Mitte der achtziger Jahre konnte ich aufgrund diverser glücklicher Fügungen bereits auf eine mehrjährige Videospielerfahrung zurückblicken. Dabei gab es stets eine klare Rollenverteilung. Auf der einen Seite ich als Spieler, auf der anderen Seite die zu steuernde Figur, sei es Klempner, Raumschiffpilot, Ritter oder sonst was.
Begriffe wie „Immersion“ waren vollkommen fremd, eine Identifikation mit der Spielfigur gab es für mich nicht. Dieses störte auch nicht sonderlich. Bis ich ein gewisses Spiel kennen lernen durfte.
Im Frühjahr 1985 erschien in einer Ausgabe der „Happy Computer“ ein Bericht über den US-amerikanischen Hersteller Telarium. Die Firma stellte gerade ihre ersten Grafikadventures vor und ging dabei einen ungewöhnlichen Weg. Die Spiele wurden in Zusammenarbeit mit namhaften Autoren wie Michael Crichton oder Arthur C. Clarke entwickelt und produziert. Ein weiteres Merkmal der Veröffentlichungen waren hervorragende Grafiken und aufwendige Verpackungen.
Ein Spiel stach mir sofort und nachhaltig ins Auge, und das war „Fahrenheit 451“, von und mit Ray Bradbury. Hierbei handelte es sich nicht nur um eine bloße Nacherzählung des weltbekannten Science fiction-Romanes, sondern sogar um die Weiterführung der Geschichte. Und ich hatte hier die Gelegenheit, das Schicksal der Welt als Untergrundkämpfer in New York im Jahre 2067 zu beeinflussen? Unglaublich, so eine Story und so eine Möglichkeit konnte ich als Spieler bis dato nicht erleben. Ich musste dieses Programm haben, komme was wolle. Endlose Male inhalierte ich den Artikel der Zeitschrift, um die Sehnsucht zu kompensieren. Gewisse Phrasen daraus kann ich heute noch zitieren.
Leider waren die Produkte von Telarium recht teuer (79 Mark, wenn ich mich richtig entsinne), und so war eine gewisse Ansparzeit und Rumbettelei erforderlich. Aber letztendlich mit Erfolg, denn ziemlich genau zum Beginn der Sommerferien konnte ich „Fahrenheit 451“ in den Händen halten und meinen C64 in Dauerbetrieb setzen. Und die vier vollgepackten Diskettenseiten, die einen enormen Umfang verhießen, lieferten mir auch anfangs genau das, was ich erhofft hatte. Eine zuvor nie gekannte dichte Spielatmosphäre, sogar mit etwas Sound ausstaffiert, eingebettet in einer faszinierenden Optik, umgarnt von anspruchsvollen Beschreibungen, katapultierten mich in eine Woge ungeahnter Glückseligkeit
Ich war Guy Montag, ich musste mein Aussehen ändern und an den richtigen Stellen Codesätze aufsagen, um nicht von der erbarmungslosen Feuerwehr und ihren brutalen Killerhunden ausgelöscht zu werden. Ich musste im Verborgenen agieren, ich musste meine Ausweispapiere fälschen, ich musste Schmiergeld organisieren und Mittelsmänner in konspirativen Wohnungen treffen. Ich, ich, ich – ich allein bewegte mich auf der Fifth Avenue und zitterte um mein Leben. Vorerst fantastisch.
Die bereits erwähnten hochwertigen In Game-Texte, natürlich allesamt in englischer Sprache verfasst, waren es dann auch, die mir im Laufe der Zeit zunehmend den Spielspaß raubten. Mit dreizehn Jahren und allenfalls ausreichenden Schulenglischkenntnissen hatte ich trotz intensivem Lexikonmissbrauch zunehmende Mühe, dem Verlauf im Adventure zu folgen. Permanent entgingen mir wichtige Hinweise und manchmal hing ich tagelang fest, weil ich nicht wusste, was ich wo zu tun hatte. Hilfe gab es von keiner Stelle.
In den Computerzeitschriften war eine Lösung zu diesem doch recht exotischen Spiel nicht in Sicht, von meinen ignoranten Freunden konnte ich sowieso keine Unterstützung erwarten. Die jagten weiterhin fröhlich bei Summer Games II einen Rekord nach dem anderen. Ich hingegen kam im Central Park nicht an diesem elenden Tiger vorbei. Und für ungeduldige Zeitgenossen wie mich war das damalige Adventuregenre auch nicht unbedingt das Geeignetste. Für jedes Problem gab es in der Regel nur eine Lösung, die auch noch mit den exakt treffenden Worten gefunden werden sollte. Das ich mein Glück prinzipiell eher im Bereich der Sport- und Geschicklichkeitsspiele finden würde, wollte ich nicht wahrhaben.
TELARIUM
Der amerikanische Spiele-Publisher Telarium wurde 1984 als Trillium gegründet. Der Sitz der Firma war in Massachusetts. Telarium bot ausschliesslich Textadventures an. Das Unternehmen wurde 1987 vom Mutterhaus Spinnaker geschlossen.
Normalerweise endet eine Geschichte wie meine dennoch glücklich und der Protagonist würde von einem erfolgreich, erfüllenden Beenden des Spieles im Schweiße seines Angesichtes berichten. Ich hingegen hatte am Ende des Sommers in jenem Jahr die Faxen dicke, hörte mitten im Adventure auf und widmete mich wieder den Sachen, die ich bewältigen konnte. Winter Games, zum Beispiel. Es sollte tatsächlich bis zum Jahre 2015 dauern, in dem ich dank YouTube erfuhr, wie „Fahrenheit 451“ auf dem C64 tatsächlich ausging. Ziemlich tragisch und überwältigend übrigens.
Aber ich war in Sachen Atmosphäre und Spieltiefe hoffnungslos angefixt und blieb Telarium auch in den folgenden Jahren treu, unter anderem mit „Nine Princes In Amber“ (nicht beendet, da Diskseite drei im Eimer war), „Dragonworld“ (kurz vor Schluss das Handtuch geworfen) und „Perry Mason“ (für die Lösung dieses Spiels war ich schlichtweg zu doof). Ja, es entstand bei mir eine liebevolle Tradition, ganz viele Videospiele anzufangen, aber nur bei den wenigsten den Abspann, sofern vorhanden, bewundern zu dürfen. Ein Umstand, den ich erst mühsam in den letzten Jahren ein klein wenig ändern konnte.
Adventures und Rollenspiele sind übrigens weiterhin meine Lieblingsgenres. Für „Baldur´s Gate“ habe ich zehn Jahre gebraucht. Aber ich habe es geschafft.
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