Nachdem mich The Stillness of the Wind ein ganzes Spektrum an Gefühlen hat durchleben lassen, wollte ich meiner Reaktion auf dieses Spiel nachspüren. Warum war ich so aufgewühlt? Was habe ich da erlebt und welchen Schluss kann ich daraus für das Leben, für mein Leben, ziehen? Hat das Spiel eine feste Botschaft? Das glaube ich nicht. Aber es regt zum Nachdenken über die großen Fragen des Lebens an.
Dieser Artikel ist Teil eines kleinen Kooperationsprojekts mit spielkritik.com, wo ihr eine spoilerfreie Kurzkritik zu diesem Spiel aus dem Bundle for Racial Justice and Equality finden könnt.
Ein angenehmer Start
In Fellow Travelers The Stillness of the Wind aus dem Jahr 2019 steuere ich die alte Bauersfrau Talma und bewirtschafte eine kleine Farm inmitten einer Einöde. Zu Beginn leisten mir zwei Ziegen und sechs Hühner Gesellschaft. Lachend melkt Talma die Ziegen (ja, man kann sie auch streicheln!), stellt Käse her, sammelt Eier ein und legt Felder an. Alles an einem Tag schafft sie aufgrund ihrer langsamen Gehgeschwindigkeit nicht. Ich lerne also schnell die engen Grenzen kennen, die Talma – und damit mir – gesteckt sind. Ich kann nicht alles haben. Meine Aktionen müssen gut geplant sein, will ich über die Runden kommen.
Täglich kommt ein fahrender Händler vorbei und ich habe Gelegenheit, auf der Farm Erwirtschaftetes unter anderem gegen Nutztiere, Futtermittel und Samen zu tauschen. Auch bringt er jeden Tag einen Brief von verschiedenen Verwandten aus der Stadt mit, die ich allerdings oft nur halbherzig lese. Nach einigen Spieltagen hat sich eine gewisse Routine eingestellt. Ich bin zufrieden und freue mich, mir einen Ziegenbock leihen zu können und damit bald zwei Zicklein zusätzlich im Stall zu haben. Auch weitere Hühner schaffe ich mir an. Ja, es läuft ganz gut!
Es ist nicht alles fair, was glänzt
Nach weiteren Spieltagen wird die Routine langsam zur Ödnis, die sich in der Umgebung von Talmas Farm widerspiegelt. Wozu eigentlich das Ganze? Eines Tages verpasse ich beim Melken den Händler, von dem ich dringend Heu brauche – hungrige Ziegen geben nämlich keine Milch. Den ganzen nächsten Tag warte ich am Zaun, hole kein Wasser und bewirtschafte meine Felder nicht. Ich darf den Händler nicht verpassen! Aber er bleibt fort. Ich habe Angst: Die Ziegen haben kein Futter mehr. Am darauffolgenden Tag taucht er glücklicherweise wieder auf. Ich kaufe Heu von den letzten Vorräten, die ich besitze. Allerdings zu spät für zwei meiner vier Ziegen, die wenige Meter vor den Heuballen zusammenbrechen und sterben.
Na gut, zu Beginn hatte ich auch nur zwei Ziegen. Also alles wieder auf Anfang. Diesmal setze ich auf Hühner. In der Nacht höre ich Wölfe und sehe vor dem Haus zwei der schwarz-grauen Tiere. Mein bereitgelegtes Gewehr finde ich nicht und muss daher mit ansehen, wie die Wölfe eine weitere Ziege reißen. Nun ist nur noch eine übrig. Wenige Tage später sind plötzlich alle Hühner verschwunden. DAS IST DOCH GEMEIN! Der Händler kommt, aber er hat keine Tiere im Angebot. Eier zum Eintauschen werde ich künftig also auch nicht mehr haben. Okay, dann setze ich alles auf Gemüse! Kurz darauf ist aber der Brunnen ausgetrocknet und ich kann die Felder nicht mehr gießen. Die letzte Ziege wird von den Wölfen gerissen und ein Sturm fegt über das Land. Talma hat nichts mehr zu essen. Der Händler kommt, allerdings besitze ich nichts mehr zum Tauschen. Er verabschiedet sich. Er sagt, er wird nicht mehr kommen. Was wird aus Talma und mir?
Einsamkeit
Plötzlich befällt mich eine enorme Einsamkeit. Am nächsten Tag wacht Talma hustend auf. Sie wird doch nicht…? Nein. Ohne Tiere und Wasser für die Felder kann sie allerdings nicht viel tun. Noch einen Tag später ist der Winter hereingebrochen. Nun gibt es definitiv nichts mehr zu erledigen. Talma besitzt keine Tiere mehr, kein Feuerholz, nichts zu essen und der Händler kommt auch nicht mehr. Resigniert steuere ich sie zurück ins Haus. Wird es einen Frühling für sie geben?
Nein. An dieser Stelle endet das Spiel. Wir sehen Talma in einer Art Traumbild vermutlich zusammen mit ihrem Partner vor der Farm stehen, hinter der ein mächtiger Baum in den Himmel ragt.
What’s the Point of it all? Gedanken über Abschied, Tod und den Sinn des Lebens
Hier war ich erstmal richtig wütend. Was sollte das denn?! Ich habe mir so viel Mühe gegeben, habe alle Rückschläge hingenommen und versucht, das Beste aus der jeweiligen Situation zu machen. Ich habe Einschränkungen akzeptiert und an anderen Stellen weitergemacht. Und was geschieht? Es hört einfach auf. Zack, vorbei. Und wofür das Ganze? Da fiel mir auf, dass ich während des Spielens überhaupt nicht daran dachte, dass das Spiel und Talmas Leben endlich sein könnten. Ich konnte damit leben, dass es Rückschläge gab, die ich zum Teil auch einfach als unfair empfand. Ich erlebte sie beim Spielen auch eher als schlechte Programmierung, weil ich in der Grandiosität eines nicht endenden Spiels und Lebens von Talma dachte. Und genau wegen dieser Grandiosität traf mich das Ende des Spiels so gewaltig. Wegen dieser vermeintlichen Selbstverständlichkeit, es müsse doch weitergehen. Ich war gekränkt.
Warum eigentlich? Ich weiß, dass Leben endlich ist. Auch, dass es manchmal ungerecht ist. Und doch frustrierte mich dieses Ende. Vielleicht, weil ich Talmas Leben als so wenig sinnstiftend empfand. Mir wurde plötzlich bewusst, dass es völlig egal war, was ich im Spiel getan habe. Ob ich Abläufe optimiert, mehr Käse produziert, mehr Hühner gehabt hätte: Es wäre egal gewesen. Das Ende wäre genauso gekommen.
Was bleibt?
Die Frage, die mich dann umtrieb, war, was eigentlich von Talmas Leben bleibt. Aus den Briefen ist zwar zu entnehmen, dass sie viel Verwandtschaft hatte. Aber so innig, dass jemand mal auf Besuch gekommen wäre, waren die Beziehungen offenbar doch nicht. Hat Talma ihre Kinder und Enkel geprägt? Hat sie ihnen ein „Vermächtnis“ hinterlassen? Oder verblasst sie genauso wie die Farm in der Einöde? Was war schlussendlich der Sinn hinter ihrer Arbeit? Ist sie als zufriedene alte Frau gestorben, die gerne zurückgezogen und einsam lebte? Konnte sie hinnehmen, dass das Leben so oft so ungerecht war? Dass ihre Mühen an so vielen Stellen vergeblich waren? Wir erfahren es nicht und so bietet Talma eine ideale Projektionsfläche. Wie würde es mir mit so einem Leben gehen?
Vielleicht ist die Farm ja eine Metapher für unser aller Leben. Was sind unsere Gemüsegärten, unsere Ziegen und Hühner? In was investieren wir unsere Lebenszeit? Wo erleben wir Rückschläge und wie gehen wir damit um? The Stillness of the Wind konfrontierte mich damit, welche Prioritäten ich in meinem Leben setzen will. Auch mein Leben ist begrenzt. Auch ich kann nicht alles tun. Weder an einem Tag, noch in meinem Leben als Ganzem. Ich muss mich entscheiden. Und ich muss mich fragen, was bleiben wird von dem, mit dem ich meine Tage fülle. Heute und in Zukunft. Was möchte ich hinterlassen, wenn mein „Winter“ kommt?
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