Kürzlich auf der Arbeit hatten wir das Thema Grippe, gefolgt von Lungenentzündungen. Während die Kollegen inklusive Chefin das dramatische Ausmaß vergangener Krankheiten ausbreiteten, machte sich in mir ein wohliges Gefühl breit. Irgendwann platzte es aus mir heraus: »An meine Lungenentzündung als Kind habe ich nur positive Erinnerungen!«
Gefühlswelten
Normalerweise bin ich nicht so der Gefühlstyp. Wie ein Androide rattere ich Daten und Fakten herunter, um am Ende mitzuteilen, was besser oder schlechter ist. Doch es gibt Ausnahmen, zu denen die besagte Pneumonie zählt.
Ich war gerade 13 Lenzen alt, als es mich im Winter erwischte. Da man bei dieser Gelegenheit feststellte, dass ich generell gegen Antibiotika allergisch bin, war ich lange ans Bett gefesselt. Kein Fernseher, kein Computer, ganz zu schweigen von mobilen Geräten. Außer einem schwarzen Kasten, für den ich endlich Zeit hatte.
Das war Game Gear
Ich hatte schon immer eine gewisse Sympathie für Sega. Schwarze Konsolen, einen schnellen Igel als Maskottchen. Ja, Nintendo war toll, aber mein Herz schlug eher für den vermeintlichen Außenseiter, und so konnte ich irgendwann einen Game Gear mein Eigen nennen, den ich zugleich mit meinem Bruder teilen durfte.
Aus heutiger Sicht sehe ich Segas erste Handheld-Konsole kritisch. Ja, verglichen mit dem Game Boy war es eine andere Welt. Farbbildschirm mit bis zu 4096 Farben und Beleuchtung, tolles Design, einige grandiose Spiele. Aber verglichen mit dem Nintendo-Vertreter hatte das Gerät massive Schwächen.
Zuerst: der Batterieverbrauch! Während man mit dem Game Boy stundenlang zocken konnte, war man bei Segas Antwort auf Nintendos Hit vorwiegend damit beschäftigt, die Stromspeicher zu wechseln. Die japanische Lösung für das Problem bestand aus einem Akku-Pack und einem 9-V-Netzstecker. Kurz gesagt: Man konnte damit viel Spaß haben, sofern eine Steckdose verfügbar war. Mobil war in den 90ern oft sehr stationär.
Mindestens genauso gravierend, aber mir zu dieser Zeit unbekannt, war die Langlebigkeit. Einen Game Boy konnte man bedenkenlos über den Schulhof kicken und danach weiterspielen. Das Ding war nicht nur perfekt für Kinder gedacht, man hätte damit ebenso einen Grizzly erschlagen können, um anschließend weiter Tetris zu spielen. Das ging bei Sega nicht. Selbst bei bester Pflege versagte irgendwann der Bildschirm, der Ton oder die Steuerung.
Das Problem bestand einerseits im Design, andererseits darin, dass Sega den Markt tragbarer Konsolen komplett verschlief. Als sie sahen, wie gut sich der Game Boy verkaufte, war Panik angesagt. Entsprechend wurde gehandelt und etwas zusammengeschraubt, was aus technischer Sicht keine so gute Idee war. Allerdings muss ich gestehen, dass mich dies im Winter 1992 nicht störte.
Drachen im Kristall
Es gab über 300 Spiele für die schwarze Konsole, von denen ich natürlich nur ein paar kannte. Meine Favoriten waren Castle of Illusion, Sonic the Hedgehog und Dragon Crystal. Mit Letzterem verband mich eine innige Hassliebe.
Alle drei genannten Spiele fand ich sehr schwer und das Ende habe ich weder bei Mickey im Schloss der Illusionen noch bei Sonic gesehen. Aber Dragon Crystal hatte etwas, das ich zugleich abgrundtief hasste und liebte. Es war ein Rollenspiel, also genau die Gattung von Games, die ich nur in Ausnahmefällen anfasste. Fantasy war auch nicht mein Ding. Und das Ganze war voller Zufallselemente, was ich ebenfalls nicht ausstehen konnte.
Es war in jeder Hinsicht primitiv, damals wie heute. Als Ritter landete man in einem Labyrinth und wurde von einem Ei begleitet, aus dem später ein Drache schlüpfen sollte. Alle Level waren zufallsgeneriert. Die Objekte, deren Stärke und sogar, was sie tun. Und so kam es, dass man ein weißes Buch fand und herausfinden musste, was es tut. Es konnte einen heilen, töten oder in ein anderes Level teleportieren. Eines, in dem die Gegner so stark waren, dass man sofort starb.
Und der Tod war der Normalfall. Mit einer Batterieladung war das auf Anhieb nicht zu schaffen, speichern konnte man natürlich auch nicht. Wo bliebe da der Spaß?
Hier werden Helden geboren!
Das Inventar war spartanisch, die Grafik nicht der Rede wert und über die gesamte Spieldauer lief nur ein Lied. Mir geistert das bis heute im Kopf herum. Das Spiel geizte an allen Ecken und Enden mit Informationen. Dass es auf Englisch war und ich nur einen Teil der spärlichen Hinweise verstand, gab dem Ganzen den Rest.
Irgendwann hatte ich von Sonic und Mickey genug. Dragon Crystal lag, von mir eher unbeachtet, daneben und setzte bereits Staub an. Also stecke ich es in den Slot und startete das Abenteuer meines Lebens.
Erkunden, sammeln, Werte verbessern, sterben. Noch mal! Tagelang hing ich in dieser Schleife. Das muss zu schaffen sein. Das Ende muss bei so einem Spiel der Hammer sein. Da das Intro nur im Handbuch erklärt wurde, ließen sich die Entwickler sicherlich Zeit für einen epischen Abspann. Wieder tot. Neustart!
Irgendwann, nach einem sechsstündigen Marathon, brannte sich bereits jeder Pixel in meine Netzhaut ein. Die Tage davor probierte ich es pausenlos und träumte schon von den Labyrinthen und Monstern. Und dann, völlig unerwartet, der letzte Kampf und das Ende!
Befriedigung ist eine Enttäuschung
Durch die zahlreichen Spielstunden stellte sich eine Routine ein. Zwischendurch vergaß ich komplett die ursprüngliche Absicht, es durchspielen zu wollen. Ich spielte, weil mir nichts anderes einfiel. Doch als der letzte Gegner besiegte wurde, fühlte ich mich für volle zwei Sekunden wie ein Gott!
Einen richtigen Bossgegner gab es nicht, aber zum Ende füllten gigantische Drachen den Bildschirm. Jeder dieser spartanisch dargestellten Kämpfe war einer um Leben und Tod. Den verbliebenen Drachen besiegte ich gerade so, dann sah ich in der Mitte des Raumes etwas, das mich an einen riesigen Kelch erinnerte. Geschafft, es war das letzte Portal.
Nun kam der Abspann. Der Bildschirm flackerte, wurde schwarz und man sah die namensgebende Kristallkugel samt meiner Heldenfigur. Sie verfärbte sich, der Ritter sprang heraus und verwandelte sich in das gleiche Männchen, welches das Spiel am Anfang betrat. Ein Text mit »YOU WILL RETURN TO YOUR OWN WORLD. THANK YOU FOR PLAYING« scrollte in Begleitung einer fröhlichen Musik von rechts nach links. Anschließend kamen die Credits mit ein paar Random-Szenen aus dem Spiel.
Das war es? Nicht ganz! Zum Schluss kam noch ein relativ schickes Bild mit einem Ritter. Ende. Ich hatte unzählige Stunden in das Spiel gesteckt, mir dabei die Seele aus dem Leib gehustet und mehr war nicht drin? Eine große Enttäuschung! Ich schaltete die klobige Maschine aus, legte sie beiseite und nachdem ich mich beruhigt hatte, nahm ich sie wieder in die Hand. Neustart!
Fazit
Die Fachpresse war geteilter Meinung. Dragon vergab gleich fünf von fünf Sterne, Raze immerhin 84. Der Rest lag im 70er Bereich oder darunter. Selbst Sega Power ließ nur 40 Punkte springen! Der ganze Test in der Novemberausgabe 1992 besteht aus folgenden Worten:
»Rollenspiel-Arcade-Abenteuer mit verschlungenen Pfaden, die sich erst bei der Erkundung erschließen. Gute Idee, aber die ständigen Sackgassen und das Zurückverfolgen der Schritte werden ermüdend. Schlechte „statistische“ Kämpfe setzen den letzten Nagel in den Sarg.«
Sega Power
Ein viel zu hartes Urteil, welches vermuten lässt, dass das Spiel nicht länger als zehn Minuten gezockt wurde. Neben den ganzen Verrücktheiten, die das Game auszeichnet, sind die Gegner zu nennen. Ein Hai auf der Wiese? Fliegende Augen? Oh, ein kleiner Todesstern. Irgendwie passte nichts zusammen, aber es war eines dieser herrlich schrägen Elemente, die man zu dieser Zeit als gegeben hinnahm. Fasziniert davon, was noch kommen mag.
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