Im Jahr 1976 geboren, bin ich mit Videospielen großgeworden. Von den ersten primitiven Pixeln, bis hin zu mächtigen MMORPGs – alles Teil meines Lebens. Von Anfang an. Man könnte fast sagen: Ich war da, Cyber-Gandalf. Ich war da, vor gefühlt 3.000 Jahren.
Ich habe hektisch an einem Atari-Drehrad gefummelt, um bei Pong einen eckigen Punkt mit einem vertikalen Strich zu treffen. Und mir dabei eingebildet das sei Tennis… Mein zweites Zuhause war die Spielhalle, wo ich von Galaga über Ghouls ’n Ghosts bis Daytona USA alles mit meinem Taschengeld gefüttert habe, was nicht bei drei einen Error hatte. Und selbstredend besaß ich unzählige Spielkonsolen, Handhelds und Heimcomputer, um meiner Sucht, in andere Welten zu fliehen, möglichst von morgens bis abends nachgehen zu können. Sehr zur Freude meiner Eltern…
Wobei… eigentlich waren 80er Eltern cool. Relaxter als die Helikopter von heute. Zu denen ich als junger Vater leider auch zähle.
Anyhow: Die Faszination Computerspiele, bzw. „Reisen in virtuelle Welten“, begleitet mich bis heute. Was natürlich nicht weiter verwunderlich ist, da Computer, Internet und Spiele ganz maßgeblich unseren Alltag bestimmen.
Ist nicht ohnehin das ganze Leben eine Art Spiel?
Verfechter der Simulationshypothese gehen sogar davon aus, dass das sprichwörtlich der Fall ist und wir bereits in einer Matrix leben. Schaut man sich an, wie schnell die Computertechnik von Pong zu VR-Headsets und fotorealistischer Grafik vorangeschritten ist, dürfte klar sein, wo das irgendwann mal hinführen muss. Und wer kann schon sagen, ob unsere Realität noch die erste nicht-computergenerierte ist? Wie wahrscheinlich ist das?
Doch egal, ob wir alle Datenpakete mit Bewusstsein sind oder seltsame Fleisch-Avatare aus Bausteinen, die sich bei näherer Betrachtung ebenfalls im Nichts verlieren, bloße Informationen sind – der Sog virtueller Welten ist immens.
In jüngerer Vergangenheit haben sich Romanautoren deshalb gerne mit der Symbiose von Computersimulation und menschlichem Leben beschäftigt und damit das neue Genre der GameLit (Computerspiel-Literatur) (mit-)begründet.
Und genau da ist der Schnittpunkt von „Videospiel“ und „Geschichten“ dieser fantastischen Domain hier.
Nun wäre es natürlich ein Leichtes einfach die Klassiker des Genres vorzustellen:
Angefangen mit Simulacron-3 von Daniel F. Galouye, dem Roman von 1964, der Basis und Inspiration war für Filme wie Welt am Draht, The Thirteenth Floor und The Matrix. Dann würde ich die berühmten Cyberpunk-Romane Neuromancer von William Gibson und Snow Crash von Neal Stephenson nennen. Und schließlich würde ich die Liste beschließen mit Otherland von Tad Williams und natürlich dem Nerd-Fest par excellence Ready Player One von Ernest Cline.
Nur dann wäre niemand schlauer, da diese Standardwerke auf jeder Liste mit Videospiel-Romanen auftauchen. So sicher, wie der Endgegner, wenn die Musik gruselig wird…
Darum möchte ich hier gerne 5 Bücher für Ready Player One-Fans vorstellen, die noch weniger bekannt, aber dennoch sehr lesenswert sind.
Ich hoffe, ich liefere damit vielleicht den ein oder anderen Leseanreiz für die kalten Tage.
Off to be the Wizard von Scott Meyer
Was würdet ihr machen, wenn ihr bei der Websuche nach Katzenbildern, Memes oder Retrogames über eine Datei stolpern würdet, die bei Bearbeitung die Wirklichkeit verändert?
Genau. Ihr würdet erstmal ausflippen, dass die Welt ein Videospiel ist. Und dann würdet ihr vermutlich, genau wie Martin Banks, der Protagonist des Buches, sämtlichen Wunscherfüllungsfantasien nachgehen, die ihr schon immer gehegt habt.
Und dann würdet ihr es vermutlich irgendwann so maßlos damit übertreiben, dass ein paar streng dreinblickende Leute bei euch klingeln und eine Erklärung für euren plötzlichen Reichtum und andere unerklärliche Begebenheiten verlangen.
Doch wärt ihr dann cooler Hacker genug, um wie Martin ins Mittelalter zu entkommen und euch dort mit euren Fähigkeiten als Zauberer aufzuspielen? Ne, ich würde auch im Knast landen.
Also, ich hatte wirklich viel Spaß mit Off to be the Wizard, weil mich Autor Scott Meyer mit den vielen Anspielungen aus den 80ern und seiner innigen Liebe zu den ersten Home PCs vollkommen abgeholt hat. Mittlerweile sind einige Fortsetzungen erschienen, die ich jedoch noch keine Zeit hatte zu lesen. Wenn ihr könnt, dann lest das Buch auf Englisch, da die deutsche Übersetzung so ihre Schwächen haben soll.
Alterworld – Play to Live von Dmitry Rus
Dieses Buch zu lesen war eine echte Überraschung für mich. Plötzlich wurden mir da mitten im Roman Charakterscreens, Level-Up-Popups und die Werte irgendwelcher Gegenstände „eingeblendet“. Ohne vorher viel darüber gehört zu haben, war ich zufällig über ein Sub Genre der GameLit gestolpert: Das LitRPG.
Wer es nicht kennt: So ein „Literary Role Playing Game“ ist eine Spielart der Portal Fantasy, in der eine Person freiwillig oder unfreiwillig in einem hochentwickelten Virtual Reality-MMORPG landet/aufwacht/eingesperrt wird und fortan darin überleben/looten/leveln muss.
Das klingt erstmal seltsam, doch es macht erstaunlich viel Spaß, ein MMORPG in Buchform zu lesen.
Mittlerweile habe ich einige dieser LitRPGs gelesen, da sie seit ein paar Jahren wie Pilze aus dem virtuellen Boden schießen. Das hier vorgestellte Buch soll also auch in gewisser Weise stellvertretend für ein ganzes Genre herhalten.
Bisher hat mir Play to Live – gefangen im Perma-Effekt des Russen Dmitry Rus am besten gefallen. Weil sich die Geschehnisse in der Spielwelt auch auf die richtige Welt auswirken und umgekehrt. Und natürlich, weil sich Dmitry ganz offensichtlich World of Warcraft zum Vorbild genommen hat. Wer das mal, wie ich, unvernünftig intensiv und lange gezockt hat, wird an Play to Live seine Freude haben.
Anders als der Protagonist des Buches. Max hat nämlich Krebs im Endstadium und sieht die „Alterworld“ als einzige Möglichkeit weiterzuleben. Aber lest am besten selbst.
Da das Original Russisch ist, darf hier durchaus das deutsche Buch konsumiert werden. Sagt mir danach, wie oft ihr „mein innerer Gierschlund“ gelesen habt und ob wir ein Trinkspiel daraus machen sollten.
Polybius von David Irons
Kennt ihr die unheimliche Urban Legend über den Spielautomaten Polybius?
Angeblich soll die Firma Sinneslöschen 1981 in Portland einige davon zu „Testzwecken“ in Arcades platziert haben. Nach Meldungen von epileptischen Anfällen, Halluzinationen und sogar Selbstmorden sollen zwielichtige Personen die Automaten jedoch in einer Nacht- und Nebelaktion wieder abgeholt haben.
Jüngere Recherchen haben ergeben, dass der Polybius niemals existiert hat, nur durch Internetforen und Verschwörungsfans erschaffen wurde. Doch hundertprozentig sicher ist sich niemand. Und das ist natürlich der perfekte Stoff für allerlei Mystery- und Horror-Stories.
Filmemacher und Autor David Irons hat sich das zu Nutze gemacht und einen herrlich trashigen Horrorroman um die moderne Sage gestrickt.
Polybius liest sich wie das Drehbuch eines blutigen B-Movies und ist mit der plakativen Darstellung von Gewalt in all seinen Facetten sicher nichts für schwache Nerven.
Trotzdem hat mich der Roman durch seine Leidenschaft für das Kino der Achtzigerjahre und seine Arcade-Kultur sehr gut unterhalten. Besonders, weil wir hier mal den umgekehrten Fall haben: nicht Menschen gehen in eine virtuelle Welt, sondern das Virtuelle sickert in unsere…
Einziger Schwachpunkt des Buches ist die Darstellung der Sinneslöschen-Mitarbeiter. Was die da reden ist teilweise kein Deutsch und klingt wie mit einem schlechten Übersetzungsprogramm erzeugt. Ein Native Speaker als Testleser wäre hier Goldwert gewesen. Einerseits hat mich das manchmal leicht aus der Illusion gerissen, andererseits hat es den Trashfaktor des Buches beinahe passend untermauert.
Ich habe das Buch im englischen Original gelesen.
The Impossible Fortress von Jason Rekulak
Billy Marvins Wunderjahre, wie das Buch in der deutschen Übersetzung heißt, würde ich als herzerwärmende Coming-of-Age-Story bezeichnen, die an die Höhen und Tiefen der eigenen Pubertät erinnert.
Wenn wir die Abenteuer der drei Halbstarken Billy, Alf und Clark in den 80ern miterleben kommt fast sowas wie ein Stranger Things-Vibe rüber. Allerdings ohne Monster, dafür mit einem ausgeprägten C64-Kult.
Die albern anmutende, aber aus Sicht der Teenager durchaus nachvollziehbare Prämisse des Romans ist, dass die Knalltüten ihre klebrigen Finger an den neuen Playboy mit nackter Glücksrad-Fee Vanna White bekommen wollen. Bei uns wäre damals wohl Maren Gilzer das Äquivalent gewesen.
Neben allerlei wahnwitzigen Plänen dies zu bewerkstelligen (ihn einfach zu kaufen ist für sie altersbedingt unmöglich), soll Billy zudem die Tochter des Elektroladenbesitzers klarmachen. Warum? Na, um ihr den Code für die Alarmanlage zu entlocken und dann den im Laden ausliegenden Playboy in einer Nacht und Nebel-Aktion klauen zu können. Wasserdichter Plan!
Doch natürlich kommen Billy die eigenen Hormone in die Quere. Er verguckt sich in Mary, die auch noch ebenso computerverrückt zu sein scheint wie er selbst. Sie könnte ihm sogar helfen endlich sein höchsteigenes C64-Spiel, The Impossible Fortress, zu Ende zu programmieren. Zwickmühle! Entscheidet er sich für seine Freunde oder für Mary und The Impossible Fortress?
Das Witzige an diesem Roman ist auch, dass Autor Jason Rekulak das Game aus dem Buch auf seiner Webseite zur Verfügung gestellt hat. Ob ich da immer noch in der Highscore stehe?
Auch hier bezieht sich meine Kurzrezension auf die englische Ausgabe.
M.A.Y.A.: Überleben ist alles von … mir
Wie bitte? Das Buch ist von dir? Ist das nicht schamlose Eigenwerbung?
Ja. Klar. Natürlich. Es ist das, wozu jeder Selfpublisher ohne einen großen Verlag im Rücken mehr oder weniger gezwungen ist. Denn, wenn niemand weiß, dass mein Buch existiert, wird es auch niemand lesen…
ABER: Ich würde meinen Roman nicht in so eine Liste mitaufnehmen, wenn ich nicht schon so viel positive Rückmeldungen bekommen und beim „Publikumspreis für Eskapismus, Nerdkultur & Phantastik“ den 2. Platz für das beste Erstlingswerk belegt hätte. Das legt mir zumindest nahe, dass viele Leute Spaß beim Lesen haben.
Außerdem ist es immer schon mein Traum gewesen mal in so einer Liste aufzutauchen. Selbst, wenn ich sie zunächst selbst verfassen muss (hust).
Worum geht es denn in M.A.Y.A.: Überleben ist alles?
Gute Frage! Ich möchte eigentlich auch nicht zu viel spoilern. Mein wilder Genre-Mix wurde mit Labeln wie Isekai, Portal Fantasy und GameLit versehen. Ich würde den Roman als cyberpunkigen Dark Fantasy Thriller mit (Galgen-)Humor bezeichnen.
Er dreht sich um einen vom Leben gebeutelten Nerd, dessen Realitätswahrnehmung auf eine harte Probe gestellt wird. Realität, was ist das überhaupt? Und wer bin „ich“ darin?
Letztlich ist M.A.Y.A. ein Buch, das nur ich schreiben konnte. Der anfangs erwähnte Einfluss von Videospielen in meinem Leben spiegelt sich in diesem Roman ebenso wider wie die Popkultur der 80er, regelmäßige Dungeons & Dragons-Runden und philosophische Sinnfragen.
Wenn euch mein verrückter Roadtrip interessiert, findet ihr auf meinem Blog mehr Infos zum Buch.
Ich freue mich natürlich über jeden Leser und jede Rückmeldung.
Und wem das Buch gefallen hat, für den habe ich gute Nachrichten: Auf vielfachen Leserwunsch habe ich bereits den Nachfolger, M.A.Y.A.: Wächter der Wirklichkeit, veröffentlicht. Außerdem schreibe ich derzeit am Finale der Trilogie: M.A.Y.A.: Ritter der Apokalypse (Arbeitstitel), welches nächstes Jahr im März oder April erscheinen wird.
Und jetzt bin ich gespannt:
Welche der hier genannten Bücher kennt ihr?
Und welche Bücher mit Videospiel-Thematik würdet ihr mir noch empfehlen?
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