Wenn ein ehemaliger freier Mitarbeiter der GameStar-Redaktion den Massenmedien im Games-Bereich den Rücken kehrt und stattdessen eine Plattform aufbaut, die ebenjene Medien kritisch beleuchtet, muss eine Menge passiert sein.
„Die Spielepresse ist eine anspruchslose, eine lahme Sparte im Journalismus; und wird für offensichtliche Fehler kaum kritisiert“, meint Jannick auf seinem Portal medienbiene.com und konkretisiert: „Jubeltexte und Wohlfühltests sind das eine, doch wenn fehlende Quellenangaben und merkwürdige Verbindungen zu Herstellern nicht thematisiert werden, ist das schade.“ Wie hat sich der Journalismus seit den seligen Tagen von Happy Computer, Amiga Joker oder PC Player gewandelt? Gespräch mit einem, der es wissen muss.
Interview vom April 2021
Jannick, seit einiger Zeit bist du zum Beispiel auf Twitter als Medienbiene unterwegs. Dabei nimmst du kritisch den aktuellen Spielejournalismus unter die Lupe. Was hat dich dazu bewegt, ein solches Projekt anzugehen?
Vor einigen Jahren habe ich selbst als Spieleredakteur gearbeitet und konnte viele positive Eindrücke und Erfahrungen sammeln. Dass ich damals Teil des Problems war, wurde mir erst viel später bewusst, so ehrlich muss ich sein. Als ich etwa als freier Redakteur für die GameStar schrieb, war das ein Job, auf den ich durchaus ein bisschen stolz war, weil es, naja, DIE GameStar war. Nach meiner Tätigkeit als Redakteur, also im Laufe der vergangenen sechs, sieben Jahre, hat sich meine Wahrnehmung ein bisschen verschoben, wobei ich das nicht an exakten Schlüsselmomenten festmachen kann.
Vielleicht lag es daran, dass ich vermehrt Blogs und Indie-Magazine, aber auch internationale Seiten gelesen habe, die einen anderen Ansatz beim Schreiben über Videospiele nutzten. Irgendwann las ich dann einen Testbericht zu „Detroit Become Human“, und ich war etwas perplex, wie öde er geschrieben war, bei einem Spiel wohlgemerkt, das ja eigentlich interessante Themen anspricht, zunächst unabhängig von der qualitativen Umsetzung, und dennoch las sich jeder Satz wie bereits tausendfach gelesen.
Also hab ich das tatsächlich überprüft: Haben die anderen Magazine genauso geschrieben? Und ja, das haben sie, unabhängig voneinander haben mehrere Redaktionen stellenweise sogar fast das Gleiche formuliert, obwohl die Wahrnehmungen der Journalistinnen und Journalisten angeblich variierte. So richtig deutlich wurde das aber nicht, im Gegenteil, ein Text war austauschbarer als der andere, zumindest empfand ich das so. Die Recherche dazu, das Lesen, das Kichern, das Finden immer gleicher Textstellen in anderen Texten über die weiteren Spiele von Quantic Dream haben mich schließlich dazu gebracht, öfter über den Spielejournalismus zu schreiben, nicht nur im Rahmen einer Stilkritik, die ja ohnehin sehr subjektiv geprägt und zudem ziemlich salopp geschrieben war. Das ist jetzt fast drei Jahre her, damals noch beim Gemeinschaftsblog Polyneux, kurz darauf entschied ich, eine eigene Seite zu basteln und seitdem hab ich über 80 mal mehr, mal weniger medienkritische Texte veröffentlicht.
Während du also selbst aktiver Spielejournalist warst, sind sie meisten anderen Menschen ja reine Medienkonsumenten. Als 1982er Jahrgang begann meine Laufbahn als Leser 1993 mit der Video Games und dem deutschen Ableger der TOTAL! – das Club-Nintendo-Magazin lasse ich mal außen vor. Was waren damals in Deinen jungen Jahren Deine Einstiegsdrogen? Womit fing bei Dir alles an?
Wann genau ich mit dem Lesen von Spielemagazinen angefangen habe, weiß ich ehrlich gesagt nicht mehr. Aber als Jahrgang 1991 habe ich natürlich, ich schätze mal 15 Jahre später, die üblichen Verdächtigen gelesen, also GameStar und PC Games hauptsächlich, die ich mir beide regelmäßig gekauft habe.
Die PC Powerplay hat mich auch ein bisschen geprägt, mit Martin Deppe als Chefredakteur, mit dem ich einige Jahre später zusammenarbeiten durfte. Die TOTAL!, die du nennst, kenn ich zum Beispiel gar nicht. Unregelmäßig hab ich noch PC Action und MAN!AC gelesen, und spontan auch so Multiplattform-Hefte wie Games Aktuell gekauft, die aber irgendwie furchtbar stressig waren. Also hauptsächlich die klassischen Spielemagazine. Oh, und die GEE, die mochte ich auch. Leider viel zu selten, vermutlich war ich damals noch nicht bereit für den etwas anderen Ansatz von Spielejournalismus. Wobei ich damals auch noch nicht wirklich wusste, was Journalismus wirklich bedeutet und was einen guten oder schlechten ausmacht.
Wenn ich an die Spielezeitschriften der 90er zurückdenke, herrschte da immer ein geradezu kumpelhafter Ton in der gesamten Schreibweise. Dadurch entstand schnell eine Bindung zwischen Leser und Redaktion. Langer, Lenhardt, Deppe, Gaksch, Schmidt, Lott, Locker. Die Namen sagen einem ja noch was. Waren/sind diese „alten Hasen“ wirklich sehr gute Spielejournalisten oder verklärt da die Nostalgie auch vieles?
Ach, ich weiß nicht, ein wenig Nostalgie ist zunächst gar nicht schlimm, glaub ich. Die genannten Journalisten haben den Spielejournalismus damals geprägt, teilweise ja sogar definiert. Und dieser Journalismus lebte weniger von Reportagen oder investigativen Berichten, sondern von massiven Wertungskästen in unaufgeregten Testberichten, die mal mehr, mal weniger Witz enthielten und dabei selten interpretierten, sondern schlicht bewerteten. Die nächste große Titelstory war das beständige Ziel, damals war das ja noch möglich, exklusive Enthüllungen ohne Online-Konkurrenz, getextet von Menschen, die Bock, aber zunächst nicht so richtig Plan hatten – und eine riesige Auflage.
Das Ding mit der Nostalgie ist halt, dass man das Damalige nicht zu sehr glorifizieren sollte. Ja, man hat damals vermutlich so etwas wie Pionierarbeit im deutschsprachigen Raum geleistet, aber der Spielejournalismus schaffte es viele Jahre später nicht so richtig, sich an die Entwicklung der Videospiele anzupassen, die komplexer wurden, größer, progressiver, diverser. Währenddessen bediente der kommerzielle Spielejournalismus aber noch weitgehend dieselben Formate und denselben Stil.
Da haben Teile der „alte Garde“ viel verbrannte Erde hinterlassen, zum Beispiel auch beim problematischen Verhältnis zur PR, das über viele Jahre intensiver und inniger wurde, ohne eine kritische Auseinandersetzung. Transparenz? Redaktionelle Leitlinien? Offenlegungen nach Presse-Events? Hat zum Beispiel bei der GameStar 20 Jahre gedauert, andere Magazine bekommen das nach 30 Jahren nicht hin. Eigentlich irre. Man beruft sich auf die Tugenden von Journalismus, ballert sich „Journalist“ als Titel auf die Visitenkarte, weigert sich aber vehement, sogar niedrigschwellige Richtlinien wie Offenlegungen kurz und bündig in Previews oder Tests zu schreiben.
Oder auch beim späteren Übergang von Print zu Online: Statt der gewonnenen Freiheit Tor und Tür zu öffnen für neue Formate, Stilrichtungen und Experimente, haben sich nicht alle, aber doch einige Magazine auf das altbekannte Prinzip berufen: Spiele testen wie Waschmaschinen, und das teilweise bis heute, 20, 30 Jahre später. Vor dem Test gibt’s drei Previews und 53 News, nach Veröffentlichung wird das Spiel nicht mehr angefasst, ab zum nächsten Hype. Und es gab eine Zeit lang eine bockige Bösartigkeit mancher Print-Journalisten gegenüber Online-Redaktionen, man wollte nicht so richtig wahrhaben, dass man die geile Titelstory, das nächste Event in Los Angeles nun auch mit „den anderen“ teilen musste, um das mal sehr zusammengefasst zu formulieren. Da ist also viel schief gelaufen.
Du hast einen ganz wichtigen Punkt angesprochen, nämlich den Übergang von Print zu Online. Es gibt ja den beliebten Satz „Wer nicht mit der Zeit geht, muss mit der Zeit gehen“. Während sich der Offline-Journalismus damals als mehr oder weniger seriöse Verbraucherberatung verstanden hat, entwickelte sich auch das journalistische Selbstverständnis in den letzten Dekaden weiter. Ich persönlich habe damals die Previews und News immer überblättert, um schnell zu den Spieletests zu gelangen. Gefühlt scheint das heute genau umgekehrt zu sein. Geht es der Zielgruppe heute überhaupt noch um eine Kaufberatung im Sinne von „dieses Spiel macht Spaß und unser Wertungskasten gibt an, wie viel“?
Ich glaub, die Frage müsste lauten: Warum hält die Spielepresse so hartnäckig am Testbericht fest, wenn Teile der Zielgruppe und vor allem die Spiele viel weiter sind? Da muss ich kurz ein bisschen ausholen: Ende 2017 veröffentlichte GameStar einen Vorabtest genannten Artikel, der fast ausschließlich Positives über „Spellforce 3“ zu berichten hatte, drei Wochen vor Release des Spiels. Nur wenige Stunden vor dem Erscheinungstag hieß es dann plötzlich: Wir können das Spiel nicht testen, da es unspielbar verbuggt ist. Huch? Wie jetzt? Offenbar hat der Publisher für den „exklusiven Vorabtest“ eine andere Version zur Verfügung gestellt als für die finalen Exemplare im Handel. Im Vorabtest hieß es sogar noch, hierdings, das Studio hat ja noch ein paar Wochen Zeit für „Feinschliff“.
Tja. Anstatt daraus zu lernen, hat GameStar die Kritik nur so ein bisschen angenommen und sogar behauptet, kaum ein Magazin habe so umfassend über die Fehler des Spiels berichtet, was nicht nur nachweislich falsch war, der Unterschied bestand ja vor allem darin, dass weder 4Players oder PC Games mehrere Wochen vor Release von sich selbst behaupteten, das Spiel bereits getestet zu haben.
Spulen wir vor von 2017 auf Ende 2020: „Cyberpunk 2077“ erscheint und alle Magazine, die das Spiel noch vor Release spielen konnten, haben nicht die Version getestet, die die Spielenden gekauft haben, weil sie den desaströsen Day-One-Patch nicht abgewartet haben. Der Test musste schließlich pünktlich zum Fall des Embargo und noch vor Release online gehen, komme was wolle. Was ich damit sagen will: Tests braucht eigentlich niemand mehr. Lange Zeit waren sie eine der wenigen Informationsquellen, vielleicht sogar die einzige, aber jetzt? Ich kann Walkthroughs gucken, Let’s Plays, ideologiekritische Formate, umfassende Analysen, elendig lange Trailer, an jeder Ecke gibt es neue Konzepte, Blogs, Kanäle, Newsletter, Indie-Magazine.
Und was machen einige der klassischen Magazine? Man arbeitet die immergleichen Phrasen ab, seit Jahrzehnten schon, möglichst mehrere Tage vor Release. Tests sind genauso steif, genauso konservativ wie früher, viele Redaktionen scheinen besessen davon, nichts am Konzept zu ändern, obwohl Spiele in allen Formen und Farben und für gefühlt dutzende Plattformen in immer unterschiedlicheren Formen der Monetarisierung erscheinen. Wenn’s scheiße läuft, weil man etwa dem Publisher zu sehr vertraut hat, arbeitet man das nicht transparent auf, sondern windet sich gegen die Kritik und macht exakt so weiter wie vorher, das gilt für so viele Magazine.
Weder früher noch heute war ein Testbericht geeignet, um die Komplexität eines Videospiels passend wiederzugeben, die ausgelösten Emotionen, Erinnerungen, Anspielungen, Details, die spieleigene Kritik an gesellschaftlichen Diskursen und so weiter. Klar ist, dass dann gerade jüngere Leser und weitere Teile der Zielgruppe sich andere Formate suchen, weg von der „Spaßberatung“, wie GameStar es nennt. Was für eine himmelschreiend trostlose Formulierung das übrigens ist, „Spaßberatung“, oh je, hin zu Persönlichkeiten, zu Blogs und zu all den anderen Alternativen, die längst auch begriffen haben, dass Spiele nicht getestet werden können und eben nicht nur Spaß machen. Bei manchen Magazinen ist das noch nicht angekommen, andere sind da immerhin schon ein bisschen weiter.
Da möchte ich an einer Stelle etwas widersprechen: Du schätzt Testberichte nicht als geeignet ein, um die Komplexität eines Videospiels passend wiederzugeben, wie du es formulierst. Das war früher anders, zumindest meiner Meinung nach. Denn gerade in den 80er und 90er Jahren hatten Videospiele bei weitem ja nicht diese cineastische Inszenierung und den Anspruch an Handlung und Story, wie es heute üblich ist. Und damals waren Magazine die einzige Informationsquelle, die einen davor bewahrte, 80 Mark vom Taschengeld falsch auszugeben.
Heute, und da bin ich wieder deiner Meinung, gibt es zahlreiche andere von dir erwähnte Möglichkeiten, um sich über ein Spiel zu informieren. Das Monopol als Informationsquelle haben die Magazine verloren. Dennoch schreiben sie sich eine völlig überhöhte Marktposition zu und manche sehen sich anscheinend noch immer als ultimative Instanz.
Das quasi nicht mehr existente Printgeschäft hat neue Einnahmequellen erfordert. So erleben wir gerade bei GameStar seit Längerem üble Clickbait Schlagzeilen und reißerisch aufgemachte Artikel, die nur Klicks generieren sollen. Eine aktuell beliebte Masche ist der Verweis auf einen 25.000 oder 30.000 Zeichen starken Preview-Artikel hinter der Plus-Bezahlschranke. Bei GamersGlobal erstellen User ehrenamtlich Inhalte und Artikel für die Seite. Mitunter mutieren die Magazine im Vorfeld eines Releases zu willigen Hype-Maschinen der Publisher, die ohne jede kritische Einordnung alles abzufeiern scheinen.
Als selbständig denkender Leser mit gewissem journalistischen Anspruch fragt man sich: Where did it all go wrong? Und wo soll das noch alles hinführen?
Schiefgelaufen ist vermutlich das Verständnis von der eigenen Arbeit. Nur wenige Magazine haben mit dem Sprung von Print zu Online auch dieses Verständnis vom eigenen Journalismus angepasst. Andere haben es vermeintlich geschafft. 70 Prozent der Millionen Leserinnen und Leser der GameStar kommen über den Google-Umweg. Ein brüchiger Erfolg, ja, aber trotzdem ergibt das das reichenweitenstärkste Spielemagazin Deutschlands, dazu kommen die über eine Million Abos auf Youtube.
GameStar ist führend bei Abo-Inhalten mit tausenden Plus-Mitgliedern und eigener Plus-Redaktion, und grundsätzlich ist eine Paywall ja nicht schlimm, im Gegenteil, in den vergangenen Jahren sind dort tolle Artikel erschienen, die den Testberichten den Mittelfinger zeigten. Andere Magazine kommen da nicht mit. Man lumpt so vor sich her, schreibt ein paar News, Previews und Reviews, kann ein paar Redaktionsmitglieder bezahlen und hofft einmal in der Woche darauf, mit einer vermeintlich polemisch-fragwürdigen Kolumne den Wochendurchschnitt der Klicks anzuheben. Also fast alles wie vor 30 Jahren, nur mit ein bisschen mehr Platz. Oh moin, PC Games, hab dich gar nicht gesehen, du störrischer Haudegen.
Fast Tag für Tag sieht man weiterhin, wie festgefahren die Strukturen in den Redaktionen zu sein scheinen, auch bei denjenigen, die nie per Print erschienen sind, also die „alten“ Online-Magazine. Da wird mit Entwicklern in aller Öffentlichkeit Bier gesoffen und hinter die Paywall gepackt und befeuert damit das uralte Problem der PR-Schmuserei (hi, GameStar!), man lässt Spielejournalisten Werbung texten und Werbetexter schreiben redaktionelle Inhalte (yo, PC Games!), ein alteingesessener Chefredakteur privilegiert von oben auf die Welt herab und findet im Coronavirus einen großen Luxus (tach‘ auch, 4Players!) oder es werden dutzende mutmaßlich gesponserte Facebook-Postings nicht als Werbung markiert (was geht ab, Gameswelt?).
Interessante Perspektiven oder Formate sind da noch immer die Ausnahme, Transparenz sowieso, und das liegt nicht nur an Zeitdruck oder Suchmaschinenoptimierung, wie so oft behauptet wird, das sind auch generelle „Blattlinien“ der Redaktionen, die in ihrer Arbeit eine vermeintliche Tradition sehen, die zwar minimal ans Online-Zeitalter angepasst, aber nicht neu oder anders gedacht wurde.
Es ist bezeichnend, dass die tollen GameStar-Plus-Inhalte dann letztlich doch neben Plus-Previews erscheinen, die brutal humorlos 45-minütige Marketing-Demos im Stile einer Komplettlösung nacherzählen und das tatsächlich als geiler Spielejournalismus gefeiert wird, sowohl von Redaktion als auch der Leserschaft, obwohl wortwörtlich jede*r das schreiben könnte, weil man lediglich eine Präsentation mitschreiben muss. Da geht’s auch ein bisschen um das Verständnis von gutem Journalismus von nicht wenigen Leserinnen und Lesern. Aber es gibt Grund zur Hoffnung, sehr viel sogar. Das betrifft halt nur zum Teil die traditionellen Magazine. GameStar und GamePro etwa schwanken zwischen plumpen Schreihals-Inhalten und interessanten Perspektiven, da kloppt sich die Hoffnung mit der Verzweiflung, mal gucken wie das in den nächsten Jahren weitergeht. Es geht dann eher um die vielen alternativen Angebote, die mit Steady oder Patreon sogar halbwegs einfach und schnell finanziert werden können.
Schöne Beispiele für Monetarisierung um jeden Preis. Es scheint, als würde die journalistische Arbeit nur Vehikel sein, um auf vielfältige Art Geld zu generieren: Ob durch Klicks oder Plus Abos, wie auch immer – bei den Großen der Branche scheint die Qualität dem Umsatz gnadenlos untergeordnet zu werden. Oder man gibt einen feuchten Kehricht auf Urheberrecht, klaut gelungene Inhalte von Reddit und gibt sie kurzerhand als eigene aus.
Wenn man deine Arbeit auf deinem Blog verfolgt, kann man dir beim digitalen Haareraufen ja förmlich zuschauen. Zusammen mit den Verhältnissen, die Du bisher in unserem Gespräch geschildert hast, entsteht ja eher ein negatives Bild des Spielejournalismus. Viele Leser haben sich von den großen Plattformen abgewandt und sind zu YouTube oder den diversen Podcasts gewechselt. Andere haben sich eine Nische gesucht, beispielsweise die Retro-Enthusiasten, und eigene Onlineportale oder Blogs aufgebaut.
Aber nachdem Du uns nun so ausführlich erläutert hast, wie die aktuelle Situation ist, lass uns ein bisschen optimistischer werden: Was gibt Dir als Spielejournalist Hoffnung? Welche Portale, welche Personen, welche Berichterstattung?
Wobei ich da noch anmerken möchte: Natürlich entsteht ein negatives Bild von denjenigen Magazinen, die ich kritisiere, aber man muss auch bedenken, dass jeden Tag dutzende neue Inhalte pro Redaktion dazu kommen. Das meiste von dem ist harmlos oder bedient halt ein – meiner Meinung nach – systemisches Problem, das von den Chefredaktionen als guter Journalismus angesehen wird, Stichwort Mega-Previews. Aber zurück zu deiner Frage: Blogs sind eine mögliche Antwort. Spielkritik, Polyneux und Videospielgeschichten allein bedienen dabei von persönlichen Geschichten bis hin zu fantastischen Analysen eigentlich alles, was man braucht. Also ernsthaft. Man kann natürlich die Blogs oder wie man sie auch nennen mag beliebig austauschen oder erweitern: Videogametourism, Wall Jump, Lost Levels, Swagkultur.
Und dann die, ich nenne sie einfach mal: Indie-Magazine, wie die Neuauflage von Superlevel, die durch Crowdfunding den Autorinnen und Autoren ein Honorar zahlen können. Das Gain-Magazin ist ein schönes Beispiel für ein Print-Produkt, das auch heute noch funktionieren kann: Es ist oft überwältigend schön gestaltet, mit einer angenehmen Mischung zwischen klassischen Reviews und durchdringenden Reportagen. Vergleiche das mal mit dem Design der übrigen Print-Magazine, da willste doch direkt Anzeige erstatten wegen Beleidigung. Und Newsletter! Die kommen ja jetzt auch. Oder waren die schon immer da? „News as a Service“ heißt zum Beispiel einer. Und die „Akimbo-Videospiel Essays“ auf YouTube machen auch Bock, genauso wie „Gescheit gespielt“.
Bisschen „andere“ Ansätze findet man bei „Language at Play“ und „Behind the Screens“ und „Horror – Game – Politics“. Und das Schöne ist: Ich kratze damit nur an der Oberfläche. Ich weiß, dass einige der genannten Projekte bereits ziemlich bekannt sind, wenn man Interesse an gutem Spielejournalismus oder einfach launigen Texten über Videospiele hat. Zumal viele der dort beteiligten Personen ohnehin hier und da und überall herumwuseln, mitunter auch bei großen Nachrichtenportalen wie SPIEGEL oder für die wirklich guten Texte bei GameStar verantwortlich sind, da empfiehlt es sich, denen direkt in sozialen Netzwerken zu folgen. Also kurz gesagt: Ich finde fast alles supi, das sich nicht so liest wie ein Testbericht von PC Games.
Erlaube mir ein kleines Resümee: Im Vergleich zu den Anfangsjahren eher alter Hasen wie mir hat sich also nicht nur das Medium Spiel weiterentwickelt, sondern auch dessen Wahrnehmung, Interpretation und Erwartungshaltung. Während es damals relativ schnöde nur darum ging, ob ein Spiel Spaß macht, sind die Ansprüche nun weitaus höher. Der „professionelle“ Spielejournalismus hat nicht wirklich mithalten können und ist zum Teil in seinen verkrusteten Strukturen erstarrt. In diese Lücke ist nun ein breit diversifizierter Kosmos von neuen, jungen Journalisten, Hobbyautoren und enthusiastischen Schreiberlingen getreten, die das Medium aufgrund ihrer Vielfalt weitaus differenzierter betrachten können. Weil also die „klassischen“ Magazine nicht mehr Schritt halten wollten oder konnten, hat sich die Gaming-Kultur ihre eigene Berichterstattung geschaffen und bedient sich zahlreicher audiovisueller Möglichkeiten.
Die Spielenden haben sich also in gewisser Weise von den gängigen Magazin-Riesen emanzipiert. Was mich zur letzten Frage bringt: Wozu brauchen wir überhaupt noch die einstigen Riesen wie GameStar, PC Games, 4players und weitere? Den Informationsauftrag erfüllen gängige Newsportale. Die Interpretation, Einordnung und Berichterstattung über Spiele übernehmen unabhängige Portale wie die von Dir genannten Beispiele, teilweise mit höchst anspruchsvollen Texten. Haben die alten Magazine vielleicht nur noch ihre Daseinsberichtigung, weil sie boulevardesk und leicht verdaulich berichten?
Ich würde deinem Fazit gerne zustimmen, schließlich ist es ja genau das, was wir beide so oder so ähnlich bereits gesagt haben. Und ich hab zuvor auch gefragt, warum die Spielepresse so störrisch an den Tests festhält, obwohl viele Leserinnen und Leser gar kein Bock mehr darauf haben. Die Antwort ist simpel: Es sind bereits viele, aber noch nicht genug Menschen, die kein Bock haben. Die „einstigen Riesen“ sind noch immer ziemlich riesig. GameStar und GamePro kommen auf über 5 Millionen User pro Monat. Das sind auch keine Schätzungen, sondern Statistiken, die monatlich von der Agof veröffentlicht werden. Gigantische Zahlen sind das und der Beweis, dass die Spielenden sich nicht gänzlich von den klassischen Magazinen emanzipiert haben. GameStar generiert vermutlich in wenigen Tagen so viele Klicks wie die meisten genannten Blogs in einem Jahr zusammen.
Spannende Entwicklungen gibt es bereits, aber die bestehen oft aus Reaktionen auf „moderne“ Entwicklungen: Streaming wird groß – Magazin XY geht zu Twitch; soziale Netzwerke werden groß – Magazin XY stellt Social-Media-Manager*innen ein; jede*r hat Bock auf Let’s Plays – Magazin XY öffnet Let’s-Play-Channel; die Leser kommen über Google – Magazin XY investiert in SEO. Die journalistischen Mechanismen, wenn überhaupt vorhanden, verändern sich dabei aber nicht wirklich.
Im Gegenteil, da sitzen dann plötzlich normale Redaktionsmitglieder in gesponserten Livestreams, verkleidet passend zum Mittelalter-Spiel und verflüssigen so eine der wenigen wichtigen Leitlinien: die Trennung von Redaktion und Anzeigenabteilung, die man immer so betont hat. Was vorher also bereits an Problemen zu beobachten war, wird auf neue Entwicklungen und Formate angewendet, nur nicht immer so offensichtlich, Hauptsache, die Zielgruppe wird erweitert, ist dann auch egal, ob gewisse Punkte aus einem Kodex nicht mehr eingehalten werden können. So erreicht man dann zum Teil auch Zielgruppen, die zuvor abgesprungen sind oder die man generell noch nie erreicht hat oder man ist auf Google mit Belanglosigkeit erfolgreich. Andere Magazine hingegen reagieren absolut gar nicht auf diese Entwicklungen.
Da gibt’s noch das Print-Magazin, das 3.000 Mal im Monat verkauft wird, und die Onlineseite, die rigoros mit den immergleichen Formaten bestückt wird, geschrieben ausnahmslos von Männern, und dann wird eine Reportage über die Geschichte von Gothic als Top-Journalismus angesehen. Auch damit scheint man noch überleben zu können.
Warum einige der traditionellen Magazine noch immer so viele Menschen erreichen? Kein Plan. Vielleicht liegt es daran, dass viele Menschen der Komplexität von Videospielen oft nur ein „oha, das war ja krass“ entgegensetzen und die Spielepresse nicht das „Warum“ analysiert, sondern lediglich mit „ja, ich musste den Controller kurz beiseite legen“ antwortet; vielleicht liegt’s daran, dass Videospiele als Medium von einigen immer noch als ein Medium angesehen wird, das hauptsächlich Spaß bringen soll, und die Magazine entsprechend mit harmloser Berichterstattung, sprich Tests zustimmen, Stichwort „leicht verdaulich“.
Einerseits betont die GameStar-Chefredaktion, das Thema Crunch interessiere nur wenige Leser, gleichzeitig sitzen in der Redaktion Menschen, die brutale Arbeitsbedingungen nachweislich relativieren. Dieser ständige Widerspruch zwischen Fortschritt und seit Jahrzehnten etablierter Stagnation zeigt zwar, dass zumindest eine Konversation stattfindet, die beide „Seiten“ sozusagen stattfinden lässt, aber das Zurückfallen in alte (oder auch: oft geklickte) Muster dauert dann nie lang. Wie die Lösung dafür aussehen kann, weiß ich leider nicht, wäre ja auch zu einfach.
Sorry! Was ich aber weiß: Wenn’s irgendwo drei Schritte vorwärts geht, stolpert man wenig später die Treppe hinunter und wiederholt das immer wieder – mit der Argumentation, dass die Zahlen sagen, es komme doch gut an. Und solange der Testbericht zu Cyberpunk 2077 besser ankommt als eine Recherche über die Zustände bei CD Projekt, tja, solange wird sich nichts ändern. Welche Gründe es dafür geben könnte, warum das eine Format erfolgreicher ist als das andere, wird dabei nicht diskutiert, man konzentriert sich lieber auf Google Analytics.
Das klingt ein wenig so, als hätte sich die Spielepresse in den letzten 40 Jahren einmal im Kreis gedreht. Anfang der 80er waren es Nischenmagazine für eine ziemlich kleine Zielgruppe, 2002 verkauften GameStar und ComputerBild monatlich zusammen über eine Million Exemplare. Nun hat sich eine kleine, aber feine Auswahl von Printmagazinen und Webportalen etabliert, die den Informationsauftrag über Computerspiele mit viel größerem Anspruch interpretiert als in der Vergangenheit. So gesehen sind wir also wieder mit der anspruchsvollen Berichterstattung in einer Nische für eine kleine Zielgruppe jenseits des Mainstreams.
Ich glaube aber, dass daraus mit den Jahren wieder etwas Großes wachsen wird. Die Teens von heute sind die 35-Jährigen von morgen. Vielleicht sind wir Teil einer journalistischen Justierung, die gerade erst am Anfang steht. Das ist doch auch ein spannender Gedanke.
Ein spannender Gedanke und ein hoffnungsvoller noch dazu. Aber nichts ist so schwierig wie eine Vorhersage zu treffen, die Online-Medien oder Medien generell betrifft. Sind es Newsletter von Einzelpersonen, die in zwei, drei Jahren den Ton angeben und Influencer ablösen? Werden Testberichte bei der GameStar bald gänzlich hinter der Paywall verschwinden und im Gegenzug sitzen weitere Redaktionsmitglieder kostümiert in bezahlten Livestreams? Und wer wird in fünf Jahren den Rekord für die meisten ehemaligen PR-Manager*innen innerhalb einer Redaktion halten? Wird PC Games bald offizieller Hofberichterstatter von Bethesda? Und wird die Teamseite von Gamersglobal jemals das Geschlecht der Frau kennenlernen? Wird der 4Players-Chefredakteur auch in der aktuellen Corona-Lage in Indien einen „großen Luxus“ erkennen und eine 5-teilige Kolumnenreihe als Anthologie-E-Book veröffentlichen? Kann ich alles nicht einschätzen.
Die immer öfter nötig werdenden Reaktionen auf aktuelle (Online-)Entwicklungen werden die Zukunft der Magazine maßgeblich beeinflussen, und es ist bereits deutlich geworden, wer bislang flexibel darauf reagierte und wer nicht. Vielleicht führen wir dieses Gespräch in einigen Jahren erneut und versuchen herauszufinden, wie das damals eigentlich war, als wir 2021 über so obskures Zeugs wie Testberichte diskutiert haben.
Lieber Jannick, herzlichen Dank für dieses ausführliche Gespräch und weiterhin viel Erfolg bei Deinen Projekten!
Weiterführende Links
- Der Tod der Gralshüter (grimme-game.de, 11.09.2019)
- Qualität im Spielejournalismus (gamespodcast.de, 02.10.2019)
- Stirbt klassischer Games-Journalismus nun gänzlich aus? (DevPlay @HOME, 24.11.2020)
- Folge 10: Status Quo und Zukunft des Spielejournalismus feat. Dom Schott (Games Insider Podcast, 10.08.2020)
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