Keine Open World ohne Wald, kein Crafting ohne Äste. Holz ist überall. Ein Schreiner reagiert auf die wildesten Klischees aus Spielen.
Drei Klischees über Holz in Spielen – und was ein Experte dazu sagt. Dieser Text erschien ursprünglich in der WASD #17 zum Thema „Natürlich“.
Wir sitzen in der Stube. Albert trägt ein kariertes Flanellhemd – zufällig, aber passend. Aus der Küche drückt die schwüle Hitze des Holzofens ins Zimmer hinein. Das Holz dafür schlägt er schon längst nicht mehr selbst, einen Kubikmeter „Bürgerholz“ stiftet das Dorf.
Albert ist Mitte 80, kommt aus dem Kinzigtal in Baden, am Fuße des Schwarzwalds, und war bis zur Rente Schreiner. Er hat sein Leben lang mit Holz gearbeitet, geheizt und es selbst im Wald geschlagen. Er kennt sich aus. Außerdem ist er mein Großvater. Ich packe den Laptop aus und beginne zu fragen.
MYTHOS #1: BÄUME FÄLLEN KANN JEDER
Holzarbeit beginnt mit Forstwirtschaft, ganz klar. Als Kind war ich beim Schlagen dabei, durfte den elektrischen Spalter bedienen, einen Traktoranhänger, der mit einem riesigen Stahlkeil und viel Druck Baumsägestücke zerkleinerte.
Dass sich bei einer dicken Eiche mit einer einzelnen Axt nicht viel machen lässt, schon gar nicht in wenigen Minuten wie in Minecraft oder ARK: Survival Evolved, weiß ich schon. Mindestens zwei Leute, eher mehr, mit Zug- oder Kettensägen und mehreren Äxten und Beilen unterschiedlicher Größe braucht es schon, bestätigt Opa.
Wenn der Baum erstmal liegt, werden die Äste abgehackt, dann werden Stücke gesägt. Die wiederum kommen auf den Spalter und sind dann zum Abtransport bereit. Ofenfertig gehackt werden sie dann am Zielort. Bauholz lässt sich manuell eigentlich überhaupt nicht mehr schlagen. Ohne Kran, der die ganzen Stämme auf einen LKW lädt, geht nichts. Opa lacht, als ich ihm Szenen aus Life is Feudal und The Forest zeige. Da tragen Menschen einen und manchmal sogar zwei ganze Baumstämme auf dem Rücken wie Möbelpacker eine Waschmaschine.
Ein Kubikmeter Holz wiegt im Schnitt übrigens etwa 800 kg. In ein Minecraft-Inventar passen 36 „Stacks“ zu je 64 Kubikmetern Holz. Das sind über 1.800 Tonnen Gewicht in der Hosentasche. Ein Video, in dem Link in Breath of the Wild dann auch noch Bomben auf Bäume wirft und dadurch fertig geschnürte Reisigbündel produziert, erspare ich ihm lieber.
Gefällt werden darf sowieso nur, was der Förster freigibt, und das hängt vom Baumalter ab. Bäume wachsen in Stardew Valley innerhalb einer Woche, wenn man eine Eichel in den Boden steckt und genug Abstand zum nächsten Baum lässt. Tatsächlich bekommt man erst nach 30 Jahren ordentliche Planken aus zum Bau bestimmten Gewächsen. Geeignetes Brennholz wird nach etwa zehn Jahren aus schnellwachsenden Bäumen wie zum Beispiel Pappeln.
MYTHOS #2: HOLZ IST EIN SIMPLER ROHSTOFF
Okay, wir haben nun also unsere Bäume gefällt und neue gepflanzt. „Holz ist doch eigentlich was ganz Simples“, konstatiere ich jetzt, „viel gibt es da doch nicht zu verstehen.“
Opa hebt eine Braue. Was ich meine: Meistens wird Holz erstmal angezündet. Die erste Nacht im Spiel überlebt nur, wer genug Stöcke für ein Lagerfeuer gesammelt hat. Oft schnitzt man sich simple Werkzeuge aus Holz, zumindest, bis man Metall zur Verfügung hat. Ab dann nutzt Holz nur noch zur Verbrennung: Zum Kochen oder in der Schmiede. Trotzdem geht es nicht ohne. Egal wie komplex Gebäude später werden, am Anfang jedes Atomreaktors steht ein bescheidenes Lagerfeuer.
Albert holt tief Luft. Das Konzept einer Crafting-Kette, in der sich eine Figur durch alle handwerklichen Disziplinen meistert, behagt ihm nicht. Dafür braucht es doch Fachleute!
Ich zeige ihm ein paar Szenen aus Anno. Da hat jedes Gewerbe seine eigenen Fachbetriebe, die sich gegenseitig beliefern. Jetzt versteht er, was ich meine. Ja, Holz als Zuliefermaterial ist schon etwas sehr Grundlegendes. Aber Holz ist eben nicht gleich Holz, und nicht jeder abgesägte Baum eignet sich für alles. Das, was wir als Brennholz nutzen, ist schon fast Ausschussware, verbrennen kann man alles, aber für bestimmte Bauvorhaben braucht’s eben auch bestimmtes Holz.
Werkzeuge? Die müssen nachgeben und dürfen nicht splittern, Opa empfiehlt Nussbaum. Pfeile? Die werden nicht mit dem Beil aus Stämmen geschlagen wie in Skyrim, sondern aus Ästen gemacht, und die kommen nicht „pfeilgerade“, sondern krumm und schief. Pfeile mit Hitze, Wasserdampf und Säure zu begradigen, ist alles andere als grundlegendes Schreinerwissen, sondern ein eigener Handwerkszweig, das Fletschern. Betriebsfertig vom Busch gebrochenes Pfeilholz wie in Shadow of the Tomb Raider ist Quatsch. Und auch hier funktioniert nicht jedes Holz. Elastisch muss es sein, aber hart genug, etwa Fichte.
Life is Feudal unterscheidet in seinen Bäumen zwischen Hart- und Weichholz, aber davon will Opa nichts wissen. Manche Hölzer sind so weich, dass man sie mit dem Fingernagel ritzen kann, dafür aber so elastisch, dass sie trotzdem kaum brechen. Andere sind felsenfest und halten viel Druck in Faserwuchsrichtung aus, brechen aber bei Belastung von der Seite und splittern fürchterlich. Es gibt harte Hölzer, die man problemlos schnitzen kann, und weiche, in denen ein Messer einfach stecken bleibt. Dass man im Spiel jedes Holz auf ein Feuer wirft, das akzeptiert mein Großvater, aber darüber hinaus trifft mich der grummelnde Zorn eines badischen Handwerkers.
Kaum jemand weiß besser, wie gefährlich das falsche Material an wichtigen Stellen ist, als ein Schreiner mit abgesägten Fingerkuppen.
MYTHOS #3: HOLZ IST WEICH, HOLZ IST HART
Hart und weich sind gute Stichwörter, um Opa mein nächstes Fundstück zu präsentieren. Er weiß, dass ich ein Holzschwert schnitzen möchte, aus Ästen, zum Spaß. Ich frage ihn, ob er sich Holzwaffen und -rüstungen vorstellen kann, nicht als Spielzeug, sondern im Kampf.
Kann er nicht. Wir suchen zusammen und finden einen Wikipedia-Artikel: Nordamerikanische und indonesische Stämme nutzten Rüstungen aus geschnürten Holzstäben oder Baumrinde. Holzspeere mit feuergehärteter Spitze taugen zur Jagd und zum Kampf. Zumindest, solange man ihnen kein Metall entgegenstellt.
Das passt zu meinem Spielemythos: Holzrüstungen oder mit Holzplättchen besetzte Lederrüstungen sind in Crafting-Paraden wie Terraria oder Rollenspielen wie Pathfinder eher Anfängermaterial. Holzschwerter werden meistens im Tutorial als Übungswaffe verteilt, selbst der rostigste Dolch überbietet ihre Werte.
Na gut, Kämpfen ist ja auch nicht alles. Aber Opa hat mir ja bereits beigebracht, wie Spiele Holz als viel zu simpel darstellen. Dass also der nächste Punkt keinen sonderlich hohen Wahrheitsgehalt hat, ahne ich jetzt schon.
„Fässer und Kisten, Kisten und Fässer“, bewarb schon George McCrate, eine Figur der Rocketbeans-Vorläufersendung GameOne. Die Implikation hier: Holzgefäße sind ein Massengut, das in Games ordentlich verschlissen wird. Ein Schlag mit der Machete oder ein ordentlicher Tritt, schon haut Chris Redfield Kisten und Fässer entzwei wie Link Keramikvasen.
Und das nicht für 120 Liter Rotwein oder eine Jahresration Klopapier, sondern für ein einzelnes Magazin Pistolenschüsse oder eine Topfpflanze – was man eben erwartet in Lagerbehältern nach Industrienorm. Kein Wunder, wären Fässer so zerbrechlich, würde ich ihnen meinen sündhaft teuren Chateau de Wesker auch nicht anvertrauen.
Echte Fässer bestehen aus massiven Dauben, die mit metallenen Reifen unter hohem Druck in eine gebogene Form gebunden werden. Die Mühe macht sich niemand, wenn das Fass am Ende nicht die Arbeit wert ist. Tatsächlich kann so ein Bottich bei guter Pflege älter werden als der Baum, aus dem die Dauben geschlagen werden. Denn so ein Fass ist mit Gewalt kaum kaputt zu bekommen, schon gar nicht ohne das richtige Werkzeug.
„Holz schafft halt“, stellt Albert fest, und für ihn ist die Sache damit klar. In diesem Fall heißt das, das Holz verzieht sich und quillt durch Feuchtigkeit auf, versiegelt die Spalten und presst von innen gegen den Fassreifen. Ein Tritt gegen so ein Eichenfass bricht den eigenen Knöchel, ganz sicher aber keine Daube. Nimm das, Resident Evil!
Ich muss mich davon verabschieden, Holz als weiches Wegwerfmaterial zu betrachten. In Graveyard Keeper ramme ich Holzkeile in Steinspalten, um Marmorbrocken aus einer Klippe zu brechen. Videospiellogik? Es stellt sich heraus, dass das im Tagebau genau so funktioniert.
Bei Minecraft baue ich eine Spitzhacke aus Holz, mit der ich Stein und Eisenerz aus der Erde brechen kann. Klingt wie völliger Unsinn, den sich Hatsune Miku ausgedacht hat, um eine Crafting-Kette zu starten, die natürlich mit Holz beginnen muss. Aber dass bereits in der Bronzezeit Meißel aus hartem Holz genutzt wurden, um Erze aus Fels zu brechen, wie mir ein hilfsbereiter Twitter-Nutzer erklärte, das wusste auch Opa nicht.
Vielleicht sollte es Minecraft nicht egal sein, aus welchem Baum ich eine Spitzhacke baue, aber dass ich mit dem Holzschaft im Stollenschacht zugange bin, kommt mir jetzt viel weniger seltsam vor.
Holz ist ein faszinierendes Naturprodukt, auch in Games, in denen es so etwas wie Natur überhaupt nicht gibt. Da jedes Spiel seine eigene Realität konstruiert, legt es auch individuell seinen Umgang mit Ressourcen und zerstörbaren Umgebungen fest.
Echtes Holz hat Eigenschaften, und die muss man kennenlernen, wenn man damit arbeiten möchte. Im Spiel tun Materialien genau das, was sie sollen. Dann passen eben 1.800 Tonnen Eichenzuschnitt in einen Rucksack und ein Dekustab brennt bei Kontakt mit Feuer sofort lichterloh, während eine unzerstörbare Holztür ein Gebiet verriegelt.
Meinem Großvater, dessen Leben das Schreinern war, und mir, der sich fast ausschließlich mit digitalen Medien beschäftigt, bieten diese Mythen über Holz in Games einen perfekten gemeinsamen Bezugspunkt. Opa setzt sich nicht plötzlich an den PC und spielt Minecraft mit mir. Aber er versteht nun sehr viel besser, warum ich Freude habe, wenn ich ihm mein selbstgebautes Fachwerkhaus und meinen digitalen Obstgarten zeige.
Über die Autoren
Albert Wagner heißt mit Vornamen eigentlich anders. Die letzten Jahre seines Lebens schreinerte er nicht mehr, sondern erzählte seinen Enkelinnen und Enkeln von früher. Man fand ihn stets in seinem Dorf auf seinem Sofa, wo er mit großer Begeisterung Tiersendungen im öffentlich-rechtlichen Fernsehen schaute.
Pascal Wagner trainierte sich seine beiden linken Hände mit simplen Schnitzarbeiten ab. Bevor er als Kunsthandwerker internationale Erfolge feierte, forschte er auf languageatplay.de an Videospielen und tweetete als @indieflock über Indiegames und JRPGs. Diesen Text und seine ins Präteritum übertragene Autorenbiografien veröffentlichte er auf VSG als Akt des Respekts vor seinem geliebten, verstorbenen Großvater.
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