Mein Augenblick des Glücks in Videospielen (Teil 8/8)

Von André Eymann am
Kommentiert von: André Eymann, Lennart Koch, Tobi, Davis
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Videospielgeschichten feiert Jubiläum! Vor 20 Jahren wurde mit der Webseite „Atari-Spielanleitungen“ der Grundstein gelegt. Vor 10 Jahren gründeten wir die Seite “Videospielgeschichten”. Mittlerweile haben wir 299 Beiträge von 79 Autoren veröffentlicht. Der 300. Beitrag sollte etwas ganz Besonderes sein. Deshalb haben wir am 10. Juli 2019 zu einem Gemeinschaftsbeitrag mit dem Thema „Mein Augenblick des Glücks in Videospielen“ aufgerufen. Die wunderbare Idee dazu stammte von Alexa Sprawe, Lennart Koch und Ferdinand Müller.

Die Resonanz der Aktion hat unsere Erwartungen bei weitem übertroffen. Insgesamt 73 persönliche und bewegende Geschichten sind bei uns eingegangen. Wir sind überwältigt und sagen DANKE an Euch alle! Voller Stolz und Dankbarkeit präsentieren wir hier das Ergebnis dieses einmaligen Projektes, das es so noch nirgends gegeben hat.

In diesem Teil findet ihr die Geschichten von Sven Festag, Jenny, Felix Zimmermann, Simon Krätschmer, André Eymann, Daniel Jutrosinski, Constantin Gillies, Dimitry Halley, Winnie Forster und Heinrich Lenhardt


Sven Festag

Sven Festag @ privat
Sven Festag @ privat

Ein dunkler Teppichboden. Keine Falten, keine Flusen. Nur gelegentlich sind noch die Konturen eines Flecks zu sehen, die wohl von einem Kaugummi stammen. Mein Blick schweift durch die Reihen. Zuerst von links nach rechts, dann von oben nach unten. Vom Teppich gedämpfte Schritte nähern sich. Ein Mann mit grauem Bart und brauner Lederjacke sieht mich verunsichert an, bevor er sich mit einem leisen “Entschuldigung” an mir vorbeischiebt. Ich beobachte ihn noch kurz. Dann gehe auch ich weiter und lasse meinen Blick erneut durch das Regal wandern. Dort ist es: das Objekt meiner Begierde. Behutsam greife ich nach der schwarzen Kunststoffhülle, die in glänzende Folie eingeschlagen ist. Ich drehe und wende sie, prüfe jede Stelle auf jeden noch so kleinen Makel. Plötzlich aber schlägt meine Vorfreude in Verunsicherung um. Fast schon fluchtartig stelle ich die Hülle an ihren ursprünglichen Platz zurück und sehe mich um. Der bärtige Mann schaut kurz auf, wendet sich aber sogleich wieder seiner eigenen Auswahl zu. Ich beginne von vorn. Ein weiteres Mal lasse ich meinen Blick durch die Reihen schweifen. Gestresst eile ich durch die Gänge, bleibe aber immer wieder stehen und wische mir die Schweißperlen von der Stirn. Ich nehme einen tiefen Atemzug und suche eine ruhige Ecke abseits der Regale. Dort nehme ich meine Geldbörse heraus und versichere mich, dass er noch da ist, der große blaue Schein. Ist er. Noch ein Atemzug, dann gehe ich zielstrebig auf das Regal zu, greife die Hülle und schreite zum Ausgang voran. Nach dem lauten Piepsen der Kasse wirft mir die Kassiererin einen ebenso prüfenden Blick zu, wie ich zuvor der Hülle. Mit einem Hauch von Verachtung nimmt sie den großen blauen Schein entgegen und quetscht ihn zwischen die anderen. Aber das ist jetzt egal. Denn das Spiel ist nun mein.

Links von Sven


Jenny

Jenny @ privat
Jenny @ privat

Ich erinnere mich noch, wie ich einige Minuten im Menü von „Planet Coaster“ verweilte, weil das Theme mit einer Mischung aus Gitarrenklängen und Trompeten direkt gute Laune verbreitet. Ein ähnliches Gefühl bekomme ich beim Theme von „Monkey Island“. Ob es sich dabei um das Original, eine Piano-Version oder die Interpretation eines Orchesters handelt, ist völlig egal. Bereits die ersten Takte zaubern mir ein Lächeln ins Gesicht. Eine besondere Faszination haben lizenzierte Soundtracks auf mich. Die Realität und die Fiktion verschmelzen, wenn plötzlich bekannte Lieder in einem Videospiel erklingen. „Mafia 2“ war sicher nicht das beste Mafia-Spiel, dennoch bin ich gerne zu den 50er- und 60er-Jahre Songs durch Empire Bay gecruist. Hin und wieder kann es aber auch der Überraschungseffekt sein, der das Einsetzen der richtigen Musik denkwürdig macht. Durch die richtige Musik im richtigen Moment kann sich ein Spiel bei mir auf ganz spezielle Weise einprägen. Ein paar dieser Momente möchte ich mit euch teilen: Ich erinnere mich noch, wie ich durch Columbia in „Bioshock Infinite“ marschierte und plötzlich eine mir bekannte Melodie vernahm: „Girls Just Wanna Have Fun“ schallte aus einer Drehorgel und verwunderte und entzückte mich zugleich. Dass der 80er-Jahre-Hit nicht nur zufällig dort platziert war, begeisterte mich später umso mehr. Auch eines meiner absoluten Lieblingsspiele „Spec Ops – The Line“ kommt mit einem außergewöhnlichen Soundtrack daher. Wenn die Flucht vor einem Helikopter mit Mozarts „Dies Irae“ untermalt wird, ist das an Epik kaum zu überbieten. Auf der Flucht befindet man sich ebenfalls in „Valiant Hearts“. Während man versucht, den feindlichen Geschossen auszuweichen, setzt plötzlich der „Ungarische Tanz Nr. 5“ von Brahms ein. Ich kann weder sagen, in welchem Teil der Geschichte diese Szene stattfindet, noch ist die Passage spielerisch irgendetwas Besonderes. Ich liebe dieses Stück und vermutlich hätte es mich in jeder anderen Spielszene genau so begeistert wie in dieser. 

Links von Jenny


Felix Zimmermann

Felix Zimmermann @ privat
Felix Zimmermann @ privat

Manchmal, da habe ich das Gefühl, dass mich Videospiele nicht mehr wirklich berühren können, dass ich sie nur noch aus Gewohnheit spiele. Ich spiele weiterhin viel, keine Frage, doch oft und hauptsächlich kompetitiv und online. Die Endorphinausschüttung ist hier gewährleistet, aber bereiten mir wirklich die Spiele Freude oder doch eigentlich das Gewinnen? Hin und wieder spiele ich auch ganz allein und für mich. Vielfach bedeutet das mittlerweile, schier endlose, offene Welten zu durchschreiten. Die sind oft beeindruckend, keine Frage, doch allzu schnell verfliegt die anfängliche Faszination, wenig bleibt hängen, nachdem der Abspann gelaufen ist. Nostalgisch verklärt sehne ich mich nach solchen Emotionen, die ich mit Spielen wie Yoshi’s Island oder Donkey Kong Country 2 verbinde. Jedem, der mich fragt, würde ich sagen, dass diese Spiele perfekt sind. Sind sie wohl nicht, ich weiß. Aber bis heute verschmelzen hier Artdesign, Gameplay, Audio zu einem Ganzen, das mich berührt wie am ersten Tag. Kann es das heute noch einmal geben oder bin ich schon abgestumpft? Ich spielte vor einigen Wochen Hollow Knight. Ich hatte keine Erwartungen. Ich kämpfte im ersten Gebiet gegen Käfergetier, es war viel grau. Nichtsahnend betrat ich ein neues Gebiet, „Green Path“ genannt. Was war das? Diese liebliche Melodie in meinen Ohren, dieses dichte Grün, der blubbernde Salzsäuresee unter mir. Ich verweilte einen Moment und konnte es kaum fassen. Mit dem Crescendo der Musik setze ich mich wieder in Bewegung, Gänsehaut am ganzen Körper. Und ich wusste: Es geht noch.

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Simon Krätschmer

Simon Krätschmer @ privat
Simon Krätschmer @ privat

Mit schweißnassen Händen wird das frisch an den Ecken abgefeilte „Streets of Rage“-Modul in den nicht dafür vorgesehenen Mega-Drive-Modulschacht geschoben. Die Anleitung dazu kam aus dem Games-Magazin, doch mit der Angst um mein Spiel bin ich nun alleine. An der japanischen Plastikbeklebung sind Kratzer zu erkennen, kaum älter als das Modul selbst. Ich bin beim Absägen der Ecken mehrfach abgerutscht. Liegt es an den glitschigen, zittrigen Hände, die die Feile halten oder versagen sie angesichts der teuren Schnitzvorlage ehrfürchtig ihren Dienst? Jetzt ist es zu spät zum Zweifeln, das Modul sitzt entgegen aller Erwartungen bombenfest im Schacht, ob ich es jemals wieder herausbekomme? Die Zeit muss erst zeigen, ob ich das überhaupt will. Der Moment der Wahrheit. Ich schalte die Konsole auf „AN“. Japanische Schriftzeichen auf staubiger Röhre. Yuzo Koshiro ertönt. Soundtrack des Glücks. 

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André Eymann

André Eymann @ privat
André Eymann @ privat

Meinen Augenblick des Glücks kann ich ziemlich genau auf den Herbst 1998 zurückdatieren. Sogar an einen bestimmten Ort kann ich meinen Moment festmachen. Dieser Ort war der schöne Altstadt-Flohmarkt am Ufer der Leine in Hannover. Seit 1972 findet dieser Flohmarkt, der übrigens nach dem Vorbild eines marché aux puces in Paris entstanden ist, jeden Samstag statt. Beim Stöbern entdeckte ich eine Atari-2600-Jr.-Spielkonsole inkl. eines Joysticks und des Moduls „Donkey Kong“ in einem Pappkarton. Kein perfekter Zustand, aber dennoch funkelte die Konsole in meinen Augen, als wäre sie aus Gold. Der Verkäufer verlangte 40 DM, die nach kurzer Zeit von meiner Frau auf 15 DM heruntergehandelt wurden. Ich glaube noch heute, dass er keine Ahnung hatte, was er da eigentlich verkaufte. Zuhause, in der kleinen Mietwohnung, wurde die Konsole an den großen Philips-Röhren-TV angeschlossen. Mario erschien, die Fässer rollten auf mich zu und mein Herz ging auf. Wie lange war das letzte Spiel her? Mindestens zehn Jahre hatte ich mich kaum mit Videospielen beschäftigt, aber mit einem Schlag war meine Leidenschaft wieder da. Ich, wir, spielten wie die Kinder und versuchten Pauline aus den Fängen des grimmigen Gorillas zu befreien. Mit Donkey Kong entstand eine Sammelleidenschaft für Atari-2600-Spielmodule. Wenige Wochen später registrierte ich die Webseite „Atari-Spielanleitungen“, um fehlende Anleitungen zu sammeln und diese mit der Welt zu teilen. Später wurden auf der Seite auch Artikel über Videospiele veröffentlicht. Es war der Urknall für „Videospielgeschichten“ und wird für immer mein Augenblicks des Glücks in Videospielen sein.

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Daniel Jutrosinski

Daniel Jutrosinski @ privat
Daniel Jutrosinski @ privat

Mein Augenblick des Glücks in Videospielen – ein großartiges Thema, ein sehr schwieriges Thema. Wo soll man dort nur anfangen nach über 30 Jahren Liebe zum Videospiel? Vom ersten Laden der Datasette im Commodore 16 als man nach 20 Minuten endlich mit den Winter Games beginnen konnte, bis hin zu den Sonnenstrahlen über der Prärie, die sich langsam durch den Morgennebel in Red Dead Redemption 2 kämpfen. War es das sonore “Es gibt Gold auf dieser Insel” des Narrators in Anno 1602 oder die pure Freude, nachdem mein Vater und ich Sophia nach zwei Stunden rätseln in “The Fate of Atlantis” endlich dazu bewegen konnten, sich an die Scheibe des Messerwerfers zu stellen. Vermutlich ließen sich die Erinnerungen an Freude und Glücksmomente in all den Spielen über unzählige Seiten fortführen. Aber vielleicht ist es ja genau das, eine Summe, eine Melange aus wundervollen Momenten. Genau dafür ist das Medium Videospiel wie gemacht, Emotionen und Empfindungen auf verschiedenen Ebenen zu wecken, auch in Bezug auf individuelle Erfahrungen. Den absoluten Glücksmoment wird es also vermutlich nicht geben, was für mich persönlich aber besonders gut in diese Deutung passt, wäre “Journey” von thatgamecompany, mittlerweile schon lange kein wirkliches Indie Game oder ein Geheimtipp mehr. Ich spiele es jedes Jahr noch immer ein- bis zweimal in Ruhe durch. Auf eine unfassbar elegante, anmutige, dezente und lyrische Weise vereint es all diese Elemente und Emotionen einer Reise in einem Spiel mit atemberaubender Bildsprache und Kreativität. Und dies runtergebrochen auf die elementaren Bestandteile eines Spieles – es folgt keiner festen Abfolge, wie auch im Leben kann man Abkürzungen nehmen, den direkten Weg wählen oder jedes kleinste Detail erkunden, es gibt kein übergeordnetes Ziel, keine direkte Mission – und doch ist das Ende und ein neuer Anfang für alle gleich. Der Spieler fühlt auf seiner Reise eine Menge an Emotionen. Am Anfang Neugier, Verwirrung in der Wüste, dann Forscherdrang, um die Geschichte Stück für Stück zu erkunden und zu verstehen. Dann Freude mit den ersten Fortschritten und der Leichtigkeit einer Sanddünen-Fahrt – gefolgt von Angst und Demut vor den Wächtern in den Minen, danach Mühsal und Kampf an den schneebedeckten Hängen des Berges – am Ende Verständnis, Erleuchtung, Erleichterung und pures Glück zu epischer Musik im Fluge durch das metaphorische und virtuell reale Himalaya. Vielleicht ist dies genau die Essenz, es gibt nicht den Augenblick des Glückes, es ist alles eine Summe an Erlebnissen, die ohne die Mühsal nur halb so erfüllend und vollkommen wären.

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Constantin Gillies

Die Götter des Gemetzels.

Constantin Gillies ist Autor der "Extraleben"-Reihe und des Nerd-Romans "00:01" (Bild: Privat)
Constantin Gillies ist Autor der “Extraleben”-Reihe und des Nerd-Romans “00:01” (Bild: Privat)

„Alter, bei denen ist Hellraiser 2 nich geschnitten! Der ist da zehn Minuten länger! Zehn Minuten!“ Das waren die Worte von Player Two, und im Jahr 1988 reichten sie aus, um eine Reise zu rechtfertigen. Den Splatter-Meilenstein Hellraiser 2 im Original gucken, unberührt von der deutschen Spießerzensur, dafür war ein Trip nach Paris mehr als angemessen. Also fünf Stunden in der rostroten Bundesbahn-Hölle aushalten und sofort mit der Metro auf die Champs-Élysées. Ein völlig sinnvoller Trip, denn Hellraiser 2 war das Ende der Splatter-Geschichte. Nur was jetzt? Sieben Tage mussten noch rumgebracht werden – mit 12 Mark am Tag, hatte Player Two ausgerechnet. Kino war da nicht mehr drin. Blieb nur der Salle Jeux um die Ecke, ein dunkler Schlauch direkt neben einem Porno-Laden. Und da stand er, ein brandneuer Operation Thunderbolt, dieses geile Teil mit den Plastik-Uzis vorne dran. Aber der Preis der Coolheit war hoch: zwei Francs pro Game für jeden – diese verdammten Gangster. „Müssen wir halt beim Essen sparen“, sagte Player Two. Ab da lief jeder Urlaubstag gleich ab: Aufstehen, abhängen, auf dem Hotelzimmer Würstchen aus der Dose fressen und Joghurt („Für die Vitamine“, Player Two), und dann ab vier Uhr zocken. Der Höhepunkt des Tages. Das Game hielt, was die Controller versprachen. Operation Thunderbolt war ein weiterer Meilenstein des Metzelns. Einfach nur die Magazine auf alles entleeren, was sich bewegt, auf ein Panoptikum der Achtziger-Feindbilder: Typen mit Palästinenser-Tuch, russische MiG-Jets, mittelamerikanische Contras mit Pornobalken. Die verschwitzten Hände klebten an den Plastikwummen, der Puls raste, Stress pur. Ein paar Jahre später wird Player Two gestehen: „Ich habe nachts im Schlaf die Hubschrauber auf mich zukommen sehen.“ Jeder Treffer tat weh, denn die Kohle reichte nur für eine Runde Operation Thunderbolt pro Tag. Game Over bedeutete wirklich Game Over. Doch wir kämpften uns durch wie Colonel Braddock durch den Dschungel. Muni sammeln, Geiseln befreien, Hauptquartier stürmen. Bis dieser unschaffbare Endboss kam. Immer wieder hat er uns erwischt, der Kopftuch-Terrorist, der den Piloten als Geisel genommen hat. Fünf verdammte Tage lang. Bis zum letzte Tag. Da haben wir ihn erwischt. Das Flugzeug mit den Helden an Bord verschwand am Horizont der Rasterzeilen, und die Götter des Gemetzels stiegen in die rostrote Bundesbahn-Hölle, verschwitzt und pleite. Das war Glück in einem heißen Sommer 1988.

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Dimitry Halley

»Ich habe einen Vogel«

Dimitry Halley @ privat
Dimitry Halley @ privat

Jahr um Jahr überfluten Hunderte, wenn nicht Tausende neue Spiele in allen Formen, Farben und Genres den Gaming-Markt. Unzählige unterschiedliche Geschichten, von denen einige immensen Bombast, Millionen teures Spektakel auffahren. Doch letztlich schaffen es doch nur ganz, ganz wenige Erfahrungen, mein Herz so zu berühren, dass man wirklich schlucken muss. 2019 vollführte dieses Kunststück das wahrscheinlich unscheinbarste, unbekannteste Spiel, das mir seit langer Zeit untergekommen ist. Ein Kleinod, das laut Steam Charts monatlich im Schnitt bloß zwei Menschen weltweit gleichzeitig auf PC spielen. Zwei. Ich war einer davon, denn Songbird Symphony verdient Aufmerksamkeit. Dabei macht es mir nicht mal sonderlich Spaß. Songbird Symphony ist ein kleines Musikspiel, ein launiges Rhythmus-Gedrücke – nur gebe ich einen katastrophalen Musiker ab. Die meisten Herausforderungen schaffe ich also bloß mit Ach und Krach, und abseits der Rhythmus-Spielchen flattere ich eigentlich nur als kleines Vögelchen Birb durch eine kunterbunte 2D-Welt auf der Suche nach einem Ort, an dem ich mich zuhause fühle. Doch genau da liegt der Hund (oder in dem Fall Vogel) begraben. Denn Songbird Symphony erzählt so eine wunderschöne Geschichte. Es drückt auf die Tränendrüse wie ein guter Disney-Film, lässt mich den gleichen Schauder fühlen wie Mufasas Tod. Die gleiche Wärme der Freundschaft wie Cap und Capper. Als kleiner, einfältiger Vogel Birb starte ich als Außenseiter, sehe anders aus als all die anderen. Selbst mein Zieh-Onkel ist ein Pfau, ich hingegen ein graues, dickes Vögelchen. Doch trotzdem verströmt Birb gute Laune. Er bringt Glück und Musik in alle Teile des Vogelreichs, knüpft Freundschaft zu einem halb ausgeschlüpften Ei namens Eggbert. Doch tief drinnen fühlt sich Birb einsam. Allein. Und während meiner Reise singt das Vögelchen immer wieder Fragmente eines Liedes, das er irgendwie aus seiner frühesten Kindheit kennt. Birbs Reise gipfelt in einem tragischen Finale, in dem er aus diesen Fragmenten das stärkste Lied des gesamten Spiels entwickelt. In seinem größten Moment bringt Songbird Symphony diesen unvergesslich guten Song mit einer tränenreichen Wendung zusammen – und lässt mich schluchzen und lachen und schluchzen wie kein Triple-A-Titel der letzten Jahre. Auf der Oberfläche mag Songbird Symphony ein Musikspiel sein, die perfekte Melodie erzeugt es aber durch seine tolle Geschichte.

Links von Dimitry


Winnie Forster

Winnie Forster @ privat
Winnie Forster @ privat

Ich grüble über dem Problem, dass sich DER “Augenblick des Glücks in Videospielen“ nicht leicht benennen lässt, wenn man seit 1978 quasi ununterbrochen auf allen Plattformen und drei Kontinenten spielt: Deine Frage lässt mich mein Leben als Serie ungezählter Spielmomente und Highlights erkennen 🙂 Und leider erinnere ich mich an alle noch viel zu gut: als Klein-Winnie zum ersten Mal einen Space Invaders-Automaten sah und Münzen darin versenkte (1979), sich im monochromen “3D Monster Maze” auf ZX81 erschreckte (und zehn Jahre später im “Doom”-Dungeon), 1983 das erste Rare-Spiel “Psst!” in den Kinderhänden hielt (16 K auf Audiocassette) und danach jedes weitere sehnlich erwartete, “Manic Miner” und Tolkien auf Heimcomputer erlebte und “Elite” auf dem Ur-Laptop SX64, den mir ein älterer Kumpel vier Wochen lang auslieh. Ich vergesse den Sommer nicht, den ich mit “Ultima IV” im verdunkelten Zimmer verplemperte (und nicht die beiden folgenden, die in “Bard’s Tale”-Welt und “Wasteland” draufgingen), erinnere mich, als wäre es gestern, wie ich mich mit Kumpels, “Barbarian”, “Blood Money” & Co. im Amiga-Coop vergnügte, zum ersten Mal eine PC-Engine, einen japanischen Mega Drive oder ein Super Famicom anwarf … als Jung-Redakteur mit Jez San die Echtzeit-Zukunft und mit Ken Kutaragi die kommende “PSX” bequatschte, Richard Garriott 1997 ins Beta-“Ultima Online” und Sega-Manager 1998 zur letzten Hardware-Enthüllung in Tokio begleitete. Im Gedächtnis blieb mir mehr, als ich schreiben kann und möchte: Wie ich – noch in PPlay-Probezeit – einem irritierten Peter Molyneux erklären durfte, wieso ich “Populous II” im Gegensatz zu internationalen Pressekollegen nicht für besser hielt als den Erstling, wie ich mit “Wild Bill” Stealey deutsche Jugendschutz-Besonderheiten diskutierte oder in Kazunori Yamauchi persönlichem “Gran Turismo”-Simulator Platz nahm, drei vernetzte PS2-Konsolen, Monster-Hydraulik und Riesen-Bildschirm … Die perfekte Bonusrunde im “Galaga”-Galactic-Dancing und der perfekte “Beatmania”-Track, der tiefste Kerker-Level in “Castlevania X”, die Endgegner-Begegnungen von “Metal Gear Solids”, der letzte Ritt mit Agro in “Shadow of the Colossus” und der erste Ritt über die mexikanische Grenze in “Red Dead Redemption” … wo anfangen und wo aufhören, wenn ich an Spielmomente denke, die mich glücklich machten und machen?

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Heinrich Lenhardt

Heinrich Lenhardt @ privat
Heinrich Lenhardt @ privat

Angefangen hat es eigentlich schon beim Tischfußball. Mein Bruder und ich entwickelten enormen Ehrgeiz bei der Verwaltung ganzer Ligen, deren Ergebnisse und Tabellen mit Schreibmaschine getippt und säuberlich abgeheftet wurden. Irgendwann wechselten wir auf ein Eishockeyspiel, das den Wohnzimmertisch zum Schauplatz intensiver Duelle machte. Man klebte den Plastikfiguren Nummern auf den Rücken und ermittelte nun auch Torjägerlisten. In der Saison 1982/83 ereilte uns die digitale Revolution. Das Hockey-Modul für die Intellivision-Konsole hatte nicht nur sensationelle Grafik, sondern erlaubte auch Bodychecks und Power Plays. Groß waren die Empörungsschreie, wenn der wunderbar unzuverlässige Schiedsrichter es versäumte, einen besonders groben Akt der Körperverletzung zu ahnden. Die vom Computer gesteuerten Goalies legten sich auch gerne mal aufs Eis, um nach einem abgewehrten Schuss über den Sinn des Lebens nachzudenken. So fühlte es sich jedenfalls an, wenn das eigene Tor eins, zwei Sekunden lang unbewacht war und der elende Bruder den Puck hineinschlenzen konnte. Mitleidserregend lahm und primitiv sieht das Spiel heute aus, aber als das Medium noch jung und ich im besten Gefühlsausbruchalter war, war es das Größte. In den Folgejahren bescherten mir Computer- und Videospiele noch unzählige Glücksmomente, vom ersten gelungenen Elite-Andockmanöver bis zur Beutewonne in World of Warcraft. Diese legendären Intellivision-Eishockeyduelle werden aber immer eine Sonderstellung in meinen Erinnerungen haben. Ich kann nur hoffen, dass sich die Nachbarn inzwischen von unserer ebenso leidenschaftlichen wie lautstarken Live-Kommentierung des Spielgeschehens erholt haben.

Links von Heinrich


Alle weiteren Teile des Gemeinschaftsbeitrags findest Du hier.


Veröffentlicht in: Videospielgeschichten
Tobi

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Kommentare (7)

  1. Lieber Felix, Deine Worte “Und ich wusste: Es geht noch.” erinnern mich spontan daran, wie oft ich selbst bereits glaubte, dass mir Videospiele vielleicht nicht mehr so viel geben können wir früher. Immer wieder aber haben sie mich eines besseren belehrt und mich erneut mit Emotionen, Metaphern und Glückgefühlen “kalt erwischt”. Wie auch bei Büchern oder Filmen, habe ich regelmäßig lernen müssen, dass mich die Kunst nach wie vor berühren kann und das wahrscheinlich auch so bleiben wird. Dieses Jahr habe ich bspw. “Joker” (mit Joaquin Phoenix) gesehen und wieder einmal hatte mich ein Film überwältigt. Und gerade vorgestern passierte es mir wieder mit einem Videospiel, als ich “The Witcher 3: Wild Hunt” zum ersten Mal in meine PS4 einlegte. “Es geht noch”. Danke für Deinen Beitrag!

    TobiLenny
  2. Ich hoffe es ist ok, wenn ich beim letzten Beitrag, etwas allgemeines schreibe und nicht zu jedem Beitrag einzeln. Auch wenn es jeder Beitrag natürlich verdient hätte, denn es sind wieder sehr schöne dabei.

    Ich möchte eigentlich nur sagen, was diese Beitragsreihe für eine schöne und auch berührende Geschichte waren und auch noch sind. Schließlich werden die Storys ja nicht schlecht, auch wenn man sie erst später liest oder sie später nochmal liest.
    Momentan ist ja die Zeit der Jahresrückblicke und welche Spiele toll waren und welche nicht und mir fällt da immer wieder auf, wie beschränkt die Spiele dann doch oft besprochen werden. Es wird immer noch viel zu sehr auf Gameplay, Abwechslung, Grafik oder ähnliches eingegangen und viel zu selten auf die Gefühle und die schönen Momente die man mit einem Spiel hatte. Dabei ist es doch gerade das was für mich an Spielen wichtig ist. Natürlich sollte ein Spiel sich auch gut spielen lassen, rein mechanisch. Wie man in dieser Beitragsreihe aber wunderbar merkt, sind es am Ende andere Werte die einen an ein Videospiel erinnern lassen. Es ist die Musik, es ist der Moment, wo du gegen deinen Freund gewinnst, es kann dir durch eine schwere Zeit helfen, es lässt dich neue Freunde finden.
    Spiele machen glücklich und Glück lässt sich nicht bewerten. Nicht in Prozent und auch nicht auf einer Skala von 1-10.

    TobiAndré Eymann
  3. Der Atari 2600 hat bei mir leider keine guten Erinnerungen, ich bekam das Teil als erste Konsole von meinen Eltern geschenkt, während andere zeitgleich schon mit Link auf dem SNES unterwegs waren. Damit konnte ich dann einfach nicht mithalten und die Begeisterung dafür fehlt mir noch heute.

    Was Musik in Videospielen angeht finde ich den Beitrag von Jenny wirklich super, kann ich alles nachvollziehen auch wenn es bei mir eher die Perfektion zwischen dem gezeigten und dem Soundtrack ist was mein Herz höher schlagen lässt. Bestes Beispiel hierfür die Brückenszene in Metal Gear Solid 2, wenn Snake springt, einfach nur Gänsehaut pur! Danke für Eure Geschichten.

    TobiLennyAndré Eymann
    1. Hey Davis, das mit dem Atari 2600 klingt mehr als logisch. Wenn man Zelda auf dem SNES dagegenstellt, bleibt natürlich von den 260er Spielen nicht mehr viel Faszination übrig 😉 Bei mir war die Konsole seinerzeit “Next Gen” (wie man heute sagen würde) und jedes neue Spiel war eine Offenbarung. Schwer vorstellbar heute 🙂

      TobiLenny
  4. Uiii, ein gelungener Abschluss der Serie, danke euch 🙂

    @ Sven: Du kannst doch den Spannungsbogen nicht so weit durchziehen und dann einfach nicht schreiben, welches Spiel in der schwarzen Kunststoffhülle steckte?!
    Ey, das geht doch einfach nicht?! 😀

    LennyAndré Eymann