren Vektorgrafik- „Annäherung“ auf dem Atari VCS in Star Wars, das alle drei Spielstufen verhältnismäßig authentisch in die eigenen vier Wände übertrug.
Packende Packungen
Die imperialen Geher oder „AT-AT“ stapfen forsch aus der Parker Bros.-Packung heraus, einem winzigen „Snowspeeder“ wird keine Beachtung geschenkt, seine Laser-Salvos kratzen das AT-AT prinzipiell nicht, man will dieser sperrigen Spielebox entsteigen, koste es, was es wolle. Diese brilliante Illustration lässt den erfolgsverwöhnten Videospieler aufbegehren, um dem mächtigen Läufer die Leviten zu lesen. Das passende Printinserat zu Parkers Videospiel spornt den aufgeregten Leser mit Nachdruck an: „Bring the battle home!“ Man musste seine Helden nicht mehr im Kino zurücklassen, sondern konnte sie im Modulschacht bequem zu Hause unterbringen.
1983 nutzt Parker Bros. den Kinostart von „Return of the Jedi“, um ein regelrechtes Feuerwerk an Videospielen auf den Markt zu bringen. In „Jedi Arena“ schlüpften Spieler in Luke Skywalkers Robe und messten sich mit dem Computer oder einem willigen Gegenspieler in der Kunst der Lichtschwertbeherrschung – ein direkter Kampf war unmöglich, stattdessen musste man die von der Übungsdrohne abgegebenen Laserstrahlen zielgenau auf sein Gegenüber lenken, um zu gewinnen.
Abermals überzeugt die Packung, aus der Luke mit seinem Lichtschwert herausragt, im Vordergrund die aus dem ersten Film bekannte Übungsdrohne. Es wirkt ganz so, als würde der Betrachter bereits sein Lichtschwert gezückt haben – auch wenn man „nur“ zu den Paddles griff. Hier besticht abermals das Inserat zum Spiel mit der unterschwelligen Belohnung, Star Wars zu Hause erleben zu können, inklusive Jedi-Diplom: „Become a Jedi Master without ever leaving the home“.
Kinohelden wurden bequem zuhause im Modulschacht untergebracht.
Andreas Wanda
Kaum hatte man das Jedi-Zertifikat neben dem Jodel-Diplom an der Wand fixiert, musste man höchstpersönlich in „Star Wars: The Arcade Game“ den ersten Todesstern zerstören. Hier bezog Parker Bros. den Spieler schon präsumptiv in das versprochene Erlebnis ein, der überwältigt auf die „getreue“ Umsetzung des Atari Automaten reagierte. Mit Lukes Heldentum im Kopf und dem (recht abstrakten) X-Wing Cockpit vor Augen war es kognitiv ein Leichtes, die eigenen Arkadeerfahrungen mit dem Filmerlebnis zu einem imaginären Photorealismus zu vereinen. Selektive Wahrnehmung ließ den Spieler die Arakadeversion emotional erleben, obwohl kognitiv vom Glanz des Automaten wenig übrig sein konnte in der Spielkassette – dem Spielspaß schadet dies nicht.
Als nächstes gewährte Parker Bros. den Spielern zum Ausgleich einen lang ersehnten Flug mit dem Millenium Falcon, der auf der Packung vor dem unheilvollen zweiten Todesstern zu flüchten scheint, als würde erst der Spieler selbst den Mut haben, sich der imperialen Übermacht zu stellen. Das Spiel kaschiert seine gepflegte Einseitigkeit durch hübsche Farbverläufe und den ansehnlichen optischen Effekt („dazzling screen effects“ verspricht das Werbematerial), wenn sich endlich das Schutzschild des Todessterns senkt.
Im Prinzip muss sich der Spieler in einer Asteroids-Variante mit arg eingeschränktem Spielfeld gegenüber TIE Fighter und imperialen Shutteln beweisen, während der Todesstern und das Schutzschild nahezu zwei Drittel des Bildschirms beanspruchen – im Kopf jedoch große Szene über Endor, Explosionen und Raumschiffe soweit das Breitwandformat reicht. Und man war nicht narrativ überfrachtet. Gut so.
Der Videospielecrash der 1980er riss zwei weitere Star Wars-Spiele mit sich, zum einen das empfehlenswerte „The Ewok Adventure“, das mittlerweile online als Dump vergügbar ist. Zum anderen fand sich in Katalogen seinerzeit das mysteriöse „Game II“, das wohl nie über das Stadium eines Packungsentwurfs hinausgegangen ist.
Reine Spielerfahrung ohne Nacherzählung
Trotz mächtiger Lizenz und noch mächtigeren Helden zur Identifikation durfte der Computer- und Videospieler er oder sie selbst sein. Auch wenn Luke auf der Packung souverän mit dem Lichtschwert herumfuchtelt, so ein Parker-Modul bedeutete gepflegte Unterhaltung in einer weit, weit entfernten Galaxie ohne Übergepäck. Kein verwirrter Jedi-Meister oder abtrünninger Lehrling oder schechtgelaunter Schurke, der sich einmal ausschlafen sollte, anstatt monologisierend den Spieler vom Spielen abzuhalten oder die Spielmechanik durch erzählerische Vorzeichen einzuschränken: Der Spieler war selbst das Geschehen.
Die frühen Star Wars-Spiele waren unbefangen, faszinierten ein begieriges Zielpublikum, dem Technologie nicht schnell genug die nächsten Stufen erreichen konnte, das aber trotzdem ungemein zufrieden war, da man in einer Situation des Mangels – Star Wars war ein durchaus exklusiver und nicht leicht reproduzierbarer Spaß (Dislokation des potentiellen Kunden als Grundhürde der Unterhaltungsbranche) – mit seinem Wunschszenario aktiv alleine sein konnte.
Star Wars ist, ob jetzt als Marke oder Bleistiftspitzer, immer dann am erfolgreichsten, wenn der Geist mitspielen darf, wenn das Originalmedium erzählerische Leerräume schafft, die Zuschauer mit ihren eigenen Erfahrungen auffüllen.
Diese Erfahrungen werden durch das Video- und Computerspielen verstärkt, denn das Geschehen auf dem Schirm weist dem digitalen Joystick-Jedi eine klare Rolle zu. Eine Art „Imaginations-Daseinsbewusstsein“ entsteht: wird eine spezielle Spielkassette in die Hand genommen, so rufen taktile wie visuelle Sensationen diesen „Charakter“ ab. Wie selbstverständlich stellt sich der Spieler in Relation zu jenem Star Wars-Universum, frei vom brodelenden Mystikeintopf, aus dem später die Dash Rendars, Kyle Katarns und Maja Jades gestiegen sind und diesen „Spielercharakter“ gewissermaßen zu einem Passagier reduzierten. Heißt das nun, dass Geschichtenerzählen späterer Computer- und Videospiele wäre ein Irrweg gewesen?
Computer- und Videospiele verändern sich unaufhörlich an der Seite technologischer Fortschritte. Analog passt der Mensch sein Verhalten an, stets als Kompromiss auf der Suche nach dem unerreichten Optimum, was die Unterhaltungsindustrie mit jedem Produkt zu versprechen scheint: „Rette die Rebellion!“, „Zerstöre die AT-AT!“, „Sei ein Jedi!“ liest man in fetten Lettern auf den Insertionen seinerzeit und natürlich heute noch.
Was sich ändert ist der Mensch, der dieser Tage gewohnt ist, Teil eines narrativen Erlebnisses zu sein. Damals konnte man das höchstens erhoffen, profitierte aber von den genannten Freiheiten. Im Falle von Star Wars, das selbst 1982 im Vergleich zu 2016 hinsichtlich des vorhandenen „Universums“ wahrlich in den Kinderschuhen stand, war dieses kurzweilige Erlebnis auf den ersten Videospielkonsolen intensiver, denn Luke, Leia, Han, Lando, Chewie, R2-D2 und C3-P0 waren Vorbilder aber nicht vordefinierte Hüllen mit bestimmten Eigenschaften, die akriebisch nachgelebt werden mussten.
Der Spieler konnte sich selbst verwirklichen, wenn auch nur für die Zeit, in der die Kassette im Schacht steckte: der Tag war jedenfalls erfüllt, eine Erkenntnis, die Lucasfilm Games Alumnus Ron Gilbert bereits vor vielen Jahren erlangte.
Das Erlebnis auf den ersten Videospielkonsolen war intensiver.
Andreas Wanda
Die Macht war mit DOMARK
Die findigen Geschäftsmänner Dominic Wheatley und Mark Strachan, die mit ihrem Softwarehaus DOMARK bereits erfolgreich Film- und Brettspiellizenzen verwertet hatten, wollten ihr Sortiment um Arkadekonvertierungen erweitern. In einem Gespräch mit Tengen, einem Subunternehmen Ataris, wurde eine Liste jener Titel präsentiert, die Atari gerne lizensieren wollte, um sich gegenüber der starken asiatischen Konkurrenz bei den Konsumenten besser positionieren zu können.
Ganz am Ende der Liste versteckte sich verlassen und vergessen Star Wars, das man gerne günstig haben könnte; Star Wars war bereits ein Filmklassiker geworden, eine Legende, mit der man in den Augen Ataris nicht mehr Konsumenten aktivieren könnte. Wheatley und Strachan konnten ihr Glück kaum fassen, sahen sie ganz im Gegenteil ein klares Potential in Heimkonvertierungen der Star Wars-Arkadespiele.
Nach Star Wars zu Weihnachten 1987 erschien im Sommer 1988 „The Empire Strikes Back“, im Dezember desselben Jahres schloß DOMARK die Reihe mit „Return of the Jedi“. Fortan behauptete sich DOMARK gegen den Lizenztitanen Ocean Software mit zahlreichen Atari-Konvertierungen von „A.P.B.“ bis „Xybots“.
X-Wing: Schon immer ein Retrospiel
Lucasfilm Games konnte bis Ende der 1980er Jahre keine Star Wars-Spiele entwickeln, ehe die exklusive Vereinbarung mit Atari Games erloschen war, die George Lucas anlässlich des ersten Star Wars-Automaten abgeschlossen hatte. Ron Gilbert ortete diesen Umstand als jenen geschichtsträchtigen Grund, warum die Lucasfilm Games, wir zum Beispiel Koronis Rift, derart innovativ sein konnten – kein Lichtschwert weit und breit.
Als 1992/3 das dann als LucasArts bekannte Entwicklungsstudio „X-Wing – A Space Combat Simulator“ für MS-DOS Rechner veröffentlichte, bedachten die Progammierer und Designer Lawrence Holland und Ed Kilham in der Tat die Faszination der frühen Star Wars-Spiele: „X-Wing“ war gespickt mit spannenden Details aus dem dann schon reiferen Saga-Universum und ebenso gnadenlosen wie epischen Weltraumschlachten.
Der Spieler verkörperte aber nicht Luke, Wedge oder gar den mutigen A-Wing Piloten Arvel Crynyd, der mit den unvergesslichen Worten „Aaaaaaaargh!“ Darth Vaders Super Star Destroyer vom Himmel holte; ganz im Gegenteil, der Spieler durfte er selbst sein: hier bist Du bei den Rebellen, gib uns 79DM, dann nimm Du Deinen Helm und fliege gegen das Imperium.
Von Luke war bis zur zweiten „X-Wing“ Mission Disk (dem Urgroßvater der DLC) keine Spur und auch dann war Luke kurz angebunden: „Gut gemacht!“ strahlte der Auserwählte im Rebellenhangar, als nach erfolgreichem Abschluss einer Mission die Früchte des Projekts „Shantipole“ geliefert wurden, der allmächtige B-Wing. Der Spieler erlebte durch diesen gekonnten Kunstgriff sein ganz persönliches Star Wars-Abenteuer, war es eine große Ehre, in Lukes blaue Augen blicken zu dürfen, muss man doch heute schon 14,35 Euro allein für seine Gesellschaft inklusive 3D-Brille hinblättern – da war man einst mit der Mission Disk „B-Wing“ gemessen am Preis/Leistungsverhältis vielleicht besser dran.
Persönliche Erfahrung und Projektion
Das moderne Computer- und Videospiel mutet dagegen großzügig cineastisch an. Wäre Nathan Drake früher als Multicolor-Pixelblob von Liane zu Liane geschwungen in einem kompakten Sidescroller als Single Load auf Datasette, so gibt sich ein „Uncharted 4“ heute dramatisch wertvoll in schicksalsgetränkten Game-Trailern, als wäre die Handlung wichtiger als der Spielgehalt. Das hat natürlich seine Richtigkeit, aber nicht zu vergessen die vielen, schönen Jahre, da der Kopf sich narrative Zusammenhänge erdachte, angespornt durch wenige Zeilen im Kassetten-Inlay oder Erinnerung an den spannenden Kinobesuch mit Luke, Han und Leia.
Star Wars „Barbarian“
Wer wissen wollte, wie man sich als C3-P0 oder R2-D2 so fühlte, griff 1988 zu einem Action-Adventure basierend auf der in der D-A-CH Region wenig bekannten „Droids“-Zeichentrickserie. Binary Design hatte für Mastertronic ein Icon-gesteuertes Programm entwickelt, in dem die beliebten Droiden aus einem Gefängnis gebracht werden sollen. Spieltechnisch erinnert es frappant an „Barbarian“ von Psygnosis, was sich in Anbetracht der ansteigenden Spielgeschwindigkeit als Nachteil erweisen sollte.
Allgemein erklärte sich der plötzliche Star Wars-Schwerpunkt in der Computerspiel-Industrie einerseits mit der Veröffentlichung der ersten Star Wars-Trilogie Videosammelbox zum 10. Jubiläum des Originals, sowie andererseits mit der Wiederholung der „Droids“-Zeichentrickserie auf BBC1.
Auch wenn ein „The Empire Strikes Back“ auf den Atari VCS oder in der Arkadenversion kaum als Open World durchgehen wird, so war die (technisch bedingte) spielerische Klarheit unwiderstehlich befreiend. Man spielte später auch nicht Han Solos Mission, Luke Skywalker Rückendeckung beim ersten Todesstern zu geben, oder flog Lukes Snowspeeder auf Hoth: die frühen Star Wars-Spiele gaben Spielern die Verantwortung, ihre Mission in ihrem Fahrzeug zu erfüllen, um vielleicht ihre persönliche Medaille von Mon Mothma verliehen zu bekommen.
Die frühen Star Wars-Spiele belegen auf diese Weise, warum Retrospiele eine uneingeschränkte Popularität ziert. Trotz mächtigem Lizenzcharakter ist der Spieler sich selbst überlassen, auf die heimische Bildröhre intergalaktische Spannung zu zaubern. Es ist immer sein oder ihr Spiel, etwas „eigenes“ und auch „rohes“, aufpoliert durch die menschliche Vorstellungskraft.
Man war als „analogue native“ gefühlt uninformierter aber auch selbstbestimmter.
Andreas Wanda
So reizvoll es selbstverständlich sein muss, sich in der Rolle eines Nathan oder einer Lara halsbrecherischen Herausforderungen zu stellen, es ist einfach lohnend, auch befreit von tragenden, gepeinigten, selbstzweifelnden Personen zu spielen, eingebettet in eine von purer Spielmechanik dominierten Erfahrung, die gerade soviele Möglichkeiten anbietet, dass man das Gefühl spielerischer Freiheiten verspürt und dieses auch aus- und nicht bereits in fremde Formen gegossen nachlebt.
Du, ein Computer- oder Videospiel und ein Fernseher – Unterhaltung in Reinkultur, inszeniert zum Takt klickender Mikroschalter, das ist unbefangenes Retrospielen, gerne auch mit Lichtschwert oder X-Wing.
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