Das Videospiel The Stillness of the Wind erzählt die Geschichte von Talma, einer alten Frau, die als Einzige den alten Hof bewirtschaftet. Obwohl alle anderen schon weggezogen sind. An mir als Spieler*in liegt es, wie der Lebensabend von Talma gestaltet wird. Nur der Anfang und das Ende sind immer gleich. Dieses Prinzip soll auch dieser Text widerspiegeln. Es geht nicht darum den Text von oben nach unten durchzulesen, sondern Talmas Leben zu einem individuellen Leben zu kombinieren.
Am Anfang…
Talma war die Letzte, die ich auf dem Hof lebte. Ihr Bruder und ihre Schwester, Freunde und Familien waren weggezogen um in der Stadt und der Welt das Glück zu suchen. Talma aber blieb, denn der Hof war ihr Leben.
Hofleben
Die Welt veränderte sich. Talma wurde älter, doch sie arbeitete, unermüdlich weiter. Jeden Tag galt es die Ziegen zu melken und den Käse herzustellen. Das Feld wollte bestellt werden und die Tiere versorgt werden. Der Hof musste weiterlaufen. Schließich war sie die Einzige, die noch übrig war. Zwar schickten ihre Geschwister ihr Briefe, aber außer Lazlo kam niemand. Er brachte Nachrichten aus der Stadt, doch Talma interessierten sie eigentlich nicht. Ihr war wichtig, was auf ihrem Hof geschah. Um die Welt sollten sich andere kümmern.
Veränderung
Talma machten die Veränderungen Angst von denen ihr Lazlo berichtete. Sie war froh, dass sie auf dem Hof geblieben war. Ihre Geschwister dachten, in der Stadt sei alles besser. Doch warum beklagten sie sich dann dauernd? Wollten sie auf ihrem Hof besuchen? Der Welt ging es immer schlechter. Selbst hier merkte sie die Veränderungen und je mehr sich die Welt um sie herum veränderte, desto sicherer fühlte sie sich auf ihrem Hof. Talma hatte ihre Ziegen und Hühner. Mehr brauchte sie nicht. Sie wollte ihren Lebensabend dort verbringen wo sie sich sicher fühlte.
Lebensabend
Talma war alt geworden. Das Leben auf dem Hof und das bewirtschaften wurden immer mühsamer. War es das noch wert? Eigentlich wollte sie ihren Lebensabend genießen. Sie liebte ihre Ziegen. Wenn sie sie molk, war sie glücklich. Den Käse den sie machte, machte sie mehr zum eigenen Vergnügen. Lazlo brachte ihr immer etwas schönes mit und zum Dank gab sie ihm Käse und andere Waren, die sie noch produzierte.
Sie hatte sich immer schon an Blumen erfreut also war es doch nur recht, dass ihr Acker nun zum Blumenbeet wurde. Talma wollte es schön haben auf ihrem Hof. Am Abend vor ihrer Hütte sitzen und sich darüber freuen, wie schön sie doch lebte.
Entscheidungen
Talma fragte sich immer wieder, ob die richtige Entscheidung war, hier auf dem Hof zu bleiben. Wenn man den Briefen glauben konnte, dann ging es ihren Geschwistern in der Stadt richtig gut. Ihr Bruder arbeitete bei der Zeitung und ihre Schwester hatte eine gute Partie gemacht. Auch ihre Enkelin schien ihr Glück im Ausland gefunden zu haben.
Und trotzdem vergaßen sie die alte Talma nicht. Leider war die Brücke, die die letzte Verbindung war, kaputt. Zum Glück gab es Lazlo, der immer die Post und die neuesten Nachrichten aus der Stadt brachte. In letzter Zeit hielten die Briefe aber keine guten Neuigkeiten bereit. Talma machte sich Sorgen. War mit ihren Geschwistern alles in Ordnung? Warum wollte ihre Enkelin unbedingt zurück? Was konnte Talma denn schon tun? Hier auf dem Hof schien alles so weit entfernt.
Wölfe
Alles fing mit den Wölfen an. Als die Wölfe das erste Mal an ihrem Hof auftauchten, wusste Talma, dass die unbeschwerte Zeit endgültig vorbei war. Doch Talma würde diesen Hof nicht kampflos aufgeben. Ihre Schrotflinte war geladen und Lazlo hatte die nötige Munition. Auch wenn sie keine gute Schützin war, viel half viel.
Beim ersten Mal reichte ihre reine Anwesenheit um die Wölfe zu verscheuchen. Talma gab sich aber keiner Illusion hin. Die Wölfe würden wiederkommen. Und auch Lazlo dachte das Gleiche. Die Wölfe kamen wieder. Wieder und wieder. Talma tat ihr Bestes. Insgeheim wusste sie aber, dass ihr Kampf erfolglos war.
Menschlichkeit
Auch wenn Talma auf dem Hof geblieben war, hatte sie viele Leben beeinflusst. So klein ihr Lebensradius geblieben war, umso größer war ihr menschliches Wirken. Sie war für Vötta dagewesen, als sich sein Vater 7nd seine Schiwegermutter wieder stritten und sie war da, als er ihr gestand, dass er verliebt war.
Talma war immer da. So wie der Hof immer da war. Wie ein Fels in der Brandung. Und so wie andere Menschen Talma brauchten, brauchte sie ihren Hof.
Träume
Talma wusste nicht wann die Träume anfingen. Natürlich träumte jeder, doch dieser erste Traum war etwas anderes. Sie war auf ihrem Hof, doch der Hof war nicht einladend. Er war düster und beklemmend. Vor ihrer Hütte stand ein schwarzer Ziegenbock. Vorsichtig ging sie auf ihn zu. Als sie die Hand ausstreckte um den Ziegenbock zu berühren erwachte sie.
Talma konnte den Traum nicht deuten. Warum war ihr ihr Zuhause so bedrohlich vorgekommen? War es nur Zufall, dass ihr Bruder auch von Ziegen träumte? Es vergingen Tage und Wochen bis der nächste Traum kam. Dort wo sie war, waren viele Menschen. Sie wirkten bedrohlich, waren mur Schemen in der Menge. Alle gingen auf etwas zu und im Hintergrund hörte Talma einen Gesang wie von einem alten Gramophon. Zwischen den Leuten sah sie eine leuchtende Gestalt. Ein Licht in der Dunkelheit. Talma zog es zu der Gestalt. Dann sah sie sich selbst, wie sie aus ihrer Hütte herauskam. Sie ging auf die Gestalt zu. Talma erwachte, als sie sie berühren wollte.
Was waren das nur für Träume? Woher kamen sie und was hatten sie zu bedeuten? Hatte es etwas mit den Nachrichten zu tun, die Talma aus der Stadt bekam? Talma musste sich doch um den Hof kümmern. Damit hatte sie genug Arbeit. Die Träume blieben.
Lebenslinien
Talma war es noch nie so bewusst gewesen wie jetzt. Ihr Leben verlief in den immer gleichen Bahnen. Auf ihrem Hof konnte Talma ihre Spuren deutlich sehen. Von der Hütte zum Ziegengatter, zur Käserei, dann zum Gemüsebeet. Die einzigen Wege außerhalb des Hofes führten zum Grab ihres Mannes und zum Ziehbrunnen. Es gab noch andere Spuren, doch sie waren mit der Zeit verblasst.
Wie konnte es dazu kommen? Talma musste raus aus diesen Grenzen. Neue Pfade beschreiten und alte Pfade neu beschreiten. Mit dem Korb in der Hand, Talma konnte nicht grundlos losgehen, machte sie sich auf den Weg. Es war eine Reise durch ihr Leben und das Leben anderer. So kam sie an der alten Silbermine vorbei, in der ihre Schwester damals für zwei Tage verschwunden war. Oder der Ort an dem sie die letzte Chance hatte ziehen lassen diesen Ort hinter sich zu lassen. Je weiter Talma ging, desto klarer wurde ihr, wie klein ihr Leben geworden war.
Am Ende bleibt…
Doch die Welt machte keinen Halt. Sie drehte sich weiter, egal was Talma auch tat. Sie wurde älter. Die Arbeit beschwerlicher. Das Ende rückte immer näher. Der Winter kam. Es war Talmas letzter Winter.
Epilog
Talma hatte viele Leben gelebt und hätte noch mehr Leben leben können. Am Ende hat sie ein Leben gelebt. Ihr Leben. Im Guten wie im Schlechten. Talma würde sich nie beklagen. Der Hof war ihr Zuhause. Hier konnte sie sein wie wollte. Vielleicht wäre sie auch woanders glücklich geworden. Vielleicht wäre sie eingegangen. Talmas Ende war die Konsequenz aus ihrem vorangegangenen Leben. Den Entscheidungen, die sie getroffen hatte.
Das Originalskript des Beitrags
Anmerkung von Videospielgeschichten: Lenny schreibt seine Texte handschriftlich, bevor sie in den Blog übertragen werden. Das finden wir so schön, dass wir hier das ursprüngliche Manuskript mit euch teilen möchten. Aus den Gedanken, durch die Hand in die digitale Welt – sozusagen „from Pen to Blog“. Für euch.
Bevor ich diesen Beitrag zu "The Stillness of the Wind" geschrieben hatte, hatte ich schon einmal einen Text verfasst. Einen Tagebucheintrag / eine Trauerrede aus der Sicht von Talmas Tochter. Über Twitter wurde Jessica Kathmann darauf aufmerksam und sie wollte mich für einen Artikel des GAIN Magazin dazu interviewen. Das Thema war: "Wenn Games in uns Kunst entstehen lassen." Neben Stefan Heinrich Simond und Arno Görgen durfte ich Jessica zu diesem Thema Rede und Antwort stehen. Zu lesen ist das Ganze in der GAIN Ausgabe #19, die ihr hier erwerben könnt.
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